
Stille nach dem Denken: Eine kanonische Analyse des Zweiten Jhāna (Dutiya Jhāna) und seiner interpretatorischen Kontroversen
Das Zweite Jhāna als qualitativer Wendepunkt der meditativen Versenkung
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Das Zweite Jhāna als Wendepunkt der Versenkung
- Definition und phänomenologische Merkmale des Zweiten Jhāna
- Brennpunkt der Debatte: Absorptionstiefe und Sinnesbewusstsein
- Das Zweite Jhāna im Kontext des Meditationspfades
- Schlüssel-Lehrreden (Suttas) im Detail
- Fazit: Stille, Freude und die Pforte zur Einsicht
- Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Einleitung: Das Zweite Jhāna als Wendepunkt der Versenkung
Im Herzen der buddhistischen Lehre vom Edlen Achtfachen Pfad liegt das Glied der Rechten Sammlung (sammā samādhi). Der Buddha selbst definierte diese entscheidende Praxis durch die Kultivierung von vier aufeinander aufbauenden meditativen Vertiefungen, den sogenannten Jhānas. Diese Zustände sind weit mehr als bloße Entspannungsübungen; sie stellen ein systematisches Training dar, das den Geist von groben und subtilen Hindernissen läutert, ihn zu außergewöhnlicher Stabilität und Klarheit führt und so die unerlässliche Grundlage für die Entwicklung befreiender Einsicht (vipassanā) schafft.
Innerhalb dieser progressiven Verfeinerung des Bewusstseins markiert das Zweite Jhāna (dutiya jhāna) einen qualitativen Wendepunkt von fundamentaler Bedeutung. Es bezeichnet den Übergang von einem Zustand, in dem der Geist noch durch eine feine gedankliche Aktivität gestützt und auf sein Objekt ausgerichtet werden muss, zu einem Zustand reiner, nicht-diskursiver Stille und Sammlung. Der Geist erlangt hier eine neue Form der Autonomie und Kraft.
Dieser Übergang ist nicht nur ein technischer Schritt in der Meditationspraxis, sondern ein tiefgreifender psychologischer Prozess, der im Zentrum einer jahrhundertealten Debatte über die Natur von Konzentration und Bewusstsein steht. Dieser Bericht wird das Zweite Jhāna umfassend analysieren, basierend auf den frühesten Quellen des Buddhismus, dem Pali-Kanon. Zunächst werden die kanonische Definition und die phänomenologischen Merkmale dieses Zustands detailliert erläutert. Anschließend wird der Brennpunkt des Berichts auf die zentrale und folgenreiche Kontroverse um die Tiefe der Absorption gelegt: Führt das Zweite Jhāna zu einer völligen Abschottung von der Sinneswelt oder zu einer tiefen inneren Stille, die ein subtiles Bewusstsein erhält? Die weitreichenden praktischen Implikationen dieser unterschiedlichen Interpretationen werden beleuchtet. Schließlich wird das Zweite Jhāna in den größeren Kontext des Meditationspfades eingeordnet und anhand von Schlüssel-Lehrreden aus dem Pali-Kanon illustriert, um ein authentisches und differenziertes Bild dieses entscheidenden Schrittes auf dem Weg zur Befreiung zu zeichnen.
Definition und phänomenologische Merkmale des Zweiten Jhāna
Um die einzigartige psychologische Landschaft des Zweiten Jhāna zu verstehen, ist eine genaue Analyse seiner kanonischen Beschreibung unerlässlich. Die Texte des Pali-Kanons verwenden eine bemerkenswert konsistente Standardformel, die eine präzise Phänomenologie dieses Bewusstseinszustandes liefert.
Die kanonische Standardformel
In zahlreichen Lehrreden, wie dem Sāmaññaphala Sutta (DN 2, „Die Früchte des Asketenlebens“) oder dem Vibhaṅga Sutta (SN 45.8, „Analyse des Pfades“), findet sich die folgende Formulierung, die den Eintritt in das Zweite Jhāna beschreibt:
Puna caparaṁ, bhikkhu, vitakkavicārānaṁ vūpasamā ajjhattaṁ sampasādanaṁ cetaso ekodibhāvaṁ avitakkaṁ avicāraṁ samādhijaṁ pītisukhaṁ dutiyaṁ jhānaṁ upasampajja viharati.
„Wenn dann das Ausrichten und Halten des Geistes sich beruhigt, tritt ein Mönch in die zweite Vertiefung ein und verweilt darin; da gibt es aus Versenkung geborene Ekstase und Seligkeit, mit innerer Klarheit und geeintem Geist, ohne Ausrichten und Halten.“ (Übersetzung basierend auf Sabbamitta)
Die Struktur dieser Formel ist selbst bereits lehrreich. Sie beschreibt einen natürlichen Prozess des Sich-Setzens: Ein Faktor des vorhergehenden Zustands – die gedankliche Aktivität – fällt weg (vitakkavicārānaṁ vūpasamā), was das spontane Entstehen neuer, verfeinerter Qualitäten ermöglicht. Diese neuen Qualitäten sind innere Klarheit und Vertrauen (ajjhattaṁ sampasādanaṁ), ein geeinter Geist (cetaso ekodibhāvaṁ) und eine Freude, die direkt aus der Sammlung selbst entspringt (samādhijaṁ pītisukhaṁ).
Das Verstummen des Geistes: Das Wegfallen von Vitakka und Vicāra
Die entscheidende Veränderung beim Übergang vom Ersten zum Zweiten Jhāna ist das Aufhören (vūpasama) der beiden Faktoren vitakka und vicāra. Vitakka bezeichnet das anfängliche Hinwenden oder Ausrichten des Geistes auf das Meditationsobjekt. Es ist der erste mentale Impuls, der die Aufmerksamkeit ergreift und sie auf einen Punkt, wie etwa den Atem, lenkt. Vicāra beschreibt das anschließende, anhaltende Verweilen oder Untersuchen. Es ist die subtile Aktivität, die den Geist am Objekt hält, es erkundet und stabilisiert. In den Suttas wird dieses Faktorenpaar oft mit dem diskursiven, inneren Denken gleichgesetzt. Im Mahācattārīsaka Sutta (MN 117) werden vitakka und vicāra sogar als „verbale Fabrikation“ (vacīsaṅkhāra) bezeichnet, da sie die geistige Vorstufe zum gesprochenen Wort bilden. Im Ersten Jhāna ist diese subtile gedankliche Aktivität noch notwendig, um den Geist bei der Stange zu halten. Das Wegfallen dieser beiden Faktoren im Zweiten Jhāna führt zu einem Zustand, der als avitakkaṁ avicāraṁ („ohne Ausrichten und Halten“) charakterisiert wird. Dies bedeutet, dass der Geist nun mühelos, ohne die Notwendigkeit einer aktiven, diskursiven Stütze, beim Objekt verweilt. Er ist von selbst still und gesammelt. Dies ist die Verwirklichung der „edlen Stille“ (ariya tuṇhībhāva), von der die Texte sprechen – eine Stille, die nicht durch Unterdrückung, sondern durch die natürliche Beruhigung der gröbsten mentalen Aktivitäten entsteht.
Eine neue Quelle der Freude: Pīti und Sukha aus Sammlung geboren (Samādhijaṁ)
Auch die Qualität der freudvollen Zustände wandelt sich grundlegend. Während Freude (pīti) und Glück (sukha) im Ersten Jhāna als vivekajaṁ – „aus Abgeschiedenheit geboren“ – beschrieben werden, sind sie im Zweiten Jhāna samādhijaṁ – „aus Sammlung (samādhi) geboren“. Dieser Wandel offenbart einen tiefgreifenden Reifungsprozess des Geistes. Im Ersten Jhāna ist die Freude noch reaktiv; sie entsteht, weil die fünf Hindernisse (Sinnesgier, Übelwollen, Trägheit, Unruhe, Zweifel) vorübergehend zur Ruhe gekommen sind. Sie ist eine Freude der Erleichterung, geboren aus der Abwesenheit von Störung. Im Zweiten Jhāna hingegen ist der Geist so tief gesammelt, stabil und geeint, dass er selbst zur Quelle der Freude wird. Die Freude ist nicht mehr eine Reaktion auf äußere oder innere Bedingungen, sondern entspringt direkt der immanenten Kraft und Harmonie des geeinten Geistes. Dies markiert einen entscheidenden Schritt in Richtung geistiger Autonomie. Der Geist ist nicht mehr davon abhängig, dass etwas Störendes fehlt, um Wohlbefinden zu erfahren; er generiert es aus seiner eigenen kultivierten Natur. Diese aus Sammlung geborene Freude ist typischerweise subtiler, durchdringender und stabiler als die oft aufgeregtere, ekstatische Freude des Ersten Jhāna.
Innere Stabilität und Vertrauen: Ajjhattaṁ Sampasādanaṁ und Cetaso Ekodibhāvaṁ
Mit dem Verstummen des Denkens entstehen zwei neue, charakteristische Qualitäten:
- Ajjhattaṁ Sampasādanaṁ: Dieser Begriff beschreibt eine tiefe innere Beruhigung und Klarheit, die zu unerschütterlichem Vertrauen führt. Ajjhattaṁ bedeutet „innerlich“ oder „persönlich“, während sampasādanaṁ von pasāda abgeleitet ist, was Ruhe, Klarheit, aber auch Vertrauen und Glauben bedeutet. Dieses Vertrauen ist nicht blind, sondern entsteht aus der direkten Erfahrung, dass der Geist ohne die „Krücke“ des Denkens stabil und klar sein kann. Zweifel und Unsicherheit, die oft mit dem diskursiven Geist einhergehen, sind vollständig verschwunden. Es ist ein tiefes Vertrauen in die eigene Fähigkeit zur Sammlung und in den Pfad selbst.
- Cetaso Ekodibhāvaṁ: Dieser Ausdruck beschreibt die Qualität der geistigen Einung. Cetaso ist der Genitiv von ceto („Geist“), und ekodi-bhāva bedeutet wörtlich „der Zustand des Ein-Punkt-Werdens“. Während ekaggatā (Einpünktigkeit) ein allgemeiner Faktor in allen Jhānas ist, beschreibt ekodibhāvaṁ hier eine neue, tiefere Qualität der Vereinigung. Sie wird erst möglich, nachdem die subtile Dualität von „Geist“ (Subjekt) und „Objekt“, die durch vitakka und vicāra aufrechterhalten wird, wegfällt. Der Geist ist nicht mehr „auf etwas gerichtet“, sondern er „ist eins geworden“.
Brennpunkt der Debatte: Absorptionstiefe und Sinnesbewusstsein
Das Wegfallen von vitakka und vicāra ist der Dreh- und Angelpunkt einer der bedeutendsten und folgenreichsten Kontroversen in der buddhistischen Meditationstheorie und -praxis. Sie berührt das Herzstück dessen, was ein Jhāna-Zustand tatsächlich ist.
Die Kernfrage: Totale Absorption oder tiefe Stille?
Die zentrale Frage, die sich aus der kanonischen Formel ergibt, lautet: Was genau hört auf, wenn das „Denken“ aufhört? Bedeutet die Abwesenheit von vitakka und vicāra eine vollständige sensorische Deprivation, bei der jeglicher Kontakt zur Außenwelt abbricht? Oder beschreibt es einen Zustand tiefster innerer Stille, in dem ein nicht-reaktives Bewusstsein der Sinneswelt im Hintergrund weiterbestehen kann?. Die Antwort auf diese Frage spaltet die Tradition in zwei Hauptinterpretationslinien und hat weitreichende Konsequenzen für die Meditationspraxis, insbesondere für die Zugänglichkeit der Jhānas und ihre Verbindung zur Einsichtspraxis.
Die kommentariale Interpretation (Visuddhimagga-Tradition)
Die wohl einflussreichste Interpretation stammt aus dem Visuddhimagga („Der Weg zur Reinheit“), einem monumentalen Kompendium des Gelehrten Buddhaghosa aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., das zur orthodoxen Grundlage der Theravāda-Tradition wurde.
- Die „Tiefe Absorptions“-Sicht: Laut dieser Interpretation sind alle Jhānas Zustände vollständiger Absorption (appanā samādhi). Bereits ab dem Ersten Jhāna ist der Meditierende völlig von der Außenwelt abgeschottet. Es werden keine Geräusche gehört, keine Körperempfindungen gefühlt, und selbst das Zeitgefühl kann verschwinden. In diesem Modell werden vitakka und vicāra nicht mehr primär als „Denken“ verstanden, sondern als „anfängliches und anhaltendes Anwenden der Aufmerksamkeit“ auf ein nimitta – ein rein mentales Leuchtzeichen, das als Tor zur Absorption dient. Ihr Wegfall im Zweiten Jhāna bedeutet, dass der Geist so fest und unbeweglich mit diesem mentalen Objekt verschmolzen ist, dass keine Sinnesdaten mehr in das Bewusstsein eindringen können.
- Praktische Konsequenzen: Diese Zustände werden als extrem schwierig und selten erreichbar beschrieben. Der Visuddhimagga selbst gibt die Erfolgschance als „einer von hundert oder tausend“ an, der die Absorption erreicht. Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Suttas, in denen Mönche scheinbar häufig und mühelos in Jhāna eintreten. Für die Praxis bedeutet dieser Ansatz, dass die Kultivierung der Jhānas meist lange, intensive Retreats erfordert und für Laienpraktizierende im Alltag kaum zugänglich ist.
Die Sutta-basierte Interpretation („Sutta-Jhāna“)
Als Reaktion auf die Schwierigkeiten des kommentarischen Modells hat sich, insbesondere im Westen, eine alternative Interpretation entwickelt, die ihre Argumente direkt aus den frühen Lehrreden (Suttas) bezieht.
- Die „Innere Stille“-Sicht: Diese Sichtweise interpretiert das Zweite Jhāna nicht als sensorische Deprivation, sondern als einen Zustand tiefster innerer Stille. Das diskursive Denken (vitakka/vicāra) hört auf, was zu einer tiefen mentalen Ruhe führt. Ein subtiles, nicht-reaktives Bewusstsein der Sinneswelt kann jedoch im Hintergrund bestehen bleiben.
- Textliche Evidenz: Befürworter dieser Sicht verweisen auf mehrere Stellen im Kanon. So gibt es Berichte, in denen Meditierende in Jhāna anscheinend Geräusche wahrnehmen. Die enge Verbindung der Jhānas zur Körperachtsamkeit, wie sie im Kāyagatāsati Sutta (MN 119) beschrieben wird, legt nahe, dass eine Verbindung zum Körper nicht völlig gekappt wird. Des Weiteren scheint die Anweisung im Anupada Sutta (MN 111), die Faktoren der Jhānas „einen nach dem anderen“ zu analysieren, eine Form von Bewusstheit und Reflexionsfähigkeit während des Zustands vorauszusetzen, was bei totaler Absorption unmöglich wäre.
- Praktische Konsequenzen: In diesem Modell sind die Jhānas zugänglicher und werden als ein natürlicher Bestandteil des Pfades angesehen, der auch für Laien erlernbar ist. Die Einsichtspraxis (vipassanā) kann hier oft direkt während des Jhāna-Zustandes kultiviert werden, indem die subtilen Phänomene des Zustands selbst untersucht werden.
Praktische Implikationen und die moderne Debatte
Die unterschiedlichen Interpretationen sind nicht nur akademischer Natur, sondern führen zu fundamental verschiedenen Meditationsansätzen. Die folgende Tabelle fasst die Kernunterschiede zusammen:
Merkmal | Visuddhimagga-Interpretation („Tiefe Absorption“) | Sutta-basierte Interpretation („Innere Stille“) |
---|---|---|
Primärquelle | Visuddhimagga (5. Jh. n. Chr.) | Pali-Kanon (Suttas) |
Sinnesbewusstsein | Vollständig abgeschaltet (kein Hören, Fühlen etc.) | Subtiles Hintergrundbewusstsein potenziell möglich |
Schlüsselmerkmal | Erreichen eines nimitta & totale Absorption | Beruhigung von vitakka-vicāra (innerem Sprechen) |
Zugänglichkeit | Extrem schwierig, selten („einer von tausend“) | Integral, zugänglicher, oft gelehrt |
Rolle für Einsicht | Einsichtspraxis (vipassanā) erfolgt typischerweise nach dem Jhāna | Einsicht kann während des Jhāna kultiviert werden |
Praktische Implikation | Erfordert lange, intensive Retreats; schwer für Laien | Besser in den Alltag integrierbar; für Laien erlernbar |
Moderne Vertreter (Bsp.) | Ajahn Brahm | Thanissaro Bhikkhu, Leigh Brasington |
Die Entwicklung dieser Debatte lässt sich als ein Prozess nachvollziehen: Die phänomenologisch präzisen, aber interpretatorisch offenen Beschreibungen der Suttas wurden durch die späteren Kommentare wie den Visuddhimagga zu einem sehr spezifischen und anspruchsvollen Absorptionsmodell systematisiert und verengt. Moderne Lehrer, die mit den praktischen Schwierigkeiten dieses Modells konfrontiert waren, kehrten zu den Suttas zurück und entwickelten zugänglichere Modelle. Dies führte zu einer Polarisierung, in der Begriffe wie „Sutta-Jhāna“ und „Visuddhimagga-Jhāna“ zu Etiketten wurden, mit denen Lehrer ihre eigene Methode als authentisch legitimieren und andere als „nicht echt“ oder „zu oberflächlich“ abwerten. Die Debatte ist somit nicht nur eine philologische, sondern auch eine soziologische. Sie zeigt, wie eine lebendige Tradition mit ihren heiligen Texten ringt, um sie für die jeweilige Zeit und Zielgruppe – seien es Mönche in Asien oder Laien im Westen – relevant und praktikabel zu machen.
Das Zweite Jhāna im Kontext des Meditationspfades
Das Zweite Jhāna steht nicht isoliert, sondern ist ein integraler Bestandteil eines fortschreitenden Pfades der geistigen Verfeinerung. Seine Position zwischen dem Ersten und Dritten Jhāna sowie seine karmischen Konsequenzen verdeutlichen seine Funktion als Werkzeug zur Läuterung.
Abgrenzung zum Ersten und Dritten Jhāna
Der Weg durch die Jhānas ist ein Pfad des Loslassens und der zunehmenden Beruhigung.
- Vom Ersten zum Zweiten Jhāna: Der Übergang vollzieht sich durch das natürliche Sich-Setzen (vūpasama) und Loslassen der gröbsten verbliebenen Faktoren, vitakka und vicāra. Es ist kein aktives Wegstoßen, sondern ein Prozess, bei dem der Geist, einmal stabilisiert, diese Stützen nicht mehr benötigt und sie von selbst fallen lässt. Die Freude wird dabei innerlicher und stabiler.
- Vom Zweiten zum Dritten Jhāna: Der Übergang zur nächsten Stufe erfolgt durch das Verblassen (virāga) der freudigen Erregung (pīti). Diese wird nun selbst als eine subtile Form der geistigen Bewegung und Störung erkannt. An ihre Stelle tritt ein tiefes Gefühl des Gleichmuts (upekkhā), während das ruhigere Glück (sukha) zunächst erhalten bleibt. Diese Sequenz zeigt einen klaren Pfad der fortschreitenden Verfeinerung, bei dem immer subtilere Schichten mentaler Aktivität zur Ruhe kommen.
Die karmische Dimension (AN 4.123)
Das Jhāna Sutta aus der Aṅguttara Nikāya beschreibt die karmischen Früchte, die aus der Meisterung der Jhānas resultieren. Für das Zweite Jhāna heißt es: Wer diesen Zustand meistert, ihn genießt und daran festhält, wird nach dem Tod in der Gesellschaft der „Götter von strahlendem Glanz“ (ābhassarā devā) wiedergeboren, deren Lebensspanne zwei Äonen beträgt. Diese Lehre enthält jedoch eine entscheidende Warnung und verdeutlicht die Funktion der Jhānas auf dem buddhistischen Pfad. Das Erreichen eines Jhāna ist ein heilsamer karmischer Akt, der zu einer außerordentlich glücklichen und langlebigen Wiedergeburt führt. Das Sutta betont jedoch einen kritischen Unterschied: Ein „ungelehrter Weltling“ (assutavā puthujjana) verbraucht diese immense Lebensspanne, und wenn dieses gute Karma aufgebraucht ist, fällt er unweigerlich in den Kreislauf der Wiedergeburten zurück, potenziell bis in die leidvollsten Daseinsbereiche. Ein „gelehrter edler Schüler“ (sutavā ariyasāvaka) hingegen nutzt diese reine und kraftvolle Existenz als Plattform, um die verbleibenden geistigen Trübungen zu beseitigen und das endgültige Ziel, Nibbāna, in ebendiesem Leben zu verwirklichen, um danach nicht mehr wiederzukehren. Dies ist eine der stärksten kanonischen Aussagen, die belegt, dass Jhāna an sich nicht befreiend ist. Es ist ein mächtiges Werkzeug, das den Geist reinigt, stärkt und ihm eine stabile Basis verleiht. Doch ohne die Anwendung von Rechter Ansicht (sammā diṭṭhi) und Einsicht (vipassanā) bleibt es eine weltliche Errungenschaft, die dem Kreislauf von Geburt und Tod (saṁsāra) verhaftet ist. Erst die untrennbare Verbindung von samatha (Ruhe, repräsentiert durch Jhāna) und vipassanā (Einsicht) führt zur endgültigen Befreiung.
Schlüssel-Lehrreden (Suttas) im Detail
Eine genauere Betrachtung der primären Textquellen untermauert die bisherigen Analysen und verleiht ihnen eine narrative und kontextuelle Tiefe.
Sāmaññaphala Sutta (DN 2): Die Früchte des Asketenlebens
In dieser berühmten Lehrrede legt der Buddha dem König Ajātasattu den stufenweisen Pfad der buddhistischen Schulung dar, von Ethik (sīla) über Achtsamkeit bis hin zu den Jhānas als Höhepunkte der mentalen Sammlung. Für das Zweite Jhāna verwendet der Buddha ein eindrückliches Gleichnis: Er vergleicht den Zustand mit einem tiefen See, der von einer unterirdischen Quelle gespeist wird. Dieser See hat keine Zuflüsse von außen – weder aus dem Osten, Westen, Norden noch Süden. Das kühle Wasser, das von innen heraufquillt, durchdringt, durchfeuchtet und erfüllt den gesamten See, sodass kein Teil von ihm unberührt bleibt. Dieses Bild illustriert meisterhaft die Qualität von samādhijaṁ. Die Freude (pīti) und das Glück (sukha), symbolisiert durch das kühle Wasser, sind keine Reaktion auf äußere Umstände (wie das Ausbleiben von Regen), sondern eine endogene Kraft, die aus der Tiefe des gesammelten Geistes selbst aufsteigt. Die Formulierung „keine äußeren Zuflüsse“ ist ein zentraler Ankerpunkt in der Debatte um die Absorptionstiefe. Während die Visuddhimagga-Tradition dies als Beweis für eine totale sensorische Abschottung liest, würde die Sutta-basierte Sicht argumentieren, dass das Gleichnis primär die Quelle der Freude beschreibt (nämlich die Sammlung selbst) und nicht zwangsläufig eine absolute sensorische Isolation impliziert.
Kāyagatāsati Sutta (MN 119): Achtsamkeit auf den Körper
Dieses Sutta preist die auf den Körper gerichtete Achtsamkeit (kāyagatāsati) als einen umfassenden Pfad, der alle heilsamen Qualitäten in sich vereint und direkt zu den Jhānas und zur Befreiung führt. Die Lehrrede beschreibt detailliert, wie durch verschiedene Körperachtsamkeitsübungen – wie die Beobachtung des Atems, der Körperhaltungen oder die Analyse der 32 Körperteile – der Geist „innerlich zur Ruhe kommt, sich setzt, geeint wird und in Sammlung (samādhi) versinkt“. Unmittelbar auf diese Beschreibung folgt die Standardformel der vier Jhānas. Die Tatsache, dass die Jhānas als direkte und natürliche Frucht der Körper-Achtsamkeit dargestellt werden, ist ein starkes Argument für die Sutta-basierte Interpretation. Es legt eine Kontinuität des Bewusstseins nahe, bei der der Körper die Grundlage und der Anker für die Sammlung bleibt, anstatt vollständig ausgeblendet oder transzendiert zu werden. Das Gleichnis für das Zweite Jhāna ist hier identisch mit dem in DN 2 – der See, der von einer inneren Quelle gespeist wird.
Vibhaṅga Sutta (SN 45.8): Analyse des Achtfachen Pfades
In dieser grundlegenden Lehrrede gibt der Buddha eine präzise Definition jedes einzelnen Gliedes des Edlen Achtfachen Pfades. Die Rechte Sammlung (sammā samādhi) wird hier explizit und ausschließlich durch die kanonischen Formeln der vier Jhānas definiert. Das Zweite Jhāna ist der zweite definierende Schritt auf diesem Weg zur vollendeten Konzentration. Diese Lehrrede zementiert den Status der Jhānas als unverzichtbaren und zentralen Bestandteil des buddhistischen Befreiungsweges. Sie sind keine optionale oder esoterische Praxis für einige wenige Fortgeschrittene, sondern die vom Buddha selbst gelehrte Methode zur Vervollkommnung der Sammlung. Dies widerlegt moderne Ansätze, die Jhāna als nebensächlich, als eine von vielen Techniken oder gar als ein Hindernis für die reine Einsichtspraxis betrachten.
Fazit: Stille, Freude und die Pforte zur Einsicht
Das Zweite Jhāna, wie es im Pali-Kanon dargestellt wird, ist ein tiefgreifender und entscheidender Zustand auf dem meditativen Pfad. Es ist durch das Aufhören der diskursiven Gedankenaktivität (vitakka und vicāra) gekennzeichnet und führt zu einer tiefen, mühelosen Stille. Dieser Zustand ist erfüllt von einer stabilen, aus der Sammlung selbst geborenen Freude und Glück (samādhijaṁ pītisukhaṁ) und geprägt von unerschütterlichem innerem Vertrauen (ajjhattaṁ sampasādanaṁ) sowie einem geeinten, ungeteilten Geist (cetaso ekodibhāvaṁ).
Die über die Jahrhunderte entstandene Kontroverse zwischen der kommentarischen Sicht der totalen Absorption (Visuddhimagga-Tradition) und der Sutta-basierten Sicht der tiefen inneren Stille stellt kein Versagen, sondern ein produktives Spannungsfeld dar. Sie spiegelt das lebendige Ringen einer Tradition wider, die stets versucht, die tiefsten Potenziale des menschlichen Bewusstseins zu ergründen und für Praktizierende unterschiedlicher Epochen und Kontexte zugänglich zu machen. Die Debatte ist weniger eine Frage eines absoluten „Richtig“ oder „Falsch“ als vielmehr Ausdruck unterschiedlicher pädagogischer Modelle, die auf verschiedene praktische Ziele und Zielgruppen zugeschnitten sind.
Unabhängig von der genauen Tiefe der Absorption ist die Funktion des Zweiten Jhāna im Pali-Kanon unmissverständlich: Es ist eine entscheidende Stufe der geistigen Läuterung. Es schafft einen Geist, der frei von den gröbsten Störungen des Denkens, von Zweifel und Unruhe ist – einen ruhigen, klaren, freudvollen und kraftvollen Geist. Ein solcher Geist ist die ideale Plattform, von der aus die befreiende Einsicht (vipassanā) in die wahre Natur aller Phänomene – ihre Vergänglichkeit (anicca), ihre Leidhaftigkeit (dukkha) und ihre Nicht-Selbst-Natur (anattā) – entwickelt werden kann. Wie das Jhāna Sutta (AN 9.36) explizit lehrt, ist es dieser aus dem Jhāna heraus entwickelte Blick, der zur endgültigen Befreiung führt. Das Zweite Jhāna ist somit nicht das Ende des Weges, sondern die Öffnung einer entscheidenden Pforte zur Weisheit.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- SuttaCentral – Early Buddhist texts, translations, and parallels
- Access to Insight – Readings in Theravada Buddhism
- Dhamma Wheel – A Buddhist Forum
- Tricycle: The Buddhist Review
- Leigh Brasington – Writings and teachings on Jhānas
- Jhana8.com – Resources on Jhana Meditation
- Buddhism Stack Exchange – Q&A for practitioners
- Schatztruhe Palikanon – Deutsche Übersetzungen und Erläuterungen
Weiter in diesem Bereich mit …
Das Dritte Jhāna (tatiya jhāna)
Entdecke die einzigartige und paradoxe Harmonie des Dritten Jhāna (tatiya jhāna). Dieser Zustand vereint ein Höchstmaß an subtilem, tiefem Glück (sukha) mit einem wachen und unerschütterlichen Gleichmut (upekkhā). Du erfährst, warum die Erwachten selbst diesen Zustand als ein „glückseliges Verweilen“ priesen und welche fundamental unterschiedlichen Meditationspfade sich aus der Interpretation der unscheinbaren Phrase kāyena paṭisaṁvedeti („erfährt mit dem Körper“) ergeben.