
Das Erste Jhāna (Paṭhama Jhāna) im Palikanon
Grundlage der meditativen Vertiefung und Rechten Konzentration
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die buddhistische Lehre beschreibt einen Weg zur Befreiung vom Leiden (dukkha), der in der Kultivierung des Geistes gipfelt. Ein zentraler Aspekt dieser Kultivierung (bhāvanā) ist die Entwicklung von geistiger Sammlung und Konzentration (samādhi). Innerhalb dieses Rahmens stellen die Jhānas hochentwickelte meditative Vertiefungszustände dar, die durch tiefe Ruhe, Klarheit und Glückseligkeit gekennzeichnet sind. Sie sind nicht nur fortgeschrittene Stufen der Meditation, sondern bilden einen integralen Bestandteil des Edlen Achtfachen Pfades, insbesondere des Faktors der Rechten Konzentration (Sammā Samādhi).
Dieser Bericht konzentriert sich auf das Paṭhama Jhāna, das Erste Jhāna. Es ist der erste der vier formgebundenen Vertiefungszustände (Rūpa-Jhānas) und bildet die Grundlage für tiefere meditative Erfahrungen. Ziel dieses Berichts ist es, eine klare Definition und Erklärung des Ersten Jhāna zu geben, seine charakteristischen Faktoren zu erläutern, es in den Gesamtkontext des buddhistischen Pfades einzuordnen und spezifische Lehrreden (Suttas) aus den Hauptsammlungen des Palikanon (Dīgha Nikāya, Majjhima Nikāya, Saṃyutta Nikāya, Aṅguttara Nikāya) vorzustellen, die diesen Zustand behandeln oder erklären. Die Verweise auf die Lehrreden basieren primär auf der Online-Ressource SuttaCentral.net, um interessierten Laien ein vertieftes Studium der Originalquellen zu ermöglichen.
Das Erste Jhāna (Paṭhama Jhāna): Definition und Erklärung
Die Essenz des Ersten Jhāna wird im Palikanon häufig durch eine Standardformel beschrieben, die den Prozess des Eintretens und Verweilens in diesem Zustand darlegt.
Die Standardformel im Palikanon
Die kanonische Beschreibung lautet:
„Idha, bhikkhave, bhikkhu vivicceva kāmehi vivicca akusalehi dhammehi savitakkaṁ savicāraṁ vivekajaṁ pītisukhaṁ paṭhamaṁ jhānaṁ upasampajja viharati.“
Eine mögliche deutsche Übersetzung ist:
„Da tritt der Mönch/Praktizierende, ganz abgeschieden von Sinnendingen, abgeschieden von unheilsamen Geisteszuständen, in die erste Vertiefung (Jhāna) ein und verweilt darin, welche von Gedankenfassen und Gedankenprüfen begleitet ist, aus dieser Abgeschiedenheit geboren wurde und von Verzückung und Glückseligkeit erfüllt ist.“
Diese Formel enthält die wesentlichen Elemente, die das Erste Jhāna definieren: die Voraussetzungen für seinen Eintritt und seine charakteristischen Merkmale.
Erläuterung der Voraussetzungen
Der Eintritt in das Erste Jhāna ist an zwei grundlegende Bedingungen geknüpft:
- Vivicceva kāmehi: Abgeschiedenheit von Sinnendingen/Sinnesvergnügen. Dies bedeutet ein bewusstes Loslassen der Anhaftung an die Objekte der fünf Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) und der damit verbundenen Begierden (kāmacchanda). Es ist ein mentaler Rückzug von der äußeren Sinneswelt.
- Vivicca akusalehi dhammehi: Abgeschiedenheit von unheilsamen Geisteszuständen. Dies bezieht sich vor allem auf die erfolgreiche Überwindung der Fünf Hindernisse (pañca nīvaraṇāni), welche die Entwicklung von Konzentration blockieren:
- Sinnenlust (kāmacchanda)
- Übelwollen/Feindseligkeit (byāpāda)
- Mattheit und Müdigkeit (thīna-middha)
- Ruhelosigkeit und Sorge (uddhacca-kukkucca)
- Skeptischer Zweifel (vicikicchā)
Die Überwindung dieser Hindernisse ist nicht nur eine technische Voraussetzung, sondern hat tiefgreifende Implikationen. Ein Jhāna, das ohne das Fundament Rechter Sicht (sammā diṭṭhi) – dem ersten Faktor des Achtfachen Pfades – erreicht wird, bleibt eine weltliche (lokiya) Errungenschaft. Es kann zwar zu angenehmen Erfahrungen und günstigen Wiedergeburten in höheren Daseinsbereichen führen (wie in AN 4.123 beschrieben), birgt aber die Gefahr, wieder in leidvolle Zustände zurückzufallen. Erst wenn die Überwindung der Hindernisse im Kontext des Edlen Achtfachen Pfades geschieht, kann das Jhāna zu einer überweltlichen (lokuttara) Praxis werden, die als Basis für befreiende Einsicht dient, wie es in MN 52 und AN 9.36 dargelegt wird. Die Qualität der „Abgeschiedenheit“ ist somit entscheidend für ihre Rolle auf dem Weg zur Befreiung.
Die charakteristischen Faktoren des Ersten Jhāna
Die Standardformel nennt vier Hauptmerkmale, die während des Ersten Jhāna präsent sind, zusammen mit der zugrundeliegenden Konzentration:
- Vitakka (Gedankenfassen, Hinwenden des Geistes): Dies beschreibt das anfängliche Ergreifen und Ausrichten des Geistes auf das Meditationsobjekt (z.B. den Atem, ein Kasina oder ein anderes geeignetes Objekt). Es ist der erste Impuls, der den Geist zum Objekt führt.
- Vicāra (Gedankenprüfen, Verweilen des Geistes): Dies bezieht sich auf das anhaltende Verweilen des Geistes beim Objekt, ein subtiles Untersuchen oder Festhalten des Fokus. Es sorgt dafür, dass der Geist am Objekt haften bleibt, nachdem vitakka ihn dorthin gebracht hat.
Es ist wichtig zu verstehen, dass vitakka und vicāra im Kontext des Jhāna keine gewöhnlichen, diskursiven oder assoziativen Gedanken sind, wie wir sie im Alltag erleben. Solche groben Denkprozesse sind bereits zur Ruhe gekommen, bevor das Jhāna erreicht wird. Stattdessen handelt es sich um sehr subtile geistige Aktivitäten. Vitakka ist das feine Hinlenken der Achtsamkeit zurück zur Glückseligkeit oder zum Objekt, und vicāra ist das feine Halten der Achtsamkeit dort. Manche Lehrer beschreiben diese Restaktivität als eine Art feines geistiges „Wobbeln“ oder eine minimale Bewegung, die den Geist auf das Erleben von Freude und Glück zentriert hält. Diese Interpretation löst den scheinbaren Widerspruch auf, wie „Denken“ in einem Zustand tiefer Ruhe existieren kann. Sie erklärt auch, warum das Überwinden dieser beiden Faktoren im Zweiten Jhāna zu einer noch tieferen Stille führt.
- Pīti (Verzückung, meditative Freude): Ein Gefühl von freudigem Interesse, Begeisterung oder Ekstase, das als Ergebnis der zunehmenden Konzentration und der Abwesenheit der Hindernisse entsteht. Pīti kann von subtil bis intensiv reichen und sich manchmal auch körperlich äußern (z.B. als Gefühl von Leichtigkeit, Kribbeln oder Gänsehaut). Es ist ein eher aktiver, aufgeregter Zustand der Freude.
- Sukha (Glückseligkeit, meditatives Glück): Ein tieferes, ruhigeres und stabileres Gefühl des Wohlbefindens, der Zufriedenheit und des Glücks, das oft zusammen mit pīti auftritt, aber subtiler und weniger aufwühlend ist.
Obwohl pīti und sukha eng miteinander verbunden sind, sind sie nicht identisch. Pīti wird in der buddhistischen Psychologie (Abhidhamma) als eine geistige Gestaltung (saṅkhāra) klassifiziert, während sukha ein Gefühl (vedanā) ist. Ihre Unterschiedlichkeit wird deutlich, wenn man die Jhāna-Stufen betrachtet: Im Dritten Jhāna vergeht die aktive Verzückung (pīti), während die ruhigere Glückseligkeit (sukha) erhalten bleibt. Es ist eine wichtige praktische Anweisung, sich nicht an diese angenehmen Zustände zu klammern, da Anhaftung selbst zu einem Hindernis für weiteren Fortschritt werden kann.
- Ekaggatā (Einspitzigkeit des Geistes, Konzentration): Dies ist die Fähigkeit des Geistes, stabil und ungeteilt auf einem einzigen Objekt zu ruhen. Es ist die Grundlage und das definierende Merkmal von samādhi (Konzentration). Obwohl ekaggatā im Ersten Jhāna zweifellos vorhanden und essentiell ist, wird es in der oben zitierten Standardformel nicht immer explizit als fünfter Faktor genannt. Die Formel hebt eher die daraus resultierenden Qualitäten (pīti und sukha, begleitet von vitakka und vicāra) hervor. Spätere Kommentare wie der Visuddhimagga und auch einige Suttas (z.B. SN 40.1, das ekodiṁ erwähnt) analysieren den Zustand jedoch oft anhand von fünf Faktoren. Diese Unterscheidung zwischen der phänomenologischen Beschreibung in der Kernformel und systematischeren Analysen ist hilfreich, um unterschiedliche Darstellungen zu verstehen. Ekaggatā ist die grundlegende Eigenschaft, die das Jhāna ermöglicht.
Die Bedeutung von „aus Abgeschiedenheit geboren“ (vivekajaṁ)
Der Zusatz vivekajaṁ pītisukhaṁ („Verzückung und Glückseligkeit, die aus Abgeschiedenheit geboren sind“) unterstreicht einen wesentlichen Punkt: Die Freude und das Glück des Ersten Jhāna entstehen nicht durch äußere Sinnesreize oder weltliche Errungenschaften. Sie sind eine direkte Frucht des geistigen Rückzugs (viveka) von den Sinnesobjekten und der Reinigung des Geistes von den Fünf Hindernissen. Dies unterscheidet das meditative Glück grundlegend von weltlichen Freuden.
Kontext: Die Vier Rūpa-Jhānas und Samādhi
Das Erste Jhāna ist nicht isoliert zu betrachten, sondern steht am Anfang einer klar definierten Stufenfolge von meditativen Vertiefungen und ist direkt mit dem Konzept der Rechten Konzentration im Edlen Achtfachen Pfad verbunden.
Die Abfolge der vier Form-Jhānas (Rūpa-Jhānas)
Das Erste Jhāna ist der Einstiegspunkt in die vier Rūpa-Jhānas, die „Vertiefungen der Formwelt“. Diese Zustände basieren auf der Konzentration auf ein Objekt, das entweder materiell (wie ein Kasina, eine farbige Scheibe) oder mental (wie die Eigenschaften von mettā, liebender Güte) sein kann. Sie unterscheiden sich von den vier noch subtileren Arūpa-Jhānas („formlose Vertiefungen“), die auf formlosen Objekten basieren.
Die vier Rūpa-Jhānas stellen eine fortschreitende Verfeinerung der Konzentration und eine zunehmende Beruhigung geistiger Faktoren dar:
- Erstes Jhāna (Paṭhama Jhāna): Gekennzeichnet durch vitakka, vicāra, pīti, sukha, ekaggatā. Voraussetzung: Überwindung der Fünf Hindernisse.
- Zweites Jhāna (Dutiya Jhāna): Erreicht durch das Zur-Ruhe-Kommen von vitakka und vicāra. Gekennzeichnet durch innere Stille/Vertrauen (ajjhattaṁ sampasādanaṁ), Einigung des Geistes (cetaso ekodibhāvaṁ), pīti, sukha und ekaggatā. Es ist „aus Konzentration geboren“ (samādhijaṁ), da die gröberen mentalen Aktivitäten weggefallen sind.
- Drittes Jhāna (Tatiya Jhāna): Erreicht durch das Verblassen der aktiven Verzückung (pīti). Gekennzeichnet durch Gleichmut (upekkhā), Achtsamkeit (sati), klares Verstehen (sampajañña), die verbleibende Glückseligkeit (sukha) und ekaggatā.
- Viertes Jhāna (Catuttha Jhāna): Erreicht durch das Aufgeben von Glück (sukha) und Schmerz/Unbehagen (dukkha). Gekennzeichnet durch vollkommene Reinheit von Gleichmut und Achtsamkeit (upekkhāsatipārisuddhiṁ) und ekaggatā. Es ist ein Zustand jenseits von Freude und Leid (adukkhamasukhaṁ).
Das Erste Jhāna ist somit die notwendige Grundlage und der Einstiegspunkt für diese Entwicklung zu immer tieferer Sammlung und Verfeinerung des Geistes.
Jhāna als Kultivierung von Rechter Konzentration (Sammā Samādhi)
Die Praxis und das Erreichen der vier Rūpa-Jhānas ist die kanonische Definition von Rechter Konzentration (Sammā Samādhi), dem achten und letzten Glied des Edlen Achtfachen Pfades (Ariya Aṭṭhaṅgika Magga). Sammā Samādhi ist nicht irgendeine Form von Konzentration, sondern spezifisch heilsame Einspitzigkeit des Geistes (kusala citt’ekaggatā). Sie entsteht im Kontext der anderen Pfadfaktoren (Rechte Sicht, Rechte Absicht, etc.) und dient dem Ziel der Befreiung.
Die durch die Jhānas entwickelte tiefe Konzentration schafft die notwendige Stabilität, Klarheit und Ruhe des Geistes, die für das Aufkommen von befreiender Weisheit (paññā) erforderlich ist.
Die Verbindung von Jhāna (Samatha) und Einsicht (Vipassanā)
Es ist ein zentrales Verständnis im frühen Buddhismus, dass die Jhānas, obwohl sie kraftvolle Zustände des Friedens und der Konzentration (samatha) sind, für sich allein nicht zur vollständigen Befreiung (Nibbāna) führen. Sie müssen mit Einsicht (Vipassanā) verbunden werden – der direkten Erkenntnis der drei Daseinsmerkmale aller Phänomene: Vergänglichkeit (anicca), Leidhaftigkeit (dukkha) und Nicht-Selbst (anattā).
Diese Verbindung kann auf verschiedene Weisen geschehen:
- Der Meditierende kann direkt nach dem Austreten aus dem Jhāna über die Erfahrung reflektieren und erkennen, dass auch dieser hochkonzentrierte Zustand bedingt, vergänglich und nicht-selbst ist. Ein Schlüsselbegriff hierfür ist die Reflexion über den Zustand als „bedingt und willentlich erzeugt“ (abhisaṅkhataṁ abhisañcetayitaṁ), wie es in MN 52 eindrücklich beschrieben wird.
- Der Meditierende kann die im Jhāna entwickelte Klarheit und Stabilität nutzen, um die Natur des Geistes und der Körperlichkeit während oder unmittelbar nach der Meditation tiefgründig zu untersuchen. AN 9.36 beschreibt, wie man die im Jhāna vorhandenen geistigen Faktoren (Form, Gefühl, Wahrnehmung etc.) als vergänglich, leidhaft usw. kontempliert.
Die Jhānas schaffen somit eine ideale Plattform für die Entwicklung von Weisheit. Ohne diese Verbindung zur Einsicht besteht die Gefahr, an den angenehmen Zuständen anzuhaften oder sie als das endgültige Ziel misszuverstehen. Die Integration von Ruhe (samatha) und Einsicht (vipassanā) ist der Kern des buddhistischen Befreiungsweges.
Tabelle: Die vier Rūpa-Jhānas und ihre Faktoren
Die folgende Tabelle fasst die Entwicklung durch die vier Form-Jhānas zusammen:
Stufe | Pali Name | Hauptmerkmale / Prägende Faktoren | Überwundene Faktoren (aus vorheriger Stufe) |
---|---|---|---|
1 | Paṭhama Jhāna | Vitakka (Hinwenden), Vicāra (Verweilen), Pīti (Verzückung), Sukha (Glückseligkeit), Ekaggatā (Einspitzigkeit) | Fünf Hindernisse |
2 | Dutiya Jhāna | Innere Stille/Vertrauen (ajjhattaṁ sampasādanaṁ), Pīti, Sukha, Ekaggatā (Einspitzigkeit), „aus Konzentration geboren“ (samādhijaṁ) | Vitakka, Vicāra |
3 | Tatiya Jhāna | Upekkhā (Gleichmut), Sati (Achtsamkeit), Sampajañña (Klarheit), Sukha (Glückseligkeit), Ekaggatā (Einspitzigkeit) | Pīti |
4 | Catuttha Jhāna | Upekkhāsatipārisuddhi (Reinheit von Gleichmut & Achtsamkeit), Ekaggatā (Einspitzigkeit), Weder-Schmerz-noch-Freude (adukkhamasukhaṁ) | Sukha, Dukkha (positives/negatives Gefühl) |
Lehrreden (Suttas) zum Ersten Jhāna
Viele Lehrreden im Palikanon erwähnen die Jhānas, oft als Teil des „Graduellen Trainings“ (anupubbikathā oder anupubbasikkhā), das den stufenweisen Fortschritt eines buddhistischen Praktizierenden beschreibt. Die folgenden Suttas aus den vier Haupt-Nikāyas behandeln das Erste Jhāna in besonderer Weise oder geben ihm einen wichtigen Kontext.
Dīgha Nikāya (DN) – Die Sammlung der langen Lehrreden
Der Dīgha Nikāya enthält lange Diskurse, oft mit erzählerischem Charakter.
- DN 2: Sāmaññaphala Sutta (Die Früchte des Asketenlebens)
- Kontext: König Ajātasattu, beunruhigt durch seine Vergangenheit, sucht den Buddha auf und fragt nach den sichtbaren Früchten eines Lebens als Asket (Mönch). Der Buddha antwortet mit einer detaillierten Beschreibung des buddhistischen Trainingspfades. Dieser beginnt mit dem Vertrauen in den Buddha, führt über die Annahme ethischer Regeln (sīla), die Schulung der Sinneskontrolle (indriyasaṃvara), Achtsamkeit und klares Verstehen (sati-sampajañña) sowie Zufriedenheit (santuṭṭhi). Darauf folgt die Überwindung der Fünf Hindernisse, die direkt zum Eintritt in das Erste Jhāna führt. Der Buddha beschreibt dann die weiteren Jhānas und die höheren Erkenntnisse (z.B. Wissen über vergangene Leben, das göttliche Auge, die Zerstörung der Triebe), die auf dieser Grundlage erreicht werden können.
- Relevanz: Dieses Sutta ist ein Meisterwerk, das die Standardbeschreibung des Ersten Jhāna (und der folgenden drei) in den umfassenden Kontext des gesamten buddhistischen Pfades einbettet. Es zeigt klar, dass Jhāna kein isoliertes Ziel ist, sondern ein integraler Bestandteil des Weges zur Läuterung und Befreiung.
- Quelle: https://suttacentral.net/dn2
- Gebräuchlicher deutscher Titel: Die Früchte des Asketenlebens / Die Früchte der Abgeschiedenheit.
Majjhima Nikāya (MN) – Die Sammlung der mittleren Lehrreden
Der Majjhima Nikāya enthält 152 Diskurse mittlerer Länge, oft in Dialogform.
- MN 39: Mahāassapura Sutta (Die große Rede in Assapura)
- Kontext: Der Buddha spricht zu den Mönchen in der Stadt Assapura und erklärt, was es wirklich bedeutet, die Qualitäten eines Asketen (samaṇa) oder Brahmanen (brāhmaṇa) im Sinne seiner Lehre zu verkörpern. Er betont, dass dies über äußere Praktiken hinausgeht und die innere Reinigung von Gier, Hass und Verblendung erfordert. Die Kultivierung heilsamer Qualitäten, ethisches Verhalten, Sinneskontrolle und die Überwindung der Hindernisse führen schließlich zur Erreichung der vier Jhānas und münden in der Befreiung durch Weisheit.
- Relevanz: Das Sutta stellt das Erste Jhāna als Teil der „Pflichten eines Asketen“ (samaṇakaraṇīyā dhammā) dar. Es zeigt, dass die Entwicklung von tiefer Konzentration ein wesentliches Element der spirituellen Praxis ist, das zur wahren Verwirklichung des Asketentums gehört.
- Quelle: https://suttacentral.net/mn39
- Gebräuchlicher deutscher Titel: Die große Rede in Assapura / Assapura I.
- MN 52: Aṭṭhakanāgara Sutta (Der Mann aus Aṭṭhakanagara)
- Kontext: Der wohlhabende Hausherr Dasama aus Aṭṭhakanagara fragt den Ehrwürdigen Ānanda, ob es eine einzige von Buddha gelehrte Praxis gibt, durch deren Ausübung ein eifriger Mönch Befreiung erlangen kann. Ānanda antwortet, indem er elf „Tore zur Todlosigkeit“ (amatadvāra) aufzählt: die vier Rūpa-Jhānas, die vier Brahmavihāras (Liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut – hier als meditative Zustände verstanden) und die ersten drei der vier Arūpa-Jhānas (Dimensionen des unendlichen Raumes, des unendlichen Bewusstseins, des Nichts). Für jede dieser elf Stufen, beginnend mit dem Ersten Jhāna, erklärt Ānanda den gleichen Prozess: Nachdem der Meditierende den Zustand erreicht hat, reflektiert er (paṭisañcikkhati) darüber: ‚Auch dieses Erste Jhāna ist bedingt und willentlich hervorgebracht (abhisaṅkhataṁ abhisañcetayitaṁ). Was aber bedingt und willentlich hervorgebracht ist, das ist vergänglich (anicca) und dem Aufhören (nirodha) unterworfen.‘.
- Relevanz: Dieses Sutta ist von außerordentlicher Bedeutung, da es explizit demonstriert, wie das Erste Jhāna (und die anderen genannten Zustände) als direkte Grundlage für die Einsichtsmeditation (vipassanā) genutzt werden kann. Die Reflexion über die Bedingtheit und Vergänglichkeit des erreichten Zustands führt entweder zur vollständigen Zerstörung der Triebe (āsavakkhaya, d.h. Arahantschaft) oder, falls nicht, zur Nichtwiederkehr (anāgāmitā) durch spontane Wiedergeburt in den Reinen Gefilden (suddhāvāsa). Es illustriert perfekt die notwendige Verbindung von samatha und vipassanā für die Befreiung.
- Quelle: https://suttacentral.net/mn52
- Gebräuchlicher deutscher Titel: Der Mann aus Aṭṭhakanagara / An den Mann aus Aṭṭhakanagara.
Samyutta Nikāya (SN) – Die Sammlung der gruppierten Lehrreden
Der Samyutta Nikāya ordnet kürzere Lehrreden thematisch in Kapiteln (saṃyuttas).
- Hinweis: Es gibt kein eigenständiges Kapitel (Saṃyutta) mit dem Titel „Jhāna Saṃyutta“. Die Jhānas werden jedoch prominent im Mahāvagga (SN 45–56), dem „Großen Abschnitt“, behandelt, der die Faktoren des Erleuchtungsweges (bodhipakkhiyā dhammā) thematisiert.
- SN 45: Magga Saṃyutta (Das Kapitel über den Pfad)
- SN 45.8: Vibhaṅga Sutta (Analyse)
- Kontext: Der Buddha gibt eine detaillierte Analyse (vibhaṅga) des Edlen Achtfachen Pfades, wobei er jedes der acht Glieder einzeln definiert.
- Relevanz: Dieses Sutta ist zentral, da es Sammā Samādhi (Rechte Konzentration) explizit durch die Standardformeln der vier Rūpa-Jhānas definiert, beginnend mit dem Ersten Jhāna. Dies etabliert die Jhānas unmissverständlich als die kanonische Verwirklichung des achten Pfadfaktors.
- Pali-Auszug für Sammā Samādhi: „Katamo ca, bhikkhave, sammāsamādhi? Idha, bhikkhave, bhikkhu vivicceva kāmehi vivicca akusalehi dhammehi savitakkaṁ savicāraṁ vivekajaṁ pītisukhaṁ paṭhamaṁ jhānaṁ upasampajja viharati. Vitakkavicārānaṁ vūpasamā …pe… dutiyaṁ jhānaṁ … tatiyaṁ jhānaṁ … catutthaṁ jhānaṁ upasampajja viharati. Ayaṁ vuccati, bhikkhave, sammāsamādhi.“
- (Übersetzung: „Und was, ihr Mönche, ist rechte Konzentration? Da tritt der Mönch, ganz abgeschieden von Sinnendingen… in die erste Vertiefung ein… Mit dem Stillwerden von Gedankenfassen und Gedankenprüfen… in die zweite Vertiefung… die dritte Vertiefung… die vierte Vertiefung ein und verweilt darin. Das, ihr Mönche, wird rechte Konzentration genannt.“)
- Quelle: https://suttacentral.net/sn45.8
- Gebräuchlicher deutscher Titel: Analyse (des Pfades).
- SN 45.8: Vibhaṅga Sutta (Analyse)
Aṅguttara Nikāya (AN) – Die Sammlung der angereihten Lehrreden
Der Aṅguttara Nikāya ordnet Lehrreden nach der Anzahl der behandelten Punkte (Buch der Einsen, Buch der Zweien etc.).
- AN 4.123: Paṭhamanānākaraṇa Sutta (Der erste Unterschied)
- Kontext: Der Buddha erklärt den Unterschied (nānākaraṇa) im weiteren Schicksal eines gewöhnlichen Menschen (puthujjana) im Vergleich zu einem edlen Schüler (ariyasāvaka), wenn beide das Erste Jhāna (und die folgenden) erreichen. Der gewöhnliche Mensch, der diesen Zustand genießt und daran anhaftet, wird nach dem Tod entsprechend in der Welt der Götter des Brahma-Gefolges (brahmakāyikā devā) wiedergeboren und verbleibt dort für die Dauer eines Äons (kappa). Danach ist jedoch ein Abstieg in niedere Daseinsbereiche wieder möglich. Der edle Schüler hingegen, der die Praxis im Kontext des Pfades zur Befreiung ausführt, kann noch in derselben Existenz das endgültige Nibbāna erreichen oder zumindest die Nichtwiederkehr.
- Relevanz: Dieses Sutta beleuchtet die karmischen Konsequenzen des Erreichens des Ersten Jhāna und unterstreicht eindringlich die Bedeutung der rechten Sicht und der Einbettung der Jhāna-Praxis in den Edlen Achtfachen Pfad. Es zeigt, dass die meditative Errungenschaft allein nicht ausreicht, sondern die Ausrichtung auf Befreiung entscheidend ist.
- Quelle: https://suttacentral.net/an4.123
- Gebräuchlicher deutscher Titel: Der erste Unterschied / Unterschied (1).
- AN 9.36: Jhāna Sutta (Die Vertiefungen)
- Kontext: Der Buddha erklärt, dass jede der vier Rūpa-Jhānas, jede der vier Arūpa-Jhānas und sogar der Zustand der „Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl“ (saññāvedayitanirodha) als eine Grundlage (nissāya) für die Beendigung der geistigen Triebe/Vergärungen (āsavānaṁ khayaṁ) dienen kann. Bezüglich des Ersten Jhāna führt er aus, wie der Praktizierende die darin enthaltenen Phänomene – die fünf Daseinsgruppen (khandhas: Form, Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltungen, Bewusstsein), wie sie sich in diesem Zustand manifestieren – als vergänglich, leidhaft, krankhaft, als Pfeil, als fremd, als zerfallend, als leer, als nicht-selbst betrachtet. Durch diese Einsicht wendet er den Geist von diesen bedingten Phänomenen ab und richtet ihn auf das „Todlose Element“ (Nibbāna) aus. Auf diese Weise kann er die Triebe zerstören.
- Relevanz: Dieses Sutta ist eine sehr klare und direkte Aussage über den soteriologischen Wert der Jhānas, wenn sie korrekt, d.h. in Verbindung mit Einsicht, praktiziert werden. Es bestätigt, dass das Erste Jhāna nicht nur ein angenehmer Ruhezustand ist, sondern eine aktive Plattform für die Entwicklung befreiender Weisheit sein kann, indem die Natur der Erfahrung selbst zum Objekt der Einsicht gemacht wird.
- Quelle: https://suttacentral.net/an9.36
- Gebräuchlicher deutscher Titel: Die Vertiefungen / Die Jhānas.
Zusammenfassung und Ausblick
Das Erste Jhāna (Paṭhama Jhāna) ist ein fundamentaler und klar definierter meditativer Zustand im frühen Buddhismus. Es wird erreicht durch die Abgeschiedenheit von Sinnesvergnügen und unheilsamen Geisteszuständen (den Fünf Hindernissen) und ist gekennzeichnet durch die Anwesenheit der fünf Faktoren: vitakka (Hinwenden), vicāra (Verweilen), pīti (Verzückung), sukha (Glückseligkeit) und ekaggatā (Einspitzigkeit).
Es bildet den Einstieg in die Reihe der vier Rūpa-Jhānas und stellt die kanonische Verwirklichung der Rechten Konzentration (Sammā Samādhi) dar, des achten Glieds des Edlen Achtfachen Pfades.
Die Bedeutung des Ersten Jhāna geht jedoch über das Erreichen eines Zustands tiefer Ruhe und Glückseligkeit hinaus. Die Lehrreden des Buddha, insbesondere Texte wie MN 52 und AN 9.36, betonen, dass dieser gereinigte und stabile Geisteszustand eine entscheidende Grundlage für die Entwicklung von Einsicht (Vipassanā) bildet. Wenn die Erfahrung des Jhāna selbst oder die dadurch ermöglichte Klarheit genutzt wird, um die wahre Natur der Phänomene – ihre Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbsthaftigkeit – zu erkennen, wird das Jhāna zu einem kraftvollen Werkzeug auf dem Weg zur Befreiung vom Leiden (Nibbāna).
Ohne diese Verbindung zur Weisheit (paññā) bleibt die Jhāna-Erfahrung eine weltliche Errungenschaft mit begrenztem Nutzen auf dem Befreiungsweg.
Die in diesem Bericht vorgestellten Lehrreden aus dem Dīgha, Majjhima, Saṃyutta und Aṅguttara Nikāya bieten direkte Einblicke in die Lehren des Buddha über das Erste Jhāna und seine Rolle im Gesamtkontext der buddhistischen Praxis. Leserinnen und Leser, die ihr Verständnis vertiefen möchten, werden ermutigt, diese Texte auf SuttaCentral.net weiter zu erforschen. Die direkte Auseinandersetzung mit den Quellen ist ein unschätzbar wertvoller Schritt zur Klärung der Lehre und zur Inspiration der eigenen Praxis auf dem buddhistischen Weg.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- suttacentral.net: Hauptquelle für Sutta-Texte und Übersetzungen (DN 2, MN 39, MN 52, SN 45.8, AN 4.123, AN 9.36)
Weiter in diesem Bereich mit …
Zweites Jhāna (Dutiya)
Auf dieser zweiten Stufe vertieft sich die Sammlung, indem die gröberen mentalen Aktivitäten von Vitakka und Vicāra zur Ruhe kommen. Entdecke, wie hier innere Ruhe und Vertrauen (ajjhattaṁ sampasādanaṁ) entstehen und wie Verzückung (Pīti) und Glückseligkeit (Sukha) nun direkt „aus der Sammlung geboren“ (samādhijaṁ) sind, begleitet von stabiler Einspitzigkeit (Ekaggatā).