
Bericht: Samudaya und Taṇhā – Ursprung des Leidens im Palikanon
Die Zweite Edle Wahrheit: Die Rolle von Gier, Durst und Verlangen
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das Studium des frühen Buddhismus führt unweigerlich zur Auseinandersetzung mit zentralen Begriffen in der Sprache Pali, der Sprache, in der die ältesten buddhistischen Schriften, der Palikanon, überliefert sind. Begriffe wie Samudaya (Ursprung, Entstehung) und Taṇhā (Gier, Durst, Verlangen) sind dabei von fundamentaler Bedeutung. Ihr Verständnis geht weit über einfache Wortübersetzungen hinaus; sie repräsentieren tiefgreifende Konzepte, die den Kern der buddhistischen Lehre über das Leiden und dessen Überwindung berühren.
Ohne ein klares Verständnis dieser Begriffe bleibt der Zugang zur buddhistischen Analyse der menschlichen Existenz und dem daraus abgeleiteten Befreiungsweg verschlossen.
Dieser Bericht verfolgt das Ziel, den Begriff Samudaya, die Ursache oder Entstehung des Leidens (Dukkha), und seine spezifische Identifikation mit Taṇhā im Rahmen der Vier Edlen Wahrheiten (Cattāri Ariyasaccāni) zu erläutern. Es werden Schlüssel-Lehrreden (Suttas) aus den vier Hauptsammlungen des Palikanons – Dīgha Nikāya (DN), Majjhima Nikāya (MN), Samyutta Nikāya (SN) und Aṅguttara Nikāya (AN) – vorgestellt, die diese Konzepte besonders beleuchten.
Der Bericht richtet sich an deutschsprachige Interessierte, sowohl mit als auch ohne Vorkenntnisse, und nutzt die Online-Ressource SuttaCentral.net als primäre Quelle für Textverweise, um ein weiterführendes Studium zu ermöglichen. Die Darstellung folgt einer klaren Struktur, beginnend mit dem übergeordneten Rahmen der Vier Edlen Wahrheiten, gefolgt von detaillierten Erklärungen zu Samudaya und Taṇhā, und abschließend der Vorstellung relevanter Lehrreden.
Der Rahmen: Die Vier Edlen Wahrheiten (Cattāri Ariyasaccāni)
Das Konzept und die vier Wahrheiten
Der Begriff Samudaya ist untrennbar mit dem Fundament der buddhistischen Lehre verbunden: den Vier Edlen Wahrheiten (Cattāri Ariyasaccāni). Diese Wahrheiten, die der Buddha in seiner ersten Lehrrede nach dem Erwachen darlegte, bilden den konzeptuellen Rahmen für das Verständnis von Leiden und Befreiung. Sie sind keine dogmatischen Glaubenssätze, sondern universelle Realitäten, die durch Weisheit erkannt und erfahren werden können. Samudaya stellt hierbei die zweite dieser vier Wahrheiten dar.
Die Vier Edlen Wahrheiten lauten:
- Die Wahrheit vom Leiden (Dukkha Ariyasacca): Diese Wahrheit konstatiert, dass das Dasein im Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) grundlegend von Dukkha geprägt ist. Dukkha wird oft mit „Leiden“ übersetzt, umfasst aber ein breiteres Spektrum an Unbefriedigendheit, Stress, Schmerz und Unzulänglichkeit. Dazu gehören die offensichtlichen Leiden wie Geburt, Altern, Krankheit und Tod, aber auch subtilere Formen wie Kummer, Sorge, Trennung von Geliebtem, Vereinigung mit Ungeliebtem und das Nichterlangen von Gewünschtem. Zusammenfassend werden die „fünf Aggregate des Anhaftens“ (pañcupādānakkhandhā – Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewusstsein) als leidhaft bezeichnet, da an ihnen durch Unwissenheit festgehalten wird.
- Die Wahrheit vom Ursprung des Leidens (Dukkha-Samudaya Ariyasacca): Dies ist die Wahrheit, die Samudaya selbst behandelt. Sie identifiziert die Ursache oder die Entstehung (Samudaya) von Dukkha. Diese Ursache wird spezifisch als Taṇhā – Gier, Durst oder Verlangen – benannt.
- Die Wahrheit von der Aufhebung des Leidens (Dukkha-Nirodha Ariyasacca): Diese Wahrheit verkündet die Möglichkeit der vollständigen Beendigung des Leidens. Dies geschieht durch das restlose Aufgeben, Loslassen und Erlöschen eben jenes Verlangens (Taṇhā), das als Ursache identifiziert wurde. Das Ziel und Ergebnis dieses Prozesses ist Nibbāna (Sanskrit: Nirvāṇa), das „Erlöschen“ der Leidensursachen und damit des Leidens selbst.
- Die Wahrheit vom Weg zur Aufhebung des Leidens (Dukkha-Nirodhagāminī Paṭipadā Ariyasacca): Diese Wahrheit beschreibt den praktischen Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt. Es ist der Edle Achtfache Pfad (Ariyo Aṭṭhaṅgiko Magga), bestehend aus Rechter Ansicht, Rechter Absicht, Rechter Rede, Rechtem Handeln, Rechtem Lebenserwerb, Rechter Anstrengung, Rechter Achtsamkeit und Rechter Sammlung (Konzentration).
Die pragmatische Struktur: Diagnose und Therapie
Die Struktur der Vier Edlen Wahrheiten offenbart einen bemerkenswert pragmatischen und lösungsorientierten Ansatz, der oft mit einem medizinischen Modell verglichen wird. Die erste Wahrheit entspricht der Diagnose: Das Problem, die Krankheit, wird als Dukkha identifiziert. Die zweite Wahrheit liefert die Ätiologie: Die Ursache der Krankheit wird als Taṇhā (Samudaya) bestimmt. Die dritte Wahrheit stellt die Prognose: Es gibt eine Heilungsmöglichkeit, das Leiden kann aufhören (Nirodha). Die vierte Wahrheit schließlich präsentiert den Therapieplan: Der Edle Achtfache Pfad (Magga) ist das Mittel zur Heilung.
Diese fast klinische Herangehensweise unterstreicht, dass der Buddhismus Leiden nicht als metaphysisches Rätsel oder unabwendbares Schicksal betrachtet, sondern als einen konditionierten Zustand, der verstanden, dessen Ursache beseitigt und dessen Ende durch einen gangbaren Pfad erreicht werden kann. Es geht nicht primär um Glauben, sondern um das Erkennen von Tatsachen und das praktische Umsetzen eines Weges zur Transformation.
Samudaya – Die Wahrheit vom Ursprung des Leidens
Definition und Bedeutung
Der Pali-Begriff Samudaya (Sanskrit: samudaya) bedeutet wörtlich „Entstehung“, „Ursprung“, „Aufkommen“ oder „Zusammenkommen“. Er setzt sich etymologisch zusammen aus dem Präfix sam- („zusammen“, „mit“), ud- („auf“, „empor“) und der Wurzel i („gehen“, „kommen“, hier als aya erscheinend), was auf ein „gemeinsames Aufsteigen“ oder „Zusammen-Entstehen“ hindeutet.
Im spezifischen Kontext der Vier Edlen Wahrheiten bezeichnet Samudaya die zweite Wahrheit: die Wahrheit von der Entstehung oder dem Ursprung des Leidens (Dukkha). Sie beantwortet die fundamentale Frage: „Woher kommt das Leiden? Was ist seine Wurzel?“. Obwohl das Wort Samudaya im Pali auch allgemeinere Bedeutungen wie „Ansammlung“, „Gesamtheit“ oder „Einkünfte/Revenue“ haben kann, ist im Kern der buddhistischen Lehre die Bedeutung als Leidensursprung zentral.
Samudaya als bedingter Prozess
Die Wahl des Begriffs Samudaya anstelle eines einfacheren Wortes für „Ursache“ (wie z.B. hetu) ist bedeutsam. Die etymologische Bedeutung „Zusammen-Aufkommen“ legt nahe, dass Leiden nicht durch eine singuläre, isolierte Ursache entsteht, sondern vielmehr durch das Zusammentreffen und Zusammenwirken verschiedener Bedingungen. Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, nicht um eine einfache lineare Kausalität von A nach B. Diese Sichtweise steht im Einklang mit dem zentralen buddhistischen Prinzip des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda), das beschreibt, wie alle Phänomene in Abhängigkeit von anderen Bedingungen entstehen und vergehen.
Die Identifikation von Samudaya mit Taṇhā (Begehren), welches selbst wiederum durch Gefühl (Vedanā) bedingt ist, illustriert diesen prozesshaften Charakter. Samudaya ist somit weniger ein statischer Punkt als vielmehr das dynamische Entstehen des Leidens aus einem Geflecht von Bedingungen.
Taṇhā – Der „Durst“ als spezifische Ursache
Identifikation und Definition
Die Zweite Edle Wahrheit ist sehr spezifisch in ihrer Identifikation der Leidensursache: Idaṁ kho pana, bhikkhave, dukkhasamudayaṁ ariyasaccaṁ—yāyaṁ taṇhā ponobbhavikā nandirāgasahagatā tatratatrābhinandinī… („Nun dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Ursprung des Leidens: Es ist dieser Durst (Taṇhā), der zu neuerlichem Werden führt, begleitet von Genuss und Gier, hier und dort sich erfreuend…“). Samudaya wird also direkt mit Taṇhā gleichgesetzt.
Taṇhā (Sanskrit: tṛ́ṣṇā) bedeutet wörtlich „Durst“ und wird üblicherweise mit Gier, Begehren, Verlangen oder dem englischen „Craving“ übersetzt. Es beschreibt einen tief sitzenden, oft unbewussten Drang, der sich an angenehme Erfahrungen klammert, sie festhalten oder wiederholen möchte, und der unangenehme Erfahrungen ablehnt und vermeiden will. Dieser „Durst“ ist die unmittelbare Kraft hinter dem Festhalten und Anhaften (Upādāna) an den vergänglichen Bestandteilen der Erfahrung und somit die treibende Kraft, die den leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) in Gang hält.
Die drei Arten von Taṇhā
Der Palikanon, insbesondere in Lehrreden wie SN 56.11 und MN 141, differenziert Taṇhā in drei Hauptformen, um die verschiedenen Richtungen dieses Begehrens zu verdeutlichen:
Pali-Begriff | Deutsche Übersetzung | Beschreibung | Verbunden mit… |
---|---|---|---|
Kāma-taṇhā | Sinnengier, Sinnesdurst | Verlangen nach angenehmen Sinneseindrücken (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) und mentalen Objekten (Gedanken, Vorstellungen). Umfasst das Anhaften an Sinnesobjekten, materiellen Gütern, Macht, aber auch an Ideen, Meinungen, Ansichten und Konzepten (dhamma-taṇhā). | Angenehmen Gefühlen, Sinnesobjekten, Begierde (Rāga) |
Bhava-taṇhā | Seinsgier, Werdedurst | Verlangen nach Fortexistenz, nach Werden, nach einer festen Identität oder einem Selbst. Äußert sich im Wunsch nach Dauerhaftigkeit, nach einer bestimmten Form der Wiedergeburt (z.B. in himmlischen Sphären) oder nach dem Fortbestehen des als „Ich“ empfundenen Kerns. | Ego-Vorstellung, Ewigkeitsglaube (sassatadiṭṭhi) |
Vibhava-taṇhā | Nicht-Seinsgier, Vernichtungsdurst | Verlangen nach Nicht-Existenz, nach Selbstauslöschung, nach der Vernichtung des als leidvoll empfundenen Selbst oder der Welt. Äußert sich im Wunsch, unangenehmen Erfahrungen, Situationen oder dem Leben selbst zu entkommen, bis hin zu selbstzerstörerischen Impulsen. | Aversion, Hass (Dosa), Vernichtungsglaube (ucchedadiṭṭhi) |
Die tiefgreifende Natur von Taṇhā
Die Analyse der drei Arten von Taṇhā verdeutlicht, dass es sich nicht um ein einfaches, oberflächliches Wünschen handelt. Es ist eine tief verwurzelte, existentielle Kraft, die das gesamte Spektrum menschlicher Reaktionen auf die Welt durchdringt. Taṇhā bezieht sich nicht nur auf das Greifen nach Angenehmem (Kāma-taṇhā), sondern ebenso auf das Festhalten an der Vorstellung von Sein und Identität (Bhava-taṇhā) und paradoxerweise auch auf den Wunsch nach Nicht-Sein und Vernichtung (Vibhava-taṇhā).
Diese Triade deckt alle grundlegenden Reaktionsmuster ab: Hinwendung, Festhalten und Abwendung/Zerstörung. Diese Kraft entspringt einer fundamentalen Fehlwahrnehmung der Realität, der Unwissenheit (Avijjā). Taṇhā klammert sich an Objekte, Erfahrungen und das Selbst, als wären sie beständig, befriedigend und substantiell.
Die Lehrrede AN 4.199 beschreibt Taṇhā bildhaft als „Weberin“ (jālinī), die das Wesen in den Kreislauf des Leidens verstrickt, indem sie zahllose feine Fäden des Begehrens spinnt, die sich auf innere Konzepte („Ich bin“, „Ich werde sein“) und äußere Bedingungen („Ich bin durch dieses“) beziehen. Dies zeigt die subtile, pervasive und bindende Natur dieses „Durstes“.
Überwindung durch Weisheit
Da Taṇhā so tief in der Unwissenheit (Avijjā) über die wahre Natur der Phänomene wurzelt, kann sie nicht allein durch Willenskraft oder Unterdrückung überwunden werden. Die Befreiung von Taṇhā erfordert ein tiefes, durchdringendes Verständnis (Paññā) der Wirklichkeit – insbesondere der drei Daseinsmerkmale: Vergänglichkeit (Anicca), Leidhaftigkeit/Unbefriedigendheit (Dukkha) und Nicht-Selbst (Anattā). Wenn erkannt wird, dass alle Phänomene vergänglich sind, letztlich unbefriedigend und ohne einen festen, unabhängigen Wesenskern existieren, verliert das Begehren seine Grundlage.
Das Anhaften an etwas, das sich ständig ändert und keine dauerhafte Befriedigung bieten kann, erscheint dann als sinnlos. Daher sind die Weisheitsfaktoren des Edlen Achtfachen Pfades – insbesondere Rechte Ansicht (Sammā Diṭṭhi) und Rechte Absicht (Sammā Saṅkappa) – entscheidend für die Überwindung von Taṇhā.
Die Lehrrede MN 9 (Sammādiṭṭhi Sutta) illustriert dies eindrücklich, indem sie Rechte Ansicht als das Verständnis der Ursachen (Wurzeln von Unheilsamem wie Gier/Taṇhā) und des bedingten Entstehens und Vergehens von leidhaften Zuständen definiert. Die Kultivierung von Weisheit durch Achtsamkeit und Einsichtsmeditation ist somit der Schlüssel zur Befreiung vom Durst des Begehrens.
Schlüssel-Lehrreden (Suttas) zu Samudaya und Taṇhā
Einführung zu den Nikāyas
Der Palikanon ist in mehrere „Körbe“ (Piṭaka) unterteilt, wobei der Sutta-Piṭaka die Lehrreden des Buddha und seiner Hauptschüler enthält. Dieser Korb gliedert sich wiederum in fünf Sammlungen (Nikāya): Dīgha Nikāya (DN, Sammlung der langen Lehrreden), Majjhima Nikāya (MN, Sammlung der mittleren Lehrreden), Samyutta Nikāya (SN, Sammlung der gruppierten Lehrreden), Aṅguttara Nikāya (AN, Sammlung der angereihten Lehrreden) und Khuddaka Nikāya (KN, Sammlung kurzer Texte). Die folgenden Lehrreden aus den ersten vier Nikāyas sind besonders relevant für das Verständnis von Samudaya und Taṇhā.
Dīgha Nikāya (DN)
- DN 22: Mahāsatipaṭṭhāna Sutta – Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit
- Relevanz: Dieses Sutta ist eine der wichtigsten Quellen für die Meditationspraxis. Es lehrt die systematische Kultivierung der Achtsamkeit (Sati) in Bezug auf vier Bereiche: Körper (Kāya), Gefühle (Vedanā), Geisteszustände (Citta) und Geistesobjekte/Prinzipien (Dhammā). Ein wiederkehrendes Element ist die Anweisung, die Phänomene in ihrem Entstehen (samudaya) und Vergehen (vaya) zu betrachten (samudayadhammānupassī… vayadhammānupassī). Dies schult direkt das Verständnis für den Prozesscharakter von Samudaya. Die längere Version in DN 22 enthält im Abschnitt über die Dhammā eine ausführliche Darlegung der Vier Edlen Wahrheiten, einschließlich der Definition von Dukkha-Samudaya als Taṇhā mit den drei Arten. Die Praxis der Achtsamkeit ist somit der direkte Weg, die Wahrheit von Samudaya und Taṇhā im eigenen Erleben zu erkennen.
- Deutscher Titel: Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit.
- Link: https://suttacentral.net/dn22/de/sabbamitta
Majjhima Nikāya (MN)
- MN 141: Saccavibhaṅga Sutta – Die Darlegung der Wahrheiten
- Relevanz: Diese Lehrrede wird oft als kanonischer Kommentar zur ersten Lehrrede des Buddha (SN 56.11) betrachtet. Der Ehrwürdige Sāriputta legt hier die Vier Edlen Wahrheiten detailliert dar. Er definiert jeden Aspekt, einschließlich Dukkha-Samudaya als Taṇhā mit den drei spezifischen Formen: Kāma-taṇhā, Bhava-taṇhā und Vibhava-taṇhā. Das Sutta bietet eine klare, strukturierte und autoritative Erklärung.
- Deutscher Titel: Die Darlegung der Wahrheiten (oder: Die Analyse der Wahrheiten).
- Link: https://suttacentral.net/mn141/de/sabbamitta
- MN 9: Sammādiṭṭhi Sutta – Die Lehrrede über Rechte Ansicht
- Relevanz: Ebenfalls von Sāriputta gehalten, erklärt dieses Sutta Rechte Ansicht (Sammā Diṭṭhi). Sāriputta tut dies, indem er verschiedene Daseinsbereiche durch das Prisma der Vier Edlen Wahrheiten analysiert: Was ist das Phänomen? Was ist sein Ursprung (Samudaya)? Was ist seine Aufhebung (Nirodha)? Was ist der Weg (Magga) dorthin?. Beim Thema Nahrung (Āhāra) wird Taṇhā explizit als deren Ursprung genannt. Das Sutta zeigt, dass Rechte Ansicht fundamental das Verständnis von Entstehungsprozessen – und damit von Samudaya und Taṇhā – beinhaltet.
- Deutscher Titel: Die Lehrrede über Rechte Ansicht.
- Link: https://suttacentral.net/mn9/de/sabbamitta
Samyutta Nikāya (SN)
- SN 56: Sacca Saṃyutta – Die Gruppierte Sammlung über die Wahrheiten
- Relevanz: Ein eigenes Kapitel (Saṃyutta) widmet sich ausschließlich den Vier Edlen Wahrheiten. Dieses 56. Saṃyutta umfasst über 130 kurze Lehrreden, die die Wahrheiten aus unzähligen Blickwinkeln beleuchten. Es ist eine reiche Quelle für das Verständnis von Samudaya.
- Deutscher Titel: Die Gruppierte Sammlung über die Wahrheiten.
- Link: https://suttacentral.net/sn56
- SN 56.11: Dhammacakkappavattana Sutta – Die Lehrrede vom Ingangsetzen des Rades der Lehre
- Relevanz: Die grundlegende Lehrrede, in der die Vier Edlen Wahrheiten eingeführt und Samudaya explizit als Taṇhā (mit den drei Arten Kāma-, Bhava-, Vibhava-taṇhā) definiert wird.
- Deutscher Titel: Die Lehrrede vom Ingangsetzen des Rades der Lehre.
- Link: https://suttacentral.net/sn56.11/de/sabbamitta
Aṅguttara Nikāya (AN)
- AN 4.199: Taṇhāsutta – Die Lehrrede über das Begehren
- Relevanz: Analysiert die Funktionsweise von Taṇhā detailliert. Beschreibt Taṇhā als „Weberin“ (jālinī), die das Wesen verstrickt, und listet 108 „Ströme des Begehrens“ (taṇhāvicaritāni) auf. Verdeutlicht die subtile und pervasive Natur von Taṇhā.
- Deutscher Titel: Die Lehrrede über das Begehren (oder: Die Weberin).
- Link: https://suttacentral.net/an4.199/de/sabbamitta
Die vielfältige Beleuchtung der Konzepte
Die Auswahl dieser Lehrreden macht deutlich, dass Samudaya und Taṇhā im Palikanon nicht nur abstrakt definiert, sondern in vielfältigen Kontexten untersucht werden. Im Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (DN 22) wird ihre Beobachtung zum Kern der Meditation. Im Saccavibhaṅga Sutta (MN 141) erfolgt eine systematische Analyse. Das Sammādiṭṭhi Sutta (MN 9) integriert ihr Verständnis in den Achtfachen Pfad. Das Sacca Saṃyutta (SN 56) widmet ihnen eine ganze Sammlung, und das Dhammacakkappavattana Sutta (SN 56.11) etabliert sie als zentrales Element der ersten Lehrrede. Das Taṇhāsutta (AN 4.199) zeigt eine spezifische Analyse ihrer Wirkungsweisen. Diese breite Behandlung unterstreicht ihre zentrale Rolle im Befreiungsweg.
Zusammenfassung und Ausblick
Dieser Bericht hat den Pali-Begriff Samudaya als die zweite der Vier Edlen Wahrheiten vorgestellt – die Wahrheit von der Entstehung des Leidens (Dukkha). Es wurde dargelegt, dass Samudaya spezifisch mit Taṇhā, dem „Durst“ oder Begehren, identifiziert wird. Dieser Durst manifestiert sich in drei Hauptformen: als Sinnengier (Kāma-taṇhā), als Seinsgier (Bhava-taṇhā) und als Nicht-Seinsgier (Vibhava-taṇhā). Diese Formen des Begehrens wurzeln tief in der Unwissenheit (Avijjā) über die wahre Natur der Realität und sind die treibende Kraft hinter dem leidvollen Daseinskreislauf (Saṃsāra).
Die vorgestellten Schlüssel-Lehrreden aus dem Dīgha Nikāya (DN 22), Majjhima Nikāya (MN 141, MN 9), Samyutta Nikāya (SN 56, SN 56.11) und Aṅguttara Nikāya (AN 4.199) bieten wertvolle Einblicke und detaillierte Erklärungen zu Samudaya und Taṇhā. Sie zeigen, wie diese Konzepte in der Meditationspraxis erkannt, analytisch verstanden und als Teil des Befreiungsweges überwunden werden können.
Die Auseinandersetzung mit diesen grundlegenden Begriffen und den Originaltexten ist ein wesentlicher Schritt für ein tieferes Verständnis des Buddhismus. Die genannten Lehrreden, zugänglich über SuttaCentral.net, laden dazu ein, die Lehren des Buddha selbst zu erforschen. Das Studium dieser Texte erfordert Geduld und Reflexion, kann aber zu einem tiefgreifenden Verständnis der Ursachen unseres Leidens und des Weges zu dessen Beendigung führen. Es ist eine Einladung, die Landkarte zur Befreiung, die der Buddha hinterlassen hat, selbst zu erkunden und die darin enthaltene Weisheit für das eigene Leben fruchtbar zu machen.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- Access to Insight (SN 56.11, Piya Tan Transl.)
- Wikipedia (Dhammacakkappavattana Sutta)
- Palikanon.com (Dhammacakkappavattana)
- Wikipedia (Vier edle Wahrheiten)
- BuddhaStiftung (Vier Edle Wahrheiten)
- Wisdom Library (Samudaya)
- Fiveable (Samudaya Intro)
- Wikipedia (Saṃsāra Buddhism)
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3. Wahrheit: Nirodha (Aufhebung)
Die dritte Wahrheit, Nirodha, verkündet die hoffnungsvolle Botschaft der Aufhebung oder des Erlöschens des Leidens. Sie beschreibt die Möglichkeit, das Leiden vollständig zu beenden, indem seine Ursache – das Verlangen (Taṇhā) – restlos aufgegeben wird. Dieser Zustand der endgültigen Befreiung ist Nibbāna. Verstehe hier, dass Leiden kein unabänderliches Schicksal ist und dass durch das Loslassen von Verlangen und Unwissenheit ein Zustand jenseits des Leidens erreichbar ist. Diese Wahrheit gilt es zu verwirklichen.