
Die Wurzeln des Leidens (Akusala-Mūla) im frühen Buddhismus
Eine Analyse der drei unheilsamen Wurzeln nach dem Palikanon
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Die Wurzeln des Leidens im Buddhismus
Das Herzstück der buddhistischen Lehre ist das Streben nach der Überwindung des Leidens, auf Pali Dukkha genannt. Der Buddha, Siddhartha Gautama, beschrieb nicht nur die universelle Natur des Leidens in seinen vielfältigen Formen – von physischem Schmerz bis zu subtilem existenziellen Unbehagen – sondern analysierte auch tiefgründig dessen Ursachen. Entscheidend ist, dass er einen praktischen Weg aufzeigte, dieses Leiden zu beenden und Befreiung (Nibbāna) zu erlangen. Ein zentrales Element zum Verständnis der Leidensursachen ist das Konzept der Akusala-Mūla, der „Wurzeln des Unheilsamen“.
Diese Wurzeln sind die fundamentalen Antriebskräfte hinter Gedanken, Worten und Taten, die uns selbst und anderen schaden und uns im Kreislauf der Wiedergeburten (Saṁsāra) gefangen halten. Das Erkennen und Verstehen dieser tief liegenden Ursachen ist daher ein unerlässlicher Schritt auf dem buddhistischen Pfad zur Befreiung.
Dieser Bericht zielt darauf ab, den Pali-Begriff Akusala-Mūla zu definieren, seine drei spezifischen Komponenten zu erläutern und Schlüsseltexte aus dem Palikanon vorzustellen, die dieses Konzept beleuchten. Dadurch soll interessierten Lesern ein fundierter Zugang zu diesem wichtigen Aspekt der buddhistischen Lehre ermöglicht werden, gestützt auf die frühesten überlieferten Lehrreden des Buddha.
Definition: Was sind Akusala-Mūla?
Der Begriff Akusala-Mūla
Der zusammengesetzte Pali-Begriff Akusala-Mūla lässt sich wörtlich übersetzen:
- Akusala bedeutet „unheilsam“, „unschicklich“, „untugendhaft“, „schädlich“ oder „demeritorisch“. Es beschreibt Handlungen und Geisteszustände, die nicht zum Wohlbefinden führen und negative Konsequenzen haben. Der Begriff impliziert auch eine Form von „Ungeschicklichkeit“ im Umgang mit dem Geist und der Welt.
- Mūla bedeutet „Wurzel“, „Ursache“, „Grund“ oder „Fundament“.
Zusammengenommen bezeichnen Akusala-Mūla also die Wurzeln oder Grundursachen des Unheilsamen. Im buddhistischen Kontext sind damit drei spezifische geistige Faktoren gemeint, die als die primären Quellen für alle unheilsamen Handlungen (Akusala Kamma) gelten. Diese Handlungen wiederum führen zu Leiden (Dukkha) und halten den leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten (Saṁsāra) in Gang. Diese drei Wurzeln werden oft auch als die „drei Geistesgifte“ (triviṣa) bezeichnet, da sie den Geist vergiften und Leid verursachen.
Es ist hilfreich, Akusala-Mūla von verwandten Begriffen wie Kilesa (Befleckungen, geistige Verunreinigungen) und Āsava (Einflüsse, Kanker, tiefsitzende Triebe) abzugrenzen. Während alle diese Begriffe auf geistige Verunreinigungen verweisen, heben die Akusala-Mūla spezifisch die drei grundlegendsten Motivationen hervor, die unheilsamen Handlungen direkt zugrunde liegen. Sie sind die unmittelbaren Wurzeln, aus denen schädliche Taten sprießen.
Die drei Wurzeln im Detail
Die drei unheilsamen Wurzeln sind:
Lobha (Gier / Verlangen / Anhaftung):
- Definition: Lobha umfasst weit mehr als nur materielle Gier. Es bezeichnet jegliche Form von Begehren, sinnlichem Verlangen, Festhalten an angenehmen Erfahrungen, Besitztümern, Personen, Ansichten oder auch am eigenen Selbstbild. Es ist die geistige Tendenz des „Haben-Wollens“, des Anziehens und Festhaltens. Handlungen, die aus Lobha entstehen, sind darauf ausgerichtet, das Begehrte zu erlangen oder zu bewahren, oft ohne Rücksicht auf die Folgen.
- Nuancen und Bandbreite: Die gängige Übersetzung „Gier“ greift oft zu kurz, da sie primär materielle Aspekte betont. „Verlangen“ oder „Anhaftung“ erfassen die Breite des Konzepts besser. Lobha manifestiert sich in einem Spektrum von subtiler Zuneigung und Präferenz bis hin zu obsessiver Gier und Sucht. Es kann sich auf sinnliche Freuden, Macht, Anerkennung oder sogar spirituelle Erfahrungen beziehen, wenn diese mit Anhaftung verfolgt werden. Das Erkennen dieser subtilen Formen im eigenen Geist ist entscheidend, da sie oft unbemerkt unser Handeln beeinflussen.
- Konsequenzen (Beispiel aus AN 3.69): Das Akusalamūla Sutta beschreibt, wie eine von Lobha getriebene Person anderen Leid zufügt – durch Gewalt, Diebstahl, Ausbeutung oder Verleumdung –, motiviert durch das Streben nach Macht oder Besitz (‚Ich bin mächtig, ich will Macht‘).
Dosa (Hass / Abneigung / Übelwollen):
- Definition: Dosa repräsentiert das gesamte Spektrum ablehnender und feindseliger Emotionen. Dazu gehören Ärger, Hass, Groll, Feindseligkeit, Widerwille, Frustration und jegliche Form von Aversion gegenüber unangenehmen Erfahrungen, Personen, Situationen oder auch gegenüber sich selbst. Es ist die geistige Tendenz des „Wegstoßens“, der Ablehnung und Zerstörung. Handlungen aus Dosa sind darauf ausgerichtet, das Abgelehnte zu vermeiden, zu bekämpfen oder zu vernichten.
- Nuancen und Bandbreite: Die Übersetzung „Hass“ ist oft zu stark und erfasst nicht die subtileren Formen von Dosa, wie leichten Ärger, Gereiztheit oder Ungeduld. „Abneigung“ oder „Übelwollen“ sind oft treffender. Dosa entsteht häufig als Reaktion auf Frustration, wenn Lobha (Verlangen) nicht erfüllt wird, oder wenn man mit etwas konfrontiert wird, das als bedrohlich oder unangenehm empfunden wird. Wie Lobha existiert Dosa auf einem Spektrum von kaum merklichem Widerwillen bis zu zerstörerischer Wut.
- Konsequenzen (Beispiel aus AN 3.69): Analog zu Lobha beschreibt das Akusalamūla Sutta, wie eine von Dosa erfüllte Person anderen Leid zufügt, getrieben von Ablehnung und dem Wunsch nach Kontrolle oder Vergeltung.
Moha (Verblendung / Unwissenheit / Konfusion):
- Definition: Moha ist die grundlegendste der drei Wurzeln. Es bezeichnet eine fundamentale Unwissenheit oder Fehlwahrnehmung bezüglich der wahren Natur der Wirklichkeit. Im Kern geht es um das Nichterkennen der drei Daseinsmerkmale: Anicca (Vergänglichkeit, Unbeständigkeit), Dukkha (Leidhaftigkeit, Ungenügendheit) und Anattā (Nicht-Selbst, Substanzlosigkeit). Moha ist die Unfähigkeit, die Dinge klar und so zu sehen, wie sie wirklich sind. Dies führt zu falschen Annahmen, Illusionen (insbesondere über ein dauerhaftes, unabhängiges Selbst) und letztlich zu Handlungen, die auf diesen Missverständnissen beruhen.
- Nuancen und Bandbreite: Die Übersetzung „Verblendung“ betont die tiefgreifende existentielle Ignoranz, während „Unwissenheit“ oder „Konfusion“ auch die alltägliche Unklarheit, Zerstreutheit oder das Fehlen von Weisheit beschreiben können, die zu ungeschickten Entscheidungen führen. Moha ist nicht nur das Fehlen von Wissen, sondern eine aktive Fehlinterpretation der Realität. Es ist die Wurzel, die das Entstehen von Lobha und Dosa überhaupt erst ermöglicht. Wenn Gier oder Hass im Geist aktiv sind, ist Moha immer als zugrundeliegende Bedingung präsent. Man kann nicht gleichzeitig gierig oder hasserfüllt und vollkommen klar und weise sein.
- Konsequenzen (Beispiel aus AN 3.69): Das Akusalamūla Sutta zeigt, wie eine von Moha beherrschte Person, unfähig, die Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen oder die Realität klar zu sehen, anderen Leid zufügt, oft basierend auf falschen Überzeugungen oder Verwirrung.
Das Verständnis der Bandbreite dieser Wurzeln ist wichtig. Sie sind nicht nur extreme Geisteszustände, sondern durchdringen oft in subtiler Form unser tägliches Erleben und Handeln. Die Achtsamkeitspraxis im Buddhismus zielt darauf ab, auch diese feineren Regungen von Verlangen, Abneigung und Konfusion im eigenen Geist zu erkennen.
Besonders hervorzuheben ist die fundamentale Rolle von Moha. Die Fehlwahrnehmung der Realität, insbesondere die Illusion eines festen, dauerhaften Selbst (Ich-Wahn), bildet den Nährboden, auf dem Gier und Hass gedeihen können. Wir begehren Dinge, weil wir glauben, sie würden unser vermeintliches Selbst dauerhaft befriedigen (Lobha). Wir lehnen Dinge ab oder hassen sie, weil wir glauben, sie würden unser Selbst bedrohen oder verletzen (Dosa). Daher liegt der Schlüssel zur Überwindung von Lobha und Dosa letztlich in der Beseitigung von Moha durch die Entwicklung von Weisheit (Paññā) und Einsicht in die wahre Natur der Phänomene. Dies unterstreicht, dass der buddhistische Weg nicht nur ethisches Verhalten und geistige Beruhigung umfasst, sondern essentiell auf der Kultivierung von tiefem Verständnis beruht.
Akusala-Mūla im Palikanon: Ausgewählte Lehrreden
Der Palikanon, die Sammlung der frühesten buddhistischen Schriften, ist in mehrere „Körbe“ (Piṭaka) unterteilt. Der Sutta Piṭaka enthält die Lehrreden (Suttas) des Buddha und seiner Hauptschüler. Er gliedert sich weiter in fünf Sammlungen (Nikāyas): Dīgha Nikāya (DN), Majjhima Nikāya (MN), Saṃyutta Nikāya (SN), Aṅguttara Nikāya (AN) und Khuddaka Nikāya (KN). Die Website suttacentral.net bietet Zugang zu diesen Texten in Pali und in zahlreichen Übersetzungen, einschließlich Deutsch. Bei Verweisen auf Suttas werden üblicherweise die Nikāya-Abkürzung und die Sutta-Nummer, der Pali-Name und ein gebräuchlicher deutscher Titel angegeben.
Die Akusala-Mūla werden in allen vier Haupt-Nikāyas thematisiert, was ihre zentrale Bedeutung unterstreicht. Die Art der Darstellung variiert jedoch und beleuchtet das Konzept aus unterschiedlichen Perspektiven – mal analytisch, mal ethisch, mal im Kontext des gesamten Befreiungsweges.
Lehrreden aus dem Majjhima Nikāya (MN)
Die „Sammlung der mittellangen Lehrreden“ (Majjhima Nikāya) enthält 152 Suttas, die oft dialogischen Charakter haben und eine große Bandbreite an Themen abdecken. Zwei Suttas sind für das Verständnis der Akusala-Mūla besonders relevant:
MN 9: Sammādiṭṭhi Sutta (Die Rechte Ansicht):
- Relevanz: Diese bedeutende Lehrrede, vorgetragen vom weisen Mönch Sāriputta, einem Hauptschüler des Buddha, legt dar, was „Rechte Ansicht“ (Sammādiṭṭhi) – der erste und grundlegende Faktor des Edlen Achtfachen Pfades – bedeutet. Sie definiert Rechte Ansicht fundamental über das Verständnis von Heilsamem (Kusala) und Unheilsamem (Akusala) und deren jeweiligen Wurzeln.
- Inhalt: Sāriputta erklärt explizit Lobha, Dosa und Moha als die drei Wurzeln des Unheilsamen (Akusalamūla). Ebenso benennt er deren Gegenteile – Alobha (Nicht-Gier), Adosa (Nicht-Hass) und Amoha (Nicht-Verblendung) – als die Wurzeln des Heilsamen (Kusalamūla). Die Rede zeigt auf, dass wahre Rechte Ansicht nicht nur das Erkennen dieser Wurzeln umfasst, sondern auch das Verständnis anderer zentraler Lehren wie die vier Arten der Nahrung, die Vier Edlen Wahrheiten und die Kette des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda). Dieses umfassende Verständnis führt zur Aufgabe der tieferliegenden unheilsamen Neigungen (Anusaya) wie Gier, Abneigung, Ich-Dünkel und Unwissenheit und ermöglicht das Entstehen von Weisheit und die Beendigung des Leidens.
- Quellenangabe: MN 9, Sammādiṭṭhi Sutta (Die Rechte Ansicht). Verfügbar auf suttacentral.net.
MN 78: Samaṇamuṇḍika Sutta (An Samaṇamuṇḍika):
- Relevanz: In diesem Dialog erklärt der Buddha dem Asketen Uggāhamāna direkt den kausalen Zusammenhang zwischen dem Zustand des Geistes, der von den unheilsamen Wurzeln geprägt ist, und dem daraus resultierenden unheilsamen Verhalten.
- Inhalt: Der Buddha stellt klar, dass unheilsames Verhalten (körperlich, sprachlich, geistig), bezeichnet als Akusalā Sīlā (unheilsame Tugenden/Verhaltensweisen), seine Quelle (Samuṭṭhāna) im Geist (Citta) hat. Genauer gesagt: „Ein Geist, der Gier (Rāga, synonym zu Lobha), Hass (Dosa) und Verblendung (Moha) enthält – daraus entstehen die unheilsamen Verhaltensweisen“ (Yaṁ cittaṁ sarāgaṁ sadosaṁ samohaṁ, itosamuṭṭhānā akusalā sīlā). Umgekehrt entspringt heilsames Verhalten (Kusalā Sīlā) einem Geist, der frei von diesen Wurzeln ist: „Ein Geist, der frei von Gier, frei von Hass, frei von Verblendung ist – daraus entstehen die heilsamen Verhaltensweisen“ (Yaṁ cittaṁ vītarāgaṁ vītadosaṁ vītamohaṁ, itosamuṭṭhānā kusalā sīlā). Diese Sutta verdeutlicht somit die psychologische Grundlage ethischen Handelns im Buddhismus.
- Quellenangabe: MN 78, Samaṇamuṇḍika Sutta (An Samaṇamuṇḍika). Verfügbar auf suttacentral.net.
Lehrreden aus dem Dīgha Nikāya (DN)
Die „Sammlung der langen Lehrreden“ (Dīgha Nikāya) umfasst 34 Suttas, die oft ausführliche Darlegungen zu grundlegenden Themen, Kosmologie oder Dialoge mit anderen Lehrern enthalten. Die Akusala-Mūla werden hier oft im Rahmen systematischer Aufzählungen genannt:
DN 33: Saṅgīti Sutta (Das gemeinsame Rezitieren):
- Relevanz: Diese Sutta, ebenfalls von Sāriputta vorgetragen, ist eine umfassende, systematische Zusammenstellung von Lehrpunkten, geordnet nach Zahlen (von Eins bis Zehn). Sie diente vermutlich als Gedächtnisstütze und zur Sicherung der Lehre.
- Inhalt: Im Abschnitt der „Dreiergruppen“ werden die drei unheilsamen Wurzeln explizit aufgeführt: „Drei unheilsame Wurzeln: Gier ist eine unheilsame Wurzel, Hass ist eine unheilsame Wurzel, Verblendung ist eine unheilsame Wurzel“ (Tīṇi akusalamūlāni—lobho akusalamūlaṃ, doso akusalamūlaṃ, moho akusalamūlaṃ). Unmittelbar danach werden auch die drei heilsamen Wurzeln (Kusalamūla: Alobha, Adosa, Amoha) genannt. Die Sutta liefert somit eine klare, listenartige Definition im Kontext vieler anderer wichtiger Begriffe.
- Quellenangabe: DN 33, Saṅgīti Sutta (Das gemeinsame Rezitieren). Verfügbar auf suttacentral.net.
DN 34: Dasuttara Sutta (Die zehner-stufige Lehre):
- Relevanz: Ähnlich strukturiert wie DN 33, präsentiert diese Sutta Lehrpunkte in aufsteigender numerischer Ordnung von eins bis zehn, wobei jede Zahlengruppe zehn Aspekte umfasst, die zu verstehen, zu entwickeln oder zu überwinden sind.
- Inhalt: Auch hier werden im Dreier-Abschnitt die Akusala-Mūla (Lobha, Dosa, Moha) als Geisteszustände genannt, die es zu überwinden gilt. Ihnen gegenübergestellt werden die drei Kusala-Mūla (Alobha, Adosa, Amoha), die es zu entwickeln gilt. Die Sutta betont durch ihre Struktur die Notwendigkeit, das Unheilsame klar zu erkennen und aufzugeben, während das Heilsame kultiviert wird, um Fortschritt auf dem Pfad zu erzielen.
- Quellenangabe: DN 34, Dasuttara Sutta (Die zehner-stufige Lehre). Verfügbar auf suttacentral.net.
Eine zentrale Lehrrede aus dem Aṅguttara Nikāya (AN)
Die „Angereihte Sammlung“ (Aṅguttara Nikāya) ordnet die Lehrreden nach der Anzahl der Lehrpunkte, die sie behandeln (Einer-Buch, Zweier-Buch etc.). Hier findet sich die Lehrrede, die dem Thema Akusala-Mūla explizit gewidmet ist:
AN 3.69: Akusalamūla Sutta (Die unheilsamen Wurzeln):
- Relevanz: Diese Sutta ist die wohl wichtigste und am häufigsten zitierte Quelle zur detaillierten Erklärung der Natur und der direkten Konsequenzen der drei unheilsamen Wurzeln.
- Inhalt: Der Buddha definiert klar Lobha, Dosa und Moha als die drei Akusalamūla. Er beschreibt eindringlich, wie eine Person, deren Geist von einer dieser Wurzeln beherrscht und „verzehrt“ wird, unweigerlich unheilsame Taten durch Körper, Rede und Geist begeht (kāyena vācāya manasā). Dies schließt das Zufügen von Leid an andere ein, sei es durch Töten, Stehlen, Lügen, Verleumdung oder den Missbrauch von Macht und Einfluss. Der Buddha betont, dass diese Wurzeln die direkte Ursache für gegenwärtiges Leiden sind – erfahren als Kummer, Qual und inneres „Fieber“ (savighātaṁ saupāyāsaṁ sapariḷāhaṁ). Darüber hinaus führen sie nach dem Tod zu einer leidvollen Wiedergeburt in unglücklichen Daseinsbereichen (duggati). Als Gegenmittel stellt der Buddha die drei heilsamen Wurzeln (Kusalamūla) vor: Alobha (Nicht-Gier), Adosa (Nicht-Hass) und Amoha (Nicht-Verblendung). Die Kultivierung dieser heilsamen Wurzeln führt zur Aufgabe der unheilsamen Zustände, zu Glück und Frieden im gegenwärtigen Leben und letztlich zur vollständigen Befreiung (Nibbāna). Die Sutta verwendet das eindrückliche Gleichnis von einem Sal-Baum, der von drei Schlingpflanzen umschlungen und erstickt wird, um die zerstörerische Wirkung der drei unheilsamen Wurzeln auf das geistige Wohlbefinden zu illustrieren.
- Quellenangabe: AN 3.69, Akusalamūla Sutta (Die unheilsamen Wurzeln). Verfügbar auf suttacentral.net.
Hinweis zum Saṃyutta Nikāya (SN)
Die „Gruppierte Sammlung“ (Saṃyutta Nikāya) fasst über tausend kürzere Lehrreden thematisch zusammen.
- Kein spezifisches Mūla Saṃyutta: Eine Durchsicht der Kapitelstruktur des SN zeigt, dass es kein eigenes Kapitel (Saṃyutta) gibt, das explizit und ausschließlich den (un)heilsamen Wurzeln (Mūla) gewidmet ist.
- Erwähnung in anderen Saṃyuttas: Das Konzept der Akusala-Mūla ist jedoch so fundamental, dass es in vielen Kapiteln und Reden implizit oder explizit vorkommt. Ein berühmtes Beispiel ist das Ādittapariyāya Sutta (Die Feuerpredigt) im Saḷāyatana Saṃyutta (Kapitel über die sechs Sinnesgrundlagen). Hier beschreibt der Buddha, wie die sechs inneren und äußeren Sinnesgrundlagen sowie die daraus entstehenden Bewusstseinsarten, Kontakte und Gefühle „brennen“ – brennen mit dem Feuer der Gier (rāga, = lobha), dem Feuer des Hasses (dosa) und dem Feuer der Verblendung (moha). Dieses Bild verdeutlicht die allgegenwärtige Präsenz und die leidvolle Natur dieser Wurzeln im Erlebensprozess. Weitere Erwähnungen finden sich z.B. im Kontext unheilsamer Gedanken (Akusalavitakka) oder im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Kamma.
- Quellenangabe (Beispiel): SN 35.28, Ādittapariyāya Sutta (Die Feuerpredigt). Verfügbar auf suttacentral.net.
Die Vielfalt der Texte zeigt, dass das Konzept der Akusala-Mūla aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird – analytisch in MN 9, ethisch-psychologisch in MN 78, systematisch-listenartig in DN 33/34, detailliert in seinen Konsequenzen in AN 3.69 und metaphorisch in SN 35.28. Diese unterschiedlichen Zugänge unterstreichen die zentrale Stellung dieses Konzepts im Gefüge der buddhistischen Lehre.
Verwandte Konzepte: Ein breiterer Kontext
Das Verständnis der Akusala-Mūla wird vertieft, wenn man sie im Zusammenhang mit anderen zentralen buddhistischen Konzepten betrachtet. Sie stehen nicht isoliert, sondern sind Teil eines umfassenden Erklärungsmodells für Leiden und Befreiung.
Das Gegenstück: Kusala-Mūla (Heilsame Wurzeln)
Den drei unheilsamen Wurzeln stehen drei heilsame Wurzeln (Kusala-Mūla) direkt gegenüber:
- Alobha (Nicht-Gier): Dies bedeutet mehr als nur die Abwesenheit von Gier. Es umfasst Qualitäten wie Großzügigkeit (Dāna), Freigebigkeit, Loslassen, Nicht-Anhaften und Zufriedenheit.
- Adosa (Nicht-Hass): Dies ist die Abwesenheit von Hass und Abneigung. Positiv ausgedrückt beinhaltet es Liebevolle Güte (Mettā), Mitgefühl (Karuṇā), Wohlwollen, Geduld und Vergebung.
- Amoha (Nicht-Verblendung): Dies ist die Abwesenheit von Verblendung und Unwissenheit. Es entspricht der Weisheit (Paññā), dem klaren Verstehen, der Einsicht in die wahre Natur der Dinge (insbesondere Anicca, Dukkha, Anattā).
Die Kultivierung der Kusala-Mūla ist der aktive Weg zur Überwindung der Akusala-Mūla. Sie bilden die Grundlage für ethisches Verhalten (Sīla), geistige Sammlung (Samādhi) und befreiende Einsicht (Paññā) – die drei Hauptkomponenten des Edlen Achtfachen Pfades.
Die folgende Tabelle stellt die unheilsamen und heilsamen Wurzeln übersichtlich gegenüber:
Unheilsame Wurzel (Akusala-Mūla) | Bedeutung | Heilsame Wurzel (Kusala-Mūla) | Bedeutung |
---|---|---|---|
Lobha | Gier, Verlangen, Anhaftung | Alobha | Nicht-Gier, Großzügigkeit, Loslassen |
Dosa | Hass, Abneigung, Übelwollen | Adosa | Nicht-Hass, Liebevolle Güte (Mettā), Mitgefühl |
Moha | Verblendung, Unwissenheit | Amoha | Nicht-Verblendung, Weisheit (Paññā), Einsicht |
Diese Gegenüberstellung verdeutlicht den transformativen Charakter der buddhistischen Praxis: Unheilsame Geisteszustände werden nicht nur unterdrückt, sondern durch die aktive Kultivierung ihrer positiven Gegensätze entwurzelt.
Die Verbindung zu Kamma (Handlung und Folge)
Im Buddhismus bezeichnet Kamma (Sanskrit: Karma) absichtsvolle Handlungen von Körper, Rede und Geist. Diese Handlungen haben Konsequenzen (Vipāka), die das Erleben in diesem und in zukünftigen Leben prägen. Die Akusala-Mūla sind die entscheidenden motivationalen Faktoren hinter unheilsamen Handlungen (Akusala Kamma). Eine Tat, die aus Gier, Hass oder Verblendung begangen wird, erzeugt negatives Kamma und führt unweigerlich zu leidvollen Ergebnissen für den Handelnden. Umgekehrt sind die Kusala-Mūla die Motivation für heilsames Kamma (Kusala Kamma), das zu angenehmen und förderlichen Ergebnissen führt. Das Verständnis der Wurzeln ist somit zentral für das Verständnis der buddhistischen Ethik und der Lehre von Kamma.
Die Rolle im Paṭiccasamuppāda (Bedingtes Entstehen)
Die Lehre vom Bedingten Entstehen (Paṭiccasamuppāda) ist eine der tiefgründigsten Analysen des Buddha über die Entstehung des Leidens. Sie beschreibt eine Kette von zwölf kausal miteinander verbundenen Gliedern, die den Prozess des Werdens und Leidens erklären. Moha (Verblendung/Unwissenheit) spielt hier eine Schlüsselrolle. Es ist entweder synonym oder sehr eng verwandt mit Avijjā (Unwissenheit), dem allerersten Glied dieser Kette.
Die Formel lautet: „Bedingt durch Unwissenheit entstehen Willensregungen/Formationen“ (Avijjā paccayā saṅkhārā). Diese Saṅkhāra (die oft durch Lobha und Dosa gefärbt sind, welche wiederum auf Moha/Avijjā basieren) bedingen dann das Bewusstsein (Viññāṇa), dieses bedingt Geist-und-Materie (Nāmarūpa), und so weiter durch die Kette über Sinneskontakt, Gefühl, Durst (Verlangen, Taṇhā), Anhaften (Upādāna), Werden (Bhava), Geburt (Jāti) bis hin zu Alter, Tod, Sorge, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung (Jarāmaraṇa sokaparidevadukkhadomanassupāyāsā). Moha/Avijjā steht am Anfang dieser leidvollen Kausalkette. Die Überwindung der Unwissenheit durch Weisheit (Paññā) ist daher der entscheidende Schritt, um den Kreislauf des Leidens zu durchbrechen.
Im Theravāda-Buddhismus werden Moha und Avijjā oft als gleichbedeutend angesehen, wobei Moha eher im Kontext der unheilsamen Wurzeln als mentaler Faktor und Avijjā im Kontext der zwölf Glieder des Paṭiccasamuppāda verwendet wird.
Diese Verbindungen zeigen, dass Akusala-Mūla tief im Kern der buddhistischen Lehre verankert ist. Sie sind nicht nur psychologische Beschreibungen negativer Geisteszustände, sondern fundamentale Faktoren im Prozess der Karma-Erzeugung, der Aufrechterhaltung des Leidenszyklus (Saṁsāra) und dessen möglicher Überwindung durch den buddhistischen Pfad. Das Verständnis dieser Wurzeln ist daher essentiell für das Verständnis des gesamten buddhistischen Weltbildes und Befreiungsweges.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Akusala-Mūla – Gier (Lobha), Hass (Dosa) und Verblendung (Moha) – sind im frühen Buddhismus als die drei fundamentalen Wurzeln des Unheilsamen identifiziert. Sie sind die primären geistigen Antriebe, die zu unheilsamen Handlungen (Akusala Kamma) führen, Leiden (Dukkha) verursachen und den Kreislauf der Wiedergeburten (Saṁsāra) aufrechterhalten. Moha, die grundlegende Unwissenheit über die wahre Natur der Realität, wird dabei als die tiefste Wurzel betrachtet, aus der Lobha und Dosa entstehen.
Die Lehrreden des Palikanon, insbesondere in den Sammlungen Majjhima Nikāya (z.B. MN 9, MN 78), Dīgha Nikāya (z.B. DN 33, DN 34) und Aṅguttara Nikāya (insbesondere AN 3.69), erläutern diese Wurzeln und ihre Konsequenzen detailliert und aus verschiedenen Perspektiven. Auch im Saṃyutta Nikāya (z.B. SN 35.28) wird ihre leidvolle Natur eindringlich dargestellt, auch wenn es kein eigenes Kapitel nur zu diesem Thema gibt.
Die zentrale Bedeutung dieses Konzepts liegt darin, dass das Erkennen dieser Wurzeln im eigenen Geist und das Verständnis ihrer Funktionsweise der erste Schritt zur Befreiung ist. Der buddhistische Pfad zielt darauf ab, diese unheilsamen Wurzeln durch die Kultivierung ihrer direkten Gegensätze – der heilsamen Wurzeln (Kusala-Mūla) von Nicht-Gier (Alobha), Nicht-Hass (Adosa) und Nicht-Verblendung bzw. Weisheit (Amoha / Paññā) – zu schwächen und letztlich auszurotten.
Die in diesem Bericht vorgestellten Lehrreden bieten einen wertvollen Einstieg für alle, die ihr Verständnis dieser grundlegenden buddhistischen Lehren vertiefen möchten. Die Plattform suttacentral.net stellt eine ausgezeichnete Ressource dar, um diese und viele weitere Texte im Original und in Übersetzung zu studieren. Die Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Leidens ist keine rein theoretische Übung, sondern ein Wegweiser für die praktische Kultivierung eines heilsameren Geistes und eines Lebens, das zunehmend frei von Leiden ist.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- bps.lk: The Noble Eightfold Path (A Way to the End of Suffering) – Buddhist Publication Society
- suttacentral.net: Definitions for: akusala, mūla, lobha; Basic Pali Terminology; Suttas (MN 9, MN 78, DN 33, DN 34, AN 3.69, SN 35.28 etc.); Nikāya Navigation
- discourse.suttacentral.net: Different Meanings of the Word Kusala; First Two Lines of DhammaPada.Yamakavaggo; Lobha, Dosa, Moha; Dependend Liberation; Satipatthana-Mula; Original S; Technical Help; Theorists vs. Practitioners
- wisdomlib.org: Akushalamula; Lobha dosa moha: Significance and symbolism
- en.wikipedia.org: Three poisons; Lobha; Moha (Buddhism); Sammādiṭṭhi Sutta; Majjhima Nikāya; Saṃyutta Nikāya
- buddhistgroupofkendal.co.uk: Buddhism and Fire Bibliography
- puredhamma.net: Lōbha, Dōsa, Mōha Versus Rāga, Paṭigha, Avijjā; Lobha Dosa Moha; Rebirths Take Place According To Abhisaṅkhāra; Nikāya In The Sutta Piṭaka; Gati (Habits/Character) Determine Births; Kamma, Saṅkhāra, And Abhisaṅkhāra
- drarisworld.wordpress.com: Akusala mūla Sutta: Discourse on unwholesome roots
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