Viertes Jhāna

4. Jhāna (Catuttha)
4. Jhāna (Catuttha)
4. Jhāna (Catuttha)

Das Vierte Jhāna (Catuttha Jhāna) im Palikanon: Ein detaillierter Bericht über Zustand, Funktion und befreiende Anwendung

Der Gipfel der Form-Sphäre: Reine Achtsamkeit und die Basis für höhere Erkenntnis

I. Einleitung

Der Pfad der Vertiefung

Innerhalb des reichen und vielschichtigen Gefüges der buddhistischen Lehre nimmt die Praxis der meditativen Vertiefung, bekannt als Jhāna (Pali; Sanskrit: Dhyāna), eine zentrale Stellung ein. Sie bildet das Herzstück der Entwicklung von Rechter Konzentration (sammā samādhi), dem achten und letzten Glied des Edlen Achtfachen Pfades. Die Jhānas sind keine vagen, tranceartigen Zustände, sondern eine klar definierte, progressive Serie von acht tiefen Bewusstseinszuständen, die durch intensive Konzentration auf ein einziges Objekt erreicht werden. Diese Zustände sind durch die vorübergehende Suspendierung der fünf Sinnesaktivitäten und das vollständige Abklingen der fünf geistigen Hindernisse (nīvaraṇa) gekennzeichnet, während gleichzeitig volle Klarheit und Wachheit des Geistes erhalten bleiben. Der Pfad durch die Jhānas ist ein Weg der zunehmenden Verfeinerung, Beruhigung und Läuterung des Geistes.

Der Gipfel der Formwelt

An der Spitze dieser Entwicklung innerhalb der sogenannten Form-Sphäre (Rūpa-Loka) steht das Vierte Jhāna, das Catuttha Jhāna. Es wird im Palikanon als der Kulminationspunkt und der vollendetste Zustand der vier formgebundenen Vertiefungen (Rūpa-Jhāna) dargestellt. Es repräsentiert einen Zustand von unvergleichlicher mentaler Stabilität, Ausgeglichenheit und Klarheit, der eine entscheidende und multifunktionale Rolle auf dem Weg zur endgültigen Befreiung (Nibbāna) spielt. Es ist der Zustand, in dem der Geist, befreit von allen affektiven Regungen, seine maximale Kraft und Formbarkeit erreicht und somit zur idealen Plattform für die höchsten spirituellen Errungenschaften wird.

Zielsetzung des Berichts

Dieser Bericht zielt darauf ab, eine tiefgehende, quellenbasierte Analyse des Vierten Jhāna zu liefern, wie es ausschließlich im Palikanon, den frühesten erhaltenen Lehrreden des Buddha, beschrieben wird. Es werden seine präzise Definition, seine phänomenologischen Merkmale, seine Funktion innerhalb des Gesamtsystems der buddhistischen Praxis und seine prominente Darstellung in maßgeblichen Lehrreden untersucht. Ziel ist es, Lesern mit und ohne Vorkenntnisse ein vollständiges, nuanciertes und authentisches Bild dieses erhabenen Geisteszustandes zu vermitteln und seine fundamentale Bedeutung für den Befreiungsweg aufzuzeigen.

II. Definition und phänomenologische Merkmale des Vierten Jhāna

Die Beschreibungen des Vierten Jhāna im Palikanon sind von bemerkenswerter Konsistenz und Präzision. Sie zeichnen das Bild eines Geisteszustandes, der durch ein radikales Loslassen aller affektiven Polaritäten und die Kultivierung einer vollkommenen inneren Balance definiert ist.

Die kanonische Formel: Ein Bauplan des Bewusstseins

In unzähligen Lehrreden wird der Eintritt in das Vierte Jhāna mit einer standardisierten Formel beschrieben, die als präziser Bauplan für das Erleben dieses Zustandes dient. Diese Formel lautet im Pali-Original:

Sukhassa ca pahānā, dukkhassa ca pahānā, pubbeva somanassadomanassānaṁ atthaṅgamā, adukkhamasukhaṁ upekkhāsatipārisuddhiṁ catutthaṁ jhānaṁ upasampajja viharati.

In deutscher Übersetzung bedeutet dies:

„Mit dem Aufgeben von Glück (sukha) und Schmerz (dukkha) und mit dem schon früheren Untergang von Freude (somanassa) und Traurigkeit (domanassa) tritt er in die vierte Vertiefung ein und verweilt darin, die ohne Schmerz und ohne Glück ist und von Achtsamkeit, die durch Gleichmut geläutert ist, geprägt ist.“

Diese Formel ist mehr als nur eine Beschreibung; sie ist eine prozessuale Anweisung. Sie verdeutlicht, dass das Vierte Jhāna nicht aus dem Nichts entsteht, sondern das Ergebnis eines schrittweisen Prozesses des Loslassens ist. Zuerst werden die gröberen weltlichen Gefühle von Freude (somanassa) und Traurigkeit (domanassa) überwunden, was bereits in den vorbereitenden Stufen geschieht. Der entscheidende Schritt in das Vierte Jhāna hinein ist dann das Aufgeben der subtileren, meditativen Gefühle von Glück (sukha) und Schmerz (dukkha), was in einem Zustand vollkommener psychischer Ausgeglichenheit gipfelt.

Transzendenz der Affekte: Das Aufgeben von Sukha und Dukkha

Um die Einzigartigkeit des Vierten Jhāna zu verstehen, muss man die vorangehenden Stufen betrachten. Das Erste und Zweite Jhāna sind durch intensive Zustände von Verzückung (pīti) und Glück (sukha) gekennzeichnet, die aus der Abgeschiedenheit von den Sinnen geboren werden. Im Dritten Jhāna verblasst die ekstatische Verzückung (pīti), aber ein tiefes, durchdringendes Glücksgefühl (sukha) bleibt bestehen, begleitet von einem aufkommenden Gleichmut (upekkhā). Der Meditierende verweilt in einem Zustand, den die Edlen als „gleichmütig, achtsam und in Glück verweilend“ beschreiben.

Der Eintritt in das Vierte Jhāna markiert einen radikalen Bruch mit diesem Streben nach verfeinertem Glück. Das entscheidende Merkmal ist die bewusste Überwindung und das Loslassen selbst dieses letzten, subtilsten Glücksgefühls (sukha). Dies stellt die vollständige Transzendenz aller polaren affektiven Zustände dar. Der Geist reagiert nicht mehr mit Anziehung (rāga) oder Abneigung (dosa), nicht einmal auf der feinstofflichsten Ebene. Dieser Schritt ist von tiefgreifender soteriologischer Bedeutung. Das gewöhnliche menschliche Dasein ist durch ein ständiges Streben nach Angenehmem und ein Vermeiden von Unangenehmem definiert. Die buddhistische Praxis zeigt jedoch, dass wahre, unerschütterliche Freiheit (Nibbāna) nicht in der Maximierung von Glückszuständen liegt, sondern in der Transzendenz der gesamten Dualität von Glück und Leid. Selbst das erhabenste spirituelle Glück ist ein bedingtes Phänomen (saṅkhāra) und somit vergänglich, unbefriedigend und eine potenzielle Quelle der Anhaftung. Indem der Meditierende im Vierten Jhāna lernt, selbst an diesem höchsten Glück nicht mehr festzuhalten, trainiert er den Geist für das endgültige Loslassen aller Phänomene und bereitet ihn auf die direkte Einsicht in die Leerheit (suññatā) und Nicht-Selbst-Natur (anattā) der gesamten Erfahrung vor.

Der neutrale Gefühlston: Adukkhamasukha-vedanā

Nachdem Glück (sukha) und Schmerz (dukkha) aufgegeben wurden, verbleibt ein spezifischer Gefühlston (vedanā), der im Pali als adukkhamasukha – wörtlich „nicht-schmerzhaft-nicht-angenehm“ – bezeichnet wird. Dies ist die phänomenologische Textur des Vierten Jhāna. Es ist entscheidend, diesen Zustand von alltäglicher Gleichgültigkeit, Apathie oder Langeweile zu unterscheiden. Während gewöhnliche neutrale Gefühle oft aus einem Mangel an Achtsamkeit entstehen und mit der untergründigen Neigung zur Unwissenheit (avijjā-anusaya) verbunden sind, ist die adukkhamasukha-vedanā des Vierten Jhāna ein hochgradig verfeinerter, klarer, wacher und zutiefst friedvoller Zustand. Der Palikanon selbst macht eine wichtige Unterscheidung, die hier relevant ist: Es gibt heilsame (kusala) und unheilsame (akusala) neutrale Gefühle. In Lehrreden wie dem Kitāgiri Sutta (MN 70) erklärt der Buddha, dass es neutrale Gefühle gibt, die das Anwachsen unheilsamer Geisteszustände fördern, und andere, die das Anwachsen heilsamer Zustände fördern. Die Qualität eines neutralen Gefühls wird also durch den Kontext seiner Entstehung bestimmt. Das neutrale Gefühl des Vierten Jhāna ist nicht bloße Abwesenheit von Reizen, sondern das positive Ergebnis eines aktiven Prozesses der Läuterung: der Überwindung der fünf Hindernisse, der Kultivierung tiefer Konzentration und des bewussten Loslassens von Glück. Es ist ein Zustand, der von Weisheit (paññā) durchdrungen ist, nicht von Ignoranz (avijjā), und genau das macht ihn zur perfekten und unerschütterlichen Grundlage für die Entwicklung befreiender Einsicht (vipassanā).

Der Gipfel der Geistesruhe: Upekkhāsatipārisuddhiṁ

Der vielleicht wichtigste und komplexeste beschreibende Begriff für das Vierte Jhāna ist das Pali-Kompositum upekkhāsatipārisuddhiṁ. Es beschreibt die beiden herausragenden mentalen Faktoren, die in diesem Zustand verbleiben und hier ihren höchsten Grad an Reinheit (pārisuddhi) erreichen: Gleichmut (upekkhā) und Achtsamkeit (sati). Die genaue grammatikalische Beziehung zwischen den Teilen dieses Wortes hat zu unterschiedlichen Übersetzungen und Interpretationen geführt, die auf verschiedene alte exegetische Traditionen hinweisen:

  • Die kausale Lesart: Gelehrte wie Bhikkhu Bodhi übersetzen den Begriff als „Reinheit der Achtsamkeit durch Gleichmut“. Diese Interpretation, die sich stark auf den frühen Theravāda-Abhidhamma (insbesondere den Jhanavibhanga) stützt, legt eine kausale Beziehung nahe: Der Zustand des vollkommenen, unerschütterlichen Gleichmuts (upekkhā) ist die direkte Ursache und Bedingung für die absolute Läuterung der Achtsamkeit (sati). Die Achtsamkeit wird von allen subtilen Verzerrungen befreit, weil der Geist nicht mehr auf irgendeine Weise auf die Erfahrung reagiert.
  • Die konjunktive Lesart: Übersetzer wie Bhikkhu Sujato bevorzugen eine einfachere, konjunktive Lesart: „reiner Gleichmut und reine Achtsamkeit“. Diese Interpretation behandelt die beiden Faktoren als separate, aber gleichermaßen auf ihren Höhepunkt gebrachte Qualitäten. Diese Sichtweise findet Unterstützung in späteren Sanskrit-Quellen der Sarvāstivāda- und Yogācāra-Schulen, die upekkhā-pariśuddhiḥ (reiner Gleichmut) und smṛti-pariśuddhiḥ (reine Achtsamkeit) als zwei unterschiedliche, nebeneinander bestehende Faktoren des Vierten Jhāna auflisten.

Unabhängig von der bevorzugten Übersetzung offenbart der Begriff eine einzigartige Harmonie im Vierten Jhāna. In allen vorangehenden Jhānas besteht eine gewisse Spannung oder zumindest eine Differenz zwischen der vorherrschenden Geisteshaltung und dem vorherrschenden Gefühlston. Im Dritten Jhāna beispielsweise existiert die Geisteshaltung des Gleichmuts (upekkhā) neben dem Gefühlston des Glücks (sukha vedanā). Im Vierten Jhāna jedoch konvergieren diese beiden Aspekte perfekt: Die Geisteshaltung ist vollkommener Gleichmut (upekkhā), und der Gefühlston ist der damit korrespondierende neutrale Ton (adukkhamasukha). Diese perfekte Resonanz zwischen Gefühl und Haltung eliminiert jede verbleibende innere Dissonanz. Das Ergebnis ist ein Zustand absoluter Stille und Stabilität, der oft mit einer stillen, flackerlosen Kerzenflamme in einem windstillen Raum verglichen wird. Diese unerschütterliche Ruhe ist der Schlüssel zu seiner außerordentlichen Kraft als Basis für höhere Erkenntnisse.

III. Kontext und Funktion im buddhistischen Pfad

Das Vierte Jhāna ist kein isolierter Zustand, sondern ein integraler Bestandteil des gesamten Befreiungsweges. Seine Position und Funktion werden im Palikanon klar definiert.

Der Höhepunkt der Form-Vertiefungen (Rūpa-Jhāna)

Der Weg durch die vier Rūpa-Jhānas ist ein Prozess der progressiven Verfeinerung durch Subtraktion. Mit jedem Schritt wird ein mentaler Faktor, der im Vergleich zum nächsthöheren Zustand als relativ grob oder als potenzielle Störung empfunden wird, losgelassen.

  • Vom Ersten zum Zweiten Jhāna werden die diskursiven Gedanken (vitakka und vicāra) aufgegeben.
  • Vom Zweiten zum Dritten Jhāna wird die ekstatische Verzückung (pīti) aufgegeben.
  • Vom Dritten zum Vierten Jhāna wird das subtile Glücksgefühl (sukha) aufgegeben.

Im Vierten Jhāna sind somit nur noch die beiden Kernfaktoren der tiefsten Konzentration übrig: die Einspitzigkeit des Geistes (ekaggatā) und der vollkommene Gleichmut (upekkhā), getragen von einer makellos reinen Achtsamkeit (sati). Die folgende Tabelle veranschaulicht diesen Prozess der Läuterung:

Tabelle 1: Die vier Rūpa-Jhānas im Vergleich
Jhāna-Stufe Aufgegebene Faktoren (im Vergleich zur Vorstufe) Verbleibende Kernfaktoren Dominanter Gefühlston (Vedanā)
Erstes Jhāna Fünf Hindernisse Vitakka, Vicāra, Pīti, Sukha, Ekaggatā Sukha (Glück)
Zweites Jhāna Vitakka, Vicāra (Gedankenfassung, -erwägung) Pīti, Sukha, Ekaggatā Sukha (Glück)
Drittes Jhāna Pīti (Verzückung) Sukha, Ekaggatā (+ Upekkhā, Sati) Sukha (Glück)
Viertes Jhāna Sukha (Glück) Ekaggatā, Upekkhā (+ Sati) Adukkhamasukha (Neutral)

Die ideale Basis für befreiende Einsicht (Vipassanā)

Die außergewöhnliche Qualität des Geistes im Vierten Jhāna macht ihn zum idealen Instrument für die Praxis der Einsichtsmeditation (vipassanā). Die Suttas beschreiben diesen Geist als „konzentriert, geläutert, hell, makellos, frei von Fehlern, geschmeidig, formbar, fest und unerschütterlich“. Ein solcher Geist ist wie ein perfekt polierter Spiegel oder ein ruhiger See, der die Realität ohne die Verzerrungen durch Gier, Hass oder Verblendung reflektieren kann. Die Praxis besteht darin, nach dem Verweilen im Vierten Jhāna die Aufmerksamkeit auf die Natur der Erfahrung selbst zu richten. Der Meditierende untersucht die Bestandteile des Jhāna-Zustandes – die verbleibenden Aggregate von Form, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewusstsein – und erkennt ihre wahre Natur: ihre Vergänglichkeit (anicca), ihre subtile Leidhaftigkeit (dukkha) und ihre Nicht-Selbst-Natur (anattā).

Das Tor zu den höheren Geisteskräften (Abhiññā)

Der Palikanon bezeichnet das Vierte Jhāna konsequent als die notwendige Grundlage (pādaka-jhāna) für die Entwicklung der sechs höheren Geisteskräfte oder Wissen (abhiññā). Aus der stabilen und kraftvollen Plattform dieses Zustandes heraus kann der Geist so gelenkt werden, dass er übermenschliche Fähigkeiten manifestiert. Wie im Sāmaññaphala Sutta (DN 2) dargelegt, umfassen diese:

  • Die vielfältigen psychischen Kräfte (z.B. sich vervielfältigen, durch Wände gehen).
  • Das göttliche Ohr (Hellhören).
  • Das Wissen um die Gedanken anderer (Gedankenlesen).
  • Die Erinnerung an frühere Existenzen.
  • Das göttliche Auge (das Sehen des Entstehens und Vergehens von Wesen gemäß ihrem Karma).
  • Die Zerstörung der geistigen Triebe (āsavakkhayañāṇa), welche die Befreiung selbst darstellt.

Das Sprungbrett zu den formlosen Bereichen (Arūpa-Jhāna)

Für jene, die den Pfad der Konzentration weiter verfolgen möchten, dient das Vierte Jhāna als unverzichtbares Sprungbrett für den Eintritt in die vier formlosen Vertiefungen (Arūpa-Jhāna). Nachdem die Anhaftung an alle Formen überwunden ist, kann der Meditierende vom Vierten Jhāna aus die Aufmerksamkeit auf das Konzept des unendlichen Raumes richten und so die erste formlose Stufe (ākāsānañcāyatana) erreichen. Darauf folgen die Stufen des unendlichen Bewusstseins, des Nichts und schließlich der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung.

Diese drei Anwendungsmöglichkeiten – Vipassanā, Abhiññā und Arūpa-Jhāna – verdeutlichen, dass das Vierte Jhāna nicht nur ein linearer Endpunkt ist, sondern ein zentraler Knotenpunkt oder ein multifunktionaler „Hub“-Zustand im buddhistischen Pfad. Es ist der Zustand, in dem der Geist seine maximale Reinheit, Stabilität und Kraft erlangt hat. Die Intention, mit der der Meditierende diesen Zustand dann nutzt oder lenkt, bestimmt die weitere Richtung des Weges. Richtet er die Aufmerksamkeit auf die wahre Natur der Phänomene, folgt die befreiende Einsicht. Richtet er sie auf das Konzept der Raumunendlichkeit, folgt der Eintritt in die formlosen Bereiche. Richtet er sie mit dem Willen zur Manifestation, folgen die höheren Kräfte. Diese strategische Schlüsselposition unterstreicht die immense Bedeutung der Meisterschaft des Vierten Jhāna.

IV. Das Vierte Jhāna in zentralen Lehrreden

Die Bedeutung des Vierten Jhāna wird durch seine prominente Rolle in einigen der wichtigsten Lehrreden des Palikanons untermauert.

DN 2: Sāmaññaphala Sutta (Die Lehrrede über die Früchte des Asketenlebens)

Referenz: Dīgha Nikāya 2, Sāmaññaphalasutta, Die Früchte des Asketenlebens. Link

Kontext: König Ajātasattu, der seinen Vater und König Bimbisāra ermordet hatte, ist von schweren Schuldgefühlen geplagt. In einer Vollmondnacht sucht er den Buddha auf und stellt ihm eine pragmatische Frage: Was sind die sichtbaren, in diesem Leben erfahrbaren Früchte eines Asketenlebens?

Analyse: Der Buddha antwortet nicht mit philosophischen Abstraktionen, sondern mit einer detaillierten Darstellung des „stufigen Trainings“ (anupubbasikkhā). Er legt dar, wie ein Mönch durch die Kultivierung von Ethik (sīla), Sinnesbeherrschung (indriyasaṁvara) und Achtsamkeit die fünf Hindernisse überwindet. Unmittelbar darauf folgt die Beschreibung der vier Jhānas als erste große, sichtbare Frucht. Der Buddha beschreibt die Glückseligkeit und den Frieden dieser Zustände, die jedes weltliche Glück bei weitem übersteigen. Die Lehrrede endet jedoch nicht hier. Sie zeigt auf, wie der Geist, der im Vierten Jhāna vollkommen geläutert und stabilisiert wurde, nun auf die Erlangung der drei höheren Wissen (tevijjā) gerichtet wird: die Erinnerung an frühere Leben, das Wissen um das Schicksal der Wesen und schließlich das Wissen um die Zerstörung der Triebe, was die Befreiung bedeutet.

Bedeutung: Die narrative Struktur des Sutta beantwortet die Frage des Königs auf zwei Ebenen. Erstens sind die Jhānas selbst eine immense, in diesem Leben erfahrbare „Frucht“ – ein Zustand tiefen Friedens und Glücks. Zweitens, und noch wichtiger, ist das Vierte Jhāna die notwendige Plattform und das unverzichtbare Werkzeug, um die ultimative Frucht, die Befreiung vom Leiden, zu erlangen. Es ist der Wendepunkt, an dem die Praxis von der reinen Beruhigung und Sammlung des Geistes (samatha) zur aktiven Kultivierung von befreiender Einsicht (vipassanā) übergeht. Das Vierte Jhāna ist somit sowohl Ziel als auch Instrument.

MN 39: Mahā-Assapura Sutta (Die große Lehrrede in Assapura)

Referenz: Majjhima Nikāya 39, Mahā-assapurasutta, Die große Lehrrede in Assapura. Link

Kontext: Der Buddha wendet sich an eine Versammlung von Mönchen und ermahnt sie, ihrem Ruf als „Asketen“ (samaṇa) und „Heilige“ (brāhmaṇa) auch wirklich gerecht zu werden. Sie sollen nicht nur den Namen tragen, sondern die Qualitäten verkörpern, die diese Bezeichnungen rechtfertigen.

Analyse: Die Lehrrede ist durch eine kraftvolle rhetorische Struktur geprägt. Der Buddha führt die Mönche durch eine aufsteigende Hierarchie von Praktiken: von grundlegender Gewissenhaftigkeit (hiri-ottappa) über die Reinheit von Körper, Rede und Geist bis hin zur Sinnesbeherrschung. Nach jedem erreichten Schritt warnt er sie mit der wiederholten Formel: „Mönche, ich erkläre euch,… fallt nicht vom Ziel des Asketentums ab, solange es noch etwas Weiteres zu tun gibt.“. Diese Kette von Anforderungen gipfelt in der Überwindung der fünf Hindernisse und dem Erreichen der vier Jhānas. Erst nachdem er diese vollständige Entwicklung bis hin zum Vierten Jhāna dargelegt hat, gibt der Buddha eine neue, auf innerer Läuterung basierende Definition der Begriffe samaṇa und brāhmaṇa.

Bedeutung: Die Struktur von MN 39 etabliert die Jhāna-Praxis als einen nicht verhandelbaren, integralen und fortgeschrittenen Bestandteil des authentischen spirituellen Weges. Sie widerlegt jede Vorstellung, dass ethisches Verhalten oder oberflächliche Praxis allein ausreichen könnten. Ein wahrer Asket im Sinne des Buddha ist jemand, der diesen gesamten inneren Transformationsprozess, der in den tiefen meditativen Vertiefungen kulminiert, durchlaufen und gemeistert hat.

SN 45.8 & AN 9.36: Die Rolle in Sammā Samādhi und der Zerstörung der Triebe

SN 45.8: Vibhaṅga Sutta (Die Lehrrede über die Analyse)

Referenz: Saṁyutta Nikāya 45.8, Vibhaṅgasutta, Analyse. Link

Analyse: Diese kurze, aber grundlegende Lehrrede liefert die kanonische Definition des Edlen Achtfachen Pfades. Als der Buddha den achten Pfadfaktor, Rechte Konzentration (sammā samādhi), erklärt, tut er dies unzweideutig und ausschließlich durch die wörtliche Aufzählung der Standardformeln für die vier Jhānas.

Bedeutung: Dies schafft eine definitorische Identität: Rechte Konzentration ist die Praxis und das Erreichen der vier Jhānas. Das Vierte Jhāna stellt somit den Höhepunkt und die vollständige Verwirklichung des Konzentrationszweiges des Pfades dar. Diese Lehrrede verankert die Jhāna-Praxis im absoluten Kern der Lehre des Buddha und macht deutlich, dass jede Interpretation von sammā samādhi, die die Jhānas auslässt oder als optional betrachtet, von dieser fundamentalen kanonischen Definition abweicht.

AN 9.36: Jhāna Sutta (Die Lehrrede über die Vertiefungen)

Referenz: Aṅguttara Nikāya 9.36, Jhānasutta, Vertiefung. Link

Analyse: Diese Lehrrede stellt eine direkte Abhängigkeit her: „Ich sage euch, die Beendigung der geistigen Triebe (āsavānaṁ khaya) hängt vom ersten Jhāna ab… vom zweiten… vom dritten… vom vierten Jhāna…“. Sie verwendet das Gleichnis eines Bogenschützen, der lange auf ein Strohmännchen übt, um seine Kraft und Präzision zu entwickeln, bevor er große Ziele durchdringen kann. Genauso, so das Sutta, entwickelt der Meditierende durch die Jhānas einen starken und präzisen Geist. Der entscheidende Schritt ist dann die Anwendung dieser Kraft: Der Meditierende betrachtet die Bestandteile des Jhāna-Zustandes selbst als unbeständig, leidhaft und ohne Selbst und „wendet seinen Geist von diesen Phänomenen ab und neigt ihn dem Todlosen zu“.

Bedeutung: AN 9.36 liefert die entscheidende praktische Brücke von der Konzentration (samatha) zur Einsicht (vipassanā). Es zeigt, dass der im Vierten Jhāna erreichte Zustand nicht passiv genossen werden soll, sondern aktiv als Basis für die Untersuchung der Realität genutzt werden muss. Das Jhāna ist das Training, das den Geist stark macht; die Einsicht ist der gezielte Einsatz dieser Stärke zur Zerstörung der tiefsten Wurzeln des Leidens. Es ist die Nutzbarmachung der Konzentration für den Zweck der Befreiung.

V. Zusammenfassung und abschließende Betrachtung

Das Vierte Jhāna (Catuttha Jhāna) erweist sich bei genauer Betrachtung der kanonischen Texte als ein Zustand von außerordentlicher Tiefe und zentraler Bedeutung im buddhistischen Befreiungsweg. Seine definierenden Merkmale – die vollständige Transzendenz von Glück und Leid, der daraus resultierende neutrale Gefühlston (adukkhamasukha) und die makellose Reinheit von Gleichmut und Achtsamkeit (upekkhāsatipārisuddhiṁ) – heben es von allen anderen Geisteszuständen ab. Wie die Analyse gezeigt hat, ist seine Rolle nicht auf einen singulären Zweck beschränkt. Es ist der Höhepunkt der formgebundenen meditativen Entwicklung (Rūpa-Jhāna) und zugleich ein entscheidender, multifunktionaler Knotenpunkt, von dem aus der Weg in drei fundamentale Richtungen weiterführen kann: zur befreienden Einsicht (vipassanā), zu den höheren Geisteskräften (abhiññā) und zu den noch subtileren formlosen Vertiefungen (Arūpa-Jhāna). Seine Verankerung als die kanonische Definition von Rechter Konzentration (sammā samādhi) im Edlen Achtfachen Pfad unterstreicht seine Unverzichtbarkeit.

Dennoch, und dies ist ein entscheidender Punkt, der im Palikanon immer wieder betont wird, ist das Vierte Jhāna trotz seiner Erhabenheit und Kraft ein Mittel, nicht das endgültige Ziel. Die Texte warnen explizit davor, die Erfahrung eines solchen Zustandes mit der endgültigen Befreiung des Arahant zu verwechseln; eine solche Annahme wird als schwere Irrlehre verurteilt. Der wahre Wert des Vierten Jhāna liegt nicht im Verweilen in seiner tiefen Ruhe, sondern in seiner transformativen Kraft. Es ist der Zustand, in dem der Geist, geschliffen zu höchster Präzision und Stabilität, endlich fähig ist, die Fesseln der Unwissenheit zu durchtrennen und das unbedingte Glück von Nibbāna zu verwirklichen.

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Dieser Artikel widmet sich den großen Fragen, die die buddhistische Tradition seit Jahrhunderten beschäftigen. Ist die Praxis der Jhānas eine zwingende Voraussetzung für die Befreiung? Du untersuchst die Argumente der „Jhāna-Kriege“, die sich aus den Unterschieden zwischen den frühen Lehrreden (Suttas) und dem späteren Visuddhimagga-Kommentar ergeben. Entdecke den Pfad der „trockenen Einsicht“ (sukkha-vipassanā) und wäge ab, welche Rolle die tiefe Sammlung auf dem Weg zum Erwachen wirklich spielt.