7. Gefühl (Vedanā)

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7. Gefühl (Vedanā)

Vedanā (Gefühl/Empfindung) im Palikanon: Eine Einführung mit Lehrreden

Die zentrale Rolle des Gefühls als siebtes Glied im Bedingten Entstehen und in der Achtsamkeitspraxis

1. Einleitung: Vedanā – Die Allgegenwärtige Empfindung im Buddhismus

Im Herzen der buddhistischen Lehre über den menschlichen Geist und die Natur der Erfahrung steht der Pali-Begriff Vedanā (वेदना). Das Verständnis dieses Konzepts ist von entscheidender Bedeutung, um die Entstehung von Leiden (Dukkha) und den Weg zu seiner Überwindung zu begreifen. Vedanā wird üblicherweise mit „Gefühl“ oder „Empfindung“ übersetzt. Alternative Übertragungen wie „Gefühlston“ (feeling-tone) oder „Empfindungsqualität“ versuchen, die spezifische Bedeutung im buddhistischen Kontext genauer zu fassen.

Es ist wesentlich, Vedanā klar von dem abzugrenzen, was wir im Alltag oft als „Emotion“ bezeichnen. Im Buddhismus bezieht sich Vedanā auf die „nackte affektive Qualität“ (bare affective quality) einer Erfahrung – die grundlegende, unmittelbare Tönung als angenehm, unangenehm oder neutral. Komplexe Emotionen wie Liebe, Hass oder Angst sind hingegen vielschichtige Phänomene, die aus dem Zusammenspiel mehrerer geistiger Faktoren (Cetasika) entstehen und im Palikanon oft eher unter dem Begriff Saṅkhāra (Geistesformationen) oder als Citta (Geisteszustand) diskutiert werden. Vedanā ist also nicht die ausgearbeitete emotionale Geschichte, die wir uns erzählen, sondern die rohe, primäre Reaktion auf einen Sinneseindruck.

Die Allgegenwart von Vedanā – es begleitet jeden Bewusstseinsmoment – macht es zu einem Dreh- und Angelpunkt im Prozess der Entstehung von Leiden und dessen Beendigung. Es ist der Punkt, an dem der Geist entweder unachtsam reagiert und sich tiefer in den Kreislauf des Leidens verstrickt oder durch achtsames Verstehen den Weg zur Befreiung einschlägt. Dieser Bericht zielt darauf ab, eine klare Definition von Vedanā zu liefern, seinen Kontext innerhalb zentraler buddhistischer Lehren zu erläutern und Schlüsseltexte aus dem Palikanon vorzustellen, die dieses wichtige Konzept beleuchten und zum weiteren Studium anregen.

2. Was ist Vedanā? Definition und Klassifizierung

Vedanā wird im Palikanon als ein spezifischer mentaler Faktor (cetasika) definiert, dessen Funktion es ist, die „Geschmacksrichtung“ oder affektive Tönung eines Sinneseindrucks zu erfahren. Es beschreibt die Art und Weise, wie ein Objekt oder eine Erfahrung erlebt wird: als angenehm, unangenehm oder weder-angenehm-noch-unangenehm (neutral). Während andere Geistesfaktoren wie Bewusstsein (Viññāṇa) das Objekt erkennen und Wahrnehmung (Saññā) es identifiziert und benennt, ist Vedanā das reine Fühlen der Erfahrung selbst.

Entscheidend ist, dass Vedanā nicht grundlos oder zufällig entsteht. Es ist immer das Resultat von Phassa (Kontakt). Phassa bezeichnet das Zusammentreffen dreier Elemente: eines inneren Sinnesorgans (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper oder Geist), eines entsprechenden äußeren Sinnesobjekts (Form, Ton, Geruch, Geschmack, Berührung oder Gedanke/Vorstellung) und des dazugehörigen Bewusstseins (Viññāṇa). Ohne diesen Kontakt kann kein Gefühl entstehen.

Eine Lehrrede vergleicht dies treffend mit der Hitze, die erst entsteht, wenn zwei Holzstöcke aneinandergerieben werden – trennt man die Stöcke (hört der Kontakt auf), erlischt auch die Hitze (das Gefühl). Diese kausale Verbindung (phassa paccayā vedanā – „aus Kontakt entsteht Gefühl“) ist nicht nur eine deskriptive Feststellung, sondern weist auf einen entscheidenden Punkt für die meditative Praxis hin: Die Achtsamkeit kann bereits am Kontaktpunkt ansetzen, um den nachfolgenden Prozess der Gefühlsentstehung und -reaktion bewusst wahrzunehmen und zu beeinflussen, bevor er unweigerlich in Begehren (Taṇhā) mündet.

Die Drei Hauptarten (Tividhā Vedanā)

Die grundlegendste und am häufigsten verwendete Klassifizierung von Vedanā unterscheidet drei Arten:

  1. Sukha Vedanā: Angenehmes, erfreuliches, wohltuendes Gefühl. Es ist typischerweise mit dem Wunsch verbunden, dass dieser Zustand andauern möge.
  2. Dukkha Vedanā: Unangenehmes, schmerzhaftes, leidvolles Gefühl. Es ist charakterisiert durch den Wunsch, diesen Zustand zu beenden oder ihm zu entkommen. Dies umfasst sowohl körperlichen Schmerz als auch geistiges Unbehagen, Kummer oder Leid.
  3. Adukkhamasukha Vedanā: Weder-unangenehmes-noch-angenehmes Gefühl. Oft wird es als „neutral“ oder „indifferent“ übersetzt. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass weder der Wunsch nach Fortdauer noch der Wunsch nach Beendigung spontan aufkommt.

Das neutrale Gefühl (adukkhamasukha vedanā) verdient besondere Beachtung. Während angenehme und unangenehme Gefühle uns oft unmittelbar zu Reaktionen wie Festhalten oder Ablehnen verleiten, wird das neutrale Gefühl leicht übersehen oder ignoriert. Die Texte weisen darauf hin, dass gerade hier die „zugrundeliegende Neigung zur Unwissenheit“ (avijjānusaya) besonders wirksam ist. Das Nicht-Erkennen oder Nicht-Beachten der neutralen Empfindung und ihrer ebenso vergänglichen Natur stellt eine subtile Form der Verblendung dar, die den leidvollen Kreislauf (Saṃsāra) unbemerkt aufrechterhält. Die Achtsamkeitspraxis erfordert daher eine besondere Sensibilität für diese oft unauffällige Empfindungsqualität.

Weitere Klassifizierungen

Neben der grundlegenden Dreiteilung finden sich im Palikanon weitere, detailliertere Klassifizierungen von Vedanā, die je nach Kontext verwendet werden:

  • Zwei Arten: Unterscheidung nach Ursprung: körperlich (kāyika) und geistig (cetasika).
  • Fünf Arten: Eine im Abhidhamma und in Kommentaren wie dem Visuddhimagga häufige Einteilung, die die drei Grundarten nach körperlich/geistig differenziert: Sukha (körperlich angenehm), Dukkha (körperlich unangenehm/schmerzhaft), Somanassa (geistig angenehm/Freude), Domanassa (geistig unangenehm/Kummer, Trauer) und Upekkhā (Gleichmut, hier oft anstelle von adukkhamasukha für das neutrale Gefühl verwendet).
  • Sechs Arten: Klassifizierung entsprechend den sechs Sinnesgrundlagen (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist), durch deren Kontakt Vedanā entsteht (z.B. Gefühl entstanden durch Augenkontakt, Gefühl entstanden durch Ohrkontakt usw.).
  • 18, 36, 108 Arten: In einigen Lehrreden (z.B. MN 59, SN 36.22) werden noch komplexere Analysen vorgestellt, die oft Kombinationen der obigen Einteilungen darstellen (z.B. 6 Sinne × 3 Gefühlstönungen = 18 Arten; diese weiter unterschieden nach vergangen, gegenwärtig, zukünftig ergibt 36 Arten etc.).
  • Weltlich (Sāmisa) vs. Unweltlich (Nirāmisa): Eine wichtige Unterscheidung für die Praxis trennt Gefühle, die mit weltlichen Sinnesobjekten und Anhaftung verbunden sind (sāmisa, wörtlich „fleischlich“), von solchen, die aus Entsagung und spiritueller Praxis entstehen (nirāmisa), wie z.B. die Freude (pīti) und das Glück (sukha) in den meditativen Vertiefungen (Jhāna).

3. Vedanā im Gefüge der Lehre

Vedanā ist kein isoliertes Konzept, sondern tief in zwei der grundlegendsten Lehrgebäude des frühen Buddhismus eingebettet: die Fünf Aggregate (Pañca Khandha) und die Bedingte Entstehung (Paṭiccasamuppāda). Diese beiden Modelle beschreiben den Prozess der Erfahrung und die Entstehung des Leidens aus unterschiedlichen Blickwinkeln – die Aggregate eher analytisch zerlegend, die Bedingte Entstehung eher synthetisch und kausal – und Vedanā spielt in beiden eine Schlüsselrolle.

Vedanā als Teil der Fünf Aggregate (Pañca Khandha)

Die Lehre von den Fünf Aggregaten analysiert die Erfahrung eines „Selbst“ oder einer „Persönlichkeit“ und zerlegt sie in fünf grundlegende, sich ständig verändernde Komponenten oder „Haufen“ (khandha). Vedanā ist das zweite dieser fünf Aggregate. Die Aggregate sind:

  1. Form/Körperlichkeit (Rūpa): Materie, der physische Körper, Sinnesorgane und Sinnesobjekte.
  2. Gefühl/Empfindung (Vedanā): Die affektive Tönung der Erfahrung (angenehm, unangenehm, neutral).
  3. Wahrnehmung (Saññā): Das Erkennen, Identifizieren und Benennen von Objekten.
  4. Geistesformationen (Saṅkhāra): Willensregungen, Absichten, Gewohnheiten, mentale Prägungen, Reaktionen.
  5. Bewusstsein (Viññāṇa): Das grundlegende Gewahrsein oder Erkennen eines Objekts an den Sinnesbasen.

Innerhalb dieses Modells entsteht Vedanā durch das Zusammenspiel der anderen Aggregate: Der Kontakt (Phassa) zwischen einem Sinnesorgan (Teil von Rūpa), einem Sinnesobjekt (Teil von Rūpa) und dem entsprechenden Bewusstsein (Viññāṇa) führt unweigerlich zum Entstehen von Vedanā. Die Lehre betont, dass alle fünf Aggregate, einschließlich Vedanā, den drei Daseinsmerkmalen unterliegen: Sie sind vergänglich (anicca), inhärent unbefriedigend oder leidhaft (dukkha, da sie vergänglich sind und kein dauerhaftes Glück bieten können) und ohne einen festen, unabhängigen Kern oder ein „Selbst“ (anattā). Das Problem entsteht durch das Anhaften oder Ergreifen (upādāna) dieser vergänglichen Aggregate, als wären sie ein beständiges „Ich“ oder „Mein“. Dieses Ergreifen ist die Wurzel des Leidens. Die Metapher, die Vedanā mit einer Wasserblase vergleicht – schnell entstehend und ebenso schnell wieder zerplatzend – unterstreicht eindrücklich seine flüchtige Natur.

Vedanā in der Bedingten Entstehung (Paṭiccasamuppāda)

Die Lehre von der Bedingten Entstehung beschreibt den dynamischen Prozess, durch den Leiden (Dukkha) und der Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) entstehen und aufrechterhalten werden. Sie wird oft als eine Kette von zwölf Gliedern dargestellt, von denen jedes das nächste bedingt. Vedanā nimmt in dieser Kette die siebte Position ein.

Der für Vedanā relevante und entscheidende Abschnitt der Kette lautet:

… 6. Phassa paccayā Vedanā (Bedingt durch Kontakt entsteht Gefühl/Empfindung)

7. Vedanā paccayā Taṇhā (Bedingt durch Gefühl/Empfindung entsteht Begehren/Durst)

8. Taṇhā paccayā Upādānaṁ (Bedingt durch Begehren entsteht Anhaften/Ergreifen)…

Diese Position macht Vedanā zu einem kritischen Glied und einem Wendepunkt im Entstehungsprozess des Leidens. Das unmittelbare, affektive Gefühl (Vedanā), das als Reaktion auf einen Sinneskontakt (Phassa) auftritt, führt – wenn es nicht achtsam wahrgenommen und verstanden wird – fast zwangsläufig zu Taṇhā. Taṇhā ist das Begehren nach dem Angenehmen, die Abneigung gegen das Unangenehme und die Ignoranz oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Neutralen. Dieses Begehren wiederum ist die Bedingung für Upādāna (das Festhalten, Greifen, Anhaften an Erfahrungen, Vorstellungen, dem Selbst) und setzt so den leidvollen Prozess fort, der letztlich zu Geburt, Alter und Tod führt.

Während andere Glieder der Kette wie Unwissenheit (Avijjā) oder vergangene Formationen (Saṅkhāra) weniger direkt im gegenwärtigen Moment erfahrbar sind, ist Vedanā der fühlbare, erlebte Augenblick, in dem der Mechanismus des Leidens anspringt oder potenziell unterbrochen werden kann. Es ist der Punkt, an dem die Welt auf uns trifft und eine unmittelbare affektive Reaktion auslöst. Die Sequenz Phassa -> Vedanā -> Taṇhā beschreibt damit den Kernmechanismus, wie wir auf die Welt reagieren und uns in ihr verstricken. Das Verständnis dieser Verbindung ist zentral für die buddhistische Praxis. Die Befreiung vom Leiden beinhaltet wesentlich das Durchbrechen dieser Kette, insbesondere indem verhindert wird, dass auf Vedanā automatisch Taṇhā folgt. Dies geschieht durch die Kultivierung von Achtsamkeit und Weisheit genau an diesem Punkt. Die Betonung von Vedanā in der Achtsamkeitspraxis (Satipaṭṭhāna) ergibt sich logisch aus dieser Schlüsselrolle: Hier kann der Prozess direkt erlebt und durch Einsicht transformiert werden.

4. Schlüssel-Lehrreden (Suttas) zu Vedanā im Palikanon

Der Begriff Vedanā durchzieht den gesamten Palikanon. Die folgende Auswahl konzentriert sich auf Lehrreden (Suttas) aus den vier Hauptsammlungen (Nikāyas), in denen Vedanā ein zentrales Thema darstellt oder besonders ausführlich erklärt wird. Die Referenzen folgen der Zählung auf suttacentral.net, einer umfassenden Online-Quelle für buddhistische Texte.

Dīgha Nikāya (DN) – Die Sammlung der langen Lehrreden

  • DN 22: Mahāsatipaṭṭhānasutta (Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit)
    • Pali-Name: Mahāsatipaṭṭhānasutta
    • Deutscher Name: Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit
    • Referenz:
    • Relevanz für Vedanā: Dieses berühmte Sutta, eine der wichtigsten Quellen für die Meditationspraxis, enthält einen eigenen Abschnitt über Vedanānupassanā – die Achtsamkeit auf Gefühle. Es ist die zweite der vier Grundlagen der Achtsamkeit. Die Lehrrede leitet dazu an, angenehme, unangenehme und neutrale Gefühle im Moment ihres Entstehens und Vergehens klar zu erkennen, ohne sich von ihnen mitreißen zu lassen oder mit Gier und Abneigung zu reagieren. Es betont das Verstehen ihrer bedingten Natur und Vergänglichkeit (anicca).
  • Weitere relevante DN-Suttas (kurz):
    • DN 14: Mahāpadānasutta (Große Lehrrede über die Spuren): Erwähnt Vedanā im Kontext der Entdeckung des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda) durch den früheren Buddha Vipassī, insbesondere die Kausalverbindung Phassa paccayā Vedanā.
    • DN 33: Saṅgītisutta (Lehrrede vom gemeinsamen Rezitieren): Listet systematisch buddhistische Lehrsätze auf, darunter die sechs Arten von Vedanā, klassifiziert nach den sechs Sinneskontakten.
    • DN 34: Dasuttarasutta (Lehrrede von den Zehnergruppen): Nennt im Rahmen von Dreiergruppen die drei Arten von Vedanā (angenehm, unangenehm, neutral) als Phänomene, die vollständig verstanden werden sollen (pariññeyyā), und die drei Arten des Begehrens (Taṇhā) als Phänomene, die aufgegeben werden sollen (pahātabbā).

Majjhima Nikāya (MN) – Die Sammlung der mittleren Lehrreden

  • MN 10: Satipaṭṭhānasutta (Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit)
    • Pali-Name: Satipaṭṭhānasutta (oft auch Mahāsatipaṭṭhānasutta genannt, identisch mit DN 22 bis auf den erweiterten Teil über die Vier Edlen Wahrheiten in DN 22)
    • Deutscher Name: Die Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit
    • Referenz:
    • Relevanz für Vedanā: Enthält ebenfalls den zentralen Abschnitt Vedanānupassanā und gilt als Kerntext zur Achtsamkeitspraxis, insbesondere zur Beobachtung der Gefühle.
  • MN 59: Bahuvedanīyasutta (Lehrrede über die vielen Arten von Gefühl)
    • Pali-Name: Bahuvedanīyasutta
    • Deutscher Name: Die Lehrrede über die vielen Arten von Gefühl (oder: Über die vielfältigen Gefühle)
    • Referenz:
    • Relevanz für Vedanā: Diskutiert explizit, dass Vedanā auf unterschiedliche Weisen klassifiziert werden kann (z.B. zwei, drei, fünf, sechs, bis zu 108 Arten) und dass diese verschiedenen Darlegungen je nach Kontext ihre Berechtigung haben. Klärt die Beziehung zwischen neutralem Gefühl (adukkhamasukha) und subtilem Glück (sukha) und beschreibt Stufen des Glücks, die über sinnliches Vergnügen bis zur Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl reichen.
  • MN 148: Chachakkasutta (Lehrrede von den sechs Sechsergruppen)
    • Pali-Name: Chachakkasutta
    • Deutscher Name: Die Lehrrede von den sechs Sechsergruppen
    • Referenz:
    • Relevanz für Vedanā: Bietet eine detaillierte Analyse des gesamten Wahrnehmungsprozesses anhand von sechs aufeinanderfolgenden „Sechsergruppen“: 1. Innere Sinnesbasen, 2. Äußere Sinnesobjekte, 3. Bewusstsein, 4. Kontakt, 5. Gefühl (Vedanā), 6. Begehren (Taṇhā). Zeigt präzise auf, wie an jeder der sechs Sinnesbasen durch Kontakt spezifische Gefühle entstehen und wie diese wiederum spezifisches Begehren bedingen (vedanāpaccayā taṇhā). Unterstreicht die Nicht-Selbst-Natur (anattā) aller beteiligten Faktoren.
  • Weitere relevante MN-Suttas (kurz):
    • MN 9: Sammādiṭṭhisutta (Lehrrede über Rechte Ansicht): Erklärt Vedanā als Bedingung für die Entstehung von Taṇhā (Begehren) im Rahmen der Erklärung des Bedingten Entstehens.
    • MN 36: Mahāsaccakasutta (Große Lehrrede an Saccaka): Beschreibt, wie der Buddha (als Beispiel eines Geübten) sowohl angenehme als auch unangenehme Gefühle erfährt, ohne dass diese seinen Geist beherrschen, da Körper und Geist entwickelt sind (bhāvitakāya, bhāvitacitta).
    • MN 43: Mahāvedallasutta (Große Lehrrede der Fragen und Antworten): Definiert Vedanā kurz und prägnant als das, was fühlt (vedeti) – angenehm, unangenehm oder neutral.
    • MN 44: Cūḷavedallasutta (Kleine Lehrrede der Fragen und Antworten): Ordnet Vedanā (Gefühl) und Saññā (Wahrnehmung) den geistigen Prozessen oder Formationen (cittasaṅkhāra) zu, im Gegensatz zu den körperlichen (kāyasaṅkhāra, z.B. Atmung) und sprachlichen (vacīsaṅkhāra, z.B. Gedankenfassen).

Samyutta Nikāya (SN) – Die Sammlung der gruppierten Lehrreden

  • SN 36: Vedanāsaṃyutta (Die Gruppierten Lehrreden über Gefühl)
    • Pali-Name: Vedanāsaṃyutta
    • Deutscher Name: Die Gruppierten Lehrreden über Gefühl (oder: Kapitel über Gefühl/Empfindung)
    • Referenz:
    • Relevanz für Vedanā: Dies ist das spezifische Kapitel (Saṃyutta) im Palikanon, das sich ausschließlich und detailliert dem Thema Vedanā widmet. Es versammelt zahlreiche, meist kurze Suttas, die verschiedenste Facetten beleuchten. Für ein tiefgehendes Studium von Vedanā ist dieses Kapitel die unverzichtbare Primärquelle.
    • Beispielhaftes Sutta aus SN 36: SN 36.6: Sallasutta (Lehrrede vom Pfeil): Dieses Sutta verwendet die eindringliche Metapher zweier Pfeile. Der erste Pfeil repräsentiert den unvermeidlichen körperlichen Schmerz oder das unangenehme Gefühl, das jeden treffen kann. Der zweite Pfeil symbolisiert das zusätzliche, selbst verursachte mentale Leiden (Kummer, Klage, Verzweiflung), das entsteht, wenn man auf den ersten Pfeil mit Widerstand, Ablehnung und Identifikation reagiert. Der ungeschulte Weltling wird von beiden Pfeilen getroffen, während der geschulte Edle Schüler nur den ersten Pfeil fühlt, da er durch Achtsamkeit und Weisheit die Reaktion des zweiten Pfeils vermeidet.
    • Weitere Themen in SN 36: Die drei Gefühlsarten und meditative Vertiefung (samādhi) (SN 36.1); das Aufgeben von Begierde nach Angenehmem, Abneigung gegen Unangenehmes und Unwissenheit bezüglich Neutralem (SN 36.3); Gefühl als „Abgrund“ (pātāla), in dem der Ungeübte versinkt (SN 36.4); die Sichtweise auf Gefühle (angenehm als leidhaft, leidhaft als Pfeil, neutral als vergänglich) (SN 36.5); die Entstehung von Gefühl aus Kontakt (SN 36.10); Achtsamkeit auf Gefühle im Angesicht von Krankheit und Tod (SN 36.7, SN 36.8); verschiedene Klassifizierungen von Gefühlen (SN 36.19, SN 36.22).

Aṅguttara Nikāya (AN) – Die Sammlung der angereihten Lehrreden

  • AN 6.63: Nibbedhikasutta (Lehrrede über das Durchdringende)
    • Pali-Name: Nibbedhikasutta
    • Deutscher Name: Die Lehrrede über das Durchdringende (oder: Über die Durchdringende Darlegung)
    • Referenz:
    • Relevanz für Vedanā: Dieses Sutta präsentiert eine systematische Analysemethode für sechs zentrale Dhamma-Themen, darunter auch Vedanā. Für jedes Thema wird gefragt: Was ist es? Was ist sein Ursprung (nidānasambhavo)? Was ist seine Vielfalt (vemattatā)? Was ist sein Ergebnis/seine Frucht (vipāko)? Was ist seine Aufhebung (nirodho)? Was ist der zur Aufhebung führende Pfad (nirodhagāminī paṭipadā)? Diese Struktur wird auch auf Vedanā angewendet und bietet einen umfassenden analytischen Rahmen.
  • Weitere relevante AN-Suttas (kurz):
    • AN 3.61: Titthāyatanasutta (Lehrrede über die Standpunkte der Sektierer): Diskutiert drei falsche Ansichten über die Ursache von Glück und Leid (alles durch vergangenes Kamma bestimmt, alles durch einen Schöpfergott verursacht, alles ohne Ursache und Bedingung) und erwähnt dabei, wie Gefühle (vedanā) von Anhängern dieser Lehren erfahren werden.
    • AN 4.41: Samādhisutta (Lehrrede über Konzentration): Beschreibt vier Entwicklungen der Konzentration, wobei eine darin besteht, Konzentration zu entwickeln, die zu Achtsamkeit und klarem Verstehen führt. Hier wird das Beobachten des Entstehens, Bestehens und Vergehens von Gefühlen (Vedanā), Wahrnehmungen und Gedanken als Übung genannt.

Die drei grundlegenden Arten von Vedanā werden auch im AN häufig in verschiedenen Kontexten erwähnt.

Die Untersuchung dieser Schlüsseltexte zeigt eine bemerkenswerte Konsistenz der Kernlehren über Vedanā über die vier Haupt-Nikāyas hinweg. Die Definition als affektive Tönung, die Einteilung in drei Grundarten, die kausale Verknüpfung mit Kontakt (Phassa) und Begehren (Taṇhā) im Rahmen des Bedingten Entstehens sowie die zentrale Rolle der Achtsamkeit auf Gefühle (Vedanānupassanā) bilden ein kohärentes Bild. Diese Übereinstimmung unterstreicht die fundamentale Bedeutung von Vedanā im frühen Buddhismus.

Zusammenfassende Tabelle der Schlüssel-Suttas zu Vedanā

Nikāya Sutta-Nr. Pali-Name Deutscher Titel (gängig) Kurze Beschreibung der Relevanz für Vedanā
DN 22 Mahāsatipaṭṭhānasutta Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit Enthält den Abschnitt Vedanānupassanā (Achtsamkeit auf Gefühle) als zweite Grundlage der Achtsamkeit; detaillierte Praxisanleitung.
MN 10 Satipaṭṭhānasutta Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit Kürzere Version von DN 22, ebenfalls mit Vedanānupassanā als Kernstück der Achtsamkeitspraxis.
MN 59 Bahuvedanīyasutta Lehrrede über die vielen Arten von Gefühl Diskutiert verschiedene Klassifizierungen von Vedanā (2, 3, 5 etc.) und die Natur von subtilem Glück bis hin zur Aufhebung der Gefühle.
MN 148 Chachakkasutta Lehrrede von den sechs Sechsergruppen Analysiert den gesamten Wahrnehmungsprozess über sechs Stufen (Sinnesbasis -> Objekt -> Bewusstsein -> Kontakt -> Gefühl -> Begehren) für alle sechs Sinne.
SN 36 Vedanāsaṃyutta Die Gruppierten Lehrreden über Gefühl Gesamtes Kapitel (31 Suttas) widmet sich ausschließlich Vedanā, mit detaillierten Analysen, Metaphern und Praxisaspekten. Primärquelle.
SN 36.6 Sallasutta Lehrrede vom Pfeil Berühmte Metapher der zwei Pfeile zur Unterscheidung von unvermeidlichem Schmerz und selbstgemachtem mentalem Leiden durch Reaktion.
AN 6.63 Nibbedhikasutta Lehrrede über das Durchdringende Wendet ein systematisches Analyseschema (Definition, Ursprung, Vielfalt, Ergebnis, Aufhebung, Pfad) auf sechs Themen an, einschließlich Vedanā.

5. Vedanā Achtsam Betrachten: Der Weg zur Einsicht (Vedanānupassanā)

Die zentrale praktische Anwendung des Verständnisses von Vedanā findet sich in der zweiten Grundlage der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna): der Achtsamkeit auf Gefühle, bekannt als Vedanānupassanā. Diese Praxis wird ausführlich in den Satipaṭṭhāna Suttas (DN 22 und MN 10) dargelegt.

Bei Vedanānupassanā geht es darum, die im gegenwärtigen Moment auftretenden Gefühle – seien sie angenehm, unangenehm oder neutral – klar als solche zu erkennen und zu benennen, ohne sie zu bewerten, zu begehren, abzulehnen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Der Praktizierende beobachtet mit Achtsamkeit (sati), wie Gefühle entstehen (samudaya) und wieder vergehen (vaya). Durch diese Beobachtung wird ihre unbeständige, vergängliche Natur (anicca) und ihre Abhängigkeit von Bedingungen (insbesondere vom vorangegangenen Kontakt, phassa) direkt erfahrbar. Diese Praxis erfordert nicht nur passive Wahrnehmung, sondern auch Eifer oder Bemühung (ātāpī) und klares Verstehen der Situation (sampajāno).

Das Ziel dieser Praxis ist nicht primär, unangenehme Gefühle loszuwerden oder angenehme festzuhalten – obwohl eine Beruhigung des Geistes oft eine Folge ist. Das eigentliche Ziel ist tiefergehend: Es geht darum, die automatische, unbewusste Reaktion zu durchbrechen, die normalerweise auf Vedanā folgt – nämlich das Begehren (Taṇhā) nach Angenehmem und die Abneigung (Paṭigha oder Dosa) gegen Unangenehmes. Indem die wahre Natur der Gefühle – ihre Vergänglichkeit, ihre Unzulänglichkeit als Quelle dauerhaften Glücks (dukkha) und ihre Leerheit von einem festen Selbst (anattā) – direkt und wiederholt (anupassanā bedeutet „wiederholtes Betrachten“) gesehen wird, werden die zugrundeliegenden, tief verwurzelten Neigungen (anusaya) zu Gier (rāgānusaya), Hass/Abneigung (paṭighānusaya) und Unwissenheit (avijjānusaya) allmählich geschwächt und können schließlich vollständig beseitigt werden.

Die Satipaṭṭhāna-Texte beschreiben diese Praxis daher nicht als passive Registrierung, sondern als eine aktive, untersuchende Methode (anupassanā), die zur Entwicklung von Weisheit (paññā) führt. Die Begriffe ātāpī (eifrig) und sampajāno (klares Verstehen) deuten auf eine engagierte Erforschung der eigenen Erfahrung hin. Es ist ein Weg, der über bloße Beruhigung (samatha) hinaus zur befreienden Einsicht (vipassanā) in die Natur der Wirklichkeit führt.

Der Buddha bezeichnet das vollständige Verstehen von Vedanā als einen direkten Weg zur Befreiung von den geistigen Trübungen (āsava) und zur Beendigung des Leidens (dukkha) noch in diesem Leben. Da Vedanā als universeller Geistesfaktor bei jedem Sinneskontakt entsteht, ist die Achtsamkeit auf Gefühle eine Praxis, die potenziell in jedem Moment des Alltags angewendet werden kann – nicht nur während der formalen Meditation, sondern auch beim Gehen, Essen, Arbeiten oder im Gespräch. Sie wird so zu einem mächtigen Werkzeug, um die subtilen Mechanismen von Gier, Hass und Verblendung im täglichen Leben zu erkennen und zu transformieren.

6. Zusammenfassung: Die Schlüsselrolle von Vedanā

Vedanā, das Gefühl oder die Empfindung, ist weit mehr als nur eine passive Begleiterscheinung unserer Erfahrung. Es ist die grundlegende affektive Reaktion – angenehm, unangenehm oder neutral –, die aus dem Kontakt unserer Sinne mit der Welt entsteht. Als zweites der Fünf Aggregate (Pañca Khandha) ist es ein fundamentaler Baustein unserer erlebten Realität. Als siebtes Glied in der Kette des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda) steht es an einem kritischen Wendepunkt: Es ist die direkte Bedingung für das Entstehen von Begehren (Taṇhā), der Wurzel des Leidens.

Die zentrale Bedeutung von Vedanā liegt darin, dass das Verstehen und die achtsame Beobachtung dieses Gefühlstons entscheidend sind, um den Mechanismus der Leidenserstehung zu durchschauen. Die Praxis der Achtsamkeit auf Gefühle (Vedanānupassanā), wie sie in den Satipaṭṭhāna-Lehrreden dargelegt wird, zielt genau darauf ab: die automatische Kette von Gefühl zu Begehren (Vedanā -> Taṇhā) durch nicht-reaktives Gewahrsein und Einsicht in die wahre Natur der Gefühle (Vergänglichkeit, Unbefriedigendheit, Nicht-Selbst) zu durchbrechen.

Die Kultivierung dieser Achtsamkeit ist somit kein intellektuelles Unterfangen, sondern ein direkter, erfahrungsbasierter Weg, um die tief verwurzelten Neigungen zu Gier, Hass und Unwissenheit aufzugeben und sich schrittweise dem Ziel der Befreiung zu nähern.

Die zahlreichen Lehrreden im Palikanon, insbesondere das Vedanāsaṃyutta (SN 36), bieten eine reiche Quelle für das Studium dieses zentralen Aspekts der buddhistischen Lehre und Praxis. Es ist die Ermutigung an alle Interessierten, diese Texte zu erforschen und die Praxis der Achtsamkeit auf Gefühle zu kultivieren, um die tiefere Bedeutung und die befreiende Kraft des Verständnisses von Vedanā selbst zu erfahren.

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8. Begehren (Taṇhā)
8. Begehren (Taṇhā)

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Bedingt durch das Gefühl – insbesondere das angenehme – entsteht Taṇhā, das Begehren, die Gier oder der „Durst“. Dies ist das Verlangen, Angenehmes festzuhalten oder Unangenehmes loszuwerden. Erfahre mehr über die drei Arten von Taṇhā (Sinneslust, Existenzbegehren, Selbstvernichtungsbegehren) und warum sie in der Zweiten Edlen Wahrheit als Hauptursache des Leidens genannt wird.