
Kāyānupassanā – Achtsamkeit auf den Körper im frühen Buddhismus
Die erste Grundlage der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna) verstehen und praktizieren
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Der Körper als Anker der Achtsamkeit
- Was ist Kāyānupassanā? Definition und Erklärung
- Kāyānupassanā im Kontext: Die Vier Grundlagen der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna)
- Die Praxis der Körperachtsamkeit: Kernübungen
- Zentrale Lehrreden (Suttas) zu Kāyānupassanā
- Zusammenfassung und Ausblick
- Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Einleitung: Der Körper als Anker der Achtsamkeit
Die Praxis der Achtsamkeitsmeditation (sati) bildet einen Kernbestandteil des frühen Buddhismus. Sie dient als methodischer Weg, um die wahre Natur der Wirklichkeit zu verstehen und letztendlich Befreiung vom Leiden (dukkha) zu erlangen. Der Buddha lehrte systematische Methoden zur Kultivierung dieser Achtsamkeit, die darauf abzielen, den Geist zu schulen und zu klären.
Innerhalb dieser Methoden nimmt die Kāyānupassanā, die Achtsamkeit auf den Körper, eine grundlegende und oft primäre Stellung ein. Sie bildet den Ausgangspunkt für viele Meditierende auf dem Weg der Geistesschulung.
Dieser Bericht definiert den Begriff Kāyānupassanā, erläutert seinen Platz im größeren Rahmen der buddhistischen Praxis, skizziert die zentralen Übungen und verweist auf wichtige Lehrreden (Suttas) aus dem Palikanon, in denen diese Praxis ausführlich erklärt wird.
Die Wahl des Körpers als erstes Objekt der Achtsamkeit ist kein Zufall. Der Körper ist das unmittelbarste und greifbarste Feld für die Entwicklung von Achtsamkeit. Er ist immer gegenwärtig und liefert einen konstanten Strom an Sinneseindrücken. Physische Empfindungen sind oft weniger komplex und flüchtig als emotionale Zustände oder Gedankenketten, was sie zu einem geeigneten Einstiegspunkt macht. Zudem manifestieren sich viele geistige Zustände – wie Anspannung, Unruhe oder Freude – auch körperlich. Die Arbeit mit dem Körper hilft, eine Grundlage an geistiger Stabilität und Sammlung (samādhi) aufzubauen, die notwendig ist, um später auch subtilere Phänomene wie Gefühle, Geisteszustände und Geistesobjekte klar erkennen zu können. Diese logische Abfolge spiegelt sich darin wider, dass Kāyānupassanā als erste der vier Grundlagen der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna) gelehrt wird.
Was ist Kāyānupassanā? Definition und Erklärung
Der Pali-Begriff Kāyānupassanā setzt sich zusammen aus kāya, was „Körper“ bedeutet, und anupassanā, was „genaues Betrachten“, „Beobachten“ oder „Kontemplieren“ impliziert. Die Standardformulierung in den Lehrreden lautet oft kāye kāyānupassī viharati, was wörtlich übersetzt „im Körper den Körper betrachtend verweilen“ bedeutet. Diese Formulierung weist darauf hin, dass der Fokus auf spezifischen Aspekten der verkörperten Erfahrung liegt – wie dem Atem, den Körperhaltungen oder den Körperteilen – und nicht auf dem Körper als abstraktem Konzept oder als Ausdruck einer persönlichen Identität. Es geht darum, die körperlichen Phänomene direkt und unmittelbar wahrzunehmen, so wie sie sich im gegenwärtigen Moment zeigen.
Diese Beobachtung ist jedoch keine passive oder distanzierte Wahrnehmung. Die Lehrreden betonen, dass Kāyānupassanā mit bestimmten geistigen Qualitäten ausgeübt werden soll:
- Ātāpī (eifrig, glühend, bemüht): Dies impliziert eine anhaltende Anstrengung, Energie (viriya) und einen engagierten Einsatz bei der Praxis. Es geht nicht um verbissene Anspannung, sondern um eine wache, tatkräftige Ausrichtung des Geistes auf das Meditationsobjekt.
- Sampajāno (wissensklar, klar verstehend): Diese Qualität bezieht sich auf ein klares Verständnis der gegenwärtigen Situation und der ausgeführten Handlung. Es beinhaltet die Bewusstheit darüber, was man tut, warum man es tut und ob es angemessen ist. Im Kontext der Körperachtsamkeit bedeutet dies, die körperlichen Vorgänge und Aktivitäten mit Klarheit zu erfassen.
- Satimā (achtsam): Dies ist die Kernqualität der Achtsamkeit selbst – das präsente Gewahrsein, das Erinnern an das Meditationsobjekt und das Verweilen bei der Beobachtung ohne abzuschweifen oder vergesslich zu werden.
- Vineyya loke abhijjhādomanassaṁ (nachdem Habgier und Kummer/Unmut hinsichtlich der Welt überwunden wurden): Diese wichtige Bedingung zeigt an, dass die meditative Betrachtung idealerweise mit einem Geist stattfindet, der zumindest vorübergehend frei von starkem Begehren (abhijjhā) und starker Abneigung oder Trauer (domanassa) ist. Dies wird oft durch vorherige Übung in Tugendhaftigkeit (sīla) und Sinneszügelung (indriyasaṃvara) vorbereitet.
Die Notwendigkeit dieser begleitenden Qualitäten und der mentalen Vorbereitung unterstreicht, dass Kāyānupassanā weit mehr ist als eine reine Beobachtungstechnik. Es handelt sich um eine aktive, engagierte und ethisch eingebettete Praxis. Die Begriffe ātāpī und sampajāno weisen über bloße Wahrnehmung hinaus auf Anstrengung und Verstehen. Die Bedingung, Gier und Unmut überwunden zu haben (vineyya loke abhijjhādomanassaṁ), verbindet die Praxis direkt mit dem Ziel, geistige Trübungen (Befleckungen, kilesa) zu schwächen. Lehrreden wie AN 6.117 stellen zudem einen Zusammenhang her zwischen den Voraussetzungen für die Körperbetrachtung und Aspekten der „stufigen Übung“ (anupubbasikkhā), wie Mäßigung beim Essen und Bewachen der Sinnestore. Dies verdeutlicht, dass Kāyānupassanā kein isoliertes Werkzeug ist, sondern integraler Bestandteil eines umfassenden spirituellen Pfades, der auf die Läuterung des Geistes und die Befreiung vom Leiden abzielt.
Kāyānupassanā im Kontext: Die Vier Grundlagen der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna)
Kāyānupassanā ist die erste von vier Praktiken, die zusammen als Satipaṭṭhāna bekannt sind, die „Grundlagen“ oder „Vergegenwärtigungen“ der Achtsamkeit. Der Begriff Satipaṭṭhāna ist ein Kompositum aus sati (Achtsamkeit) und entweder paṭṭhāna (Grundlage, Fundament, Etablierung) oder upaṭṭhāna (Gegenwart, Anwesenheit, Sich-Einstellen auf). Die Analyse als sati-upaṭṭhāna („Gegenwart der Achtsamkeit“) wird von einigen Gelehrten als etymologisch korrekter angesehen, da der Begriff upaṭṭhāna häufiger im Palikanon und in Sanskrit-Parallelen vorkommt, während paṭṭhāna in diesem Kontext primär im Abhidhamma und späteren Kommentaren zu finden ist. Unabhängig von der genauen Etymologie bezeichnet der Begriff einen systematischen Rahmen für die Entwicklung von Achtsamkeit und Einsicht.
Die vier Satipaṭṭhāna sind:
- Kāyānupassanā: Achtsamkeit auf den Körper (Betrachtung des Körpers im Körper).
- Vedanānupassanā: Achtsamkeit auf die Gefühle oder Empfindungen (Betrachtung der Gefühle in den Gefühlen) – unterschieden als angenehm (sukha), unangenehm (dukkha) oder weder-angenehm-noch-unangenehm/neutral (adukkhamasukha).
- Cittānupassanā: Achtsamkeit auf den Geist oder die Bewusstseinszustände (Betrachtung des Geistes im Geist) – z.B. Erkennen, ob der Geist gierig, hassvoll, verblendet, gesammelt, zerstreut, befreit oder unbefreit ist.
- Dhammānupassanā: Achtsamkeit auf die Geistesobjekte, Prinzipien oder Dhamma-Kategorien (Betrachtung der Dhammas in den Dhammas) – dies umfasst verschiedene analytische Rahmen, wie die Fünf Hindernisse (nīvaraṇa), die Sieben Erleuchtungsglieder (bojjhaṅga), die Fünf Aggregate des Anhaftens (khandha), die Sechs inneren und äußeren Sinnesgrundlagen (āyatana) und die Vier Edlen Wahrheiten (ariyasacca).
Der in den Lehrreden angegebene Zweck der Satipaṭṭhāna-Praxis ist tiefgreifend und umfassend: Sie wird als „der einzige Weg“ (ekāyano maggo) bezeichnet, „zur Läuterung der Wesen, zur Überwindung von Kummer und Klagen, zur Beendigung von Schmerz und Trauer, zur Verwirklichung der rechten Methode, zur Verwirklichung von Nibbāna“.
Die Reihenfolge der vier Grundlagen – Körper, Gefühle, Geist, Geistesobjekte – legt eine natürliche Progression vom Grobstofflichen zum Feinstofflichen nahe. Der Körper ist am leichtesten greifbar. Gefühle entstehen oft in Reaktion auf Sinneskontakt, der über den Körper vermittelt wird. Geisteszustände wie Gier oder Abneigung sind häufig Reaktionen auf angenehme oder unangenehme Gefühle. Die Dhammas schließlich repräsentieren die grundlegenden Prinzipien und Kategorien, die diesen gesamten Erfahrungsprozess strukturieren und erklären. Auch wenn die tatsächliche Meditationspraxis nicht immer streng linear verlaufen muss und Praktizierende je nach Situation den Fokus wechseln können, bietet diese Struktur einen logischen Rahmen für die Entfaltung von Achtsamkeit und Einsicht.
Satipaṭṭhāna wird als direkter Pfad (ekāyano maggo) zur Befreiung betrachtet, weil die Praxis direkt an der Wurzel des Leidens ansetzt: an der falschen Wahrnehmung und dem Anhaften (upādāna). Durch die direkte, nicht-wertende Beobachtung der Erfahrungskomponenten (Körper, Gefühle, Geist, Dhammas) „wie sie wirklich sind“ (yathābhūtaṃ), ohne die üblichen Überlagerungen durch Gier, Hass und Verblendung, werden diese geistigen Trübungen allmählich untergraben. Insbesondere die Anweisung, bei jedem Objekt auch dessen Entstehen und Vergehen (samudaya-vaya-dhammānupassī) zu betrachten, kultiviert direkt die Einsicht in die grundlegende Eigenschaft der Vergänglichkeit (anicca). Diese Einsicht schwächt das Anhaften und führt schrittweise zur Befreiung.
Die Praxis der Körperachtsamkeit: Kernübungen
Die Kāyānupassanā, als erste Grundlage der Achtsamkeit, umfasst eine Reihe spezifischer meditativer Übungen. Diese werden vor allem in den beiden zentralen Lehrreden zum Thema, dem Satipaṭṭhāna Sutta (MN 10) und dem Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (DN 22), detailliert beschrieben. Diese Übungen bieten verschiedene Wege, um den Körper als Feld der Achtsamkeit zu nutzen:
- Achtsamkeit auf den Atem (Ānāpānasati): Dies ist vielleicht die bekannteste Meditationsübung. Sie beinhaltet das bewusste Beobachten des natürlichen Ein- und Ausatmens, ohne den Atem zu kontrollieren oder zu manipulieren. Man nimmt wahr, ob der Atem lang oder kurz ist, man übt sich darin, den gesamten „Atemkörper“ (sabbakāya) – oft interpretiert als den gesamten Prozess des Atmens oder den ganzen physischen Körper im Zusammenhang mit dem Atem – zu erfahren, und man lernt, die körperlichen Prozesse (kāyasaṅkhāra, hier oft als Atem selbst verstanden) zu beruhigen. Diese Übung dient oft als Ausgangspunkt und Anker für die Meditation. Das Ānāpānasati Sutta (MN 118) widmet sich ausschließlich dieser Methode und zeigt in 16 Schritten auf, wie die Atembetrachtung zur Erfüllung aller vier Satipaṭṭhāna führt.
- Achtsamkeit auf die Körperhaltungen (Iriyāpatha): Bei dieser Übung geht es darum, sich der aktuellen Haltung des Körpers klar bewusst zu sein: Man weiß, ob man geht, steht, sitzt oder liegt. Die Achtsamkeit wird auf die grobe Position des Körpers im Raum gerichtet.
- Klare Wissensklarheit bei Aktivitäten (Sampajañña): Diese Praxis erweitert die Achtsamkeit auf alle alltäglichen Handlungen und Aktivitäten. Man ist sich bewusst, wenn man sich vorwärts oder rückwärts bewegt, wenn man schaut, Gliedmaßen beugt oder streckt, Kleidung trägt, isst, trinkt, kaut, schmeckt, ausscheidet, geht, steht, sitzt, schläft, aufwacht, spricht oder schweigt. Diese Übung schlägt eine Brücke zwischen formeller Sitzmeditation und dem achtsamen Leben im Alltag.
- Betrachtung der Körperbestandteile (Paṭikūlamanasikāra / Dvattimsākāra): Hierbei wird der Körper geistig in seine Bestandteile zerlegt. Traditionell werden 31 oder 32 Teile genannt, darunter Haupthaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen, Organe (Nieren, Herz, Leber etc.), Körperflüssigkeiten (Galle, Schleim, Blut, Schweiß, Urin etc.). Ziel dieser Betrachtung der „Abstoßlichkeit“ (paṭikūla) oder „Unattraktivität“ (asubha) des Körpers ist es, Begierde, Lust und Anhaftung an den eigenen und fremde Körper entgegenzuwirken, indem ihre unansehnliche Natur erkannt wird.
- Betrachtung der Elemente (Dhātumanasikāra): Bei dieser analytischen Übung wird der Körper hinsichtlich der vier grundlegenden Elemente (Mahābhūta) untersucht: das Erd-Element (Festigkeit, Substanz), das Wasser-Element (Kohäsion, Flüssigkeit), das Feuer-Element (Temperatur, Hitze/Kälte) und das Wind-Element (Bewegung, Luft). Diese Betrachtung löst die Vorstellung eines festen, einheitlichen Körpers auf und betont dessen unpersönlichen, zusammengesetzten Charakter. Sie hilft, die Identifikation mit dem Körper als „Ich“ oder „Mein“ zu schwächen.
- Friedhofsbetrachtungen (Nava Sīvathikā): Diese Kontemplationen beinhalten die Visualisierung eines Leichnams auf einem Leichenfeld in neun aufeinanderfolgenden Stadien des Zerfalls – von einem aufgedunsenen, verfärbten Körper kurz nach dem Tod über verschiedene Stufen der Verwesung und Zersetzung durch Tiere bis hin zu verstreuten Knochen und schließlich zu Staub. Diese kraftvolle Übung dient der direkten Konfrontation mit der Vergänglichkeit (anicca) und der unweigerlichen Auflösung des eigenen Körpers. Sie soll Anhaftung an das Leben und Furcht vor dem Tod reduzieren.
Die Vielfalt dieser Übungen innerhalb der Kāyānupassanā deutet darauf hin, dass sie unterschiedlichen Zwecken dienen und verschiedenen Neigungen entgegenkommen können. Die Atembetrachtung fördert Ruhe und Konzentration. Die Achtsamkeit auf Haltungen und Aktivitäten integriert die Praxis in den Alltag. Die Betrachtung der Körperteile wirkt gezielt gegen sinnliche Begierde. Die Elementebetrachtung untergräbt die Ich-Vorstellung. Die Friedhofsbetrachtungen konfrontieren mit Vergänglichkeit und Tod. Dieses facettenreiche Instrumentarium bietet umfassende Möglichkeiten, mit dem Körper als Meditationsobjekt zu arbeiten und spezifische geistige Hindernisse zu überwinden.
Gemeinsam ist diesen Praktiken, dass sie die konventionelle Sichtweise des Körpers systematisch dekonstruieren. Die übliche Wahrnehmung des Körpers als einheitliches, attraktives, dauerhaftes und zu einem „Selbst“ gehörendes Objekt wird durch diese Übungen hinterfragt und aufgelöst. Der Atem wird als Prozess wahrgenommen, Aktivitäten in achtsame Momente zerlegt, der Körper in unattraktive Teile seziert oder auf unpersönliche Elemente reduziert und sein unausweichlicher Zerfall kontempliert. Jede dieser Methoden zielt darauf ab, die zugrundeliegenden Annahmen zu erschüttern, die das Anhaften (upādāna) am Körper nähren.
Zentrale Lehrreden (Suttas) zu Kāyānupassanā
Die Lehren des Buddha über Kāyānupassanā und Satipaṭṭhāna sind hauptsächlich in den vier großen Sammlungen (Nikāyas) des Sutta-Piṭaka im Palikanon enthalten: dem Dīgha Nikāya (DN, Sammlung der langen Lehrreden), dem Majjhima Nikāya (MN, Sammlung der mittleren Lehrreden), dem Samyutta Nikāya (SN, Sammlung der gruppierten Lehrreden) und dem Aṅguttara Nikāya (AN, Sammlung der angereihten Lehrreden). Die hier angegebenen Referenzen und deutschen Titel folgen primär der Online-Ressource suttacentral.net, die Zugang zu den Originaltexten und Übersetzungen bietet.
Aus dem Dīgha Nikāya (DN) und Majjhima Nikāya (MN)
- DN 22: Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit): Dies ist die wohl umfassendste Darstellung der Satipaṭṭhāna-Lehre im Palikanon. Sie enthält detaillierte Anleitungen zu allen vier Grundlagen, einschließlich aller sechs oben beschriebenen Übungen der Kāyānupassanā. Im Vergleich zu MN 10 ist diese Version erweitert, insbesondere durch eine ausführliche Analyse der Vier Edlen Wahrheiten im Abschnitt über Dhammānupassanā. Link: https://suttacentral.net/dn22
- MN 10: Satipaṭṭhāna Sutta (Die Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit): Dieses Sutta gilt als der grundlegende Text zur Satipaṭṭhāna-Praxis und ist inhaltlich weitgehend identisch mit DN 22, jedoch ohne die erweiterte Analyse der Vier Edlen Wahrheiten. Es legt das Fundament für das Verständnis der vier Grundlagen und beschreibt die Kāyānupassanā-Übungen (Atem, Haltungen, Aktivitäten, Körperteile, Elemente, Friedhofsbetrachtungen) detailliert. Es hat die Meditationspraxis im Theravāda-Buddhismus maßgeblich beeinflusst. Link: https://suttacentral.net/mn10
- MN 118: Ānāpānasati Sutta (Die Lehrrede über die Achtsamkeit auf den Atem): Diese Lehrrede konzentriert sich vollständig auf die Praxis der Atembetrachtung (ānāpānasati) und stellt sie in 16 Schritten dar. Von besonderer Bedeutung ist, dass das Sutta explizit erklärt, wie die Entwicklung der Achtsamkeit auf den Atem schrittweise zur Erfüllung der vier Satipaṭṭhāna führt. Die ersten vier Schritte (langer/kurzer Atem, Erfahren des ganzen (Atem-)Körpers, Beruhigen der Körperfunktion) werden direkt der Kāyānupassanā zugeordnet. Link: https://suttacentral.net/mn118
Aus dem Samyutta Nikaya (SN)
- SN 47: Satipaṭṭhāna Saṃyutta (Die Gruppierte Sammlung über die Grundlagen der Achtsamkeit): Ja, es existiert ein ganzes Kapitel (Saṃyutta) im Samyutta Nikāya, das sich ausschließlich den Grundlagen der Achtsamkeit widmet. Dieses Saṃyutta enthält 104 kürzere Lehrreden, die verschiedene Aspekte, Anwendungen, Metaphern und Vorteile der Satipaṭṭhāna-Praxis beleuchten. Dazu gehören Gleichnisse (z.B. die Wachtel und der Falke in SN 47.6, der Affe im Teer in SN 47.7), Diskussionen über notwendige Voraussetzungen wie ethisches Verhalten (SN 47.3), die erzielbaren Ergebnisse wie das Aufgeben von Begierde und das Erkennen des Todlosen (SN 47.37, 47.38) sowie spezifische Anleitungen und Ratschläge zur Überwindung von Hindernissen in der Meditation (SN 47.8, 47.10). Link: https://suttacentral.net/sn47
Aus dem Aṅguttara Nikāya (AN)
- AN 10.60: Girimānanda Sutta (Die Lehrrede an Girimānanda): Obwohl sich dieses bekannte Sutta nicht ausschließlich mit Kāyānupassanā befasst, ist es relevant, da es zehn „Wahrnehmungen“ (saññā) auflistet, die der ehrwürdige Ānanda dem kranken Mönch Girimānanda auf Anweisung des Buddha vortragen soll, um dessen Genesung zu fördern. Unter diesen zehn Wahrnehmungen finden sich zwei, die direkt zur Kāyānupassanā gehören: die Wahrnehmung der Unattraktivität (asubhasaññā), bei der die 32 Körperteile detailliert aufgezählt werden, und die Achtsamkeit auf den Atem (ānāpānassati), die hier ungewöhnlicherweise als „Wahrnehmung“ bezeichnet wird. Link: https://suttacentral.net/an10.60
- (Ergänzende Erwähnung): Das kurze AN 6.117 Kāyānupassīsutta diskutiert sechs Dinge, die die Betrachtung des Körpers entweder fördern oder behindern, darunter übermäßiger Schlaf, Geselligkeit und mangelnde Sinneskontrolle. Link: https://suttacentral.net/an6.117
Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Lehrreden zusammen:
Sutta Referenz | Pali Titel | Deutscher Titel (suttacentral.net) | Schlüsselrelevanz für Kāyānupassanā | Link |
---|---|---|---|---|
DN 22 | Mahāsatipaṭṭhāna Sutta | Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit | Umfassender Rahmen, detailliert alle Kāyānupassanā-Übungen | https://suttacentral.net/dn22 |
MN 10 | Satipaṭṭhāna Sutta | Die Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit | Grundlegender Text, detailliert alle Kāyānupassanā-Übungen | https://suttacentral.net/mn10 |
MN 118 | Ānāpānasati Sutta | Die Lehrrede über die Achtsamkeit auf den Atem | Detailliert Atembetrachtung (Kernübung der Kāyānupassanā), verbindet sie explizit mit Satipaṭṭhāna | https://suttacentral.net/mn118 |
SN 47 | Satipaṭṭhāna Saṃyutta | Die Gruppierte Sammlung über die Grundlagen der Achtsamkeit | Ganzes Kapitel zu Satipaṭṭhāna, diverse Perspektiven und Anwendungen inkl. Kāyānupassanā | https://suttacentral.net/sn47 |
AN 10.60 | Girimānanda Sutta | Die Lehrrede an Girimānanda | Enthält Körperteile-Betrachtung (asubhasaññā) und Atembetrachtung (ānāpānassati) als Heilmittel | https://suttacentral.net/an10.60 |
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kāyānupassanā, die Achtsamkeit auf den Körper, eine zentrale und grundlegende Meditationspraxis im frühen Buddhismus darstellt. Sie bildet die erste der vier Grundlagen der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna) und umfasst eine Reihe von Übungen – von der Atembetrachtung über die Wahrnehmung von Haltungen und Aktivitäten bis hin zur analytischen Betrachtung der Körperteile, Elemente und des Zerfalls. Das Ziel dieser Praktiken ist es, durch direkte, achtsame Beobachtung Einsicht (vipassanā) in die wahre Natur des Körpers zu gewinnen: seine Vergänglichkeit (anicca), seine Unzulänglichkeit oder Leidhaftigkeit (dukkha) und seine Nicht-Selbst-Natur (anattā). Diese Einsicht schwächt Anhaftung (rāga), Abneigung (dosa) und Verblendung (moha) in Bezug auf den Körper und trägt so zur Befreiung vom Leiden bei.
Obwohl der Fokus auf dem Körper liegt, ist Kāyānupassanā letztlich ein Mittel zur Schulung und Läuterung des Geistes. Die durch Körperachtsamkeit entwickelte Stabilität, Klarheit und Einsicht bildet die Basis für die weiteren Stufen der Satipaṭṭhāna-Praxis – die Beobachtung von Gefühlen, Geisteszuständen und Geistesobjekten – und führt auf dem „einzigen Weg“ (ekāyano maggo) zur Verwirklichung von Nibbāna, der endgültigen Befreiung.
Interessierten Lesern wird empfohlen, die in diesem Bericht genannten Lehrreden direkt auf suttacentral.net zu erkunden. Die Auseinandersetzung mit den Primärquellen ist von unschätzbarem Wert, um die Tiefe und die Nuancen der Lehren des Buddha zu dieser fundamentalen Praxis vollständig zu erfassen und das eigene Verständnis zu vertiefen.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- en.wikipedia.org: Satipatthana Sutta
- suttacentral.net: Reader’s Guide; Suttas (MN 10, DN 22, SN 47.2, AN 6.117, MN 118, AN 10.60); Sutta Parallels (AN 6.117, MN 118, MN 10, DN 22, SN 47, AN 10.60); Pitaka Navigation (SN 47)
- www.wisdomlib.org: Kayanupassana
- discourse.suttacentral.net: Satipaṭṭhāna vs Ānāpānasati; Six Elements Fulfil Satipaṭṭhānas; Kāyagatāsati/Kāyānupassanā; Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (DN22) and non-monastics; Practice satipatthana gradually?; Are Satipathana suttas original?; MN 10 discussion; MN 118 commentaries; Meaning of SN 47.42; Stream entry and satipatthana; Satipatthana teaching based on EBTs; Is Girimānanda Sutta Late?
- www.payer.de: Satipatthanasutta
- www.accesstoinsight.org: Satipatthana Sutta (MN 10); Anapanasati Sutta (MN 118)
- www.dhamma-dana.de: Dhammajiva – Noch in diesem Leben (PDF mentioning Satipatthana)
- www.palikanon.com: Khuddaka
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Vedanānupassanā (Gefühlsachtsamkeit)
Die zweite Grundlage richtet die Achtsamkeit auf Vedanā – die Empfindungen oder Gefühlstöne, die jede Erfahrung begleiten. Hier lernst du, angenehme, unangenehme und neutrale Empfindungen klar zu erkennen, sobald sie entstehen. Erforsche, wie du diese Empfindungen beobachten kannst, ohne automatisch mit Gier, Hass oder Verblendung zu reagieren, und so die Kette durchbrichst, die zu Verlangen (Taṇhā) und Leiden führt.