10. Werden (Bhava)

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10. Werden (Bhava)

Bhava – Werden und Existenz im frühen Buddhismus: Eine Einführung mit Lehrreden aus dem Palikanon

Eine Erklärung der Bedeutung von Bhava im Bedingten Entstehen und der buddhistischen Kosmologie

Einleitung: Bhava – Werden und Existenz im frühen Buddhismus

Dieser Bericht widmet sich dem zentralen Pali-Begriff Bhava (भव), oft übersetzt als „Werden“ oder „Existenz“. Ziel ist es, seine Bedeutung im Kontext der frühen buddhistischen Lehren zu erläutern, seine Verbindungen zu anderen Schlüsselkonzepten aufzuzeigen und interessierten Lesern einen Wegweiser zu relevanten Lehrreden (Suttas) im Palikanon zu bieten. Der Bericht richtet sich an deutschsprachige Leser mit und ohne Vorkenntnisse im Buddhismus und soll sowohl eine grundlegende Orientierung als auch spezifische Textverweise für ein vertieftes Studium liefern.

1.1. Definition und Kernbedeutung von Bhava

Der Pali-Begriff Bhava leitet sich von der sprachlichen Wurzel √bhū ab, die sowohl „sein“ als auch „werden“ bedeutet. Diese Doppelbedeutung spiegelt sich in den gängigen deutschen Übersetzungen „Existenz“ und „Werden“ wider und deutet bereits die Komplexität des Konzepts an. Bhava bezeichnet grundlegend das Sein, die weltliche Existenz, das Werden, die Geburt, das Entstehen oder den Ursprung. In manchen Kontexten kann es auch auf gewohnheitsmäßige oder emotionale Tendenzen verweisen, die zu einem bestimmten Seinszustand führen.

Die Wahl zwischen „Werden“ und „Existenz“ als Übersetzung ist Gegenstand anhaltender Diskussionen unter Gelehrten. „Werden“ betont den dynamischen, prozesshaften Charakter von Bhava, der durch Handlungen (Kamma) angetrieben wird und sich im ständigen Fluss befindet. „Existenz“ hingegen hebt eher den resultierenden Zustand oder die spezifische Daseinsform hervor, die ein Wesen in einem der drei Daseinsbereiche der buddhistischen Kosmologie annimmt. Wichtig ist die Unterscheidung von Bhava zur rein abstrakten, philosophischen Kategorie des Seins, die im Pali durch den Begriff atthitā ausgedrückt wird. Bhava meint stets eine konkrete, empfindende Existenz (sentient existence) in einem spezifischen Lebensbereich. Es ist entscheidend zu verstehen, dass Bhava im buddhistischen Kontext beide Aspekte – den aktiven Prozess des Werdens und den daraus resultierenden Zustand der Existenz – umfasst. Nur so lässt sich die Dynamik des Daseinskreislaufs (Saṃsāra) und die zentrale Rolle der eigenen Handlungen (Kamma) vollständig erfassen.

Es ist zudem wichtig, Bhava (भव) von dem verwandten Begriff Bhāva (भाव) zu unterscheiden. Obwohl beide von der Wurzel √bhū stammen, bezieht sich Bhāva primär auf Gefühle, Emotionen, Gemütszustände, Dispositionen oder Charakterzüge, während Bhava den Prozess und Zustand des Seins und Werdens im existenziellen Sinne meint.

1.2. Bhava als zentrales Konzept

Bhava ist kein nebensächlicher Begriff, sondern ein Dreh- und Angelpunkt im buddhistischen Verständnis von Welt und Erlösung. Es steht in engstem Zusammenhang mit dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra), dem universellen Leiden (Dukkha) und dem Ziel der endgültigen Befreiung (Nibbāna). Bhava ist das zehnte Glied in der Kette des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda), jener fundamentalen Lehre, die erklärt, wie Leiden entsteht und wie es beendet werden kann.

Darüber hinaus wird Bhava in verschiedenen Lehrreden als eine der grundlegenden Fesseln oder Hindernisse auf dem Weg zur Befreiung identifiziert. Es zählt zu den drei Āsavas (Kanker, Triebe), den vier Oghas (Fluten), den vier Yogas (Joche, Bürden) und den sieben Anusayas (latente Neigungen, Obsessionen), die den Geist binden und im Kreislauf der Wiedergeburten gefangen halten. Die Überwindung von Bhava, das heißt das Aufgeben des Anhaftens an jegliche Form von zukünftigem Werden und gegenwärtiger Existenz, ist somit ein wesentlicher Schritt zur Verwirklichung von Nibbāna.

Bhava im Kontext buddhistischer Lehren

2.1. Bhava als Glied im Paṭiccasamuppāda (Bedingtes Entstehen)

Die vielleicht wichtigste Rolle spielt Bhava als zehntes Glied in der zwölfgliedrigen Kette des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda). Diese Lehre ist das Herzstück der buddhistischen Analyse des Leidens und seiner Ursachen. Sie beschreibt, wie alle physischen und psychischen Phänomene in einem Netz wechselseitiger Bedingtheit entstehen und vergehen, ohne dass ein ewiges Selbst oder eine unveränderliche Seele (Attā) angenommen werden muss. Der Paṭiccasamuppāda erklärt den Mechanismus, der den Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) antreibt, und zeigt gleichzeitig den Weg auf, wie dieser Kreislauf durchbrochen werden kann.

Tabelle 1: Die zwölf Glieder des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda)

Nr. Pali-Begriff Deutsche Übersetzung Kurze Erklärung
1 Avijjā Unwissenheit Nichtverstehen der Vier Edlen Wahrheiten, der Natur der Realität (Vergänglichkeit, Leiden, Nicht-Selbst).
2 Saṅkhārā (Willens-/Kamma-)Formationen Karmisch wirksame Willenshandlungen (körperlich, sprachlich, geistig), geprägt durch Unwissenheit.
3 Viññāṇa Bewusstsein Der Bewusstseinsstrom, der durch Kamma ins nächste Leben getragen wird; das erste Keimen von Bewusstsein in einer neuen Existenz.
4 Nāma-rūpa Name-und-Form (Geistig-Körperliches) Die Gesamtheit der psychophysischen Komponenten eines Individuums (Gefühl, Wahrnehmung, Absicht, Kontakt, Aufmerksamkeit + die vier Elemente und davon abgeleitete Körperlichkeit).
5 Saḷāyatana Sechs Sinnestore/-grundlagen Die sechs inneren (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist) und sechs äußeren (Formen, Töne, Gerüche, Geschmäcke, Berührungen, Geistobjekte) Sinnesgrundlagen.
6 Phassa Kontakt/Berührung Das Zusammentreffen von Sinnesorgan, Sinnesobjekt und Bewusstsein.
7 Vedanā Gefühl/Empfindung Die aus dem Kontakt entstehende Empfindung (angenehm, unangenehm, neutral).
8 Taṇhā Begehren/Durst Das Verlangen nach angenehmen Empfindungen, das Vermeiden unangenehmer Empfindungen, das Begehren nach Existenz oder Nicht-Existenz.
9 Upādāna Anhaften/Ergreifen Intensiviertes Begehren, das sich als Festhalten an Sinnesfreuden, Ansichten, Regeln/Riten oder der Vorstellung eines Selbst manifestiert.
10 Bhava Werden/Existenz Der durch Anhaften ausgelöste Prozess des Werdens, der karmische Antrieb für eine neue Existenz und die Existenz selbst.
11 Jāti Geburt Die Empfängnis oder das erstmalige Erscheinen der psychophysischen Aggregate in einer neuen Existenzform.
12 Jarāmaraṇaṁ… Altern, Tod, Kummer, Jammer, Schmerz, Leid, Verzweiflung Die unvermeidlichen Leiden, die auf die Geburt folgen.

Quellen für Tabelle 1:

Innerhalb dieser Kette nimmt Bhava eine entscheidende Scharnierfunktion ein. Es entsteht spezifisch in Abhängigkeit vom neunten Glied, dem Upādāna (Anhaften/Ergreifen). Das intensive Festhalten an den Objekten des Begehrens, an Ansichten oder am Selbstkonzept liefert die unmittelbare Energie für den nächsten Werdeprozess. Bhava wiederum ist die notwendige Bedingung für das elfte Glied, Jāti (Geburt). Ohne den Prozess des Werdens kann keine neue Geburt stattfinden. Dieser gesamte Ablauf, von der Unwissenheit bis zu Alter und Tod, beschreibt die Entstehung der „ganzen Masse des Leidens“ (kevalassa dukkhakkhandhassa samudayo). Das Verständnis dieser Kette und die Umkehrung ihrer Glieder, insbesondere die Überwindung von Unwissenheit und Begehren, führt zur Beendigung des Leidens.

2.2. Die Verbindung zu Upādāna , Kamma und Jāti

Die Stellung von Bhava im Paṭiccasamuppāda verdeutlicht seine enge Verflechtung mit den Konzepten Upādāna, Kamma und Jāti.

  • Upādāna (Anhaften/Ergreifen) als direkter Treibstoff für Bhava: Das achte Glied, Taṇhā (Begehren), ist das grundlegende Verlangen nach Angenehmem und das Abstoßen von Unangenehmem. Wenn dieses Begehren intensiviert wird und sich zu einem Festhalten und Identifizieren entwickelt, spricht man von Upādāna. Die Texte nennen vier Arten des Anhaftens: Anhaften an Sinnesfreuden (kāmupādāna), an Ansichten (diṭṭhupādāna), an Regeln und Riten (sīlabbatupādāna) und an der Vorstellung eines Selbst (attavādupādāna). Dieses aktive Ergreifen ist die unmittelbare Bedingung, die den Motor des Werdens (Bhava) in Gang setzt und am Laufen hält.
  • Kamma (Handlung) als gestaltende Kraft hinter Bhava: Während Upādāna der unmittelbare Auslöser ist, wird die spezifische Qualität und Richtung des Werdensprozesses maßgeblich durch Kamma bestimmt. Kamma bezeichnet hier willentliche Handlungen (cetanā), ausgeführt durch Körper, Rede oder Geist, die von heilsamen (Nicht-Gier, Nicht-Hass, Nicht-Verblendung) oder unheilsamen (Gier, Hass, Verblendung) Geisteszuständen motiviert sind. Diese Handlungen hinterlassen karmische Potentiale oder „Samen“ (kamma-bīja), die die Natur zukünftiger Erfahrungen und Existenzen formen. Bhava ist somit das Ergebnis vergangener und gegenwärtiger karmischer Prägungen. Eine besonders aufschlussreiche Analogie findet sich im Aṅguttara Nikāya (AN 3.76). Hier vergleicht der Buddha den Prozess, der zu zukünftigem Werden führt, mit der Landwirtschaft: Kamma ist das Feld (khetta), Viññāṇa (Bewusstsein) ist der Same (bīja), und Taṇhā (Begehren) ist die Feuchtigkeit (sneha). Das Feld (Kamma) repräsentiert das durch unsere Handlungen geschaffene Potenzial und die vorhandenen Bedingungen. Der Same (Viññāṇa) steht für den Bewusstseinsstrom, der dieses karmische Potenzial trägt und die Kontinuität zwischen den Leben ermöglicht – jedoch ohne ein ewiges Selbst zu sein. Die Feuchtigkeit (Taṇhā) symbolisiert das aktive Begehren, das diesen Samen im Feld zum Keimen bringt und die Energie für eine neue Existenz (Bhava) liefert. Ohne die „Bewässerung“ durch Taṇhā kann das karmische Potenzial, das im Bewusstseinsstrom schlummert, keine neue Existenz manifestieren. Diese Metapher verdeutlicht eindringlich, dass Bhava kein unabwendbares Schicksal ist, sondern ein aktiv gestalteter Prozess. Unsere Handlungen schaffen das Potenzial, unser Bewusstsein trägt es, und unser gegenwärtiges Begehren entscheidet, ob und wie dieses Potenzial zur Entfaltung kommt. Dies unterstreicht die zentrale Bedeutung der Überwindung von Taṇhā (und der zugrundeliegenden Avijjā, Unwissenheit, die das Bewusstsein „behindert“) für die Beendigung des leidvollen Kreislaufs.
  • Jāti (Geburt) als Manifestation von Bhava: Der durch Kamma geformte und durch Upādāna ausgelöste Bhava-Prozess kulminiert schließlich in Jāti, der Geburt oder Empfängnis in einer neuen Existenz. Jāti bezeichnet im Kontext des Paṭiccasamuppāda nicht nur den biologischen Geburtsvorgang, sondern das erstmalige Erscheinen der fünf Aggregate (khandha: Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewusstsein) und der sechs Sinnesgrundlagen (āyatana) in einem neuen Lebenszyklus.

2.3. Kamma-bhava und Upapatti-bhava : Der aktive und passive Aspekt

Um die Doppelnatur von Bhava als Prozess und Zustand weiter zu verdeutlichen, unterscheiden die Kommentare und die Abhidhamma-Tradition (aufbauend auf Hinweisen in den Suttas) zwischen zwei Aspekten von Bhava: Kamma-bhava und Upapatti-bhava.

  • Kamma-bhava (Karmischer Werdeprozess): Dies ist der aktive, Kamma-schaffende Aspekt des Daseinsprozesses. Er umfasst alle heilsamen und unheilsamen Willenshandlungen (cetanā) und die daraus resultierenden karmischen Formationen (saṅkhārā), die als Ursache für zukünftige Wiedergeburt wirken. Kamma-bhava ist die gestaltende, kausale Seite von Bhava.
  • Upapatti-bhava (Wiedergeburts-/Entstehungsprozess): Dies ist der passive, durch Kamma erzeugte Aspekt. Er bezeichnet den Prozess der Wiedergeburt oder Entstehung selbst, also das tatsächliche Entstehen und die Entwicklung der psychophysischen Phänomene (nāma-rūpa) in der neuen Existenz, die das Ergebnis vergangener Handlungen sind und daher als karmisch neutral (vipāka) gelten. Upapatti-bhava ist die resultierende, passive Seite von Bhava.

Tabelle 2: Kamma-bhava vs. Upapatti-bhava

Merkmal Kamma-bhava (Karmischer Werdeprozess) Upapatti-bhava (Wiedergeburts-/Entstehungsprozess)
Art Aktiv Passiv
Funktion Ursache (für Wiedergeburt) Wirkung / Resultat (von Kamma)
Karm. Qualität Wirksam (heilsam/unheilsam) Neutral (karmisch gewirkt, vipāka)
Inhalt Willenshandlungen (cetanā), Kamma-Formationen (saṅkhārā) Entstehung/Entwicklung von Geist & Körper (nāma-rūpa) in einer neuen Existenz

Daten für Tabelle 2:

Im Paṭiccasamuppāda bezieht sich das Glied „Upādāna paccayā bhavo“ (Bedingt durch Anhaften entsteht Werden) primär auf die Entstehung von Kamma-bhava: Das Anhaften führt zur Bildung neuer karmischer Potentiale. Das Glied „Bhava paccayā jāti“ (Bedingt durch Werden entsteht Geburt) bezieht sich dann auf Kamma-bhava als Ursache, die zur tatsächlichen Geburt (jāti) und damit zum Upapatti-bhava (dem neuen Daseinsprozess) führt. Der Upapatti-bhava umfasst dann die Glieder Viññāṇa, Nāma-rūpa, Saḷāyatana, Phassa und Vedanā der neuen Existenz. Diese Unterscheidung ist wesentlich, um zu verstehen, wie unsere gegenwärtigen Handlungen (Kamma-bhava) direkt unsere zukünftige Existenz (Upapatti-bhava) bedingen.

2.4. Die drei Arten des Werdens: Kāma-bhava , Rūpa-bhava , Arūpa-bhava

Die buddhistische Kosmologie unterteilt die Gesamtheit möglicher Daseinsformen in drei grundlegende Bereiche oder Welten (loka oder dhātu). Entsprechend wird auch Bhava in drei Arten unterteilt, die jeweils das Werden und Existieren in einem dieser Bereiche beschreiben.

  • Kāma-bhava (Sinnliches Werden/Existenz): Bezieht sich auf das Dasein in der Sinneswelt (Kāma-loka oder Kāma-dhātu). Diese umfasst elf Ebenen, von den leidvollen Höllenbereichen über die Tier- und Menschenwelt bis zu den sechs unteren Himmeln der Sinnesfreuden (Deva-Welten). Dieses Dasein ist durch eine relativ grobstoffliche Körperlichkeit und die Dominanz der fünf physischen Sinne sowie des Geist-Sinns gekennzeichnet. Kāma-bhava entsteht durch karmische Handlungen, die von Begierde nach Sinnesobjekten und -freuden (Kāma-taṇhā, Kāma-rāga) angetrieben werden.
  • Rūpa-bhava (Feinkörperliches Werden/Existenz): Bezieht sich auf das Dasein in der feinkörperlichen Formwelt (Rūpa-loka oder Rūpa-dhātu). Diese umfasst sechzehn höhere Himmelswelten (Brahma-Welten), die durch das Erreichen meditativer Vertiefungen, der sogenannten Form-Jhānas, zugänglich werden. Die Wesen hier besitzen eine subtilere, lichthafte Körperlichkeit und sind frei von groben Sinnesbegierden. Rūpa-bhava entsteht durch karmische Handlungen, die auf der Kultivierung der Form-Jhānas basieren und von der Begierde nach dieser feinstofflichen Existenz (Rūpa-taṇhā, Rūpa-rāga) getragen werden.
  • Arūpa-bhava (Formloses Werden/Existenz): Bezieht sich auf das Dasein in der formlosen Welt (Arūpa-loka oder Arūpa-dhātu). Diese umfasst die vier höchsten, rein geistigen Daseinsbereiche, die durch das Meistern der formlosen meditativen Vertiefungen (arūpa-samāpatti) erreicht werden. Die Wesen hier existieren ohne jegliche Körperlichkeit, rein als Bewusstseinszustände. Arūpa-bhava entsteht durch karmische Handlungen, die auf der Kultivierung der formlosen Vertiefungen beruhen und von der Begierde nach dieser formlosen Existenz (Arūpa-taṇhā, Arūpa-rāga) motiviert sind.

Tabelle 3: Die drei Arten des Werdens/der Existenz (Bhava)

Bhava-Art Zugehörige Welt (Loka/Dhātu) Typische Wesen / Zustand Assoziiertes Begehren (Taṇhā/Rāga) Korrespond. Eigenschaft (AN 3.76)
Kāma-bhava Sinneswelt (Kāma-loka) Höllenwesen, Tiere, Menschen, niedere Devas Sinnesbegierde (Kāma-taṇhā) Niedere (hīna)
Rūpa-bhava Feinkörperliche Formwelt (Rūpa-loka) Brahma-Götter mit subtiler Form (durch Jhāna-Praxis) Form-Begierde (Rūpa-taṇhā) Mittlere (majjhima)
Arūpa-bhava Formlose Welt (Arūpa-loka) Rein geistige Götter (durch formlose Vertiefungen) Formlos-Begierde (Arūpa-taṇhā) Höhere/Verfeinerte (paṇīta)

Daten für Tabelle 3:

Diese dreifache Einteilung korrespondiert direkt mit der bereits erwähnten Analogie aus AN 3.76: Die „niedere“, „mittlere“ und „höhere/verfeinerte“ Eigenschaft oder Sphäre (dhātu), in der sich das Bewusstsein (viññāṇa) aufgrund von Kamma und Taṇhā niederlässt und eine neue Existenz hervorbringt, entspricht genau diesen drei Arten von Bhava.

2.5. Die psychologische Dimension von Bhava

Neben der kosmologischen Bedeutung, die sich auf zukünftige Wiedergeburten bezieht, hat Bhava auch eine tiefgreifende psychologische Dimension, die sich im Hier und Jetzt manifestiert. Die Lehre vom Bedingten Entstehen beschreibt nicht nur den Makrokosmos der Wiedergeburten, sondern auch den Mikrokosmos des Erlebens von Moment zu Moment. Bhava bezeichnet hier den kontinuierlichen Prozess der Formung und Verfestigung von Identitätsgefühlen und psychologischen „Welten“ oder Daseinszuständen im gegenwärtigen Leben. Wenn wir an Erfahrungen, Gefühlen, Gedanken oder Ansichten anhaften (upādāna) und uns damit identifizieren („Das bin ich“, „Das gehört mir“, „So ist die Welt“), erschaffen wir einen psychologischen Bhava. Dieser Bhava ist eine selbstgemachte „Welt“, eine Struktur der Erfahrung, die durch unser Anhaften aufrechterhalten wird.

Beispiele hierfür sind vielfältig: Ein Zustand intensiver Trauer nach einem Verlust kann als temporärer „trauriger Bhava“ verstanden werden, in dem die Welt durch den Filter dieses Leids wahrgenommen wird. Die starke Identifikation mit Besitz, wie in Ajahn Chahs berühmter Analogie vom Apfelgartenbesitzer, dessen Geist sich mit jedem einzelnen Baum identifiziert und leidet, wenn einer gefällt wird, ist ebenfalls ein Beispiel für Bhava als psychologische Existenz. Auch die Anhaftung an bestimmte Ansichten (diṭṭhi) schafft eine mentale Welt, eine bhava-diṭṭhi (Ansicht des Seins), die unsere Wahrnehmung färbt und uns bindet. Diese psychologischen Bhavas manifestieren sich oft als habitualisierte emotionale und kognitive Tendenzen (gati), die unseren Charakter prägen und den Nährboden für zukünftiges Kamma und weiteres Bhava bilden.

Die Auflösung von Bhava im buddhistischen Sinne bedeutet daher nicht nur die Verhinderung zukünftiger Wiedergeburt, sondern auch das Durchschauen und Loslassen dieser selbstgeschaffenen Identitäts- und Weltkonstrukte im gegenwärtigen Moment. Dies führt zur Befreiung von dem damit verbundenen psychologischen Leiden und macht die Lehre vom Bedingten Entstehen unmittelbar erfahrbar und praktisch relevant.

Es sei kurz erwähnt, dass der Begriff Bhavaṅga (oft als Lebenskontinuum, Unterbewusstseinsstrom oder Seinsgrund übersetzt) zwar verwandt klingt, aber ein komplexeres Konzept darstellt, das vor allem in der späteren Abhidhamma- und Kommentarliteratur ausgearbeitet wurde. Es bezeichnet einen passiven, unterschwelligen Bewusstseinszustand zwischen aktiven kognitiven Prozessen und ist von dem hier diskutierten Bhava als aktives Werden und resultierende Existenz im Sinne der Nikāyas zu unterscheiden.

Bhava in den Lehrreden des Palikanon: Ausgewählte Textstellen

Die folgenden Abschnitte stellen einige zentrale Lehrreden aus den Sammlungen Dīgha Nikāya (DN) und Majjhima Nikāya (MN) vor, die den Begriff Bhava besonders beleuchten. Ergänzend wird auf die Bedeutung des Samyutta Nikāya (SN) und eine wichtige Rede aus dem Aṅguttara Nikāya (AN) hingewiesen. Alle Referenzen verweisen auf SuttaCentral (https://suttacentral.net/) als Primärquelle.

3.1. Relevante Lehrreden im Dīgha Nikāya (DN)

DN 15: Mahānidāna Sutta (Die große Lehrrede über die Ursachen)

  • Referenz: DN 15, Mahānidāna Sutta, Die große Lehrrede über die Ursachen.
  • Inhalt bzgl. Bhava: Diese Sutta gilt als eine der tiefgründigsten und detailliertesten Abhandlungen über den Paṭiccasamuppāda im gesamten Kanon. Der Buddha weist Ānandas Annahme zurück, das Bedingte Entstehen sei leicht zu verstehen, und entfaltet dessen Komplexität. Bhava wird explizit als durch Upādāna (Anhaften) bedingt und als Bedingung für Jāti (Geburt) erklärt. Die Sutta untersucht eingehend die wechselseitige Abhängigkeit von Bewusstsein (Viññāṇa) und Geist-Körperlichkeit (Nāma-rūpa), insbesondere im Kontext der Empfängnis (okkanti). Es wird dargelegt, dass ohne das Eintreten von Bewusstsein in den Mutterleib Nāma-rūpa dort nicht entstehen könnte. Die Sutta betont die Notwendigkeit der Bedingungen durch hypothetische Fragen, z.B.: Gäbe es keinerlei Geburt, gäbe es dann Altern und Tod?. Sie analysiert auch verschiedene Konzepte des Selbst (Attā) und zeigt deren Unvereinbarkeit mit der Lehre vom Bedingten Entstehen auf.
  • Bedeutung: DN 15 ist unverzichtbar für ein vertieftes Verständnis der Funktionsweise des Bedingten Entstehens. Sie beleuchtet die kritische Rolle von Bhava als Bindeglied zwischen psychologischem Anhaften und der Manifestation einer neuen physischen oder mentalen Existenz.

DN 1: Brahmajāla Sutta (Das Netz Brahmas / Das allumfassende Netz der Ansichten)

  • Referenz: DN 1, Brahmajāla Sutta, Das Netz Brahmas (oder: Die Lehrrede vom Götter-Netz).
  • Inhalt bzgl. Bhava: Diese erste Lehrrede des Dīgha Nikāya analysiert systematisch 62 Arten von falschen Ansichten (diṭṭhi). Viele dieser Ansichten beziehen sich direkt auf die Natur der Existenz (Bhava) und eines vermeintlichen Selbst (Attā). Dazu gehören eternalistische Ansichten (sassatavāda), die von einer ewigen, unveränderlichen Seele und Welt ausgehen – eine Form des Anhaftens an dauerhafte Existenz (Bhava). Ebenso werden annihilationistische Ansichten (ucchedavāda) behandelt, die eine vollständige Vernichtung des Selbst nach dem Tod postulieren – eine Form des Anhaftens an Nicht-Existenz (Vibhava). Die Sutta zeigt auf, wie solche spekulativen Ansichten oft aus begrenzten persönlichen Erfahrungen (wie Erinnerungen an frühere Leben oder meditative Zustände) oder logischen Fehlschlüssen entstehen und letztlich auf Anhaftung und Unwissenheit beruhen. Sie stehen im Gegensatz zum Mittleren Weg des Buddha, der Bhava als einen dynamischen, bedingten Prozess ohne ewigen Kern lehrt und somit die Extreme von ewigem Sein und völliger Vernichtung vermeidet.
  • Bedeutung: DN 1 ist grundlegend für die Auseinandersetzung des frühen Buddhismus mit philosophischen Spekulationen über Sein und Nichtsein. Sie demonstriert, wie die Lehre vom bedingten Bhava einen Ausweg aus diesen metaphysischen Fallstricken bietet und wie solche Ansichten selbst Fesseln darstellen, die überwunden werden müssen.

3.2. Relevante Lehrreden im Majjhima Nikāya (MN)

MN 9: Sammādiṭṭhi Sutta (Die Lehrrede über Rechte Ansicht)

  • Referenz: MN 9, Sammādiṭṭhi Sutta, Die Lehrrede über Rechte Ansicht.
  • Inhalt bzgl. Bhava: In dieser Lehrrede erklärt der Ehrwürdige Sāriputta, einer der Hauptschüler des Buddha, auf Bitten anderer Mönche ausführlich, was Rechte Ansicht (sammā-diṭṭhi), den ersten Faktor des Edlen Achtfachen Pfades, ausmacht. Er tut dies anhand von 16 verschiedenen Themenbereichen. Einer dieser Bereiche ist das Verständnis des Paṭiccasamuppāda. Für jedes der zwölf Glieder, einschließlich Bhava, wird die vierfache Analyse angewendet: Was ist das Phänomen selbst? Was ist sein Ursprung (samudaya)? Was ist sein Vergehen (nirodha)? Und was ist der Pfad (paṭipadā), der zu seinem Vergehen führt?. Konkret bedeutet Rechte Ansicht in Bezug auf Bhava, zu verstehen: 1. Was Werden/Existenz ist, 2. dass es durch Anhaften (Upādāna) entsteht, 3. dass es durch das Vergehen des Anhaftens vergeht, und 4. dass der Edle Achtfache Pfad der Weg zu diesem Vergehen ist.
  • Bedeutung: MN 9 unterstreicht, dass das korrekte Verständnis von Bhava und seiner kausalen Einbettung nicht nur theoretisches Wissen ist, sondern ein essentieller Bestandteil der befreienden Rechten Ansicht, die am Anfang des buddhistischen Weges steht.

MN 38: Mahātaṇhāsaṅkhaya Sutta (Die große Lehrrede über die Auflösung des Begehrens)

  • Referenz: MN 38, Mahātaṇhāsaṅkhaya Sutta, Die große Lehrrede über die Auflösung des Begehrens.
  • Inhalt bzgl. Bhava: Diese Sutta ist berühmt für die Widerlegung der falschen Ansicht des Mönchs Sāti. Sāti behauptete, er verstehe die Lehre des Buddha so, dass „dasselbe Bewusstsein“ (viññāṇa) von Leben zu Leben wandere und die Früchte von Taten erfahre. Der Buddha weist Sāti scharf zurecht und betont nachdrücklich, dass er Bewusstsein stets als abhängig entstanden (paṭiccasamuppanna) gelehrt habe: Ohne eine Bedingung gibt es kein Entstehen von Bewusstsein. Er illustriert dies mit dem Gleichnis vom Feuer, das nur abhängig vom Brennstoff entsteht und entsprechend benannt wird (Holzfeuer, Grasfeuer etc.), genauso wie Bewusstsein nur abhängig von Sinnesorgan und Sinnesobjekt entsteht und benannt wird (Augenbewusstsein, Ohrenbewusstsein etc.). Anschließend legt der Buddha den Paṭiccasamuppāda dar, einschließlich der Glieder Upādāna paccayā bhava (Bedingt durch Anhaften entsteht Werden) und Bhava paccayā jāti (Bedingt durch Werden entsteht Geburt), um den unpersönlichen, bedingten Charakter des Wiedergeburtsprozesses zu verdeutlichen.
  • Bedeutung: MN 38 ist von entscheidender Bedeutung, um das korrekte Verständnis des Zusammenhangs von Bewusstsein (Viññāṇa), Werden (Bhava) und Wiedergeburt (Jāti) zu etablieren. Sie räumt mit dem Missverständnis einer ewigen Seele oder eines transmigrierenden Selbst auf und verankert die Lehre vom Nicht-Selbst (Anattā) im Herzen des Werdeprozesses. Sie klärt den scheinbaren Widerspruch zu anderen Suttas (wie AN 3.76 oder DN 15), die Viññāṇa als „Samen“ oder „herabsteigend“ beschreiben. MN 38 richtet sich gegen die Vorstellung eines identischen, substanziellen Bewusstseins. Die anderen Suttas beschreiben die funktionale, aber stets bedingte Rolle des Bewusstseinsstroms im Wiedergeburtsvorgang. Das Bewusstsein, das als Same wirkt oder herabsteigt, ist selbst ein Ergebnis früherer Bedingungen (Saṅkhārā) und kein unveränderliches Selbst, sondern der Träger des karmischen Potenzials im bedingten Prozess.

(Optional/Kontext) MN 43: Mahāvedalla Sutta (Die große Lehrrede der Fragen und Antworten)

  • Referenz: MN 43, Mahāvedalla Sutta, Die große Lehrrede der Fragen und Antworten.
  • Inhalt bzgl. Bhava: In diesem Frage-Antwort-Dialog zwischen den Ehrwürdigen Sāriputta und Mahākoṭṭhita wird Bhava kurz im Kontext der Frage behandelt, was als Bedingung für weiteres Werden übrigbleibt, wenn Anhaften aufgehört hat. Sāriputta deutet an, dass Bhava als karmisches Potenzial weiterwirkt, bis es vollständig erlischt. Die Sutta definiert auch verwandte Begriffe wie Gefühl (Vedanā), Wahrnehmung (Saññā) und Bewusstsein (Viññāṇa).
  • Bedeutung: Bietet prägnante Definitionen im Dialogformat und illustriert die subtilen Beziehungen zwischen den Gliedern des Bedingten Entstehens und dem Prozess der Befreiung.

3.3. Hinweise zum Samyutta Nikāya (SN)

Der Samyutta Nikāya (SN), die „Gruppierte Sammlung“ oder „Verbundene Lehrreden“, ist thematisch geordnet und enthält Tausende von oft kürzeren Lehrreden, die in 56 thematische Kapitel (Saṃyuttas) unterteilt sind. Für das Thema Bhava ist insbesondere ein Saṃyutta von herausragender Bedeutung:

SN 12: Nidāna Saṃyutta (Die Gruppierte Sammlung über Ursachen / Bedingtes Entstehen)

  • Referenz: SN 12, Nidāna Saṃyutta.
  • Inhalt: Dieses gesamte Kapitel mit über 90 Suttas ist ausschließlich dem Paṭiccasamuppāda gewidmet. Es ist die umfangreichste und detaillierteste Quelle im Palikanon zu diesem Thema. Zahlreiche Lehrreden definieren und analysieren die zwölf Glieder, einschließlich Bhava, in vielfältiger Weise (z.B. SN 12.1, SN 12.2). Es werden die Kausalbeziehungen untersucht, philosophische Implikationen erörtert (wie die Vermeidung der Extreme von Sein und Nichtsein im berühmten Kaccānagotta Sutta, SN 12.15), Verbindungen zu anderen Lehren (wie den vier Nahrungen in SN 12.11 und SN 12.12) hergestellt und der Weg zur Befreiung durch das Durchschauen dieses Prozesses aufgezeigt.
  • Bedeutung: Das Nidāna Saṃyutta ist die Primärquelle für jeden, der ein tiefgehendes Verständnis des Bedingten Entstehens und der präzisen Rolle von Bhava darin sucht. Es erfüllt explizit die Anforderung des Nutzers nach einem dedizierten Kapitel zu diesem Thema.

3.4. Hinweise zum Aṅguttara Nikāya (AN)

Der Aṅguttara Nikāya (AN), die „Angliedernde Sammlung“ oder „Numerische Sammlung“, ordnet seine Lehrreden nach der Anzahl der behandelten Punkte (Einer-Buch, Zweier-Buch etc.) und legt oft einen Schwerpunkt auf praktische Anleitungen und Listen. Eine besonders bekannte und oft zitierte Lehrrede zu Bhava findet sich im Dreier-Buch:

AN 3.76: Paṭhamabhavasutta (Die erste Lehrrede über das Werden)

  • Referenz: AN 3.76, Paṭhamabhavasutta, Erste Lehrrede über das Werden (oder: Werden 1).
  • Inhalt: Auf die Frage des Ehrwürdigen Ānanda, wie Werden (Bhava) zustande kommt, antwortet der Buddha mit der bereits erwähnten, eindrücklichen Analogie: „Kamma (Handlung) ist das Feld, Viññāṇa (Bewusstsein) ist der Same, Taṇhā (Begehren) ist die Feuchtigkeit.“. Er erklärt weiter, dass das durch Unwissenheit (Avijjā) behinderte und durch Begehren (Taṇhā) gefesselte Bewusstsein sich in einer niederen (entspricht Kāma-bhava), mittleren (entspricht Rūpa-bhava) oder höheren/verfeinerten (entspricht Arūpa-bhava) Daseinsebene (dhātu) etabliert (patiṭṭhita). Dies führt zur zukünftigen Wiederentstehung (āyatiṁ punabbhavābhinibbatti). „So, Ānanda, kommt Werden zustande.“ (evaṁ kho, ānanda, bhavo hotīti).
  • Bedeutung: Diese Sutta ist von herausragender Bedeutung und wird sehr häufig zitiert, da sie den Mechanismus der Entstehung von Bhava prägnant durch das dynamische Zusammenspiel von Handlung, Bewusstsein und Begehren erklärt und dies direkt mit den drei Daseinsebenen verknüpft. Sie ist essentiell für das Verständnis der treibenden Kräfte hinter dem Werdeprozess und erfüllt die Anforderung des Nutzers nach einer bekannten und viel zitierten AN-Rede zum Thema Bhava.

Zusammenfassung und Ausblick

4.1. Kernpunkte zu Bhava

Der Pali-Begriff Bhava erweist sich als ein vielschichtiges und zentrales Konzept im frühen Buddhismus. Die wichtigsten Punkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Doppelte Bedeutung: Bhava umfasst sowohl den dynamischen Prozess des Werdens, angetrieben durch karmische Handlungen (Kamma) und Anhaften (Upādāna), als auch den daraus resultierenden Zustand der Existenz in einem bestimmten Daseinsbereich.
  • Schlüsselglied im Leiden: Als zehntes Glied des Paṭiccasamuppāda verbindet Bhava das psychologische Anhaften mit der konkreten Manifestation einer neuen Geburt (Jāti) und ist somit ein entscheidender Faktor im Kreislauf des Leidens (Saṃsāra).
  • Kausal verknüpft: Bhava ist untrennbar mit seinen Bedingungen – Upādāna (unmittelbarer Auslöser) und Kamma (gestaltende Kraft) – und seiner Wirkung – Jāti (Resultat) – verbunden.
  • Zwei Aspekte: Die Unterscheidung in Kamma-bhava (aktiver, ursächlicher Prozess der Handlung) und Upapatti-bhava (passiver, resultierender Prozess der Wiedergeburt) verdeutlicht die Funktionsweise.
  • Drei Ebenen: Kāma-bhava, Rūpa-bhava und Arūpa-bhava repräsentieren die unterschiedlichen Ebenen der Existenz (Sinneswelt, Formwelt, formlose Welt), die durch spezifische Arten des Begehrens und karmischer Reifung bedingt sind.
  • Psychologische Relevanz: Bhava beschreibt auch den gegenwärtigen Prozess der Identitätsbildung und die Verfestigung mentaler „Welten“ durch Anhaftung im Hier und Jetzt.

4.2. Bhava und der Weg zur Befreiung

Das Verständnis von Bhava ist nicht nur für die Diagnose des Leidensproblems zentral, sondern auch für den Weg zu seiner Überwindung. Die Lehre vom Bedingten Entstehen zeigt, dass Bhava – wie alle anderen Glieder – ein bedingtes Phänomen ist. Wo die Bedingungen aufhören, hört auch das Bedingte auf: „Mit dem restlosen Verblassen und Aufhören der Unwissenheit kommt das Aufhören der Formationen; […] mit dem Aufhören des Anhaftens, das Aufhören des Werdens; mit dem Aufhören des Werdens, das Aufhören der Geburt. […] So kommt das Aufhören dieser ganzen Masse des Leidens zustande.“.

Der Edle Achtfache Pfad, insbesondere die Kultivierung von Weisheit (Paññā) zur Überwindung der Unwissenheit (Avijjā) und die Entwicklung von Achtsamkeit und Ethik zur Überwindung von Begehren (Taṇhā) und Anhaften (Upādāna), zielt direkt darauf ab, die Bedingungen für Bhava aufzulösen. Wenn das Begehren nach jeglicher Form von zukünftiger Existenz (sei es in der Sinneswelt, der Formwelt oder der formlosen Welt) und das Anhaften an gegenwärtigen Identitätskonstrukten erlischt, versiegt der Treibstoff für den Werdeprozess. Das „Feld“ des Kamma mag noch vorhanden sein, aber ohne die „Feuchtigkeit“ des Taṇhā kann der „Same“ des Viññāṇa keine neue Existenz mehr hervorbringen.

Das Studium der hier vorgestellten Lehrreden kann einen wertvollen Beitrag leisten, die tiefere Bedeutung von Bhava zu erfassen und die Dringlichkeit sowie die Möglichkeit der Befreiung vom Kreislauf des Werdens zu erkennen. Es lädt dazu ein, die eigene Erfahrung im Licht dieser Lehren zu untersuchen und den Weg zur Beendigung des Leidens bewusst zu beschreiten.

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11. Geburt (Jāti)
11. Geburt (Jāti)

Jāti (Geburt – 11. Glied)
Bedingt durch den Werdeprozess kommt es zu Jāti, der Geburt. Dies ist der tatsächliche Eintritt in eine neue Existenzform, das Erscheinen eines neuen psycho-physischen Organismus. Lerne hier, wie die vorherigen Glieder unausweichlich zu diesem Neuanfang im Kreislauf führen.