
Chanda (Wunsch, Neigung, Streben) im frühen Buddhismus
Ein Leitfaden, der den Pali-Begriff Chanda definiert und seine vielseitige Rolle im frühen Buddhismus beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
- Chanda: Definition und Facetten eines vielschichtigen Begriffs
- Chanda und Cetana: Wunsch als Triebkraft, Absicht als Tat
- Chanda in den Lehrreden des Palikanons
- Chanda im Kontext weiterer wichtiger Begriffe
- Fazit: Chanda als Schlüssel zum Verständnis des Pfades
- Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Einleitung: Die Bedeutung von Pali-Begriffen im Buddhismus
Das Studium des frühen Buddhismus erfordert ein präzises Verständnis seiner zentralen Terminologie, die hauptsächlich in der Pali-Sprache überliefert ist. Oberflächliche oder ungenaue Übersetzungen können die tiefgründigen Lehren des Buddha verzerren und zu fundamentalen Missverständnissen führen. Begriffe wie Chanda, die im Deutschen oft einfach als „Wunsch“ wiedergegeben werden, tragen im Pali eine vielschichtige Bedeutung, die je nach Kontext heilsame oder unheilsame Qualitäten annehmen kann. Eine differenzierte Betrachtung dieser Begriffe ist daher unerlässlich, um die Komplexität des Dhamma vollständig zu erfassen.
Dieser Bericht dient als strukturierter Leitfaden, der den Pali-Begriff Chanda umfassend definiert und seine vielseitige Rolle im frühen Buddhismus beleuchtet. Er richtet sich an deutschsprachige Laien, die bereits über Grundkenntnisse der Pali-Terminologie und der Struktur der Nikāyas verfügen. Ziel ist es, das Verständnis durch gezielte Verweise auf Originaltexte des Palikanons zu vertiefen. Gleichzeitig ist der Bericht so konzipiert, dass auch Leser ohne Vorkenntnisse einen Zugang zum Thema finden können, indem komplexe Konzepte klar und verständlich erläutert werden. Die Hauptquelle für alle zitierten und erwähnten Lehrreden ist Suttacentral.net, wobei Sutta-Nummer, Pali-Name und gebräuchlicher deutscher Name angegeben werden.
Chanda: Definition und Facetten eines vielschichtigen Begriffs
Der Pali-Begriff Chanda ist ein facettenreicher mentaler Faktor, dessen Bedeutung im Deutschen am besten mit „Wunsch“, „Neigung“ oder „Streben“ umschrieben werden kann. Weitere Übersetzungen umfassen „Absicht“, „Interesse“, „Wille zu handeln“, „Eifer“, „Impuls“ und „Entschlossenheit“. Im Rahmen der Abhidhamma-Lehren wird Chanda als einer der sechs gelegentlichen mentalen Faktoren (cetasika) identifiziert.
Ein entscheidendes Merkmal von Chanda ist seine ethische Variabilität. Im Gegensatz zu Begriffen wie Taṇhā (Gier/Durst) oder Lobha (Gier) und Rāga (Lust), die im Buddhismus ausnahmslos als unheilsam gelten, ist Chanda nicht von Natur aus heilsam oder unheilsam. Seine moralische Qualität wird vielmehr durch die mentalen Faktoren bestimmt, mit denen es verbunden ist. Diese grundlegende Nuancierung ist von großer Bedeutung, da sie das weit verbreitete Missverständnis korrigiert, der Buddhismus lehre die Ablehnung jeglichen Wunsches. Vielmehr wird zwischen konstruktiven und destruktiven Formen des Strebens unterschieden.
Heilsames Chanda (Kusala-Chanda oder Dhamma-Chanda)
Wenn Chanda mit Weisheit und Intelligenz einhergeht, manifestiert es sich als eine heilsame, förderliche Kraft. Ajahn Sucitto beschreibt es als ein „psychologisches Ja“, eine bewusste Wahl, die nicht als Pathologie zu verstehen ist. Er fasst die Dhamma-Schulung sogar als die Transformation von Taṇhā (klammerndes Verlangen) in Chanda zusammen. Ajahn Jayasāro hebt hervor, dass der Buddha zwei Arten von Wunsch unterschied: Taṇhā, das aus Unwissenheit und Täuschung entsteht, und Kusala-Chanda oder Dhamma-Chanda, das aus Weisheit entspringt und für jeden Fortschritt auf dem Edlen Achtfachen Pfad unerlässlich ist. Beispiele für heilsames Chanda im Pali-Kanon sind das Streben nach Rechtschaffenheit (dhammapadesu ch., SN 1.202), eifriger Wunsch oder Eifer (tibba ch., AN 1.229, AN 4.15) und der Wunsch nach heilsamen Zuständen (kusaladhamma ch., AN 3.441). Es wird oft in Verbindung mit anderen positiven Eigenschaften wie Anstrengung (vāyāma), Eifer (ussāha) und Ausdauer (ussoḷhi) genannt. Diese Form des Strebens ist eine entscheidende Triebfeder für die spirituelle Entwicklung.
Unheilsames Chanda (Akusala-Chanda)
In einem negativen Kontext nimmt Chanda die Bedeutung von „Begehren“ an und wird häufig mit Begriffen für „Sinnlichkeit“, „Gier“ oder „Lust“ verbunden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Kāmachanda (sinnliches Begehren), das als eines der fünf Hemmnisse (nīvaraṇa) die meditative Entwicklung und den spirituellen Fortschritt behindert. Ein weiterer unheilsamer Ausdruck ist Chanda-rāga (lüsterne Neigung), der die Verbindung von Chanda mit Rāga (Lust) hervorhebt und stets unheilsam ist. Auch Bhavachanda (Freude am Dasein) und Lokasmiṁ ch. (Verlangen nach der Welt) zählen zu den unheilsamen Formen. Wenn Chanda in dieser Qualität auftritt, kann es eine Wurzel des Leidens (mūlaṁ dukkhassa) sein und wird als Verunreinigung des Geistes (cittass‘ upakkileso) beschrieben. Die Befreiung von Chanda in diesem unheilsamen Sinne ist für das Erreichen der Arahantschaft notwendig.
Die dynamische Natur von Chanda
Chanda ist nicht lediglich ein passiver Wunschzustand, sondern eine aktive, zielgerichtete Triebkraft. Seine Charakteristik ist der „Wunsch zu handeln“ (kattu-kamatā), was als das „Ausstrecken der Hand des Geistes nach dem Objekt“ beschrieben wird. Seine Funktion ist das Suchen nach einem Objekt, seine Manifestation das Bedürfnis nach einem Objekt, und das Objekt selbst ist seine unmittelbare Ursache. Diese dynamische Qualität macht Chanda zu einem fundamentalen Antrieb für jegliche mentale und physische Aktivität, sei sie heilsam oder unheilsam. Es ist der primäre Impuls, der den Geist auf ein Ziel ausrichtet und Handlungen initiiert.
Chanda und Cetana: Wunsch als Triebkraft, Absicht als Tat
Die Begriffe Chanda und Cetanā werden im Deutschen oft beide mit „Absicht“ oder „Wille“ übersetzt, was zu Verwirrung führen kann. Obwohl sie eng miteinander verbunden sind, gibt es wichtige Nuancen in ihrer Bedeutung und Funktion, die für das Verständnis der buddhistischen Ethik und des Kamma-Prinzips entscheidend sind.
Cetana: Die Willensausrichtung als Kamma
Cetanā (Sanskrit: Cetanā) wird als „Absicht“, „Volition“, „Zweck“ oder „Wille“ übersetzt. Bhikkhu Bodhi glossiert Cetanā als den mentalen Faktor, der sich mit der Verwirklichung eines Ziels befasst, d.h. dem konativen oder voluntativen Aspekt der Kognition. Der Buddha selbst unterstreicht die zentrale Rolle von Cetanā für die Kamma-Lehre in der Nibbedhikasutta: „Ich nenne Absicht (Cetanā) die Tat (Kamma).“ (Cetanāhaṃ, bhikkhave, kammaṃ vadāmi, AN 6.63). Dies verdeutlicht, dass die moralische Qualität einer Handlung primär in der Absicht liegt, die ihr zugrunde liegt und deren karmische Konsequenzen bestimmt. Cetanā gehört zu den Geistesformationen (saṅkhārā) innerhalb der fünf Aggregate (khandhā) und kann, wie Chanda, heilsam (kusala) oder unheilsam (akusala) sein. Für Arahants (vollständig Erwachte) entsteht Cetanā nicht mehr im karmischen Sinne, da sie keine neuen Verdienste oder Sünden ansammeln, die zu weiterer Wiedergeburt führen würden.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Gemeinsamkeiten: Beide Begriffe sind mentale Faktoren, die mit dem Willen und der Ausrichtung des Geistes zu tun haben. Sie sind eng miteinander verbunden und können in bestimmten Kontexten überlappend erscheinen.
Unterschiede:
Chanda als Wunsch/Streben (Motivation): Chanda ist der Wunsch oder das Streben nach etwas, der Drang, etwas zu tun oder zu erreichen. Es ist die Motivation oder der Impuls, die den Geist auf ein Objekt oder Ziel hin ausstreckt. Es ist der „Wille, etwas zu tun“ (kattu-kāmatāy adhivacanaṁ).
Cetana als Absicht/Willensausrichtung (Akt der Volition): Cetanā ist die konkrete Willensentscheidung oder Volition, die eine Handlung tatsächlich initiiert und deren karmische Konsequenzen bestimmt. Es ist der aktive Aspekt des Wollens, der zur Tat wird.
Beziehung zueinander: Die moralische Qualität von Chanda wird oft durch die Cetanā bestimmt, mit der es verbunden ist. Umgekehrt kann Kusala-Chanda (heilsamer Wunsch) zu Kusala-Cetanā (heilsamer Absicht/Volition) führen. Dies zeigt eine wechselseitige Beeinflussung: Chanda gibt die Richtung vor, Cetanā setzt sie um und prägt die moralische Wirkung. Chanda kann als die treibende Kraft oder der Wunsch verstanden werden, der einer Handlung zugrunde liegt, während Cetanā die konkrete Willensausrichtung ist, die diese Handlung ausführt und somit ihre karmische Qualität bestimmt. Chanda motiviert, Cetanā realisiert.
Vorkommen bei Arahants: Ein wichtiger Unterschied ist, dass Cetanā bei Arahants nicht mehr im karmischen Sinne auftritt, da sie keine neuen Verdienste oder Sünden ansammeln. Chanda hingegen kann bei Arahants weiterhin vorhanden sein, insbesondere als heilsamer Wunsch oder Eifer für das Wohl anderer oder für die Aufrechterhaltung der Lehre. Dies verdeutlicht, dass Chanda eine grundlegendere, nicht unbedingt karmisch bindende Triebkraft sein kann, während Cetanā direkt mit der Schaffung von Kamma verbunden ist. Die Möglichkeit, dass Chanda in einem befreiten Geist existiert, zeigt, dass der Pfad nicht zu Apathie führt, sondern zu einer Transformation der Motivation, die frei von Anhaftung ist.
Tabelle 1: Vergleich von Chanda und Cetana
Merkmal | Chanda (Wunsch, Neigung, Streben) | Cetana (Absicht, Willensausrichtung) |
---|---|---|
Grundbedeutung | Impuls, Wunsch zu handeln, Streben nach einem Objekt | Volition, konkrete Absicht, aktiver Gedanke, der zur Tat wird |
Ethische Qualität | Ethisch variabel (heilsam oder unheilsam) | Heilsam oder unheilsam, bestimmt die moralische Qualität des Kamma |
Beziehung zu Kamma | Motiviert die Absicht, die Kamma erzeugt; kann selbst die Wurzel von Leiden sein | Ist die Tat (Kamma) selbst; bestimmt ihre karmischen Folgen |
Rolle im Pfad | Kann als heilsamer Eifer (kusala-chanda) Triebkraft für Fortschritt sein (Iddhipāda, Rechter Eifer) | Ist die Willensentscheidung, die zu heilsamen oder unheilsamen Handlungen führt |
Vorkommen bei Arahants | Kann vorhanden sein (als heilsamer, nicht-bindender Wunsch, z.B. zum Lehren) | Tritt nicht mehr im karmischen Sinne auf (keine Ansammlung von Verdiensten/Sünden) |
Chanda in den Lehrreden des Palikanons
Die Bedeutung von Chanda wird in zahlreichen Lehrreden des Pali-Kanons detailliert beleuchtet. Die folgenden Suttas bieten besonders aufschlussreiche Einblicke in seine verschiedenen Facetten und Rollen.
Dīgha Nikāya (DN) & Majjhima Nikāya (MN): Lehrreden, die Chanda beleuchten
MN 109: Mahāpuṇṇamasutta (Die große Vollmondnacht-Rede)
Diese Rede ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis des unheilsamen Aspekts von Chanda. Sie stellt explizit fest, dass die fünf Anhaftungsgruppen (pañcupādānakkhandhā) – Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewusstsein – in Chanda verwurzelt sind. Der Buddha präzisiert, dass es sich dabei um das „Verlangen und die Gier nach den fünf Anhaftungsgruppen“ handelt. Dies unterstreicht die fundamentale Rolle von unheilsamem Chanda als Ursache des Leidens und der Anhaftung, da es die Grundlage für die Identifikation mit den Aggregaten und somit für die Fortsetzung des Daseins bildet.
Quelle: Suttacentral.net, MN 109, Mahāpuṇṇamasutta.
MN 77: Mahā Sakuludāyi Sutta (Die große Rede an Sakuludāyin)
Diese Rede beleuchtet den heilsamen Aspekt von Chanda als notwendige Triebkraft für den spirituellen Pfad. Sie betont die Bedeutung von Chanda als Eifer und Motivation für den Rechten Eifer (sammā-vāyāma). Der Buddha erklärt hier explizit: „Wunsch (Chanda) ist sehr hilfreich für das Anstrengen. Wenn man keinen Wunsch hat, gibt es kein Anstrengen. Und wie man wünscht, so strengt man sich an. Daher ist Wunsch sehr hilfreich für das Anstrengen.“. Dies zeigt, wie kusala-chanda die Grundlage für die Anstrengung legt, unheilsame Zustände zu überwinden und heilsame zu entwickeln, und somit eine unverzichtbare Motivation für die Praxis darstellt.
Quelle: Suttacentral.net, MN 77, Mahā Sakuludāyi Sutta.
Saṃyutta Nikāya (SN): Das Saṃyutta der Geisteskräfte (Iddhipāda Saṃyutta)
SN 51: Iddhipāda Saṃyutta (Das Saṃyutta der Basen der Geisteskräfte)
Dieses gesamte Kapitel des Saṃyutta Nikāya ist den vier Basen der Geisteskräfte (iddhipāda) gewidmet, von denen Chanda (Eifer/Wille) die erste ist. Die Entwicklung dieser Basen ist entscheidend für die Erlangung spiritueller Kräfte und letztlich für die Befreiung.
SN 51.20: Vibhaṅgasutta (Analyse-Rede)
Innerhalb des Iddhipāda Saṃyutta bietet diese Rede eine detaillierte Anleitung zur Entwicklung von Chanda als Basis der Geisteskraft. Sie beschreibt, wie ein Mönch die „Basis der Geisteskraft entwickelt, die in Eifer (chanda) und aktiver Anstrengung (padhāna-saṅkhāra) verwurzelt ist“. Die Rede betont die Notwendigkeit, den Eifer ausgewogen zu halten: Er sollte „weder zu träge noch zu angespannt, weder innerlich eingeengt noch äußerlich zerstreut“ sein. Dies ist ein praktischer Leitfaden zur Kultivierung von Chanda im meditativen Kontext, der aufzeigt, wie dieser Eifer zu Konzentration (samādhi) und letztlich zur Befreiung führen kann.
Quelle: Suttacentral.net, SN 51.20, Vibhaṅgasutta.
Aṅguttara Nikāya (AN): Eine berühmte Lehrrede
AN 10.58: Mūlasutta (Die Wurzel-Rede)
Diese viel zitierte Rede ist von großer Bedeutung, da sie eine tiefgreifende Aussage über die fundamentale Natur von Chanda macht: „Alle Phänomene sind in Chanda verwurzelt.“ (kiṁmūlakā sabbe dhammā, chandamūlakā). Diese Aussage hebt Chanda zu einem universellen Prinzip empor, das als der grundlegende Antrieb für alle bedingten Phänomene, sowohl mentale als auch physische, verstanden werden kann. Die Rede führt weiter aus, dass Phänomene durch Aufmerksamkeit entstehen, Kontakt als Ursprung haben, auf Gefühl zusammenlaufen, Konzentration als Haupt haben, Achtsamkeit als Herrscher, Weisheit als Aufseher, Befreiung als Kern, Unsterblichkeit als Höhepunkt und Nibbāna als Endziel. Die Verknüpfung von Chanda als „Wurzel aller Phänomene“ (AN 10.58) und als Wurzel der „fünf Anhaftungsgruppen“ (MN 109) verdeutlicht seine zentrale Rolle im buddhistischen Verständnis von Existenz und Leid. Es ist der primäre Impuls, der die Entstehung und Aufrechterhaltung aller bedingten Phänomene antreibt. Dies zeigt, dass Chanda nicht nur ein mentaler Faktor ist, sondern ein fundamentales Prinzip in der buddhistischen Kosmologie des Leidens und der Befreiung.
Quelle: Suttacentral.net, AN 10.58, Mūlasutta.
Tabelle 2: Ausgewählte Lehrreden zu Chanda
Sammlung | Sutta-Nummer | Pali-Name | Deutscher Name | Relevanz für Chanda | Link (Suttacentral.net) |
---|---|---|---|---|---|
Majjhima Nikāya (MN) | MN 109 | Mahāpuṇṇamasutta | Die große Vollmondnacht-Rede | Chanda als Wurzel der fünf Anhaftungsgruppen (pañcupādānakkhandhā), Betonung des unheilsamen Aspekts der Anhaftung. | MN 109 |
Majjhima Nikāya (MN) | MN 77 | Mahā Sakuludāyi Sutta | Die große Rede an Sakuludāyin | Chanda als notwendige Triebkraft und Eifer (kusala-chanda) für den Rechten Eifer (sammā-vāyāma) und spirituellen Fortschritt. | MN 77 |
Saṃyutta Nikāya (SN) | SN 51 | Iddhipāda Saṃyutta | Das Saṃyutta der Basen der Geisteskräfte | Ein ganzes Kapitel, das Chanda als erste der vier Basen der Geisteskräfte für die Entwicklung übernatürlicher Fähigkeiten und Befreiung behandelt. | SN 51 |
Saṃyutta Nikāya (SN) | SN 51.20 | Vibhaṅgasutta | Analyse-Rede | Detaillierte Erklärung der Entwicklung von Chanda-samādhi (Konzentration basierend auf Eifer) und der Vermeidung von Extremen. | SN 51.20 |
Aṅguttara Nikāya (AN) | AN 10.58 | Mūlasutta | Die Wurzel-Rede | Berühmte und viel zitierte Rede, die besagt: „Alle Phänomene sind in Chanda verwurzelt.“ | AN 10.58 |
Chanda im Kontext weiterer wichtiger Begriffe
Das Verständnis von Chanda wird durch seine Verknüpfung mit anderen zentralen buddhistischen Begriffen weiter vertieft. Chanda ist kein isoliertes Konzept, sondern ein Schlüssel, der verschiedene Lehren über Leid, Befreiung und den Pfad miteinander verbindet.
Iddhipāda (Basen der Geisteskräfte):
Chanda ist die erste der vier Basen der Geisteskräfte (Iddhipāda), die für die Entwicklung von Konzentration (samādhi) und das Erreichen von Nibbāna entscheidend sind. Die anderen drei Basen sind Viriya (Anstrengung/Energie), Citta (Geistesentwicklung/Bewusstsein) und Vīmaṁsā (Untersuchung/Weisheit). Diese Faktoren sind Teil der 37 Qualitäten, die zur Erleuchtung führen (bodhipakkhiyā dhammā). Ihre Kultivierung ermöglicht es dem Praktizierenden, tiefere meditative Zustände zu erreichen und letztlich die Befreiung zu verwirklichen.
Nīvaraṇa (Hemmnisse):
Im Gegensatz zum heilsamen Chanda steht Kāmachanda (sinnliches Begehren) als eines der fünf Haupthindernisse, die den Geist trüben und die meditative Entwicklung massiv behindern. Die Überwindung von Kāmachanda ist eine Voraussetzung für das Eintreten in die jhānas (meditative Vertiefungen) und somit für den Fortschritt auf dem Pfad zur Befreiung.
Khandhā (Fünf Anhaftungsgruppen):
Wie bereits in der Mahāpuṇṇamasutta (MN 109) erläutert, sind die fünf Anhaftungsgruppen (Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewusstsein) in Chanda verwurzelt. Dies bedeutet, dass das Verlangen und die Gier nach diesen Aggregaten die Grundlage für Anhaftung (upādāna) und damit für Leid bilden. Die Anhaftung an die Khandhā ist der Mechanismus, durch den sich das Ich- und Mein-Machen manifestiert und der Kreislauf der Wiedergeburten aufrechterhalten wird.
Taṇhā (Durst/Gier):
Es ist entscheidend, Chanda von Taṇhā (Durst, Gier, Verlangen) abzugrenzen. Während Chanda ethisch variabel ist und auch heilsame Formen annehmen kann, ist Taṇhā immer unheilsam und wird als die Hauptursache des Leidens und des Kreislaufs der Wiedergeburten (saṁsāra) identifiziert. Taṇhā ist das klammernde Verlangen nach Sinnesfreuden, Dasein oder Nicht-Dasein, das zu immer neuen Existenzen führt. Die Dhamma-Schulung kann als die Transformation von Taṇhā in Chanda verstanden werden, indem die Energie des Verlangens von unheilsamen Objekten auf heilsame Ziele umgelenkt wird.
Lobha/Rāga (Gier/Lust):
Diese Begriffe sind, wie Taṇhā, stets unheilsam. Lobha bezeichnet Gier, während Rāga Lust oder Leidenschaft bedeutet. Oft bilden sie zusammengesetzte Begriffe wie Chanda-rāga, um lüsterne Neigung oder Gier auszudrücken, die als unheilsame Formen von Chanda gelten. Sie sind die Wurzeln unheilsamer Handlungen.
Sammā-vāyāma (Rechter Eifer):
Kusala-chanda ist die treibende Kraft hinter dem Rechten Eifer, einem Faktor des Edlen Achtfachen Pfades. Der Rechte Eifer umfasst die Anstrengung, unheilsame Zustände zu vermeiden und zu überwinden sowie heilsame Zustände zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Ohne den heilsamen Wunsch (Chanda) fehlt die Motivation für diese grundlegende Anstrengung auf dem Pfad.
Die umfassende Präsenz von Chanda in so vielen zentralen Doktrinen – sei es als Teil der Iddhipāda, als Hindernis (Kāmachanda), als Wurzel der Khandhā oder in Abgrenzung zu Taṇhā – verdeutlicht seine Rolle als ein Schlüsselkonzept, das verschiedene zentrale buddhistische Lehren miteinander verbindet. Sein Verständnis ist essenziell, um die Verflechtung der Lehren über Leid, Befreiung und den Pfad zu erfassen. Es zeigt, wie ein einziger mentaler Faktor je nach seiner Ausrichtung und seinem Objekt sowohl eine Ursache für Leid als auch eine Triebkraft für die Befreiung sein kann.
Fazit: Chanda als Schlüssel zum Verständnis des Pfades
Die Analyse des Pali-Begriffs Chanda offenbart seine duale Natur als eine potenziell karmisch bindende Kraft und gleichzeitig als eine befreiende Triebfeder im Buddhismus. Es ist nicht der Wunsch an sich, der Leid verursacht, sondern die Qualität und Ausrichtung dieses Wunsches. Während unheilsames Chanda, insbesondere in Form von Kāmachanda (sinnliches Begehren) oder Chanda-rāga (lüsterne Neigung), den Geist trübt und an den Kreislauf des Leidens bindet, ist heilsames Chanda (kusala-chanda) eine unverzichtbare Voraussetzung für spirituellen Fortschritt.
Die Fähigkeit, Chanda von Taṇhā (Gier/Durst) zu unterscheiden und die Energie des Verlangens von anhaftenden Objekten auf heilsame Ziele umzulenken, ist ein zentraler Aspekt der buddhistischen Praxis. Kusala-chanda ist die treibende Kraft hinter dem Rechten Eifer und eine der Basen der Geisteskräfte (Iddhipāda), die zur Entwicklung von Konzentration und zur letztendlichen Befreiung führen. Selbst bei Arahants, die keine neue Kamma-produzierende Absicht (Cetanā) mehr haben, kann ein befreites Chanda als reiner, wohlwollender Wunsch für das Wohl anderer oder die Aufrechterhaltung des Dhamma bestehen bleiben.
Das Studium der hier zitierten Lehrreden – insbesondere MN 109, MN 77, SN 51.20 und AN 10.58 – bietet interessierten Lesern einen tiefen Einblick in die vielschichtige Bedeutung von Chanda. Diese Texte verdeutlichen, wie dieser fundamentale mentale Faktor die gesamte Existenz durchdringt und wie seine bewusste Kultivierung oder Überwindung den Weg zu Nibbāna ebnet. Für Praktizierende des Dhamma ist das Verständnis und die Transformation von Chanda ein Schlüssel zur Verwirklichung des Pfades.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- Chanda (Buddhism) – Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Chanda_(Buddhism)
- Definitions for: chanda – SuttaCentral, https://suttacentral.net/define/chanda
- Chanda: Significance and symbolism – wisdomlib.org, https://www.wisdomlib.org/concept/chanda
- Significance of desire (chanda) in Theravada Buddhism – drarisworld – WordPress.com, https://drarisworld.wordpress.com/2024/08/20/significance-of-desire-chanda-in-theravada-buddhism/
- What is Chanda and Tanha in Buddhism? – Dhamma Wheel Buddhist Forum, https://www.dhammawheel.com/viewtopic.php?t=8781
- What is the difference and relation between chanda and cetana? – Q & A – SuttaCentral, https://discourse.suttacentral.net/t/what-is-the-difference-and-relation-between-chanda-and-cetana/13906
- Iddhipada – Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Iddhipada
- Bodhipakkhiyādhammā – Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Bodhipakkhiy%C4%81dhamm%C4%81
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