Triebe (Āsavas)

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Āsavas – Die Triebe und Befleckungen im frühen Buddhismus

Tiefverwurzelte Hindernisse auf dem Weg zur Befreiung

1. Einleitung: Die Āsavas – Tiefverwurzelte Hindernisse auf dem Weg zur Befreiung

Im Zentrum der buddhistischen Lehre von der Befreiung vom Leiden (Dukkha) steht die Analyse und Überwindung geistiger Hindernisse. Zu den fundamentalsten dieser Hindernisse zählen die Āsavas (Pali; Singular: Āsava), oft übersetzt als Triebe, Befleckungen, Ausflüsse oder Kanker. Sie repräsentieren tief verwurzelte, unheilsame mentale Tendenzen, die das Bewusstsein trüben und den Geist an den leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) binden. Das Verständnis der Āsavas ist daher für Praktizierende von entscheidender Bedeutung, die tiefere Einsicht in die Funktionsweise ihres eigenen Geistes und die Natur der buddhistischen Praxis gewinnen möchten.

Die vollständige Zerstörung der Āsavas (Āsavakkhaya) ist in den Lehrreden des Buddha gleichbedeutend mit der höchsten Stufe der Befreiung, der Arahantschaft. Dieser Bericht zielt darauf ab, den Begriff Āsava zu definieren, seine verschiedenen Arten zu erläutern, zentrale Lehrreden aus dem Palikanon vorzustellen, die ihn behandeln, und seine Verbindungen zu anderen Kernkonzepten des frühen Buddhismus aufzuzeigen.

2. Was sind Āsavas? Definition und Bedeutung

Der Pali-Begriff Āsava bezeichnet grundlegende geistige Verunreinigungen oder Befleckungen, die den Geist „berauschen“ oder „vergiften“ und ihn daran hindern, zu höheren Einsichten zu gelangen. Die gängigsten deutschen Übersetzungen – Triebe, Befleckungen, Ausflüsse, Einflüsse, Kanker, Verderbnisse, Fermentierungen – versuchen, verschiedene Facetten dieses komplexen Begriffs einzufangen.

Die Etymologie des Wortes liefert wichtige Hinweise auf seine Bedeutung. Āsava wird von der Pali-Wurzel √su („fließen“) mit dem Präfix ā- abgeleitet. Gelehrte diskutieren, ob der durch ā- implizierte Fluss nach innen („influx“, „Einfluss“) oder nach außen („outflow“, „Ausfluss“) gerichtet ist. Unabhängig von der genauen Richtung betont die Wortherkunft die dynamische Natur der Āsavas.

Sie sind keine statischen Makel, sondern aktive Prozesse, die aus dem Geist heraus oder in ihn hinein fließen. Diese Dynamik wird auch in Lehrreden wie dem Sabbāsavasutta (MN 2) deutlich, wo beschrieben wird, wie Āsavas durch unweise Aufmerksamkeit entstehen und zunehmen, während sie durch weise Aufmerksamkeit nicht entstehen bzw. aufgegeben werden. Dies unterstreicht, dass diese tiefgreifenden Tendenzen durch die Praxis beeinflusst, gehandhabt und letztendlich beendet werden können.

Die metaphorische Bedeutung des Begriffs vertieft das Verständnis weiter:

  • Ausfluss/Eiterung: In einigen Kontexten bezeichnet Āsava den Ausfluss aus einer Wunde. Diese Metapher suggeriert etwas Ungesundes, das aus dem Geist „heraussickert“ und ihn verunreinigt.
  • Fermentierung/Intoxikans: Āsava wurde auch für fermentierte Getränke wie Wein oder Spirituosen verwendet. Diese Analogie deutet darauf hin, dass die Āsavas den Geist wie ein Rauschmittel trüben, ihn verwirren und seine Klarheit und Fähigkeit zu höheren Erkenntnissen beeinträchtigen. Sie „gären“ im Geist und korrumpieren ihn langsam.
  • Kanker: Diese Übersetzung betont den langsam zersetzenden, korrumpierenden Aspekt der Āsavas, der die geistige Reinheit allmählich untergräbt.

Die funktionale Rolle der Āsavas wird in den Lehrreden klar beschrieben: Sie sind Zustände, die „beflecken, die Erneuerung der Existenz herbeiführen, Schwierigkeiten bereiten, im Leiden reifen und zu zukünftiger Geburt, Altern und Tod führen“. Sie sind grundlegende Voreingenommenheiten (underlying biases), die das Ergreifen (upādāna) bedingen und somit den Kreislauf von Saṃsāra aufrechterhalten. Ihre Überwindung ist daher zentral für den buddhistischen Befreiungsweg.

3. Die Vier Arten der Āsavas

Die Lehrreden klassifizieren die Āsavas typischerweise in vier Hauptarten. Eine ältere und ebenfalls häufig vorkommende Liste nennt drei, wobei der Trieb der Ansichten (diṭṭhāsava) fehlt. Die vier Arten sind:

  1. Kāmāsava (Trieb der Sinnensucht): Dies ist der Ausfluss oder Kanker, der sich auf das Begehren (taṇhā) und die Anhaftung an sinnliche Vergnügen bezieht. Dazu gehören angenehme Eindrücke der fünf physischen Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) sowie damit verbundene angenehme mentale Zustände und Vorstellungen. Dieser Trieb manifestiert sich als Faszination des Geistes für die Planung und das Fantasieren über Sinnesbefriedigung. Er entsteht typischerweise aus dem Kontakt (phassa) mit angenehmen Objekten und dem daraus resultierenden angenehmen Gefühl (vedanā), was zu weiterem Suchen, Anhaften und letztlich zu Unzufriedenheit führt, wenn das Vergnügen endet oder fehlt. Kāmāsava bindet stark an die Sinnenwelt (kāma-loka), und seine vollständige Aufgabe wird mit dem Erreichen der Stufe des Nichtwiederkehrers (Anāgāmī) assoziiert.
  2. Bhavāsava (Trieb des Werdens/Daseinsdurst): Dieser Āsava bezieht sich auf das tiefsitzende Begehren nach Existenz, den Wunsch nach Fortdauer des Seins in irgendeiner Form, sei es in materiellen oder immateriellen Daseinsbereichen. Er repräsentiert den Drang, eine Identität anzunehmen und sich mit Erfahrungen in einer Welt zu identifizieren. Dieser Trieb umfasst sowohl den Glauben an eine ewige Existenz (Eternalismus) als auch den Glauben an eine vollständige Vernichtung nach dem Tod (Nihilismus), da beide aus der Beschäftigung mit der Frage des Seins resultieren. Bhavāsava ist der Treibstoff für den gesamten Wiedergeburtskreislauf und seine Überwindung ist Teil der Arahantschaft.
  3. Diṭṭhāsava (Trieb der Ansichten/Spekulation): Dies ist der Ausfluss oder Kanker, der sich auf das Festhalten an falschen Ansichten (micchā diṭṭhi), spekulativen Meinungen, Theorien und Ideologien bezieht. Dies betrifft insbesondere Ansichten über das Selbst (attā), die Welt und die Natur der Existenz, wie z.B. die Vorstellung eines ewigen Selbst oder die Leugnung jeglicher Kontinuität nach dem Tod. Solche Ansichten entstehen oft aus einer unangemessenen Reflexion über die eigene Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft („War ich?“, „Werde ich sein?“). Diṭṭhāsava behindert das Verständnis der Wirklichkeit, wie sie vom Buddha gelehrt wurde (z.B. die Vier Edlen Wahrheiten, Nicht-Selbst – anattā). Seine Beseitigung ist charakteristisch für den Eintritt in den Strom (Sotāpanna).
  4. Avijjāsava (Trieb der Unwissenheit): Dieser Āsava bezeichnet den Ausfluss oder Kanker der fundamentalen Unwissenheit (avijjā). Konkret bedeutet dies das Nicht-Wissen oder Nicht-Verstehen der Vier Edlen Wahrheiten, der wahren Natur der Phänomene (Vergänglichkeit – anicca, Leidhaftigkeit – dukkha, Nicht-Selbst – anattā) und des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda). Avijjā ist die Wurzel-Unwissenheit, die das Entstehen und Fortbestehen der anderen Āsavas ermöglicht. Sie ist das Versagen, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Als grundlegendster Āsava gilt Avijjāsava als die Wurzel von Saṃsāra, und seine vollständige Beseitigung ist mit der Arahantschaft verbunden.

Die Rolle der Unwissenheit (Avijjā) ist dabei besonders komplex. Sie erscheint nicht nur als einer der vier Āsavas (Avijjāsava), sondern auch als die grundlegende Bedingung für das Entstehen allen Leidens im Bedingten Entstehen (Paṭiccasamuppāda). Das Sammādiṭṭhisutta (MN 9) beschreibt sogar eine wechselseitige Abhängigkeit: Das Entstehen der Āsavas bedingt das Entstehen von Avijjā, und das Entstehen von Avijjā bedingt das Entstehen der Āsavas; ebenso ist ihre Beendigung voneinander abhängig. Dies offenbart einen tiefgreifenden Teufelskreis: Die grundlegende Unwissenheit (das Nicht-Verstehen der Vier Edlen Wahrheiten) ermöglicht es den Ausflüssen von Begehren, Daseinsdurst und falschen Ansichten, sich zu manifestieren. Diese Ausflüsse wiederum trüben den Geist weiter und verstärken so die Unwissenheit. Das Durchbrechen dieses Kreislaufs erfordert sowohl die Auseinandersetzung mit den spezifischen Manifestationen (den Āsavas) als auch mit der zugrundeliegenden Bedingung (Avijjā) durch Einsicht und die Praxis des Edlen Achtfachen Pfades. Es verdeutlicht die durchdringende und sich selbst erhaltende Natur der Verblendung.

4. Zentrale Lehrreden zu den Āsavas in Dīgha Nikāya (DN) und Majjhima Nikāya (MN)

Obwohl die Āsavas in vielen Lehrreden der ersten vier Nikāyas erwähnt werden, gibt es einige Suttas, die dieses Konzept besonders ausführlich behandeln oder in einen zentralen Lehrkontext stellen.

Majjhima Nikāya (MN)

  • MN 2: Sabbāsavasutta (Die Lehrrede über alle Triebe / Alle Befleckungen): Dieses Sutta gilt als der grundlegende Text zur praktischen Arbeit mit den Āsavas und zu ihrer Überwindung. Es legt dar, dass die Zerstörung der Āsavas Wissen und Sehen (ñāṇa-dassana) erfordert, insbesondere durch weise Aufmerksamkeit (yoniso manasikāra). Im Gegensatz dazu führt unweise Aufmerksamkeit (ayoniso manasikāra) dazu, dass unentstandene Āsavas entstehen und bereits entstandene zunehmen. Der Buddha präsentiert sieben Methoden zur Aufgabe der Āsavas:
    1. Dassanā pahātabbā: Aufgabe durch Sehen (Verstehen der Vier Edlen Wahrheiten; Aufgabe von Persönlichkeitsglaube, Zweifel, Hängen an Regeln und Ritualen).
    2. Saṃvarā pahātabbā: Aufgabe durch Zügelung (Kontrolle der sechs Sinnesfakultäten).
    3. Paṭisevanā pahātabbā: Aufgabe durch Gebrauchen (weises Reflektieren über die Nutzung der vier Notwendigkeiten: Roben, Almosenessen, Unterkunft, Medizin).
    4. Adhivāsanā pahātabbā: Aufgabe durch Ertragen (geduldiges Ertragen von Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Insektenstichen, harschen Worten, körperlichem Schmerz).
    5. Parivajjanā pahātabbā: Aufgabe durch Meiden (Vermeiden von Gefahren wie wilden Tieren, unsicheren Orten, ungeeigneter Gesellschaft).
    6. Vinodanā pahātabbā: Aufgabe durch Vertreiben/Beseitigen (Nicht-Dulden von aufgestiegenen sinnlichen, übelwollenden oder grausamen Gedanken).
    7. Bhāvanā pahātabbā: Aufgabe durch Entfalten (Kultivieren der Sieben Erwachungsglieder: Achtsamkeit, Wirklichkeitsergründung, Energie, Freude, Stille, Sammlung, Gleichmut).

    Quelle: MN 2, Sabbāsavasutta (Die Lehrrede über alle Triebe / Alle Befleckungen). Link: https://suttacentral.net/mn2

  • MN 9: Sammādiṭṭhisutta (Die Lehrrede über rechte Ansicht): Dieses Sutta, vorgetragen vom Ehrwürdigen Sāriputta, erläutert die Rechte Ansicht (sammā-diṭṭhi), den ersten Faktor des Edlen Achtfachen Pfades. Es definiert Rechte Ansicht stufenweise, beginnend mit dem Verständnis des Heilsamen (kusala) und Unheilsamen (akusala) und ihrer Wurzeln. Anschließend wird das Schema der Vier Edlen Wahrheiten (Verständnis von X, seiner Entstehung, seiner Aufhebung, des Pfades zur Aufhebung) auf verschiedene Phänomene angewendet, darunter Nahrung (āhāra), Leiden (dukkha) und die Glieder des Bedingten Entstehens. Entscheidend ist hier die Feststellung, dass die Āsavas als Ursprung der Unwissenheit (Avijjā) fungieren und dass die Aufhebung der Unwissenheit durch die Aufhebung der Āsavas geschieht, was ihre enge Verflechtung zeigt. Das Erlangen Rechter Ansicht in diesem tiefen Sinne beinhaltet die Aufgabe der verborgenen Neigungen (anusaya) und führt zur Beendigung des Leidens. Quelle: MN 9, Sammādiṭṭhisutta (Die Lehrrede über rechte Ansicht). Link: https://suttacentral.net/mn9

Dīgha Nikāya (DN)

  • DN 2: Sāmaññaphalasutta (Die Lehrrede über die Früchte des Asketenlebens): Dieses Sutta beschreibt den stufenweisen Übungsweg eines Mönchs, der in der Befreiung gipfelt. Die Zerstörung der Āsavas (āsavānaṃ khaya) wird als die höchste Frucht und das höchste Wissen dargestellt, das durch die Praxis erlangt wird. Nachdem Tugend (sīla), Sinneszügelung, Achtsamkeit, Genügsamkeit, die Überwindung der fünf Hindernisse und die Erreichung der meditativen Vertiefungen (jhāna) beschrieben wurden, folgt die Erlangung der höheren Erkenntnisfähigkeiten (abhiññā). Das letzte und höchste dieser Wissen ist das Wissen um die Zerstörung der Āsavas (āsavakkhaya-ñāṇa). Der Praktizierende erkennt die Āsavas, ihre Entstehung, ihre Aufhebung und den Weg dorthin. Mit diesem Wissen wird sein Geist von den Āsavas der Sinnensucht, des Werdens und der Unwissenheit befreit. Er erlangt die Gewissheit: „Vernichtet ist die Geburt, vollendet der heilige Wandel, getan, was zu tun war, nichts Weiteres mehr für dieses Dasein“ – die klassische Erklärung eines Arahants. Quelle: DN 2, Sāmaññaphalasutta (Die Lehrrede über die Früchte des Asketenlebens). Link: https://suttacentral.net/dn2
  • (Optionale Erwähnung) DN 16: Mahāparinibbānasutta (Die Lehrrede vom Großen Verlöschen): Obwohl dieses Sutta sich nicht primär auf die Āsavas konzentriert, erwähnt es häufig den Zustand der Arahantschaft (Freiheit von Āsavas) und verwendet das Konzept implizit, wenn es die Qualitäten vollendeter Mönche beschreibt oder das Ziel des Pfades bekräftigt. Es enthält Passagen, in denen der Buddha die Bedeutung von Dhamma und Disziplin für die Befreiung betont (implizit die Zerstörung der Āsavas). Es bezeichnet Arahants als khīṇāsava – jene, deren Āsavas zerstört sind. Die Lehrrede bekräftigt die Vier Edlen Wahrheiten und die Bedeutung von Tugend, Sammlung und Weisheit für die Befreiung von den Befleckungen (āsava). Das Parinibbāna selbst ist die endgültige Aufhebung für jemanden, dessen Āsavas zerstört sind. Quelle: DN 16, Mahāparinibbānasutta (Die Lehrrede vom Großen Verlöschen). Link: https://suttacentral.net/dn16

Diese zentralen Lehrreden beleuchten die Āsavas aus unterschiedlichen, sich ergänzenden Perspektiven. MN 2 konzentriert sich auf die praktischen Methoden zu ihrer Beseitigung. MN 9 legt den Fokus auf die kognitive Wurzel (Unwissenheit) und die Verbindung zur Rechten Ansicht. DN 2 beschreibt die Zerstörung der Āsavas als den Höhepunkt und das Ziel des spirituellen Weges. DN 16 schließlich kontextualisiert den Zustand der Freiheit von Āsavas im Rahmen der Arahantschaft und des endgültigen Verlöschens. Zusammengenommen bieten diese Texte ein ganzheitliches Bild: Āsavas sind praktische Probleme, die spezifische Techniken erfordern (MN 2), sie wurzeln in einem fundamentalen Erkenntnisfehler (MN 9, Avijjā), und ihre Überwindung markiert das Erreichen des höchsten Ziels (DN 2, DN 16). Das Studium dieser Reden ermöglicht ein reicheres Verständnis als jede einzelne Lehrrede für sich genommen.

5. Āsavas im Samyutta Nikāya (SN) und Aṅguttara Nikāya (AN)

Neben den ausführlicheren Darstellungen in DN und MN finden sich auch in den anderen beiden Hauptsammlungen des Sutta Piṭaka wichtige Bezüge zu den Āsavas.

Samyutta Nikāya (SN)

Eine spezifische, thematische Sammlung (ein Saṃyutta) mit dem Titel „Āsava Saṃyutta“ existiert im Samyutta Nikāya nicht. Die Struktur des SN orientiert sich an übergeordneten Themen wie Götterwesen (Devatā), Ursachenzusammenhänge (Nidāna), Daseinsgruppen (Khandha), Sinnesgrundlagen (Saḷāyatana) oder der Weg (Magga).

Trotz des Fehlens eines eigenen Kapitels ist der Begriff āsava und das damit verbundene Konzept in zahlreichen Suttas über verschiedene Saṃyuttas hinweg präsent. Die Āsavas sind integraler Bestandteil von Diskussionen über Befreiung, Unwissenheit, Begehren und die Faktoren des Edlen Achtfachen Pfades – alles zentrale Themen des SN (z.B. im Nidāna Saṃyutta SN 12, Magga Saṃyutta SN 45, Sacca Saṃyutta SN 56). Dass die Āsavas kein eigenes großes Saṃyutta haben, wie es etwa die Daseinsgruppen (SN 22), die Sinnesgrundlagen (SN 35) oder das Bedingte Entstehen (SN 12) haben, mindert ihre Bedeutung nicht. Vielmehr deutet dies darauf hin, dass sie weniger als isolierte analytische Kategorie betrachtet wurden, sondern als ein grundlegendes, durchdringendes Problem oder Resultat, das viele Aspekte des Weges und der Erfahrung durchzieht. Sie erscheinen somit innerhalb der Diskussionen über andere Kernthemen, anstatt eine eigene strukturelle Säule zu bilden. Die Zerstörung der Āsavas (āsavakkhaya) stellt das Ziel dar, das durch das Verständnis der in den großen Saṃyuttas behandelten Themen erreicht wird. Ihre Abwesenheit als eigenständiges Kapitel unterstreicht somit ihre fundamentale und übergreifende Relevanz im Dhamma.

Aṅguttara Nikāya (AN)

Im Aṅguttara Nikāya, der Sammlung der nummerisch geordneten Lehrreden, findet sich eine besonders relevante Rede:

  • AN 6.58 Āsavasutta (Die Lehrrede über die Triebe/Befleckungen): Dieses Sutta ähnelt inhaltlich stark dem MN 2. Es beschreibt einen Mönch, der sechs Qualitäten besitzt und dadurch höchster Verehrung würdig ist. Eine zentrale Qualität ist, dass er die verschiedenen Arten von Āsavas durch die jeweils passende Methode aufgegeben hat: durch Sehen, Zügelung, Gebrauchen, Ertragen, Meiden, Vertreiben (vinodanā) und Entfalten (bhāvanā). Die Rede erläutert insbesondere die Methoden der Zügelung (der Sinnesfakultäten), des Gebrauchens (der Notwendigkeiten) und des Ertragens (von Widrigkeiten). Quelle: AN 6.58, Āsavasutta (Die Lehrrede über die Triebe/Befleckungen). Link: https://suttacentral.net/an6.58

Darüber hinaus werden Āsavas in vielen weiteren Suttas des AN erwähnt, oft in Aufzählungen von Befleckungen oder im Zusammenhang mit dem Pfad und seinem Ziel, der Arahantschaft (als khīṇāsava, derjenige, dessen Āsavas zerstört sind, z.B. in AN 9.7).

6. Die Āsavas im größeren Kontext: Verknüpfung mit zentralen buddhistischen Konzepten

Die Āsavas stehen nicht isoliert, sondern sind tief in das Netzwerk zentraler buddhistischer Lehren eingebettet:

  • Āsavas und Dukkha (Leiden): Die Āsavas sind ein Hauptantrieb des Saṃsāra und somit eine grundlegende Ursache für Dukkha. Sie „reifen im Leiden heran“. Das Begehren, das in Kāmāsava und Bhavāsava steckt, die Verblendung durch Diṭṭhāsava und die grundlegende Avijjāsava führen direkt zu Unzufriedenheit, Konflikt und der Fortsetzung des leidvollen Kreislaufs von Geburt und Tod.
  • Āsavas und Avijjā (Unwissenheit): Wie bereits dargelegt, ist Avijjā sowohl einer der vier Āsavas (Avijjāsava) als auch die Wurzelbedingung im Bedingten Entstehen. Avijjāsava betont den aktiven, ausfließenden Aspekt der Unwissenheit, der den Geist befleckt, während Avijjā als Wurzelbedingung ihre Rolle bei der Initiierung der gesamten Kausalkette des Leidens hervorhebt. Die Auslöschung von Avijjā durch Weisheit (vijjā / paññā) ist untrennbar mit der Auslöschung aller Āsavas verbunden.
  • Āsavas und Taṇhā (Begehren/Durst): Taṇhā ist eng mit den Āsavas verbunden, insbesondere Kāmāsava (sinnliches Begehren) und Bhavāsava (Begehren nach Existenz). Taṇhā wird in der Zweiten Edlen Wahrheit als Ursprung des Leidens identifiziert. Die Āsavas repräsentieren die tiefsitzende, ausströmende Natur dieses Begehrens und der anderen fundamentalen Befleckungen. Gefühl (vedanā) ist die Bedingung für Taṇhā, und unweise Aufmerksamkeit gegenüber Gefühlen nährt die Āsavas.
  • Āsavas, Kilesa (Geistesverschmutzungen) und Anusaya (latente Neigungen): Diese Begriffe beschreiben unterschiedliche Ebenen oder Aspekte geistiger Unreinheiten. Kilesa ist ein allgemeinerer Begriff für Geistesverschmutzungen wie Gier, Hass, Verblendung, Dünkel usw.. Anusaya bezeichnet latente, schlummernde Neigungen oder Obsessionen (wie sinnliche Leidenschaft, Widerstand, Ansichten, Zweifel, Dünkel, Daseinsleidenschaft, Unwissenheit). Die Āsavas werden oft als die aktive Manifestation oder das „Heraussickern“ dieser verborgenen Anusaya verstanden, ausgelöst durch Sinneskontakt oder unweise Aufmerksamkeit. Die Beseitigung der Āsavas erfordert die Ausrottung der Anusaya. Dies legt ein Tiefenmodell der Verunreinigungen nahe: Tiefe, latente Potenziale (Anusaya) steigen als aktive Ausflüsse/Tendenzen (Āsava) auf, die sich als verschiedene geistige Flecken (Kilesa), Hindernisse (Nīvaraṇa) und Fesseln (Saṃyojana) manifestieren, die an Saṃsāra binden. Die Arbeit an der Oberfläche (Kilesa) erfordert die Auseinandersetzung mit den Ausflüssen (Āsava), was letztlich das Auswurzeln der latenten Neigungen (Anusaya) notwendig macht. Dies verdeutlicht die Tiefe und Hartnäckigkeit der Befleckungen.
  • Āsavas und der Edle Achtfache Pfad (Ariya Aṭṭhaṅgika Magga): Der gesamte Pfad ist das Mittel zur Erkenntnis und Ausrottung der Āsavas. Rechte Ansicht wirkt direkt gegen Diṭṭhāsava und Avijjāsava. Rechte Achtsamkeit und Rechte Sammlung sind essentiell für die Beobachtung und Einsicht, die zur Zerstörung führen (wie in MN 2 beschrieben). Rechte Anstrengung wird beim Vertreiben unheilsamer Gedanken angewendet. Die Tugend-Faktoren (Rechte Rede, Rechtes Handeln, Rechter Lebenserwerb) schaffen die Grundlage, indem sie grobe Manifestationen zügeln.
  • Āsavas und Nibbāna: Die vollständige Zerstörung aller Āsavas (āsavakkhaya) ist gleichbedeutend mit der Verwirklichung von Nibbāna und Arahantschaft. Das Wissen um diese Zerstörung (āsavakkhaya-ñāṇa) ist die endgültige befreiende Einsicht. Ein Arahant wird als khīṇāsava bezeichnet – einer, dessen Āsavas zerstört sind.

7. Zusammenfassung und Ausblick

Die Āsavas – die Triebe oder Befleckungen der Sinnensucht, des Werdens, der Ansichten und der Unwissenheit – stellen tief verwurzelte mentale Ausflüsse dar, die den Geist verunreinigen und den Kreislauf von Leiden und Wiedergeburt antreiben. Ihre zentrale Bedeutung im frühen Buddhismus ergibt sich daraus, dass ihre Erkenntnis für das Verständnis des Pfades unerlässlich ist und ihre vollständige Überwindung (Āsavakkhaya) das Ziel selbst, die Arahantschaft, darstellt.

Die Lehrreden, insbesondere das Sabbāsavasutta (MN 2) und das Āsavasutta (AN 6.58), bieten differenzierte und praktische Methoden, um mit diesen hartnäckigen Tendenzen durch Sehen, Zügelung, weisen Gebrauch, Ertragen, Meiden, Vertreiben und Entfalten zu arbeiten.

Das Studium der hier vorgestellten Suttas, leicht zugänglich über Ressourcen wie SuttaCentral.net, kann Praktizierenden helfen, ihr Verständnis dieser fundamentalen Hindernisse zu vertiefen und ihre eigene Praxis auf dem Weg zur Befreiung zu informieren und zu stärken.

7a. Tabelle: Übersicht zentraler Lehrreden zu Āsavas

Nikāya Sutta Nr. Pali Name Deutscher Titel (gebräuchlich) Relevanz für Āsavas
MN 2 Sabbāsavasutta Die Lehrrede über alle Triebe/Befleckungen Haupttext zu den 7 Methoden der Überwindung von Āsavas; Definition durch weise/unweise Aufmerksamkeit.
MN 9 Sammādiṭṭhisutta Die Lehrrede über rechte Ansicht Erklärt Zusammenhang von Āsavas (als Ursprung von Avijjā) mit Unwissenheit und Rechter Ansicht (Pfadfaktor 1).
DN 2 Sāmaññaphalasutta Die Lehrrede über die Früchte des Asketenlebens Beschreibt die Zerstörung der Āsavas (āsavakkhaya) als höchste Frucht des Mönchslebens und Kennzeichen des Arahants.
AN 6.58 Āsavasutta Die Lehrrede über die Triebe/Befleckungen Listet 6/7 Methoden zur Überwindung von Āsavas auf, ähnlich MN 2, im Kontext der Qualitäten eines würdigen Mönchs.
DN 16 Mahāparinibbānasutta Die Lehrrede vom Großen Verlöschen Erwähnt den Zustand des Arahants als khīṇāsava (frei von Āsavas); betont den Pfad zur Befreiung von Befleckungen (āsava).

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