Ruhe (Passaddhi)

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Passaddhi: Die Entwicklung von Ruhe und Gelassenheit im frühen Buddhismus – Ein Leitfaden zu Begriff und Lehrreden

Die Rolle von innerer Stille als Erleuchtungsfaktor und meditative Errungenschaft

Einleitung: Passaddhi – Die Kultivierung von Ruhe im frühen Buddhismus

Im reichen Vokabular des frühen Buddhismus nimmt der Pali-Begriff Passaddhi eine zentrale Stellung ein. Er bezeichnet eine Qualität von tiefer Ruhe, Stille und Gelassenheit, die weit über die Abwesenheit von äußerem Lärm hinausgeht. Passaddhi ist ein Zustand inneren Friedens, der sowohl den Körper als auch den Geist umfasst und eine wesentliche Rolle auf dem buddhistischen Weg zur Befreiung spielt.

Für Praktizierende, die ihre Meditation vertiefen und ein tieferes Verständnis der Funktionsweise ihres Geistes erlangen möchten, ist das Verständnis von Passaddhi von großer Bedeutung. Es ist keine passive Trägheit, sondern eine aktiv kultivierte Qualität, die aus der Überwindung geistiger Hindernisse erwächst und den Geist für tiefere Konzentration (samādhi) und befreiende Einsicht (vipassanā) vorbereitet. Die Entwicklung von Passaddhi führt zu mentaler Balance und Stabilität, die für den Fortschritt auf dem achtfachen Pfad unerlässlich sind.

Dieser Bericht zielt darauf ab, den Begriff Passaddhi umfassend zu beleuchten. Er beginnt mit einer Definition und Übersetzung, erläutert verwandte Konzepte und seine wichtige Funktion als einer der Sieben Erleuchtungsfaktoren (Satta Bojjhaṅgā). Anschließend werden zentrale Lehrreden (Suttas) aus den Hauptsammlungen des Palikanon – Dīgha Nikāya (DN), Majjhima Nikāya (MN), Saṃyutta Nikāya (SN) und Aṅguttara Nikāya (AN) – vorgestellt, die Passaddhi besonders behandeln oder illustrieren.

Die Darstellung richtet sich an interessierte Laien mit Grundkenntnissen, die gezielte Verweise auf die Originaltexte suchen, soll aber auch für Einsteiger verständlich sein.

Was bedeutet Passaddhi? Definition und Übersetzung

Der Pali-Begriff Passaddhi ist ein feminines Nomen, das üblicherweise mit Ruhe, Stillung, Gelassenheit oder Beruhigung übersetzt wird. Im Sanskrit entspricht ihm der Begriff praśrabdhi. Das zugehörige Verb passambhati bedeutet „sich beruhigen“, „still werden“.

Im buddhistischen Kontext bezieht sich Passaddhi auf die Beruhigung und Stille von Körper (kāya), Rede (vācā), Denken (speziell diskursives Denken, vitakka-vicāra) und Bewusstsein (citta) auf dem Weg zur Erleuchtung. Es handelt sich um einen heilsamen, kultivierten Geisteszustand (kusala cetasika). In der späteren Systematik des Abhidhamma wird Passaddhi zu den „schönen“ oder „edlen“ Geistesfaktoren (sobhana cetasika) gezählt.

Die primäre Funktion von Passaddhi besteht darin, geistige und körperliche Unruhe oder Aufgewühltheit (daratha) zu besänftigen und zu beseitigen. Es wirkt insbesondere der geistigen Unruhe und Sorge (uddhacca-kukkucca), einem der Fünf Hindernisse der Meditation, entgegen. Passaddhi manifestiert sich als ein Zustand von Friedlichkeit, Kühle und Stille, vergleichbar mit dem Schatten eines Baumes für jemanden, der von der Hitze der Sonne geplagt ist. Es neutralisiert die „Hitze“ oder das „Fieber“ der Leidenschaften und Begierden.

Passaddhi im Kontext des buddhistischen Pfades

Passaddhi ist weit mehr als nur ein angenehmer Zustand während der Meditation; es ist ein integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses, der zur Befreiung (nibbāna) führt. Es handelt sich um eine Qualität, die aktiv durch die Praxis kultiviert wird und eine notwendige Voraussetzung für tiefere meditative Errungenschaften und Einsichten darstellt.

Die Entstehung von Passaddhi ist eng mit der Überwindung der Fünf Hindernisse (pañca nīvaraṇāni) verbunden. Wenn durch Achtsamkeit und rechte Anstrengung diese Hindernisse – insbesondere Begierde, Übelwollen, Trägheit, Unruhe/Sorge und Zweifel – zur Ruhe kommen, entsteht im Geist zunächst Freude oder Frohsinn (pāmojja). Aus dieser Freude entwickelt sich Verzückung oder intensivere Freude (pīti). Erst wenn diese freudige Erregung präsent ist, kann sich Passaddhi, die tiefere Beruhigung, einstellen.

Diese Abfolge verdeutlicht die Bedeutung von Passaddhi im Rahmen des sogenannten „überweltlichen Bedingten Entstehens“ (lokuttara-paṭiccasamuppāda). Diese Kausalkette beschreibt den Weg aus dem leidhaften Daseinskreislauf (saṃsāra) heraus. Hier folgt Passaddhi auf die Verzückung (pīti) und geht dem Glück (sukha) und der Konzentration (samādhi) voraus.

Die vollständige Sequenz wird oft beschrieben als: Vertrauen (saddhā) → Freude (pāmojja) → Verzückung (pīti) → Ruhe (passaddhi) → Glück (sukha) → Konzentration (samādhi) → Wissen und Sehen gemäß der Wirklichkeit (yathābhūtañāṇadassana) → Ernüchterung/Überdruss (nibbidā) → Loslösung/Entpassionierung (virāga) → Befreiung (vimutti) → Wissen um die Zerstörung der Triebe/Verunreinigungen (āsavakkhayañāṇa). Die Position von Passaddhi in dieser Kette zeigt, dass sie nicht nur ein meditativer Zustand ist, sondern eine notwendige Bedingung, ein Scharnierpunkt, der von erregenden, freudvollen Zuständen zu stabilen, konzentrierten Geisteszuständen überleitet, die für die Entwicklung von Einsicht und letztendlicher Befreiung erforderlich sind.

Passaddhi fungiert somit als eine entscheidende unterstützende Bedingung für die Vernichtung der geistigen Triebe (āsavakkhaya), das heißt, für die Verwirklichung der Arahantschaft, des höchsten Ziels des buddhistischen Pfades.

Die zwei Aspekte der Ruhe: Kāya-passaddhi und Citta-passaddhi

Die buddhistischen Texte, insbesondere der Abhidhamma und die Kommentare, unterscheiden systematisch zwei Aspekte der Ruhe: kāya-passaddhi und citta-passaddhi.

  • Citta-passaddhi bezeichnet die Ruhe, Stille oder Gelassenheit des Bewusstseins (citta) selbst. Es ist die Beruhigung des erkennenden Geistes, des sechsten Aggregats (viññāṇakkhandha).
  • Kāya-passaddhi bezieht sich auf die Ruhe oder Gelassenheit des „Körpers“ (kāya). Die Interpretation dieses „Körpers“ variiert jedoch je nach Kontext:
    • In der Abhidhamma-Tradition und den Kommentaren wird kāya hier meist nicht als der physische Körper verstanden, sondern als der „mentale Körper“ (nāmakāya). Dieser umfasst die Gruppe der Geistesfaktoren (cetasika), die das Bewusstsein begleiten, insbesondere die Aggregate des Gefühls (vedanākkhandha), der Wahrnehmung (saññākkhandha) und der Geistesformationen (saṅkhārakkhandha). Kāya-passaddhi ist demnach die Beruhigung dieser mentalen Faktoren. Diese Beruhigung der mentalen Faktoren kann sich sekundär auch auf den physischen Körper auswirken und zu dessen Entspannung führen, vermittelt durch geist-erzeugte Materie (cittaja-rūpa).
    • In einigen Sutta-Kontexten, besonders wenn es um konkrete Meditationserfahrungen wie die Vertiefungen (jhāna) oder die Zügelung der Sinne geht, scheint kāya eine direktere Verbindung zum physischen Körper (rūpakāya) oder den Sinnesgrundlagen (saḷāyatana) zu haben. Die Formulierung kāyo passambhati („der Körper beruhigt sich“) erscheint häufig in den Beschreibungen der Stufen, die zu samādhi führen.

Diese unterschiedlichen Interpretationen zeigen, dass kāya-passaddhi nicht eindimensional als „körperliche Ruhe“ verstanden werden sollte. Der Begriff verweist auf eine tiefgreifende Beruhigung, die sich auf verschiedene Ebenen des Erlebens erstreckt – seien es die mentalen Begleitfaktoren des Bewusstseins oder deren physische Korrelate und der Körper als Ganzes.

Entscheidend ist das Verständnis der engen Verflechtung von Geist und Körper, die beide von der Entwicklung der Passaddhi erfasst werden. In der Praxis treten kāya-passaddhi und citta-passaddhi typischerweise gemeinsam auf. Sie wirken zusammen, um Störungen und Leiden auf mentaler und psychophysischer Ebene zu überwinden und einen Zustand der Kühle, Ruhe und Unbewegtheit zu etablieren.

Passaddhi als Erleuchtungsfaktor: Die Satta Bojjhaṅgā

Passaddhi ist nicht nur ein wichtiger meditativer Zustand, sondern auch einer der Sieben Erleuchtungsfaktoren (Pali: Satta Bojjhaṅgā oder Sambojjhaṅgā). Diese sieben Faktoren sind geistige Qualitäten, deren Kultivierung als essentiell für das Erreichen der vollen Erleuchtung (bodhi) angesehen wird.

Die sieben Erleuchtungsfaktoren sind:

  1. Achtsamkeit (sati)
  2. Dhamma-Untersuchung (dhammavicaya)
  3. Energie/Willenskraft (viriya)
  4. Verzückung/Freude (pīti)
  5. Ruhe/Gelassenheit (passaddhi)
  6. Konzentration/Sammlung (samādhi)
  7. Gleichmut (upekkhā)

Innerhalb dieser Gruppe nimmt Passaddhi als fünfter Faktor eine Schlüsselposition ein. Die Entwicklung der Erleuchtungsfaktoren wird oft als ein sequentieller Prozess beschrieben, in dem das Entstehen eines Faktors die Grundlage für den nächsten bildet. In dieser Abfolge entsteht Passaddhi typischerweise nach dem Aufkommen von Pīti (Verzückung) und bildet die notwendige Basis für die Entwicklung von Samādhi (Konzentration).

Darüber hinaus spielt Passaddhi eine wichtige ausgleichende Rolle im Geistestraining. Die Erleuchtungsfaktoren können grob in zwei Gruppen unterteilt werden: aktivierende und beruhigende. Während Dhamma-Untersuchung (dhammavicaya), Energie (viriya) und Verzückung (pīti) dazu dienen, einen trägen, schlaffen oder energielosen Geist (thīna-middha) zu beleben und anzuregen, dienen Ruhe (passaddhi), Konzentration (samādhi) und Gleichmut (upekkhā) dazu, einen aufgewühlten, unruhigen oder übermäßig energetischen Geist (uddhacca) zu beruhigen und zu stabilisieren. Achtsamkeit (sati) fungiert dabei als der übergeordnete, regulierende Faktor, der erkennt, welcher Zustand gerade vorherrscht und welche Faktoren zur Wiederherstellung des Gleichgewichts kultiviert werden sollten. Passaddhi ist also nicht nur eine allgemein wünschenswerte Qualität, sondern ein gezieltes Gegenmittel gegen mentale Agitation. Dies unterstreicht die dynamische und kontextabhängige Natur der Kultivierung dieser Faktoren, die ein differenziertes Verständnis des eigenen Geisteszustandes erfordert.

Die Texte beschreiben auch spezifische Bedingungen oder „Nahrung“ (āhāra), die das Entstehen und die Entwicklung der Erleuchtungsfaktoren fördern. Gemäß SN 46.2 (bzw. SN 46.51) ist die spezifische Nahrung für das Entstehen und die Entfaltung von Passaddhi das häufige, sorgfältige Aufmerken (yoniso manasikāra) auf die körperliche Ruhe (kāya-passaddhi) und die geistige Ruhe (citta-passaddhi). Dies deutet auf einen interessanten Mechanismus hin: Die Kultivierung von Ruhe wird durch die bewusste Wahrnehmung und Wertschätzung bereits vorhandener oder potentieller Momente der Ruhe gefördert. Es ist ein aktives Hinwenden zur Qualität der Stille, das diese wiederum stärkt – eine Art positiver Rückkopplungsschleife.

Der Weg zur Ruhe: Passaddhi in der Meditationspraxis

Die Abfolge Verzückung (pīti) → Ruhe (passaddhi) → Konzentration (samādhi) ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis der meditativen Entwicklung im frühen Buddhismus. Wenn durch beständige Achtsamkeit die fünf Hindernisse überwunden sind, stellt sich oft ein Gefühl von Frohsinn und Freude (pāmojja) ein, das sich zu intensiverer Freude oder Verzückung (pīti) steigern kann.

Pīti kann ein sehr energetischer, manchmal sogar körperlich spürbarer Zustand sein. Diese Energie muss jedoch moduliert werden, um zu tieferer Sammlung zu führen. Hier kommt Passaddhi ins Spiel: Wenn der Geist von pīti erfüllt oder erhoben ist, beruhigt sich der Körper (kāya) auf natürliche Weise (passambhati). Diese körperliche Beruhigung (passaddhakāyo) ist die Manifestation von kāya-passaddhi. Gleichzeitig tritt auch eine Beruhigung des Bewusstseins (citta) ein, die citta-passaddhi.

Dieser Zustand der zweifachen Ruhe (passaddhi) ist die entscheidende Brücke. Er transformiert die potenziell überwältigende Energie der Verzückung (pīti) in einen Zustand ruhiger Stabilität. Diese Stille verhindert, dass pīti selbst zur Ablenkung wird. Auf der Grundlage dieser tiefen Ruhe kann sich dann ein subtileres, stabileres Glücksgefühl (sukha) entfalten. Dieses ruhige Glück wiederum ist die unmittelbare Voraussetzung dafür, dass der Geist in einen Zustand tiefer Sammlung und Einspitzigkeit (samādhi) eintreten kann. Passaddhi ist somit der notwendige Übergang von freudiger Erregung zu stabiler Sammlung.

Die fortschreitende Vertiefung der Ruhe zeigt sich auch in den Beschreibungen der meditativen Vertiefungen (jhāna). Mit dem Erreichen der ersten Vertiefung wird die Rede (vācā) beruhigt, mit der zweiten das diskursive Denken (vitakka-vicāra), mit der dritten die Verzückung (pīti) selbst, und mit der vierten der Ein- und Ausatem (assāsa-passāsā). Jenseits der Formvertiefungen werden schließlich Wahrnehmung und Gefühl (saññā-vedanā) und zuletzt Gier, Hass und Verblendung (rāga-dosa-moha) zur Ruhe gebracht. Dies illustriert, wie Passaddhi auf immer subtileren Ebenen wirkt und den Geist schrittweise von gröberen zu feineren Bindungen befreit.

Passaddhi in den Lehrreden des Palikanon

Obwohl Passaddhi in vielen Lehrreden erwähnt wird, gibt es einige Suttas, die für das Verständnis dieses Begriffs besonders aufschlussreich sind. Die folgenden Abschnitte heben Schlüsseltexte aus den vier Haupt-Nikāyas hervor und geben Hinweise auf deren Inhalt, wobei SuttaCentral (https://suttacentral.net/) als primäre Referenzquelle dient.

Dīgha Nikāya (DN) & Majjhima Nikāya (MN)

Im Dīgha Nikāya und Majjhima Nikāya finden sich grundlegende Texte zur Meditationspraxis, in denen Passaddhi kontextualisiert wird.

  • DN 22: Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit)
    Diese Lehrrede gilt als einer der wichtigsten Texte zur Praxis der Achtsamkeit (sati). Im vierten Abschnitt, der Achtsamkeit auf die Daseinsphänomene oder Geistesobjekte (dhammānupassanā), werden die Sieben Erleuchtungsfaktoren (Satta Bojjhaṅgā) aufgeführt. Hier wird Passaddhi als der fünfte Faktor genannt, dessen An- oder Abwesenheit im eigenen Geist erkannt werden soll. DN 22 listet Passaddhi somit als wesentliches Element der Praxis auf, geht aber nicht detailliert auf dessen Entstehung oder spezifische Funktion ein, wie es andere Texte tun.
    Zitat: DN 22 (Mahāsatipaṭṭhāna Sutta / Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit)
  • MN 118: Ānāpānassati Sutta (Die Lehrrede über die Achtsamkeit auf den Atem)
    Dies ist die zentrale Lehrrede zur Atembetrachtung (ānāpānasati). Sie beschreibt detailliert, wie die Praxis der Atemachtsamkeit zur Entwicklung der vier Grundlagen der Achtsamkeit (satipaṭṭhāna) und der sieben Erleuchtungsfaktoren (bojjhaṅgā) führt. Das Sutta erklärt den dynamischen Prozess: Der Übende trainiert sich darin, Verzückung (pīti) und dann Glück (sukha) zu erfahren. Entscheidend ist das darauffolgende Training, die „körperliche Gestaltung“ (kāya-saṅkhāra, oft als Atem interpretiert) und die „geistige Gestaltung“ (citta-saṅkhāra, Gefühle und Wahrnehmungen) zu beruhigen (passambhayaṃ). Dieses Beruhigen ist Passaddhi. MN 118 zeigt explizit, wie aus der Beruhigung von Körper und Geist der Erleuchtungsfaktor Ruhe (Passaddhi-sambojjhaṅga) entsteht und entwickelt wird, was wiederum die Grundlage für die Entwicklung des Erleuchtungsfaktors Sammlung (Samādhi-sambojjhaṅga) legt.
    Zitat: MN 118 (Ānāpānassati Sutta / Die Lehrrede über die Achtsamkeit auf den Atem)
  • MN 144: Channovāda Sutta (Die Lehrrede mit Rat an Channa)
    In dieser Lehrrede leidet der Mönch Channa an einer schweren Krankheit. Ein Zitat, das auch im Udāna (Ud 8.4) vorkommt, wird hier relevant: „Für den Abhängigen gibt es Erregung. Für den Unabhängigen gibt es keine Erregung. Wo keine Erregung ist, da ist Ruhe (passaddhi). Wo Ruhe ist, da ist keine Neigung (zum Haften). Wo keine Neigung ist, da ist kein Kommen und Gehen (im Daseinskreislauf)… Das ist das Ende des Leidens.“. Diese Passage beleuchtet Passaddhi aus einer anderen Perspektive: Sie entsteht aus Unabhängigkeit und dem Fehlen von Erregung und ist ein Glied in der Kette, die zur Beendigung des Leidens führt.
    Zitat: MN 144 (Channovāda Sutta / Die Lehrrede mit Rat an Channa)

Saṃyutta Nikāya (SN): Das Bojjhaṅga Saṃyutta (SN 46)

Das 46. Saṃyutta (Kapitel) des Saṃyutta Nikāya ist gänzlich den Sieben Erleuchtungsfaktoren (Bojjhaṅgā) gewidmet. Naturgemäß wird Passaddhi hier in vielfältigen Kontexten behandelt. Einige zentrale Themen und Suttas sind:

  • SN 46.1 (Himavanta Sutta): Vergleicht die Entwicklung der Bojjhaṅgā auf der Grundlage von Tugend (sīla) mit Nāgas (Schlangenwesen), die im Himalaya Kraft schöpfen.
  • SN 46.2 (Kāya Sutta) / SN 46.51 (Āhāra Sutta): Erklärt die „Nahrung“ (āhāra) oder die förderlichen Bedingungen für das Entstehen und die Entwicklung jedes Erleuchtungsfaktors. Für Passaddhi ist dies das sorgfältige Aufmerken (yoniso manasikāra) auf körperliche und geistige Ruhe (kāya-passaddhi, citta-passaddhi).
  • SN 46.3 (Sīla Sutta): Beschreibt detailliert die sequentielle Entwicklung der Faktoren: Achtsamkeit → Untersuchung → Energie → Verzückung (pīti). Dann folgt der entscheidende Schritt: „Bei einem, dessen Geist von Verzückung erhoben ist, wird der Körper ruhig und der Geist wird ruhig.“ Dieses Entstehen von Ruhe (passaddhi) führt weiter zu Glück (sukha) und Konzentration (samādhi).
  • SN 46.53 (Aggi Sutta / Feuer-Gleichnis): Erläutert die Notwendigkeit, die Faktoren auszubalancieren. Bei einem trägen Geist sollen die aktivierenden Faktoren (dhammavicaya, viriya, pīti) kultiviert werden. Bei einem aufgewühlten, unruhigen Geist hingegen sollen die beruhigenden Faktoren Ruhe (passaddhi), Konzentration (samādhi) und Gleichmut (upekkhā) entwickelt werden.
  • SN 46.14 (Gilāna Sutta / Kassapa): Berichtet, wie der Buddha dem erkrankten Ehrw. Mahā Kassapa die Sieben Erleuchtungsfaktoren vortrug, woraufhin dieser genas. Dies unterstreicht die heilsame Kraft dieser Geisteszustände.

Zitat: SN 46 (Bojjhaṅga Saṃyutta / Die Gruppierten Reden über die Erleuchtungsglieder), mit spezifischen Verweisen wie SN 46.1, SN 46.2/51, SN 46.3, SN 46.14, SN 46.53.

Aṅguttara Nikāya (AN): Die Cetanā Sutta (AN 11.2)

Eine besonders bekannte und oft zitierte Lehrrede, die die Entwicklung hin zu Passaddhi illustriert, ist AN 11.2. Die Kernbotschaft dieses Suttas ist, dass die Entwicklung heilsamer Geisteszustände einem natürlichen Gesetz (dhammatā) folgt. Wenn die notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind, muss man sich den nächsten Zustand nicht willentlich herbeiwünschen (na cetanāya karaṇīyaṁ – „kein Wollen ist nötig“); er stellt sich von selbst ein.

Die für Passaddhi relevante Sequenz in AN 11.2 lautet: Tugendhaftes Verhalten (sīla) führt zu Reuelosigkeit (avippaṭisāra). Reuelosigkeit führt zu Freude (pāmojja). Freude führt zu Verzückung (pīti). Wenn der Geist von Verzückung erfüllt ist (pītimanassa), beruhigt sich der Körper (kāyo passambhati). Wenn der Körper ruhig ist (passaddhakāyassa), erfährt man Glückseligkeit (sukhaṃ vediyati). Glückseligkeit führt zu Sammlung des Geistes (samādhi). Dieser Prozess setzt sich fort bis hin zur Befreiung (vimuttiñāṇadassana).

Das Sutta betont eindrücklich, wie die körperliche Ruhe (kāya-passaddhi) als natürliche Folge der Verzückung (pīti) entsteht und ihrerseits mühelos zu Glück (sukha) und Sammlung (samādhi) führt. AN 11.2 unterstreicht damit die organische, graduelle Natur des Pfades, auf dem Passaddhi eine unverzichtbare Stufe im natürlichen Entfaltungsprozess hin zur Befreiung darstellt, sobald die Grundlage – beginnend mit ethischem Verhalten – gelegt ist.

Zitat: AN 11.2 (Cetanā Sutta / Die Lehrrede über die Absicht oder das Wollen; SuttaCentral Englisch: „Making a Wish“)

Tabelle: Ausgewählte Lehrreden zu Passaddhi

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten besprochenen Lehrreden zusammen und dient als schnelle Referenz:

Sutta Referenz Pali Name Deutscher Titel (SuttaCentral / Gebräuchlich) Relevanz für Passaddhi
DN 22 Mahāsatipaṭṭhāna Sutta Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit Listet Passaddhi als 5. Erleuchtungsglied (Bojjhaṅga) unter Achtsamkeit auf Dhamma.
MN 118 Ānāpānassati Sutta Die Lehrrede über die Achtsamkeit auf den Atem Erklärt das Entstehen von Passaddhi nach Pīti und als Basis für Samādhi in der Atempraxis.
MN 144 Channovāda Sutta Die Lehrrede mit Rat an Channa Verbindet Passaddhi mit Nicht-Erregung/Unabhängigkeit als Weg zur Leidensbeendigung (Zitat aus Ud 8.4).
SN 46 Bojjhaṅga Saṃyutta Die Gruppierten Reden über die Erleuchtungsglieder Gesamte Sammlung über die Bojjhaṅgā, enthält zahlreiche Erklärungen zu Passaddhi.
SN 46.2 / 46.51 Kāya / Āhāra Sutta Die Lehrrede über den Körper / Die Nahrung Erklärt die „Nahrung“ (Bedingungen) für das Entstehen/Entwickeln von Passaddhi.
SN 46.3 Sīla Sutta Die Lehrrede über die Tugend Beschreibt die sequentielle Entwicklung der Bojjhaṅgā, inkl. PītiPassaddhiSamādhi.
SN 46.53 Aggi Sutta Die Lehrrede über das Feuer Erklärt die Balance: Passaddhi etc. bei Erregung; Viriya etc. bei Trägheit.
AN 11.2 Cetanā Sutta Die Lehrrede über die Absicht (oder: Einen Wunsch hegen) Zeigt die natürliche Abfolge (dhammatā) von Pīti zu Passaddhi zu Sukha/Samādhi.

Zusammenfassung und Ausblick

Passaddhi, die Qualität der Ruhe, Stille und Gelassenheit, ist ein zentraler Begriff und ein wesentlicher Faktor auf dem buddhistischen Weg. Sie manifestiert sich sowohl als Beruhigung der mentalen Faktoren (kāya-passaddhi im Abhidhamma-Sinn) als auch des Bewusstseins (citta-passaddhi) und kann sich auch in einer tiefen physischen Entspannung äußern.

Als fünfter der Sieben Erleuchtungsfaktoren (Satta Bojjhaṅgā) spielt Passaddhi eine entscheidende Rolle bei der Ausbalancierung des Geistes, indem sie Zustände der Unruhe und Agitation besänftigt. In der meditativen Entwicklung bildet sie die notwendige Brücke zwischen der energetischen Freude der Verzückung (pīti) und den tieferen, stabileren Zuständen von Glück (sukha) und Konzentration (samādhi).

Ihre Kultivierung wird durch das bewusste Hinwenden zu Momenten der Ruhe selbst gefördert und entfaltet sich auf natürliche Weise, wenn die entsprechenden Voraussetzungen wie ethisches Verhalten und die Überwindung der Hindernisse gegeben sind.

Die Bedeutung von Passaddhi reicht über die Meditation hinaus; sie ist eine grundlegende Bedingung für die Entwicklung von Einsicht und die schrittweise Befreiung von Leiden, wie ihre Stellung im überweltlichen Bedingten Entstehen zeigt. Sie ist ein Ausdruck von innerem Frieden und Stabilität, der es ermöglicht, den Herausforderungen des Lebens mit größerer Klarheit und Gelassenheit zu begegnen.

Die in diesem Bericht vorgestellten Lehrreden aus dem Palikanon bieten wertvolle Einblicke in die Natur und Kultivierung von Passaddhi. Es sei allen Interessierten empfohlen, diese Texte auf SuttaCentral weiter zu erforschen, um ihr eigenes Verständnis und ihre Praxis dieser heilsamen Qualität zu vertiefen. Die Entwicklung von Passaddhi ist ein Weg zu einem kühlen, unerschütterlichen Geist – einem Geist, der dem Nibbāna näherkommt.

Quellenverzeichnis (Primärquellen)

Die in diesem Bericht zitierten oder erwähnten Lehrreden (Suttas) des Palikanon sind:

  • Dīgha Nikāya (DN): DN 22
  • Majjhima Nikāya (MN): MN 118, MN 144
  • Saṃyutta Nikāya (SN): SN 46 (insbesondere SN 46.1, SN 46.2/51, SN 46.3, SN 46.14, SN 46.53)
  • Aṅguttara Nikāya (AN): AN 11.2
  • Udāna (Ud): Ud 8.4 (im Kontext von MN 144 erwähnt)

Alle Sutta-Referenzen und die verwendeten deutschen Titel basieren primär auf der Online-Ressource SuttaCentral (https://suttacentral.net/). Es ist zu beachten, dass auf SuttaCentral verschiedene Übersetzungen verfügbar sein können; die hier genannten deutschen Titel orientieren sich an gebräuchlichen Bezeichnungen oder direkten Übersetzungen der Pali-Titel. Die korrekte Darstellung der Pali-Begriffe folgt dem IAST-Standard unter Verwendung von UTF-8-Kodierung.

Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente

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Sammlung (Samādhi – Bojjhaṅga)
Aus der Ruhe entwickelt sich Samādhi, die Sammlung oder Konzentration. Es ist die Fähigkeit, den Geist stabil und einspitzig (ekaggatā) auf einem heilsamen Objekt ruhen zu lassen. Dieser Zustand ist essentiell für das Sehen der Dinge, wie sie wirklich sind (yathābhūta ñāṇadassana) und wirkt dem Sinnesverlangen (Kāmacchanda) entgegen. Vertiefe dein Verständnis von Samādhi als Grundlage für Einsicht.