
Nibbāna – Erlöschung und Befreiung im Palikanon
Das höchste Ziel des buddhistischen Weges verstehen
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Nibbāna – Das höchste Ziel im Buddhismus
Im Herzen der Lehre des Buddha, wie sie im Palikanon überliefert ist, steht Nibbāna (Sanskrit: Nirvāṇa) als das höchste Ziel der spirituellen Praxis. Es repräsentiert die endgültige Befreiung vom Leiden (dukkha) und dem endlosen Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra). Nibbāna ist der Kulminationspunkt des buddhistischen Pfades, ein Zustand vollkommenen Friedens, höchster Glückseligkeit und Freiheit. Die Begriffe „Erlöschung“ und „Befreiung“, die oft zur Übersetzung herangezogen werden, deuten bereits auf die vielschichtige Natur dieses zentralen Konzepts hin.
Dieser Text zielt darauf ab, ein klares und auf den frühesten buddhistischen Schriften – den Nikāyas des Palikanons – basierendes Verständnis von Nibbāna zu vermitteln. Er richtet sich an interessierte deutschsprachige Leserinnen und Leser, die die Bedeutung dieses Begriffs vertiefen und Hinweise auf relevante Lehrreden (Suttas) finden möchten. Dabei werden die Definition und Erklärung von Nibbāna, sein Zusammenhang mit anderen Kernlehren sowie spezifische Textstellen aus den Sammlungen der langen (Dīgha Nikāya, DN), mittleren (Majjhima Nikāya, MN), verbundenen (Saṃyutta Nikāya, SN) und angereihten Lehrreden (Aṅguttara Nikāya, AN) beleuchtet.
Was bedeutet Nibbāna? Definition und Erklärung
Die volle Tragweite von Nibbāna erschließt sich durch die Betrachtung seiner Etymologie, der im Kanon verwendeten Metaphern und seiner doktrinären Definition als das Ende des Leidens.
Etymologie und wörtliche Bedeutungen
Der Pali-Begriff Nibbāna wird etymologisch auf verschiedene Weisen interpretiert. Eine gängige Herleitung ist die Verbindung des Präfixes nir (aus, weg, ohne) mit der Verbalwurzel √vā (wehen, blasen). Nibbāna bedeutet demnach wörtlich „Ausblasen“, „Erlöschen“ oder „Verlöschen“, vergleichbar dem Erlöschen einer Flamme oder eines Feuers. Diese Metapher ist im Palikanon weit verbreitet und zentral für das buddhistische Verständnis des Begriffs.
Eine alternative, ebenfalls in Kommentaren und modernen Interpretationen diskutierte Etymologie leitet Nibbāna von nir + vāna ab, wobei vāna hier als „Weben“, „Binden“ oder im übertragenen Sinne als „Begierde“ (taṇhā) verstanden wird. In dieser Lesart bedeutet Nibbāna „Ent-bindung“ oder „Loslösung“ – die Befreiung von der Begierde, die uns an den Kreislauf der Wiedergeburten fesselt. Taṇhā, das Durst- oder Begehrensprinzip, wird explizit als dasjenige identifiziert, das die Wesen an saṃsāra bindet. Obwohl die „Erlöschen“-Metapher in den Suttas dominiert, unterstreicht die „Ent-bindung“-Interpretation den Aspekt der Befreiung.
Kernbedeutung: Das Ende des Leidens durch Erlöschen der „Feuer“
Im Kern bezeichnet Nibbāna das endgültige Aufhören (nirodha) von dukkha – dem Leiden, der Unzulänglichkeit und dem Stress, die das Dasein im saṃsāra kennzeichnen. Es ist die Verwirklichung der Dritten Edlen Wahrheit.
Das Bild des „Erlöschens“ bezieht sich dabei nicht auf eine Vernichtung des Selbst (ein Konzept, das der Buddhismus ohnehin ablehnt), sondern primär auf das Erlöschen der „drei Feuer“ oder „Gifte“ des Geistes:
- Rāga: Gier, Anhaftung, sinnliches Begehren
- Dosa: Hass, Abneigung, Zorn
- Moha: Verblendung, Unwissenheit, Ignoranz
Diese drei mentalen Faktoren gelten als die Wurzeln allen Leidens und die treibenden Kräfte hinter dem Kreislauf der Wiedergeburten. Ihre vollständige und restlose Beseitigung ist Nibbāna.
Eine der prägnantesten Definitionen findet sich im Saṃyutta Nikāya: „Freund, das Versiegen der Gier, das Versiegen des Hasses, das Versiegen der Verblendung – das wird Erlöschung (nibbāna) genannt.“ (SN 38.1). Diese Definition wird durch Lehrreden wie AN 3.55 untermauert, wo die erfahrbare Abwesenheit von Leid und Bedrückung nach dem Aufgeben von Gier, Hass und Verblendung als „unmittelbar sichtbares Nibbāna“ (sandiṭṭhikaṃ nibbānaṃ) bezeichnet wird.
Zwei Aspekte von Nibbāna
Die buddhistische Tradition unterscheidet zwei Aspekte oder Stufen von Nibbāna:
- Sa-upādisesa-nibbāna: Wörtlich „Nibbāna mit verbleibendem Substrat (der Daseinsgruppen)“. Dies ist der Zustand, den ein Arahant – ein vollständig Erleuchteter – bereits zu Lebzeiten erreicht hat. Die Geistesgifte (kilesa) sind vollständig erloschen (kilesa-parinibbāna), aber die fünf Daseinsgruppen (khandhas – Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewusstsein), die das Ergebnis früheren Karmas sind, bestehen noch fort. Der Arahant erlebt die Welt weiterhin durch seine Sinne, aber ohne Anhaftung, Abneigung oder Verblendung.
- Anupādisesa-nibbāna (oft synonym mit Parinibbāna): Wörtlich „Nibbāna ohne verbleibendes Substrat“. Dies tritt mit dem Tod eines Arahanten ein. Da keine neue Begierde und somit kein neues Karma mehr erzeugt wird, das zu einer Wiedergeburt führen könnte, kommen die Daseinsgruppen endgültig zur Ruhe. Der Kreislauf von Geburt und Tod ist durchbrochen. Die berühmte Schilderung des Parinibbāna des Buddha findet sich im Mahāparinibbāna Sutta (DN 16).
Attribute und Charakteristika von Nibbāna
Obwohl Nibbāna oft negativ als „Erlöschen“ oder „Aufhören“ definiert wird, beschreiben die Suttas es auch mit einer Fülle positiver Attribute. Es wird charakterisiert als:
- Frieden (santi): Die höchste Form von Ruhe und Stille.
- Kühle (sītibhūta): Im Gegensatz zur Hitze der Leidenschaften.
- Glückseligkeit/Wohl (sukha): Das höchste, unbedingte Glück, das über weltliche Freuden hinausgeht.
- Sicherheit/Geborgenheit (khema): Freiheit von Gefahr und Angst.
- Befreiung (vimutti): Die Loslösung von allen Fesseln.
- Das Todlose (amata): Der Zustand jenseits von Geburt und Tod.
- Das Unbedingte (asaṅkhata): Nicht durch Ursachen und Bedingungen entstanden, daher dauerhaft und unveränderlich.
Eine besonders eindringliche Beschreibung findet sich im Udāna (Ud 8.3): „Es gibt, ihr Mönche, einen Bereich, wo weder Festes noch Flüssiges ist, weder Hitze noch Bewegung, weder diese Welt noch jene Welt, weder Sonne noch Mond. Das, ihr Mönche, nenne ich weder ein Kommen, noch ein Gehen, noch ein Stillestehen, weder ein Geborenwerden, noch ein Sterben. Es ist ohne jede Grundlage, ohne Entwicklung, ohne Stützpunkt: das eben ist das Ende des Leidens.“. Dies betont, dass Nibbāna jenseits aller konventionellen Kategorien von Raum, Zeit und Existenz liegt. Es ist kein Ort, sondern ein Zustand oder, wie es manchmal ausgedrückt wird, ein Element (dhātu), das ungeboren, ungeworden, ungemacht und ungestaltet ist.
Die Beschreibung von Nibbāna als „Erlöschen“ einerseits und als „höchste Glückseligkeit“ andererseits mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Wie kann ein Zustand des Erlöschens gleichzeitig der höchste Zustand des Wohlbefindens sein? Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man versteht, was erlischt: Es sind die „Feuer“ der Gier, des Hasses und der Verblendung, die als Ursache allen Leidens und aller Unruhe gelten. Im buddhistischen Kontext ist das vollständige Aufhören dieser leidverursachenden Faktoren und des damit verbundenen Leidens selbst die höchste Form von Glück und Frieden (paramaṃ sukhaṃ). Die Glückseligkeit von Nibbāna ist also keine gewöhnliche, bedingte Freude, sondern die tiefe, unerschütterliche Ruhe und Freiheit, die aus der Abwesenheit jeglicher mentaler Verunreinigung und Anhaftung resultiert.
Nibbāna ist somit weder eine nihilistische Auslöschung noch eine ewige Existenz im Sinne eines Paradieses, sondern eine radikale Transformation des Bewusstseins, die durch die vollständige Läuterung des Geistes erreicht wird.
Darüber hinaus betonen die Suttas immer wieder den erfahrbaren Charakter von Nibbāna. Es wird als sandiṭṭhika (unmittelbar sichtbar, hier und jetzt erfahrbar), akālika (zeitlos, nicht an Zeit gebunden), ehipassika (einladend, zum Selbst-Sehen auffordernd), opanayika (zum Ziel führend, nach innen gerichtet) und paccattaṃ veditabbo viññūhi (von den Weisen je für sich selbst zu erkennen) beschrieben. Dies steht im Gegensatz zu Interpretationen, die Nibbāna ausschließlich als ein jenseitiges Ziel oder ein rein theoretisches Konstrukt betrachten. Die Lehrrede AN 3.55 macht dies besonders deutlich: Die direkte Erfahrung der Leidensfreiheit, die eintritt, wenn Gier, Hass oder Verblendung aufgegeben werden, wird als das „unmittelbar sichtbare Nibbāna“ bezeichnet. Dies verweist darauf, dass Nibbāna nicht nur ein fernes Endziel ist, sondern eine Dimension der Erfahrung, die durch die Praxis des Pfades hier und jetzt zugänglich und verifizierbar werden kann (diṭṭhadhamma). Der Fokus liegt auf der praktischen Umsetzung des Pfades, die zu einer greifbaren Veränderung des Bewusstseins führt, nicht nur auf dem Glauben an ein zukünftiges Ergebnis.
Nibbāna im Kontext zentraler buddhistischer Lehren
Nibbāna ist kein isoliertes Konzept, sondern der Angelpunkt, auf den die gesamte Lehre des Buddha ausgerichtet ist. Sein Verständnis erfordert die Einbettung in den Rahmen der Vier Edlen Wahrheiten, des Achtfachen Pfades und der Lehre vom Bedingten und Unbedingten.
Die Vier Edlen Wahrheiten (Cattāri Ariyasaccāni)
Die erste Lehrrede des Buddha, das Dhammacakkappavattana Sutta (SN 56.11), legt die Grundlage seiner Lehre in Form der Vier Edlen Wahrheiten dar. Nibbāna ist hier explizit als die Dritte Edle Wahrheit formuliert: die Wahrheit vom Aufhören des Leidens (dukkha-nirodha-ariyasacca). Die vier Wahrheiten lauten:
- Die Edle Wahrheit vom Leiden (Dukkha Ariyasacca): Das Leben im Daseinskreislauf ist inhärent leidhaft oder unzulänglich.
- Die Edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens (Dukkha-samudāya Ariyasacca): Die Ursache des Leidens ist primär die Begierde (taṇhā).
- Die Edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens (Dukkha-nirodha Ariyasacca): Das Leiden kann durch das restlose Aufgeben und Erlöschen der Begierde beendet werden – dies ist Nibbāna.
- Die Edle Wahrheit vom Pfad, der zur Aufhebung des Leidens führt (Dukkha-nirodha-gāminī-paṭipadā Ariyasacca): Der Weg zur Befreiung ist der Edle Achtfache Pfad.
Nibbāna ist somit das erklärte Ziel, dessen Erreichung durch das Verständnis der ersten beiden Wahrheiten (Problem und Ursache) und die Praxis der vierten Wahrheit (Weg) ermöglicht wird.
Der Edle Achtfache Pfad (Ariyo Aṭṭhaṅgiko Maggo)
Der Edle Achtfache Pfad ist die praktische Umsetzung der Vierten Edlen Wahrheit. Er ist der Weg (magga oder paṭipadā), der direkt zur Erfahrung und Verwirklichung von Nibbāna führt. Die acht Faktoren des Pfades werden üblicherweise in drei Gruppen unterteilt:
- Weisheit (paññā):
- Rechte Erkenntnis/Sicht (sammā diṭṭhi)
- Rechte Absicht/Denken (sammā saṅkappa)
- Sittliches Verhalten (sīla):
- Rechte Rede (sammā vācā)
- Rechtes Handeln (sammā kammanta)
- Rechter Lebenserwerb (sammā ājīva)
- Vertiefung/Sammlung (samādhi):
- Rechte Anstrengung (sammā vāyāma)
- Rechte Achtsamkeit (sammā sati)
- Rechte Sammlung/Konzentration (sammā samādhi)
Die Kultivierung dieser acht Faktoren in integrierter Weise läutert den Geist von den Verunreinigungen und führt schrittweise zur Befreiung, zu Nibbāna.
Das Unbedingte (Asaṅkhata)
Die buddhistische Lehre unterscheidet grundlegend zwischen bedingten Phänomenen (saṅkhāra oder saṅkhata dhamma) und dem Unbedingten (asaṅkhata dhamma). Alle weltlichen Erfahrungen, alle physischen und mentalen Prozesse, sind bedingt – sie entstehen aufgrund von Ursachen und Bedingungen, sind vergänglich (anicca), unzulänglich (dukkha) und ohne einen dauerhaften, unabhängigen Kern (anattā). Die Dynamik dieses Entstehens und Vergehens wird im Konzept des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda) detailliert beschrieben (z.B. in DN 15, MN 9).
Im Gegensatz dazu steht Nibbāna als das primäre Beispiel für das Unbedingte (asaṅkhata). Es ist nicht durch Ursachen entstanden, unterliegt daher weder dem Entstehen noch dem Vergehen und ist frei von allen Bedingungen. Es ist das „Andere Ufer“, das jenseits der Welt der bedingten Phänomene liegt. Das Asaṅkhata Saṃyutta (SN 43) widmet sich ganz der Beschreibung dieses Unbedingten mit zahlreichen Synonymen, die alle auf Nibbāna verweisen.
Die Struktur der Vier Edlen Wahrheiten und des Achtfachen Pfades offenbart eine tiefe innere Kohärenz und Interdependenz von Lehre und Praxis. Nibbāna (die 3. Wahrheit) ist das Ziel, der Achtfache Pfad (die 4. Wahrheit) ist der Weg dorthin. Gleichzeitig ist die Rechte Erkenntnis (sammā diṭṭhi), der erste Faktor des Pfades, definiert als das Verständnis der Vier Edlen Wahrheiten selbst. Dies schafft eine dynamische Wechselwirkung: Das Verständnis des Ziels (Nibbāna) motiviert und lenkt die Praxis des Pfades, während die Praxis des Pfades das Verständnis vertieft und schließlich zur Verwirklichung des Ziels führt.
Die traditionelle buddhistische Einteilung in pariyatti (das Lernen der Lehre), paṭipatti (die Ausübung der Lehre) und paṭivedha (das Durchdringen oder Verwirklichen der Lehre) spiegelt diese untrennbare Verbindung wider. Ein rein intellektuelles Verständnis von Nibbāna bleibt unvollständig ohne die praktische Kultivierung des Pfades, und eine Praxis ohne klares Verständnis des Ziels und des Rahmens kann ziellos werden. Die Suttas präsentieren somit ein integriertes System, in dem Wissen und Handeln sich gegenseitig stützen und zur Befreiung führen.
Lehrreden (Suttas) zu Nibbāna im Palikanon
Die folgenden Abschnitte stellen eine Auswahl von Lehrreden aus den vier Haupt-Nikāyas vor, in denen Nibbāna besonders thematisiert oder erklärt wird. Die Referenzen folgen der Standard-Sutta-Nummerierung (Nikāya-Kürzel + Sutta-Nummer) und den Pali-Namen. Als Hauptquelle für die Texte und weiterführende Studien wird auf SuttaCentral.net verwiesen. Alle Pali-Begriffe und -Namen sind gemäß der IAST-Norm (International Alphabet of Sanskrit Transliteration) mit diakritischen Zeichen wiedergegeben.
Dīgha Nikāya (DN): Die Sammlung der langen Lehrreden
Der Dīgha Nikāya enthält 34 längere Lehrreden, die oft narrative Elemente und ausführliche Darlegungen enthalten.
- DN 15: Mahānidāna Sutta (Die große Lehrrede über die Ursachen)
- Relevanz: Dieses Sutta legt die Kette des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda) dar, die erklärt, wie Leiden (dukkha) durch eine Abfolge von Ursachen und Wirkungen entsteht, beginnend mit Unwissenheit und endend in Alter und Tod. Das Verständnis dieser Kausalkette ist fundamental, um zu verstehen, wie durch das Brechen ihrer Glieder – insbesondere der Begierde (taṇhā) und des Ergreifens (upādāna) – ihr Aufhören (nirodha), also Nibbāna, erreicht wird. Obwohl Nibbāna nicht das Hauptthema ist, liefert das Sutta die kausale Grundlage für sein Erreichen.
- DN 16: Mahāparinibbāna Sutta (Die große Lehrrede über das endgültige Erlöschen)
- Relevanz: Als einer der bedeutendsten Texte des Palikanons beschreibt dieses lange Sutta die letzten Monate im Leben des Buddha, seine letzten Unterweisungen und sein Eingehen in das endgültige Nibbāna (parinibbāna). Es betont die Bedeutung der Lehre (Dhamma) selbst als Führer nach dem Tod des Buddha und enthält zahlreiche Wiederholungen zentraler Lehren, einschließlich des Achtfachen Pfades und der Vier Edlen Wahrheiten, die zur Befreiung führen. Es ist eine unverzichtbare Quelle zum Verständnis des Konzepts der endgültigen Befreiung des Buddha.
Majjhima Nikāya (MN): Die Sammlung der mittleren Lehrreden
Der Majjhima Nikāya umfasst 152 Suttas mittlerer Länge, die eine große Bandbreite an Themen abdecken und oft Dialogform haben.
- MN 75: Māgandiya Sutta (An Māgandiya)
- Relevanz: Dieses Sutta enthält den berühmten Vers: „Ārogyaparamā lābhā, nibbānaṃ paramaṃ sukhaṃ“ – „Gesundheit ist der höchste Gewinn, Nibbāna ist die höchste Glückseligkeit“. Im Gespräch mit dem Wanderasketen Māgandiya kontrastiert der Buddha die vergänglichen und letztlich leidhaften Sinnesfreuden mit der unübertroffenen Glückseligkeit und dem Frieden von Nibbāna. Nibbāna wird hier als die wahre „Gesundheit“ dargestellt, die Befreiung von der „Krankheit“ der geistigen Verunreinigungen.
- MN 139: Araṇavibhaṅga Sutta (Die Darlegung über Konfliktfreiheit)
- Relevanz: Hier wird explizit festgestellt, dass der Mittlere Weg – die Vermeidung der Extreme von Sinneslust und Selbstquälerei –, der mit dem Edlen Achtfachen Pfad identisch ist, „zur Beruhigung, zum besonderen Wissen, zur Erwachung, zu Nibbāna führt“ (upasamāya abhiññāya sambodhāya nibbānāya saṃvattati). Das Sutta stellt somit eine klare Verbindung zwischen der konkreten Praxis des Pfades und dem Erreichen des Ziels Nibbāna her.
- (Erwähnenswert) MN 1: Mūlapariyāya Sutta (Die Wurzel aller Dinge)
- Relevanz: Dieses tiefgründige Sutta analysiert, wie eine ungeschulte Person die Welt wahrnimmt und sich damit identifiziert, im Gegensatz zu einem geschulten Schüler und dem Buddha selbst, der die Phänomene erkennt, ohne an ihnen anzuhaften – selbst nicht an Nibbāna auf eine Weise, die subtile Anhaftung erzeugen könnte. Es warnt vor konzeptueller Verstrickung und dem „Sich-Einbilden“ in Bezug auf das Ziel selbst.
Saṃyutta Nikāya (SN): Die Sammlung der verbundenen Lehrreden
Der Saṃyutta Nikāya gruppiert Tausende von kürzeren Suttas thematisch in Kapiteln (saṃyuttas).
Existiert ein eigenes Saṃyutta zu Nibbāna?
Ja, es gibt Saṃyuttas, die für das Thema Nibbāna besonders relevant sind:
- SN 38.1: Nibbānasutta (Lehrrede über Nibbāna): Dieses Sutta im Jambukhādaka Saṃyutta liefert die bereits zitierte, prägnante Definition: „Freund, das Versiegen der Gier, das Versiegen des Hasses, das Versiegen der Verblendung – das wird Erlöschung (nibbāna) genannt.“ Es bestätigt auch den Edlen Achtfachen Pfad als den Weg zur Verwirklichung.
- SN 43: Asaṅkhata Saṃyutta (Verbunden mit dem Unbedingten): Dieses gesamte Kapitel ist dem Unbedingten (asaṅkhata) gewidmet, das in diesem Kontext weitgehend synonym mit Nibbāna verwendet wird. Es listet zahlreiche Epitheta und Beschreibungen für diesen Zustand auf, wie z.B. das Ungeborene, das Ungealterte, das Todlose, das Kummlose, das Unbefleckte, das Unbedingte, die Insel, der Schutz, die Zuflucht, das Ziel und Nibbāna selbst.
Aṅguttara Nikāya (AN): Die Sammlung der angereihten Lehrreden
Der Aṅguttara Nikāya ordnet seine Suttas numerisch an, von „Einer-“ bis zu „Elfer-Abschnitten“ (nipātas).
Gibt es eine besonders berühmte oder oft zitierte Rede zu Nibbāna?
Ja, AN 3.55 wird häufig zitiert, um den erfahrbaren Aspekt von Nibbāna zu illustrieren.
- AN 3.55: Nibbāna Sutta (oder Jāṇussoṇi Sutta)
- Relevanz: Der Brahmane Jāṇussoṇi fragt den Buddha, inwiefern Nibbāna „unmittelbar sichtbar“ (sandiṭṭhika) sei. Der Buddha erklärt, dass jemand, der Gier, Hass oder Verblendung aufgibt, unmittelbar die Abwesenheit von mentalem Leid und Bedrängnis erfährt. Genau diese direkte, persönliche Erfahrung der Befreiung von den Geistesgiften hier und jetzt ist es, wodurch Nibbāna unmittelbar sichtbar wird.
Zusammenfassende Tabelle ausgewählter Suttas zu Nibbāna
Nikāya | Sutta-Nr. | Pali-Name | Deutscher Titel (gebräuchlich) | Kernaspekt bzgl. Nibbāna | SuttaCentral Link |
---|---|---|---|---|---|
DN | 15 | Mahānidānasutta | Die große Lehrrede über die Ursachen | Kausale Grundlage (Bedingtes Entstehen) für das Ende des Leidens | https://suttacentral.net/dn15 |
DN | 16 | Mahāparinibbānasutta | Die große Lehrrede über das endg. Erlöschen | Beschreibung des Parinibbāna des Buddha, letzte Lehren | https://suttacentral.net/dn16 |
MN | 75 | Māgandiyasutta | An Māgandiya | Nibbāna als höchste Glückseligkeit/Gesundheit | https://suttacentral.net/mn75 |
MN | 139 | Araṇavibhaṅgasutta | Die Darlegung über Konfliktfreiheit | Der Mittlere Weg/Achtfache Pfad führt zu Nibbāna | https://suttacentral.net/mn139 |
SN | 38.1 | Nibbānasutta | Lehrrede über Nibbāna | Definition: Erlöschen von Gier, Hass, Verblendung | https://suttacentral.net/sn38.1 |
SN | 43 | Asaṅkhatasaṃyutta | Verbunden mit dem Unbedingten | Zahlreiche Synonyme und Beschreibungen für Nibbāna | https://suttacentral.net/sn43 |
AN | 3.55 | Nibbānasutta | Lehrrede über Nibbāna / An Jāṇussoṇi | Erklärung des „unmittelbar sichtbaren“ (sandiṭṭhika) Nibbāna | https://suttacentral.net/an3.55 |
Zusammenfassung und Ausblick
Nibbāna stellt das zentrale Ziel der buddhistischen Lehre dar: das endgültige Erlöschen der geistigen Verunreinigungen – Gier, Hass und Verblendung – und die daraus resultierende Befreiung vom Leiden (dukkha) und dem Kreislauf der Wiedergeburten (saṃsāra). Es manifestiert sich in zwei Aspekten: als erfahrbare Befreiung zu Lebzeiten (sa-upādisesa-nibbāna) und als endgültiges Verlöschen der Daseinsfaktoren mit dem Tod eines Erleuchteten (anupādisesa-nibbāna oder parinibbāna).
Obwohl wörtlich oft als „Erlöschen“ übersetzt, wird Nibbāna in den Texten durchweg als Zustand höchsten Friedens, unbedingten Glücks, vollkommener Sicherheit und Freiheit beschrieben – als das „Todlose“ und „Unbedingte“. Dieser Zustand ist keine ferne Utopie, sondern das Ergebnis der konsequenten Praxis des Edlen Achtfachen Pfades, der als Vierte Edle Wahrheit den Weg zur Aufhebung des Leidens (der Dritten Edlen Wahrheit, Nibbāna) weist. Die Lehren betonen dabei auch den unmittelbar erfahrbaren Charakter (sandiṭṭhika) der Befreiung, die sich bereits hier und jetzt in der Abwesenheit von Leid manifestieren kann, wenn die zugrundeliegenden Ursachen beseitigt werden.
Die in diesem Text vorgestellten Lehrreden aus dem Dīgha Nikāya, Majjhima Nikāya, Saṃyutta Nikāya und Aṅguttara Nikāya bieten nur einen kleinen Einblick in die Tiefe und Vielfalt, mit der der Palikanon das Thema Nibbāna behandelt. Es sei allen Interessierten empfohlen, die angegebenen Referenzen, insbesondere über die Ressource SuttaCentral.net, zu nutzen, um die Originaltexte selbst zu studieren. Das Verständnis von Nibbāna vertieft sich letztlich durch die Verbindung von Studium (pariyatti) und engagierter Praxis (paṭipatti). Nibbāna bleibt das tiefgründige und befreiende Herzstück des buddhistischen Weges, das zur Erforschung und Verwirklichung einlädt.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Ausgewählte Referenzen:
- Nirvana Bedeutung: Die tiefere Erkenntnis des Geistes – ursachewirkung.com
- Nibbana: Symbolik und Bedeutung – Wisdomlib
- Nibbana as Living Experience / The Buddha and The Arahant – Access to Insight
- Glossary | suttas on dhammatalks.org
- Definitions for: nibbāna – SuttaCentral
- Nirvana (Buddhism) – Wikipedia
- nibbāna – Palikanon
- Translating Nibbana as extinguishment – Discussion – SuttaCentral
- Nibbana, Nibbāna: 12 definitions
- Basics of Buddhism – PBS
- Four Noble Truths – Wikipedia
- SN 38.1: Nibbānapañhāsutta—Bhikkhu Sujato – SuttaCentral
- AN 3.55: Nibbutasutta—Bhikkhu Bodhi – SuttaCentral
- A Guide To Long Discourses—SuttaCentral
- Dīgha Nikāya – Wikipedia
Weiter in diesem Bereich mit …
Kamma – Handlung, Ursache-Wirkung
Hier erforschst du das universelle Gesetz von Ursache und Wirkung, bekannt als Kamma (Sanskrit: Karma). Verstehe, wie deine absichtsvollen Handlungen – mit Körper, Rede und Geist – die treibende Kraft sind, die deine Erfahrungen und deine zukünftigen Existenzen formt. Lerne, wie heilsame (kusala) und unheilsame (akusala) Handlungen unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen und wie dieses Verständnis für ethisches Handeln zentral ist.