
Saṅkhāra (Geistesformationen): Definition, Kontext und Lehrreden im Palikanon
Ein vielschichtiger Schlüsselbegriff des Buddhismus verstehen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Saṅkhāra – Ein vielschichtiger Schlüsselbegriff im Buddhismus
- Definition und Erklärung von Saṅkhāra
- Saṅkhāra im Kontext zentraler Lehrkonzepte
- Vertiefung: Arten von Saṅkhāra
- Transformation statt bloßer Eliminierung
- Saṅkhāra in den Lehrreden (Suttas): Ausgewählte Textstellen
- Zusammenfassung und Ausblick: Die Bedeutung des Verstehens von Saṅkhāra
- Anhang: Quellenverzeichnis der zitierten Lehrreden
- Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
1. Einleitung: Saṅkhāra – Ein vielschichtiger Schlüsselbegriff im Buddhismus
Der Pali-Begriff Saṅkhāra nimmt eine zentrale Stellung in der Lehre des Buddha ein und ist für das Verständnis von zentralen Konzepten wie Leid (dukkha), dessen Entstehung und dessen Aufhebung unerlässlich. Er gehört zu den Begriffen, deren volle Bedeutung sich oft erst durch die Betrachtung verschiedener Kontexte erschließt und dessen Übersetzung ins Deutsche eine Herausforderung darstellt. Es gibt keine einzelne deutsche Entsprechung, die die gesamte Bandbreite von Saṅkhāra abdeckt. Gängige Übersetzungen umfassen „Formationen“, „Geistesformationen“, „Willensregungen“, „Gestaltungen“, „Konstruktionen“, „Bedingtes“ oder „Prozesse“. Jede dieser Übersetzungen beleuchtet einen Aspekt, kann aber bei isolierter Betrachtung zu einem unvollständigen Verständnis führen.
Die Komplexität des Begriffs ergibt sich aus seiner Anwendung in unterschiedlichen Lehrzusammenhängen, insbesondere als eines der Fünf Aggregate (Pañca Khandhā) und als zweites Glied in der Kette des Bedingten Entstehens (Paticcasamuppāda). Ein tieferes Verständnis von Saṅkhāra ist daher sowohl für beginnende als auch für fortgeschrittene Studierende des Buddhismus von großer Bedeutung, da es Einblicke in die Natur der Wirklichkeit (Anicca, Dukkha, Anattā), die Funktionsweise von Kamma und den Weg zur Befreiung (Nibbāna) ermöglicht.
Dieser Bericht zielt darauf ab, eine klare Definition und Erklärung von Saṅkhāra zu bieten, seine Rolle in den genannten Lehrkonzepten zu beleuchten und spezifische Lehrreden (Suttas) aus den Hauptsammlungen des Palikanons (Dīgha Nikāya, Majjhima Nikāya, Samyutta Nikāya, Aṅguttara Nikāya) vorzustellen, die diesen Begriff zentral behandeln oder erklären. Ziel ist es, interessierten Lesern den Begriff mit Bedeutung zu füllen und ihnen Verweise auf die Originaltexte an die Hand zu geben, um ihr Verständnis zu vertiefen.
2. Definition und Erklärung von Saṅkhāra
Etymologie und Grundbedeutung
Das Wort Saṅkhāra leitet sich etymologisch aus der Vorsilbe saṃ („zusammen“, „gemeinsam“) und der Wurzel kar („machen“, „tun“) ab. Wörtlich bedeutet es daher so viel wie „Zusammen-Machen“, „Gemeinsam-Wirken“, „das, was zusammenfügt“ oder „das, was zusammengefügt wurde“. Diese Herkunft deutet bereits auf eine grundlegende Dualität im Begriff hin: Saṅkhāra kann sowohl den Prozess des Formens und Bedingens als auch das Resultat dieses Prozesses, das Geformte und Bedingte, bezeichnen.
Die duale Bedeutung: Passiv vs. Aktiv
Die vielleicht wichtigste Unterscheidung für das Verständnis von Saṅkhāra liegt in seiner passiven und aktiven Bedeutung:
- Passive Bedeutung: Bedingte Phänomene (Saṅkhata)
In seiner weitesten und häufigsten passiven Bedeutung bezieht sich Saṅkhāra auf alles Bedingte, Geformte, Zusammengesetzte – auf alle Phänomene, die durch das Zusammentreffen von Ursachen und Bedingungen entstanden sind (saṅkhata). In diesem Sinne umfasst Saṅkhāra die Gesamtheit der empirischen Welt, sowohl materielle als auch geistige Erscheinungen. Alles, was entsteht und vergeht, von einem Baum oder einer Wolke bis hin zu einem Menschen, einem Gedanken oder einem Molekül, kann als Saṅkhāra bezeichnet werden. Diese Bedeutung findet sich prominent in den bekannten Aussagen über die drei Daseinsmerkmale: „Sabbe saṅkhārā aniccā“ – „Alle Formationen (bedingten Dinge) sind vergänglich“ und „Sabbe saṅkhārā dukkhā“ – „Alle Formationen (bedingten Dinge) sind leidhaft/unbefriedigend“. Diese Sätze, oft im Kontext von DN 16 (Mahāparinibbānasutta) zitiert, unterstreichen die universelle Natur von Unbeständigkeit und Leidhaftigkeit, die allem bedingt Entstandenen innewohnt. - Aktive Bedeutung: Willensregungen/Formationen (Abhisaṅkhāra, Cetanā, Kamma)
In seiner aktiven Bedeutung bezeichnet Saṅkhāra die formende, gestaltende Kraft des Geistes, insbesondere die karmisch wirksamen Willensregungen (cetanā). Diese werden als „Willensformationen“ bezeichnet, weil sie einerseits durch Willensakte geformt werden und andererseits selbst die Ursache für zukünftige Willensakte und deren karmische Folgen (kamma vipāka) sind. In diesem spezifischen, aktiven Sinn ist Saṅkhāra praktisch synonym mit Kamma: Es sind die absichtsvollen Handlungen des Körpers (kāya-kamma), der Sprache (vacī-kamma) und des Geistes (mano-kamma), die Wiedergeburt erzeugen und die Umstände zukünftiger Existenzen prägen. Diese Formationen sind „durch Absicht zusammengebraut“ oder „konstruiert“. Bhikkhu Sujatos Übersetzung als „Wahl“ (choice) unterstreicht die ethische Dimension und die Handlungsfähigkeit, die in diesem Aspekt von Saṅkhāra liegt – es ist ein bewusster oder unbewusster Akt, der Konsequenzen hat.
Das Zusammenspiel von aktivem und passivem Saṅkhāra
Das Verständnis des Buddhismus über den Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra) basiert wesentlich auf dem dynamischen Zusammenspiel dieser beiden Bedeutungen von Saṅkhāra. Die aktiven, willentlichen Formationen (Saṅkhāra als Kamma), angetrieben durch Unwissenheit (avijjā) und Begehren (taṇhā), erschaffen und formen kontinuierlich die bedingte Realität, die wir erfahren – die fünf Aggregate, unsere physische und psychische Existenz (Saṅkhāra im passiven Sinn als saṅkhata). Diese geschaffene, bedingte Realität wiederum bildet die Grundlage und den Nährboden für neue Willensregungen und Handlungen. Die Lehrrede SN 22.79 formuliert diese Verbindung explizit: Die Willensformationen (saṅkhārā) „formen das Bedingte“ (saṅkhatam abhisaṅkharonti), und dieses Bedingte umfasst eben die fünf Aggregate, einschließlich der Willensformationen selbst. Dieser Kreislauf – in dem unsere Handlungen die Welt gestalten, die wir erfahren, und diese erfahrene Welt unsere zukünftigen Handlungen bedingt – ist der Motor, der saṃsāra am Laufen hält. Die passive Bedeutung von Saṅkhāra verweist auf das Resultat dieses Prozesses (eine vergängliche, unbefriedigende Existenz), während die aktive Bedeutung auf die Ursache in unserem eigenen Geist verweist (Willensakte, die in Unwissenheit wurzeln).
3. Saṅkhāra im Kontext zentraler Lehrkonzepte
Die Bedeutung von Saṅkhāra erschließt sich weiter durch seine Einbindung in zwei fundamentale Lehrgebäude des frühen Buddhismus: die Fünf Aggregate (Pañca Khandhā) und das Bedingte Entstehen (Paticcasamuppāda).
Als viertes Aggregat (Saṅkhārakkhandha)
Die Lehre von den Fünf Aggregaten (Pañca Khandhā) ist die buddhistische Analyse der Bausteine, aus denen sich unsere gesamte subjektive Erfahrung zusammensetzt und die fälschlicherweise oft für ein beständiges „Selbst“ oder eine „Seele“ gehalten werden. Diese fünf Gruppen sind: Form/Körperlichkeit (rūpa), Gefühl/Empfindung (vedanā), Wahrnehmung/Erkennung (saññā), (Geistes-)Formationen (saṅkhāra) und Bewusstsein (viññāṇa).
Das vierte Aggregat, Saṅkhārakkhandha, umfasst eine Vielzahl von geistigen Faktoren (cetasika) und Willensregungen, mit Ausnahme von Gefühl (vedanā) und Wahrnehmung (saññā), die eigene Aggregate bilden. Es repräsentiert die gestaltenden, intentionalen und reaktiven Aktivitäten des Geistes. Dazu gehören ethisch variable Faktoren wie Aufmerksamkeit (manasikāra), Wille/Absicht (cetanā), Energie (viriya), Konzentration (samādhi), aber auch spezifisch heilsame Zustände wie Großzügigkeit (cāga), Nicht-Hass/Liebe (adosa/mettā) und Weisheit (paññā) sowie unheilsame Zustände wie Gier (lobha), Hass (dosa) und Verblendung (moha).
Hier zeigt sich die direkte Verbindung zur aktiven Bedeutung von Saṅkhāra: Das Saṅkhārakkhandha ist der Ort, an dem die karmisch relevanten Entscheidungen, Absichten und Willensimpulse entstehen und wirksam werden. Es ist das Aggregat, das am unmittelbarsten mit der Erzeugung von Kamma verbunden ist.
Wie die anderen Aggregate unterliegt auch Saṅkhārakkhandha dem Anhaften (upādāna). Das Konzept der Pañcupādānakkhandhā – der fünf Aggregate, die Gegenstand des Anhaftens sind – betont, dass unser Leiden entsteht, weil wir an diesen vergänglichen und unpersönlichen Prozessen festhalten, uns mit ihnen identifizieren und sie begehren (taṇhā).
Eine zentrale Lehrrede zur Definition des Saṅkhārakkhandha ist SN 22.79 (Khajjanīyasutta / Verschlungen werden). Sie definiert das Aggregat nicht durch Aufzählung, sondern durch seine Funktion: „Saṅkhatamabhisaṅkharontīti kho, bhikkhave, tasmā ‘saṅkhārā’ti vuccati.“ – „Weil sie das Bedingte formen/konstruieren, Mönche, deshalb werden sie ‚Formationen‘ genannt.“. Diese Definition verbindet auf eindringliche Weise das Aggregat als Bestandteil der Erfahrung mit dem aktiven Prozess der karmischen Gestaltung (abhisaṅkharoti), der die bedingte Realität (saṅkhata) – einschließlich der anderen Aggregate – hervorbringt. Das Sutta verwendet das Bild des „Verschlungenwerdens“, um zu illustrieren, wie wir leiden, wenn wir uns mit diesen vergänglichen Aggregaten identifizieren und an ihnen haften.
Im Bedingten Entstehen (Paticcasamuppāda)
Das Bedingte Entstehen (Paticcasamuppāda) ist das Kernstück der buddhistischen Lehre über Ursache und Wirkung, das erklärt, wie Leiden (dukkha) entsteht und wie es durch das Aufheben seiner Bedingungen beendet werden kann. Es beschreibt eine Kette von zwölf Gliedern, die sich gegenseitig bedingen.
Saṅkhāra bildet das zweite Glied dieser Kette, unmittelbar bedingt durch Unwissenheit (avijjā): „Avijjā paccayā saṅkhārā“ – „Mit Unwissenheit als Bedingung entstehen Formationen.“. Die Saṅkhārā, die hier gemeint sind, sind spezifisch die karmisch wirksamen Willensformationen – Handlungen von Körper, Rede und Geist – die aus einem grundlegenden Nichtverstehen der Vier Edlen Wahrheiten und der wahren Natur der Phänomene (Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit, Nicht-Selbst) resultieren.
Diese durch Unwissenheit bedingten Formationen wiederum bilden die Bedingung für das Entstehen von Bewusstsein (viññāṇa), insbesondere des Wiedergeburtsbewusstseins: „Saṅkhāra paccayā viññāṇaṃ“ – „Mit Formationen als Bedingung entsteht Bewusstsein.“. Die karmische Qualität (heilsam, unheilsam, unerschütterlich) dieser Saṅkhārā bestimmt die Art und den Bereich der nachfolgenden Wiedergeburt, in dem das Bewusstsein Fuß fasst.
Die Standarddefinition von Saṅkhāra im Kontext des Paticcasamuppāda findet sich in SN 12.2 (Vibhaṅgasutta / Analyse). Dort heißt es: „Und was, Mönche, sind die Formationen? Es gibt diese drei Arten von Formationen: körperliche Formation (kāya-saṅkhāra), sprachliche Formation (vacī-saṅkhāra), geistige Formation (citta-saṅkhāra).“. Hierbei handelt es sich klar um die willentlichen, Kamma erzeugenden Handlungen, die durch Körper, Sprache und Geist ausgeführt werden, angetrieben durch Unwissenheit.
Die Bedeutung des Kontexts
Die unterschiedlichen Definitionen von Saṅkhāra in SN 22.79 (als Aggregat, definiert durch seine Funktion des Konstruierens), SN 12.2 (als Glied im Bedingten Entstehen, definiert durch die drei Handlungsarten) und, wie wir sehen werden, in MN 44 (im Kontext der Meditation) machen deutlich: Der Begriff Saṅkhāra ist polysem, seine spezifische Bedeutung hängt entscheidend vom jeweiligen Lehrkontext ab. Es ist daher unerlässlich, bei der Interpretation darauf zu achten, welcher Aspekt von Saṅkhāra gerade thematisiert wird: das Aggregat der vielfältigen Geistesfaktoren, der karmische Motor der Wiedergeburt, die Gesamtheit aller bedingten Phänomene oder die subtilen Prozesse in der Meditation. Eine rigide Anwendung einer einzigen Definition auf alle Kontexte führt unweigerlich zu Verwirrung und Missverständnissen, beispielsweise wenn versucht wird, die meditative Bedeutung aus MN 44 direkt auf das zweite Glied des Paticcasamuppāda zu übertragen.
4. Vertiefung: Arten von Saṅkhāra
Die verschiedenen Kontexte, in denen Saṅkhāra verwendet wird, führen zu unterschiedlichen Klassifikationen des Begriffs.
Nach Handlungsart (Körper, Rede, Geist)
Diese Dreiteilung ist die häufigste und findet sich in zwei Hauptkontexten mit unterschiedlicher Bedeutung:
- Im Kontext von Kamma und Paticcasamuppāda (z.B. SN 12.2):
- Kāya-saṅkhāra: Körperliche Willenshandlung (z.B. eine Tat ausführen).
- Vacī-saṅkhāra: Sprachliche Willenshandlung (z.B. bewusst lügen oder die Wahrheit sprechen).
- Citta-saṅkhāra (oder Mano-saṅkhāra): Geistige Willenshandlung (z.B. Gier oder Mitgefühl hegen).
Diese beziehen sich auf die Kamma erzeugenden Absichten und die daraus resultierenden Handlungen. Mano-saṅkhāra können dabei auch unbewusster oder automatischer Natur sein, basierend auf tiefsitzenden Neigungen (gati), während Vacī- und Kāya-saṅkhāra oft bewusster gesteuert werden.
- Im Kontext der Meditation und Beruhigung des Geistes (z.B. MN 44):
- Kāya-saṅkhāra: Ein- und Ausatmung. Der Atem wird als körperlicher Prozess betrachtet, der mit dem Körper verbunden ist und dessen Beruhigung zur körperlichen Stille führt.
- Vacī-saṅkhāra: Gedankliches Erfassen und Untersuchen (vitakka-vicāra). Diese geistigen Aktivitäten gehen der Sprache voraus und werden als „sprachliche“ oder „verbale“ Prozesse bezeichnet, da sie die Grundlage für das Sprechen bilden. Ihre Beruhigung führt zur Stille der Sprache und des diskursiven Denkens.
- Citta-saṅkhāra: Wahrnehmung und Gefühl (saññā-vedanā). Diese grundlegenden geistigen Funktionen sind untrennbar mit dem Geist (citta) verbunden. Ihre Beruhigung in der tiefsten Meditationsebene, der sogenannten „Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl“ (nirodha-samāpatti), führt zur vollständigen Stilllegung aller geistigen Aktivitäten.
Diese Definitionen in MN 44 beschreiben also subtile Ebenen körperlicher und geistiger Aktivität, deren fortschreitende Beruhigung den Weg in tiefe meditative Zustände (jhāna) und schließlich zur zeitweiligen Aufhebung aller Bewusstseinsaktivitäten (nirodha-samāpatti) kennzeichnet.
Nach ethischer Qualität
Die karmisch wirksamen Saṅkhārā (im aktiven Sinn) werden oft nach ihrer ethischen Qualität und ihren Konsequenzen unterschieden:
- Heilsam (Puñña), Unheilsam (Apuñña), Unerschütterlich (Āneñja): Diese Klassifikation findet sich häufig im Zusammenhang mit Paticcasamuppāda und Kamma.
- Puññābhisaṅkhāra: Verdienstvolle, heilsame Formationen. Dies sind Willensakte und Handlungen, die frei von Gier, Hass und Verblendung sind (z.B. Großzügigkeit, ethisches Verhalten, liebevolle Güte). Sie führen zu angenehmen Wiedergeburten in den Sinneswelten oder den feinkörperlichen Brahma-Welten.
- Apuññābhisaṅkhāra: Nachteilige, unheilsame Formationen. Dies sind Willensakte und Handlungen, die von Gier, Hass oder Verblendung motiviert sind (z.B. Töten, Stehlen, Lügen). Sie führen zu leidvollen Wiedergeburten in niederen Daseinsbereichen.
- Āneñjābhisaṅkhāra: Unerschütterliche Formationen. Diese entstehen durch die Meisterung der formlosen Vertiefungen (arūpa-jhāna) und führen zur Wiedergeburt in den formlosen Welten.
- Schädlich (Sabyābajjha), Erfreulich (Abyābajjha), Gemischt: Die Lehrrede AN 3.23 verwendet diese Klassifikation, um die unmittelbare Qualität der Handlung (Wahl) und ihre langfristigen Folgen zu beschreiben. Schädliche Handlungen (körperlich, sprachlich, geistig) führen zu einer Wiedergeburt in einer schädlichen Welt mit schmerzhaften Kontakten und Gefühlen (wie in den Höllen). Erfreuliche Handlungen führen zu einer Wiedergeburt in einer erfreulichen Welt mit angenehmen Kontakten und glückseligen Gefühlen (wie bei den Göttern der strahlenden Schönheit, Subhakiṇha). Gemischte Handlungen führen zu einer Wiedergeburt in einer gemischten Welt mit sowohl angenehmen als auch unangenehmen Erfahrungen (wie bei Menschen oder bestimmten Götterklassen).
Nach Bewusstheit und Absicht
Weitere Unterscheidungen betreffen den Grad der Bewusstheit und Absicht hinter den Formationen:
- Spontan (asaṅkhārika) vs. Angeregt (sasankhārika): Manche Geisteszustände und Handlungen entstehen spontan aus tief verwurzelten Neigungen, während andere bewusst angestoßen oder mit Anstrengung ausgeführt werden.
- Karmisch neutral vs. Karmisch wirksam: Nicht jede Handlung oder jeder Gedanke hat karmische Konsequenzen. Alltägliche, neutrale Absichten (z.B. die Absicht, einkaufen zu gehen) sind von jenen Saṅkhārā zu unterscheiden, die tief in heilsamen oder unheilsamen Wurzeln (Nicht-Gier/Gier, Nicht-Hass/Hass, Nicht-Verblendung/Verblendung) verankert sind und somit karmische Früchte tragen.
- Abhisaṅkhāra: Dieser Begriff bezeichnet besonders starke, intentional geformte Formationen, die das Potenzial haben, eine neue Wiedergeburt maßgeblich zu gestalten.
5. Transformation statt bloßer Eliminierung
Obwohl das Endziel des buddhistischen Pfades, Nibbāna, als das „Zur-Ruhe-Kommen aller Formationen“ (sabba-saṅkhāra-samatha) beschrieben wird, bedeutet der Weg dorthin nicht einfach die passive Eliminierung aller geistigen Aktivitäten. Vielmehr beinhaltet der Edle Achtfache Pfad die aktive Kultivierung heilsamer Formationen (kusalā saṅkhārā). Faktoren wie Rechte Gesinnung (sammā saṅkappa) und Rechte Anstrengung (sammā vāyāma) sind selbst Teil des Saṅkhārakkhandha. Die Lehre betont die Notwendigkeit, unheilsame Dispositionen zu reinigen und durch heilsame zu ersetzen, anstatt sie gänzlich auszulöschen, da unsere Dispositionen unsere Perspektive und unser Handeln prägen. AN 1.57 stellt fest, dass heilsame Qualitäten (kusalā dhammā) der Absicht (mano) folgen. Der Pfad ist also ein Prozess der Transformation, bei dem durch Weisheit (paññā), Ethik (sīla) und Geistessammlung (samādhi) die unheilsamen, saṃsāra-treibenden Saṅkhārā untergraben und durch heilsame ersetzt werden, bis schließlich alle bedingten Formationen transzendiert werden und das Unbedingte (asaṅkhata) erreicht wird.
6. Saṅkhāra in den Lehrreden (Suttas): Ausgewählte Textstellen
Um das Verständnis von Saṅkhāra zu vertiefen, ist es hilfreich, sich direkt mit den Lehrreden des Buddha zu beschäftigen. Die folgende Auswahl stellt einige Suttas aus den vier Haupt-Nikāyas vor, in denen Saṅkhāra eine zentrale Rolle spielt oder wichtige Definitionen gegeben werden. Die Referenzen folgen der Zählung und den Pali-Titeln von SuttaCentral.net. Die deutschen Titel können variieren. Es ist wichtig zu erkennen, dass diese Suttas den Begriff Saṅkhāra aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten und sich gegenseitig ergänzen. MN 44 fokussiert auf die meditative Erfahrung, MN 120 auf den Mechanismus der willentlichen Wiedergeburt, SN 12.2 auf die kausale Rolle im Bedingten Entstehen, SN 22.79 auf die Funktion als Aggregat, AN 3.23 auf die ethischen Konsequenzen und DN 16 auf die universelle Natur des Bedingtseins. Ein umfassendes Verständnis entsteht erst durch die Integration dieser verschiedenen Perspektiven.
Dīgha Nikāya (DN):
- DN 16: Mahāparinibbānasutta (Die Große Lehrrede vom Erlöschen): Enthält die berühmten letzten Worte des Buddha: „Handa’dāni, bhikkhave, āmantayāmi vo: Vayadhammā saṅkhārā, appamādena sampādethā’ti.“ – „Nun denn, Mönche, ermahne ich euch: Hinfällig (von der Natur des Vergehens) sind alle Formationen (alle bedingten Dinge), strebt wachsam (mit Nicht-Nachlässigkeit)!“. Dies ist eine eindringliche Erinnerung an die universelle Vergänglichkeit (anicca) aller bedingten Phänomene (saṅkhāra im passiven Sinn).
Majjhima Nikāya (MN):
- MN 44: Cūḷavedallasutta (Kleine Lehrrede mit Fragen und Antworten): Entscheidend für das Verständnis der Dreiteilung kāya-, vacī-, citta-saṅkhāra im spezifischen Kontext der Meditation. Erklärt sie als Atem (körperlich), gedankliches Erfassen und Untersuchen (sprachlich/verbal) und Wahrnehmung/Gefühl (geistig).
- MN 120: Saṅkhārupapattisutta (Lehrrede über das Entstehen gemäß den Formationen): Illustriert eindrücklich die aktive, Kamma erzeugende Bedeutung von Saṅkhāra. Beschreibt, wie die bewusste Kultivierung bestimmter geistiger Qualitäten und Aspirationen (saṅkhāra als Willensentschluss) zu spezifischer Wiedergeburt führt.
Samyutta Nikāya (SN):
- SN 12: Nidāna Saṃyutta (Kapitel über Ursachen): Gesamtes Kapitel zum Bedingten Entstehen (Paticcasamuppāda), Hauptquelle für Saṅkhāra als dessen zweites Glied.
- SN 12.2: Vibhaṅgasutta (Analyse): Maßgebliche Definition von Saṅkhāra im Paticcasamuppāda: die drei Arten von Willensformationen (körperlich, sprachlich, geistig) als durch Unwissenheit bedingte, Kamma erzeugende Handlungen.
- SN 22: Khandha Saṃyutta (Kapitel über die Aggregate): Konzentriert sich auf die Fünf Aggregate.
- SN 22.79: Khajjanīyasutta (Verschlungen werden): Definiert das Saṅkhārakkhandha (4. Aggregat) funktional: „Formationen formen/konstruieren das Bedingte“ (Saṅkhatamabhisaṅkharonti).
- SN 22.56: (Parivīmaṁsanasutta / Untersuchung): Definiert das Saṅkhārakkhandha alternativ durch Aufzählung der sechs Arten von Willensregungen (cha cetanākāyā) bezogen auf die sechs Sinnesobjekte.
Aṅguttara Nikāya (AN):
- AN 3.23: (Titel unsicher, evtl. Saṅkhārasutta? / Lehrrede über Formationen?): Klassifiziert Saṅkhāra (Handlungen/Wahlen) als schädlich, erfreulich oder gemischt und beschreibt deren Wiedergeburtsfolgen.
- AN 1.56-57: Zwei kurze Suttas, die feststellen, dass alle unheilsamen bzw. heilsamen Phänomene (akusalā/kusalā dhammā) von der Absicht/dem Geist (mano) angeführt werden (manopubbaṅgamā).
Diese Beispiele zeigen, wie die Suttas verschiedene Facetten von Saṅkhāra beleuchten und erst in ihrer Gesamtheit ein vollständiges Bild ergeben.
7. Zusammenfassung und Ausblick: Die Bedeutung des Verstehens von Saṅkhāra
Saṅkhāra erweist sich als ein tiefgreifender und vielschichtiger Begriff im Herzen der buddhistischen Lehre. Er bezeichnet einerseits die Gesamtheit aller bedingten, zusammengesetzten Phänomene, die der universellen Gesetzmäßigkeit von Vergänglichkeit (anicca) und Leidhaftigkeit (dukkha) unterliegen. Andererseits verweist Saṅkhāra auf die aktiven, gestaltenden Kräfte des Geistes – die Willensformationen (cetanā), die synonym mit Kamma sind. Diese aus Unwissenheit (avijjā) geborenen Willensakte sind es, die unsere Erfahrung formen, den Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra) antreiben und unser Leiden perpetuieren.
Das Verständnis dieses dynamischen Zusammenspiels – wie unsere geistigen Formationen die bedingte Realität erschaffen, die wiederum unsere zukünftigen Formationen beeinflusst – ist zentral für die Einsicht in die Entstehung von Leiden und den Weg zu seiner Beendigung. Es enthüllt, wie wir durch unsere eigenen mentalen Prozesse und willentlichen Entscheidungen aktiv an der Konstruktion unserer Realität und unseres Leidens beteiligt sind.
Dieses Verständnis hat tiefgreifende praktische Implikationen. Es motiviert zu ethischem Handeln (sīla) und zur achtsamen Kultivierung heilsamer Geisteszustände (kusala dhamma), da wir erkennen, dass unsere Absichten und Handlungen direkte Konsequenzen haben. Der buddhistische Pfad zielt darauf ab, die unheilsamen Willensformationen (akusalā saṅkhārā), die in Gier, Hass und Verblendung wurzeln, durch die Entwicklung von Weisheit (paññā), Mitgefühl (karuṇā) und Nicht-Anhaften zu transformieren und letztlich aufzugeben. Das Endziel, Nibbāna, wird als das endgültige Zur-Ruhe-Kommen aller Formationen (sabba-saṅkhāra-samatha) beschrieben – die Befreiung von der Bedingtheit selbst, das Erreichen des Unbedingten (asaṅkhata). Das Verständnis von Saṅkhāra ist somit kein rein intellektuelles Unterfangen, sondern ein Schlüssel zur praktischen Umsetzung des Befreiungsweges.
8. Anhang: Quellenverzeichnis der zitierten Lehrreden
Die folgende Tabelle listet ausgewählte Lehrreden (Suttas) auf, die für das Verständnis des Begriffs Saṅkhāra besonders relevant sind, mit Verweisen auf SuttaCentral.net für weiterführende Studien.
Nikāya | Sutta (Nummer, Pali-Titel, Gebräuchlicher Deutscher Titel) | Kurze Beschreibung der Relevanz für Saṅkhāra | Link (SuttaCentral) |
---|---|---|---|
DN | DN 16: Mahāparinibbānasutta (Die Große Lehrrede vom Erlöschen) | Enthält die Aussage „Vayadhammā saṅkhārā…“ (Vergänglichkeit aller Formationen/bedingten Dinge) bei Buddhas Abschied. | suttacentral.net/dn16 |
MN | MN 44: Cūḷavedallasutta (Kleine Lehrrede mit Fragen und Antworten) | Definiert kāya-, vacī-, citta-saṅkhāra im spezifischen Kontext der Meditation (Atem, Denken/Erfassen, Wahrnehmung/Gefühl). | suttacentral.net/mn44 |
MN | MN 120: Saṅkhārupapattisutta (Lehrrede über das Entstehen gemäß den Formationen) | Erklärt, wie absichtsvolle Saṅkhāra (Willensentschlüsse, Wahlen), verbunden mit Tugenden, zu spezifischer Wiedergeburt führen (Kamma-Wirkung). | suttacentral.net/mn120 |
SN | SN 12.2: Vibhaṅgasutta (Analyse) | Definiert Saṅkhāra als 2. Glied im Bedingten Entstehen: körperliche, sprachliche, geistige Willensformationen (Kamma), bedingt durch Avijjā. | suttacentral.net/sn12.2 |
SN | SN 22.79: Khajjanīyasutta (Verschlungen werden / Being Devoured) | Definiert das Saṅkhārakkhandha (4. Aggregat) funktional: „Formationen formen/konstruieren das Bedingte (saṅkhata)“. | suttacentral.net/sn22.79 |
AN | AN 3.23: (Titel unsicher, evtl. Saṅkhārasutta? / Lehrrede über Formationen?) | Klassifiziert Saṅkhāra (Handlungen/Wahlen) als schädlich, erfreulich oder gemischt und beschreibt deren jeweilige Wiedergeburtsfolgen. | suttacentral.net/an3.23 |
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- Wikipedia (en.wikipedia.org)
- Wisdom Library (www.wisdomlib.org)
- Access to Insight (www.accesstoinsight.org)
- SuttaCentral Discourse (discourse.suttacentral.net)
- Dhamma Wiki (www.dhammawiki.com)
- SuttaCentral (suttacentral.net)
- Dhamma Wheel Buddhist Forum (www.dhammawheel.com)
- Ñāṇavīra Thera Dhamma Page (www.nanavira.org)
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Viññāṇa (Bewusstsein)
Das fünfte Aggregat ist Viññāṇa, das Bewusstsein. Es ist das grundlegende Gewahrsein, das momentane „Wissen“, das entsteht, wenn ein Sinnesorgan auf ein Objekt trifft. Verstehe hier, warum Viññāṇa im Buddhismus nicht als feste Seele oder dauerhaftes Selbst gesehen wird, sondern als ein abhängiger, flüchtiger Prozess, der ständig entsteht und vergeht.