
Kalyāṇamitta: Die Edle Freundschaft als Herzstück des buddhistischen Weges
Die Bedeutung guter Gefährten auf dem Pfad zur Befreiung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Die Bedeutung von Freundschaft auf dem buddhistischen Weg
Das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft und Freundschaft ist universell. Im Kontext des Buddhismus erhält die Qualität unserer Beziehungen jedoch eine spezifische und tiefgreifende Bedeutung, die weit über soziale Verbundenheit oder emotionale Unterstützung hinausgeht. Der Buddha lehrte keinen Weg völliger Isolation, sondern erkannte die transformative Kraft rechter Gesellschaft an. Freundschaften können uns entweder auf dem Pfad zur Befreiung (vimutti) fördern oder uns davon abbringen.
Im Zentrum dieser Lehre steht der Pali-Begriff Kalyāṇamitta. Er bezeichnet eine besondere Art von Freundschaft, die als essentiell für den spirituellen Fortschritt gilt. Dieser Bericht zielt darauf ab, diesen Begriff zu definieren, seine herausragende Bedeutung im frühen Buddhismus zu beleuchten und auf zentrale Lehrreden im Pali-Kanon zu verweisen, die dieses Konzept erläutern. Dabei wird deutlich, dass Kalyāṇamitta nicht nur eine hilfreiche Ergänzung, sondern eine grundlegende Voraussetzung für die spirituelle Entwicklung und die Befreiung vom Leiden (dukkha) darstellt.
Kalyāṇamitta: Definition und zentrale Bedeutung
Wortbedeutung und Übersetzung
Der Begriff Kalyāṇamitta setzt sich aus zwei Pali-Wörtern zusammen:
- Kalyāṇa: Als Adjektiv bedeutet es „schön“, „gut“, „vorzüglich“, „tugendhaft“, „heilsam“ oder „hilfreich“. Als Neutrum bezeichnet es „das Gute“, „tugendhafte Handlung“ oder „Vortrefflichkeit“.
- Mitta: Bedeutet „Freund“ oder „Gefährte“.
Zusammengenommen wird Kalyāṇamitta üblicherweise übersetzt als Edler Freund, Guter Freund, Spiritueller Freund oder Bewundernswerter Freund (engl. Admirable Friend). Der verwandte Begriff Kalyāṇamittatā bezeichnet den Zustand oder die Qualität, solche Freunde zu haben oder in einer solchen Freundschaft zu leben.
Konzeptklärung
Das Konzept des Kalyāṇamitta geht über die gewöhnliche Vorstellung von Freundschaft hinaus. Es umfasst nicht nur gleichrangige Gefährten, sondern auch Mentoren, Lehrer (ācariya), weise Ratgeber und tugendhafte Vorbilder auf dem spirituellen Pfad. Ein Kalyāṇamitta zeichnet sich durch heilsame Qualitäten wie Tugend (sīla), Weisheit (paññā), Vertrauen (saddhā) und Großzügigkeit (cāga) aus. Durch sein Beispiel und seinen Rat hilft er anderen, spirituell zu wachsen und Fortschritte zu machen. Dazu gehört auch, auf konstruktive Weise auf Fehler und Schwächen hinzuweisen, um dem Freund zu helfen, diese zu überwinden.
Der Buddha selbst gilt als der vollkommene Kalyāṇamitta. Er ist das höchste Vorbild, und durch seine Lehre und Führung befreit er Wesen vom Leiden und dem Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra).
Herausragende Stellung im frühen Buddhismus
Die Bedeutung der edlen Freundschaft wird im Pali-Kanon immer wieder betont. Am berühmtesten ist wohl die Aussage des Buddha im Upaḍḍha Sutta (SN 45.2). Als sein Schüler Ānanda bemerkt, edle Freundschaft sei die „Hälfte des heiligen Lebens“ (brahmacariya), korrigiert ihn der Buddha nachdrücklich:
„Nicht so, Ānanda! Nicht so, Ānanda! Edle Freundschaft, edle Kameradschaft, edle Genossenschaft ist in Wahrheit das ganze heilige Leben (sakalameva hidaṁ brahmacariyaṁ).“
Diese Aussage wird in einer Rede an König Pasenadi (SN 3.18) bestätigt, wo der Buddha diese Begebenheit mit Ānanda schildert. Die Korrektur von „halb“ zu „ganz“ unterstreicht, dass Kalyāṇamittatā nicht nur eine unterstützende Rolle spielt, sondern die eigentliche Grundlage oder das Umfeld darstellt, in dem sich der gesamte Edle Achtfache Pfad entfalten kann. Ohne diese Grundlage ist Fortschritt kaum möglich. Der Buddha erklärt weiter, dass von einem Mönch (oder Praktizierenden), der edle Freunde hat, erwartet werden kann, dass er den Edlen Achtfachen Pfad entwickelt und kultiviert. Dies impliziert eine kausale oder zumindest ermöglichende Beziehung.
Darüber hinaus wird Kalyāṇamittatā als Vorläufer (pubbaṅgama) und Vorbote (pubbanimitta) für das Entstehen und die Entwicklung des Edlen Achtfachen Pfades bezeichnet, vergleichbar mit der Morgendämmerung, die dem Sonnenaufgang vorausgeht. Sie gilt als der wichtigste äußere Faktor für die spirituelle Entwicklung. Insbesondere für das Entstehen Rechter Ansicht (sammā diṭṭhi), dem ersten Glied des Pfades, wird sie als entscheidend angesehen. Sie ist zudem eine Voraussetzung für die Entfaltung der Sieben Erwachungsfaktoren (bojjhaṅga).
Die Beziehung zu einem Kalyāṇamitta ist dabei keine passive Angelegenheit. Sie erfordert aktives Engagement: Man sucht das Gespräch, stellt Fragen zur Lehre, diskutiert und bemüht sich bewusst darum, die Tugenden des Freundes – wie Vertrauen, ethisches Verhalten, Großzügigkeit und Weisheit – nachzuahmen (anukaroti). Es ist ein dynamischer Prozess des Lernens und der Transformation, der durch die Interaktion gefördert wird.
Lehrreden (Suttas) zu Kalyāṇamitta im Pali-Kanon
Die Bedeutung der edlen Freundschaft wird in allen vier Hauptsammlungen des Sutta Piṭaka thematisiert. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über einige zentrale Lehrreden, die das Konzept des Kalyāṇamitta behandeln oder illustrieren. Die angegebenen Sutta-Nummern ermöglichen ein leichtes Auffinden der Texte auf Plattformen wie suttacentral.net.
Nikāya | Sutta Nr. | Pali Titel | Deutscher Titel (gebräuchlich) | Kernrelevanz für Kalyāṇamitta |
---|---|---|---|---|
DN | 31 | Siṅgālovāda Sutta | Die Lehrrede für Sigālaka | Definiert gute/schlechte Freunde für Laien; praktische Merkmale |
MN | 117 | Mahācattārīsaka Sutta | Die Große Vierzig | Verbindet Rechte Ansicht (oft durch Kalyāṇamitta gefördert) mit dem gesamten Pfad |
MN | 48 | Kosambiya Sutta | Die Kosambier | Beschreibt harmonisches Zusammenleben (Praxis der Kalyāṇamittatā) im Orden |
SN | 45 | Magga Saṃyutta | Das Kapitel über den Pfad | Enthält mehrere Suttas über Kalyāṇamittatā als Grundlage/Vorläufer des Pfades |
SN | 45.2 | Upaḍḍha Sutta | Die Hälfte (des heiligen Lebens) | Kernaussage: Kalyāṇamittatā ist das ganze heilige Leben, Grundlage für den Achtfachen Pfad |
SN | 3.18 | Kalyāṇamitta Sutta (?) | Rede an König Pasenadi (?) | Bestätigt SN 45.2; verbindet Kalyāṇamitta mit Fleiß/Achtsamkeit (appamāda) |
SN | 45.49 | Suriyapeyyāla Sutta | Gleichnis von der Sonne (Morgenröte) | Bezeichnet Kalyāṇamittatā als Vorläufer/Vorbote des Achtfachen Pfades |
SN | 45.77 | Kalyāṇamitta Sutta (?) | Über edle Freundschaft (?) | Nennt Kalyāṇamittatā als den einzelnen wichtigsten Faktor für den Pfad |
AN | 1.88-97 | Kalyāṇamittādivagga | Kapitel über Edle Freundschaft usw. | AN 1.88: Wichtigster äußerer Faktor für Rechte Ansicht |
AN | 8.54 | Dīghajāṇu (Byagghapajja) Sutta | Rede an Dīghajāṇu (Vyagghapajja) | Definiert Kalyāṇamitta für Laien (Nachahmung von Tugenden); Kontrast zu Pāpamitta |
AN | 9.1 | (Titel unklar) | (Titel unklar) | Nennt Kalyāṇamittatā als erste Voraussetzung für die Erwachungsglieder (bodhipakkhiyā dhammā) |
Dīgha Nikāya (DN) – Die Sammlung der langen Lehrreden
- DN 31: Siṅgālovāda Sutta (Die Lehrrede für Sigālaka)
Diese Lehrrede richtet sich an den jungen Laien Sigālaka und legt detailliert soziale Ethik und Verantwortlichkeiten dar. Im Kontext von Freundschaft beschreibt der Buddha vier Typen von „Feinden in Freundeskleidern“ (mitta patirūpaka), die es zu meiden gilt: den Aneigner (nimmt viel, gibt wenig), den reinen Lippendiener (verspricht viel, tut nichts), den Schmeichler (stimmt auch Schlechtem zu, lobt nur ins Gesicht) und den Ruinbringer (verleitet zu Laster). Demgegenüber stellt er vier Typen wahrer, herzlicher Freunde (suhada mitta), die man pflegen sollte: den Helfer (schützt in Not, ist Zuflucht), den in Freud und Leid Beständigen (teilt Geheimnisse, bleibt treu), den guten Ratgeber (hält von Schlechtem ab, weist auf Gutes hin) und den Mitfühlenden (freut sich mit, verteidigt). Diese Rede ist besonders für Laien wertvoll, da sie konkrete Verhaltensweisen benennt, anhand derer man die Qualität von Freundschaften im Alltag beurteilen kann.
Majjhima Nikāya (MN) – Die Sammlung der mittleren Lehrreden
Obwohl Kalyāṇamitta im Majjhima Nikāya seltener das zentrale Thema einer ganzen Rede ist als im Samyutta oder Aṅguttara Nikāya, finden sich wichtige Bezüge.
- MN 117: Mahācattārīsaka Sutta (Die Große Vierzig)
Diese Rede erläutert die Rechte Sammlung (sammā samādhi) als achtes Glied des Pfades und ihre notwendigen Voraussetzungen, beginnend mit Rechter Ansicht (sammā diṭṭhi). Sie stellt fest, dass Rechte Ansicht oft durch zwei Bedingungen entsteht: das Hören der Lehre von anderen (parato ghosa) – was typischerweise durch einen Lehrer oder edlen Freund geschieht – und weise Betrachtung (yoniso manasikāra), welche ebenfalls durch einen Kalyāṇamitta angeregt und geleitet werden kann. Die Rede zeigt somit, wie der erste Schritt des Pfades, der oft durch edle Freundschaft ermöglicht wird, das Fundament für den gesamten Weg zur Befreiung legt.
- MN 48: Kosambiya Sutta (Die Kosambier)
Angesichts von Streitigkeiten unter Mönchen legt der Buddha hier sechs Prinzipien dar, die zu Herzlichkeit, Eintracht und Harmonie führen (sārāṇīyā dhammā). Dazu gehört das Aufrechterhalten von liebender Güte (mettā) in Tat, Wort und Gedanken gegenüber den Gefährten im heiligen Leben. Dies beschreibt die gelebte Praxis, selbst ein guter spiritueller Freund zu sein und ein Umfeld zu schaffen, das die gemeinsame Praxis fördert – ein wichtiger Aspekt von Kalyāṇamittatā innerhalb der Gemeinschaft (Saṅgha).
Samyutta Nikāya (SN) – Die Sammlung der gruppierten Lehrreden
Das Samyutta Nikāya enthält einige der prägnantesten und fundamentalsten Aussagen über Kalyāṇamitta.
- SN 45: Magga Saṃyutta (Das Kapitel über den Pfad)
Dieses gesamte Kapitel (Saṃyutta) ist dem Edlen Achtfachen Pfad gewidmet. Dass hier mehrere zentrale Lehrreden über Kalyāṇamittatā platziert sind, unterstreicht deren grundlegende Rolle für den Pfad.
- SN 45.2: Upaḍḍha Sutta (Die Hälfte)
Dies ist die bereits erwähnte Schlüsselrede, in der der Buddha Ānandas Annahme korrigiert und erklärt, dass edle Freundschaft das ganze heilige Leben ausmacht. Er verbindet sie direkt mit der erfolgreichen Kultivierung aller acht Pfadfaktoren, die auf Abgeschiedenheit (viveka), Leidenschaftslosigkeit (virāga) und Auflösung (nirodha) beruhen und im Loslassen (vossagga) münden.
- SN 3.18: Kalyāṇamitta Sutta (?) (Rede an König Pasenadi)
Hier bestätigt der Buddha gegenüber König Pasenadi die Aussage aus SN 45.2. Er fügt hinzu, dass jemand, der edle Freunde hat, gestützt auf diese Freundschaft in einer bestimmten Eigenschaft verweilen sollte: Fleiß bzw. Achtsamkeit/Sorgfalt in heilsamen Dingen (appamādo kusalesu dhammesu). Dies zeigt den praktischen Nutzen und die Konsequenz edler Freundschaft: Sie führt zu engagierter Praxis.
- SN 45.49: Suriyapeyyāla Sutta (Gleichnis von der Sonne/Morgenröte)
Diese Rede verwendet das Bild der Morgendämmerung, die dem Sonnenaufgang vorausgeht, um zu verdeutlichen, dass Kalyāṇamittatā der Vorläufer (pubbaṅgama) und Vorbote (pubbanimitta) für das Entstehen des Edlen Achtfachen Pfades ist.
- SN 45.77: Kalyāṇamitta Sutta (?) (Über edle Freundschaft)
In dieser kurzen Aussage erklärt der Buddha, dass er keinen anderen einzelnen Faktor (ekadhamma) sieht, der für das Entstehen und die vollständige Entwicklung des Edlen Achtfachen Pfades so förderlich ist wie die edle Freundschaft. Dies betont ihre einzigartige Wichtigkeit unter den äußeren Bedingungen.
Aṅguttara Nikāya (AN) – Die Sammlung der angereihten Lehrreden
Auch das Aṅguttara Nikāya, das die Lehrreden numerisch ordnet, enthält wichtige Aussagen zu Kalyāṇamitta.
- AN 1.88-97 (Ekaka Nipāta, Kalyāṇamittādivagga – Kapitel über Edle Freundschaft usw.)
Im Buch der Einsen findet sich eine Reihe von Aussagen, die die Bedeutung der edlen Freundschaft hervorheben. AN 1.88 besagt explizit: „Ich sehe keinen einzigen anderen äußeren Umstand, ihr Mönche, wie diesen: die edle Freundschaft (kalyāṇamittatā), der derart zum Entstehen Rechter Ansicht (sammādiṭṭhi) beiträgt.“ (Paraphrase). Dies verortet die Rolle der edlen Freundschaft am unmittelbaren Anfang des Pfades.
- AN 8.54: Dīghajāṇu (Byagghapajja) Sutta (Die Rede an Dīghajāṇu)
Hier gibt der Buddha dem Laien Dīghajāṇu Ratschläge für weltliches und spirituelles Wohlergehen. Er definiert Kalyāṇamitta für Haushälter: Man verbringt Zeit mit Laien (jung oder alt), die in Tugend fortgeschritten sind – gefestigt in Vertrauen, Sittlichkeit, Freigebigkeit und Weisheit. Man spricht mit ihnen, führt Gespräche und – entscheidend – ahmt deren jeweilige Vollkommenheit in diesen Tugenden nach. Dies zeigt die praktische Anwendung im Laienleben. Gleichzeitig warnt die Rede davor, schlechte Freunde (pāpamitta) zu haben, was als einer von vier Faktoren genannt wird, die den Wohlstand (materiell und spirituell) aufzehren.
- AN 9.1: (Titel unklar)
In dieser Rede wird Kalyāṇamittatā als die erste Voraussetzung für die Entwicklung der „Flügel zum Erwachen“ (bodhipakkhiyā dhammā) genannt, also jener 37 Geistesfaktoren, die zur Befreiung führen.
Die verschiedenen Lehrreden zeigen, dass das Kernprinzip der Kalyāṇamitta universell gilt („das ganze heilige Leben“), die spezifischen Ratschläge jedoch auf den Kontext zugeschnitten sind. DN 31 bietet praktische soziale Orientierung für Laien, AN 8.54 betont die Nachahmung von Tugenden unter Laien, während die Suttas in SN 45 und AN 1 die fundamentale, pfad-ermöglichende Rolle für alle Praktizierenden hervorheben.
Verwandte Begriffe und Konzepte
Das Verständnis von Kalyāṇamitta wird durch die Betrachtung verwandter Begriffe und Konzepte vertieft.
Pāpamitta (Schlechter Freund)
Pāpamitta ist das direkte Gegenteil von Kalyāṇamitta. Es bedeutet schlechter Freund, übler Gefährte oder untugendhafter Umgang (pāpamittatā). Solche Freunde zeichnen sich durch unheilsame Gesinnung und Handlungen aus. Der Umgang mit Pāpamittas hat gravierende negative Folgen: Er führt dazu, dass man selbst unheilsame Handlungen (akusala dhamma) begeht, verleitet zu Laster (wie Trunk, Spielsucht, sexuelle Ausschweifung), zehrt materielle und spirituelle Ressourcen auf, behindert den Fortschritt auf dem Pfad und kann letztlich zum Ruin führen. Der Buddha rät daher eindringlich davon ab, sich mit solchen Personen einzulassen [DN 31, AN 8.54]. Die Wahl der Gesellschaft ist keine passive Angelegenheit, sondern eine aktive Entscheidung mit tiefgreifenden Konsequenzen für die eigene spirituelle Entwicklung. Die Gegenüberstellung von Kalyāṇamitta und Pāpamitta unterstreicht die Wichtigkeit dieser Wahl. Wenn kein geeigneter edler Freund oder zumindest ein ebenbürtiger Gefährte gefunden werden kann, sei es besser, den Weg allein zu gehen, „gleichwie ein Nashorn“ (eine Anspielung auf das Khaggavisāṇa Sutta, Sn 1.3). Schlechte Gesellschaft ist demnach schlimmer als gar keine.
Bezug zum Edlen Achtfachen Pfad (ariya aṭṭhaṅgika magga)
Die Verbindung zwischen Kalyāṇamitta und dem Edlen Achtfachen Pfad ist fundamental und untrennbar.
- Grundlage und Voraussetzung: Wie bereits dargelegt, ist Kalyāṇamittatā die notwendige Bedingung und der Vorläufer für das Entstehen und die Kultivierung des gesamten Pfades.
- Entwicklung der Pfadfaktoren: Wer edle Freunde hat, von dem kann erwartet werden, dass er alle acht Glieder des Pfades entwickelt: Rechte Ansicht (sammā diṭṭhi), Rechte Absicht/Gesinnung (sammā saṅkappa), Rechte Rede (sammā vācā), Rechtes Handeln (sammā kammanta), Rechter Lebenserwerb (sammā ājīva), Rechte Anstrengung (sammā vāyāma), Rechte Achtsamkeit (sammā sati) und Rechte Sammlung/Konzentration (sammā samādhi). Diese Entwicklung basiert auf Abgeschiedenheit, Leidenschaftslosigkeit und Auflösung und führt zum Loslassen.
- Rechte Ansicht (Sammā Diṭṭhi): Dieses erste Pfadglied wird oft direkt durch Kalyāṇamitta beeinflusst. Das Verständnis der Kernlehren (Vier Edle Wahrheiten, Karma, Bedingtes Entstehen) entsteht häufig durch das Hören des Dhamma von einer vertrauenswürdigen Quelle – einem Lehrer oder edlen Freund.
- Ethik (Sīla – Rechte Rede, Handeln, Lebenserwerb): Edle Freunde fördern ethisches Verhalten durch ihr Vorbild und direkten Rat. Sie helfen, schädliche Handlungen zu vermeiden und heilsame zu kultivieren.
- Sammlung (Samādhi – Rechte Anstrengung, Achtsamkeit, Konzentration): Unterstützung, Ermutigung und Anleitung durch Kalyāṇamittas, insbesondere Lehrer, sind entscheidend, um die notwendige Anstrengung (viriya) und Sorgfalt (appamāda) aufrechtzuerhalten und die Herausforderungen der Meditationspraxis zu meistern.
- Weisheit (Paññā – Rechte Ansicht, Rechte Absicht): Gespräche mit spirituellen Freunden vertiefen das Verständnis der Lehre und stärken die Absicht (saṅkappa) zur Entsagung, zum Wohlwollen und zur Gewaltlosigkeit.
Die Beziehung zu einem Kalyāṇamitta fungiert somit als Brücke zwischen der abstrakten Lehre (Dhamma) und der gelebten Erfahrung. Der edle Freund verkörpert den Pfad, macht ihn greifbar, nachvollziehbar und durch Interaktion und Nachahmung erlernbar. Er ist gewissermaßen der „lebendige Dhamma“. Das Vertrauen auf den Buddha als den höchsten Kalyāṇamitta ist letztlich das Vertrauen auf den verkörperten Dhamma selbst.
Zusammenfassung: Die Kultivierung Edler Freundschaft
Die Analyse des Pali-Begriffs Kalyāṇamitta offenbart ein Konzept von zentraler Bedeutung im frühen Buddhismus. Weit entfernt von gewöhnlicher Kameradschaft, bezeichnet Kalyāṇamitta die edle Freundschaft mit weisen und tugendhaften Individuen – seien es Lehrer, Mentoren oder gleichgesinnte Praktizierende. Diese Freundschaft ist nicht nur eine Hilfe, sondern die unverzichtbare Grundlage für den spirituellen Weg, das „ganze heilige Leben“, wie der Buddha betonte.
Sie ist der Vorbote und die notwendige Bedingung für das Entstehen und die Kultivierung des Edlen Achtfachen Pfades. Durch den Umgang mit Kalyāṇamittas wird der Praktizierende inspiriert und angeleitet, Rechte Ansicht zu entwickeln, ethisch zu handeln, den Geist zu schulen und Weisheit zu entfalten. Die edlen Freunde dienen als lebendiges Beispiel des Dhamma, bieten Orientierung, Unterstützung und konstruktives Feedback.
Die Kultivierung solcher Beziehungen erfordert jedoch bewusste Anstrengung und Achtsamkeit. Es gilt, weise Gefährten aktiv zu suchen, den Austausch über die Lehre zu pflegen, offen für Rat zu sein und sich bewusst darum zu bemühen, die heilsamen Qualitäten der edlen Freunde nachzuahmen. Gleichzeitig ist es Teil der Praxis, selbst ein Kalyāṇamitta für andere zu sein, indem man Wohlwollen, Mitgefühl und Weisheit kultiviert und teilt.
Die Lehre von Kalyāṇamitta lädt dazu ein, die eigenen Beziehungen kritisch zu reflektieren und bewusst jene Freundschaften zu suchen und zu pflegen, die den Weg zur Befreiung unterstützen. Die Wahl unserer Gefährten ist keine Nebensächlichkeit, sondern ein integraler Bestandteil der buddhistischen Praxis mit tiefgreifendem Einfluss auf unsere Reise zum Erwachen.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Ausgewählte Referenzen:
- The Role of Friendship on the Path – Insight Meditation Center
- Spiritual Friendship – BODHI MONASTERY
- Kalyanamitta – Wikipedia
- Definitions for: kalyāṇamitta – SuttaCentral
- Kalyanamitta, Kalyana-mitta, Kalyāṇamitta: 5 definitions
- Spiritual Friendship Is the Path | Lion’s Roar
- Definitions for: kalyāṇa – SuttaCentral
- Kalyāṇa-mittatā – Wikipedia
- Kalyāṇamittasutta—Bhikkhu Sujato – SN 45.77 – SuttaCentral
- Kalyāṇamittasutta—Bhikkhu Sujato – SN 3.18 – SuttaCentral
- SN 45.2: Upaḍḍhasutta—Bhikkhu Sujato – SuttaCentral
- Upaḍḍhasutta—Bhikkhu Bodhi – SN 45.2 – SuttaCentral
- Importance of Spiritual Friends : r/Buddhism – Reddit
- Upaḍḍhasutta—Suttas and Parallels – SuttaCentral
- SN 45.2: Upaddha Sutta — Half (of the Holy Life) – Dhamma Wheel Buddhist Forum
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