
Lobha (Gier) im Palikanon – Definition, Bedeutung und Lehrreden
Die Wurzel der Gier im frühen Buddhismus verstehen und überwinden
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Lobha – Die Wurzel der Gier im frühen Buddhismus
- Definition und Erklärung von Lobha
- Lobha als unheilsame Wurzel (Akusala-Mūla)
- Das Gegenteil: Alobha – Nicht-Gier, Großzügigkeit und Loslassen
- Lobha in den Lehrreden des Palikanon
- Zusammenfassung und Ausblick
- Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Einleitung: Lobha – Die Wurzel der Gier im frühen Buddhismus
Das Studium des frühen Buddhismus erfordert ein Verständnis seiner Kernbegriffe, die oft in der alten Sprache Pali überliefert sind. Diese Begriffe sind Schlüssel zum Verständnis der tiefgründigen Analysen des menschlichen Geistes und des Weges zur Befreiung, wie sie der Buddha lehrte.
Einer dieser zentralen Begriffe ist Lobha. Häufig mit „Gier“ übersetzt, repräsentiert Lobha weit mehr als nur materielles Verlangen. Es ist ein fundamentaler Geisteszustand, der tief in die buddhistische Lehre vom Leiden (Dukkha) und dessen Überwindung eingreift.
Dieser Bericht zielt darauf ab, den Begriff Lobha für interessierte Laien und Anfänger im Buddhismus zugänglich zu machen. Er bietet eine klare Definition, erläutert den Kontext von Lobha innerhalb der buddhistischen Lehre – insbesondere seine Rolle als eine der drei unheilsamen Wurzeln – und stellt seine Beziehung zu anderen wichtigen Konzepten dar. Darüber hinaus werden spezifische Lehrreden (Suttas) aus den Hauptsammlungen des Palikanon (Dīgha Nikāya, Majjhima Nikāya, Samyutta Nikāya, Aṅguttara Nikāya) vorgestellt, die Lobha besonders beleuchten. Diese Verweise, primär basierend auf der Online-Quelle SuttaCentral, sollen den Lesern ermöglichen, die Originaltexte selbst zu erkunden und ihr Verständnis zu vertiefen.
Definition und Erklärung von Lobha
Übersetzung und Kernbedeutung
Der Pali-Begriff Lobha wird im Deutschen üblicherweise mit Gier, Verlangen, Anhaftung, Begierde oder Habgier wiedergegeben. Im buddhistischen Kontext bezeichnet Lobha einen spezifischen unheilsamen mentalen Faktor (akusala cetasika), der durch ein aktives Greifen nach Objekten und ein Festhalten an ihnen charakterisiert ist. Es ist eine Form des Begehrens, die den Geist anzieht und bindet.
Die Visuddhimagga, ein wichtiger Kommentartext, beschreibt Lobha bildhaft als etwas, das an einem Objekt haftet wie Vogelleim an einem Affen, das festklebt wie Fleisch in einer heißen Pfanne und das nicht loslässt wie der Ruß einer Lampe.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Lobha nicht auf rein materielle Gier beschränkt ist. Der Begriff umfasst ein breites Spektrum an Verlangen, einschließlich der Begierde nach angenehmen Sinneserfahrungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten), dem Verlangen nach Existenz und Fortbestand, dem Wunsch nach Status, Macht oder Anerkennung und jeglicher Form von Anhaftung an weltliche Dinge oder Zustände.
Abgrenzung und Verhältnis zu verwandten Begriffen
Die Pali-Sprache verfügt über einen reichen Wortschatz zur Beschreibung verschiedener Facetten des Verlangens. Um Lobha präzise zu verstehen, ist eine Abgrenzung zu verwandten Begriffen hilfreich:
- Taṇhā (Durst, Craving): Dieser Begriff steht oft im Zentrum der Erklärung des Leidensursprungs in den Vier Edlen Wahrheiten. Taṇhā bezeichnet das grundlegende, tief sitzende Verlangen oder den „Durst“, der uns an den Kreislauf der Wiedergeburten bindet. Es umfasst das Verlangen nach Sinnesfreuden (kāma-taṇhā), das Verlangen nach Existenz (bhava-taṇhā) und das Verlangen nach Nicht-Existenz (vibhava-taṇhā). Lobha kann als eine spezifische Manifestation oder Intensivierung von Taṇhā betrachtet werden. Im Abhidhamma, der systematischen psychologischen Lehre des Buddhismus, werden Lobha und Taṇhā oft als äquivalent behandelt. Taṇhā gilt als die unmittelbare Ursache des Leidens (Dukkha).
- Rāga (Leidenschaft, Lust): Rāga ist eng mit Lobha verwandt und wird häufig synonym verwendet. Gelegentlich wird Rāga als eine etwas schwächere Form des Verlangens oder spezifischer als leidenschaftliche Anziehung, insbesondere im sinnlichen oder emotionalen Bereich, beschrieben. Im Gegensatz dazu kann Lobha eine extremere Form der Gier darstellen, die eher zu offen unmoralischen Handlungen motiviert. Rāga kann auch subtilere Formen annehmen, wie die Anhaftung an feinstoffliche Daseinsformen (Rūpa-rāga) oder formlose Daseinsformen (Arūpa-rāga), die erst auf höheren Stufen der geistigen Entwicklung überwunden werden.
- Abhijjhā (Begierde, Covetousness): Dieser Begriff wird sehr oft als direktes Synonym für Lobha gebraucht, besonders wenn es um die zehn unheilsamen Handlungspfade (akusala-kamma-patha) geht, wo Abhijjhā die mentale Handlung des Begehrens fremden Eigentums bezeichnet.
- Kāmacchanda (Sinnliches Begehren): Dies beschreibt eine besonders intensive Form des Verlangens nach Sinnesfreuden, die so stark werden kann, dass sie den Geist „blind“ macht für die negativen Konsequenzen des eigenen Handelns.
- Chanda (Wille, Absicht, Wunsch): Im Gegensatz zu Lobha, das immer als unheilsam (akusala) gilt, kann Chanda auch heilsam (kusala) sein. Es bezeichnet den Wunsch oder die Absicht, etwas zu tun oder zu erreichen. Ein heilsamer Chanda wäre beispielsweise der Wunsch, das Dhamma zu verstehen, anderen zu helfen oder Befreiung zu erlangen (Dhamma-Chanda).
Diese Vielfalt an Begriffen macht deutlich, dass die einfache Übersetzung von Lobha als „Gier“ nicht die volle Tiefe des Konzepts erfasst. Das Pali differenziert feine Nuancen hinsichtlich der Intensität, des Objekts und der moralischen Qualität des Verlangens. Lobha hebt sich dabei als eine besonders problematische Form hervor, da es als eine der Hauptwurzeln für unheilsames, leidverursachendes Handeln gilt.
Lobha als unheilsame Wurzel (Akusala-Mūla)
Die drei Gifte/Wurzeln
Im Zentrum der buddhistischen Analyse leidverursachender Geisteszustände stehen die drei unheilsamen Wurzeln (Akusala-Mūla), oft auch als die „Drei Gifte“ (Triviṣa) bezeichnet. Diese sind:
- Lobha: Gier, Anhaftung, Verlangen
- Dosa: Hass, Aversion, Ablehnung, Zorn
- Moha: Verblendung, Unwissenheit, Illusion
Diese drei – Lobha, Dosa und Moha – gelten als die fundamentalen Quellen allen unheilsamen Denkens, Sprechens und Handelns (Akusala Kamma). Sie sind tief im Geist verwurzelt und treiben den Kreislauf des Leidens und der Wiedergeburten an.
Innerhalb dieser Triade wird Moha – die grundlegende Unwissenheit über die wahre Natur der Wirklichkeit (insbesondere die Merkmale von Vergänglichkeit, Leiden und Nicht-Selbst) und die Vier Edlen Wahrheiten – oft als die tiefste Wurzel betrachtet. Es ist diese Verblendung, die das Entstehen von Gier (Lobha) und Hass (Dosa) erst ermöglicht. Daher ist Moha untrennbar mit jedem Auftreten von Lobha oder Dosa verbunden; es bildet den Nährboden, auf dem die anderen beiden gedeihen.
Die Wirkungsweise von Lobha
Lobha ist keine passive Emotion, sondern ein aktiver mentaler Faktor, der den Geist und das Handeln prägt. Seine Wirkungsweise lässt sich wie folgt beschreiben:
- Motivation: Lobha motiviert Handlungen – körperlich, sprachlich oder rein geistig – die darauf abzielen, angenehme Erfahrungen zu erlangen, zu bewahren oder zu intensivieren, oder unangenehme Zustände durch das Ergreifen von etwas Angenehmem zu vermeiden.
- Anhaftung und Leiden: Lobha führt unweigerlich zu Anhaftung oder Festhalten (Upādāna) an den Objekten des Verlangens. Da jedoch alle weltlichen Phänomene vergänglich (Anicca), unbefriedigend (Dukkha) und ohne einen festen Wesenskern (Anattā) sind, führt diese Anhaftung zwangsläufig zu Leiden. Enttäuschung, Frustration, Schmerz und Verlust entstehen, wenn das Erwünschte nicht erreicht wird, verloren geht oder sich als letztlich unbefriedigend erweist. Der Buddha betonte, dass gerade die Anhaftung an Angenehmes bei dessen Verlust zu Kummer führt.
- Unmoralisches Handeln: In seiner stärkeren Ausprägung kann Lobha zu Handlungen führen, die ethische Grenzen überschreiten. Um das Begehrte zu erlangen oder zu sichern, mag eine von Lobha getriebene Person lügen, stehlen, betrügen, andere ausbeuten oder sogar Gewalt anwenden.
- Bindung an Saṃsāra: Lobha, zusammen mit Dosa und Moha, ist eine Hauptursache dafür, dass Lebewesen im Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) gefangen bleiben. Die durch Gier motivierten Handlungen erzeugen karmische Wirkungen, die zukünftige Existenzen bedingen, oft in leidvollen Daseinsbereichen. So wird Lobha traditionell mit der Wiedergeburt im Reich der Hungergeister (peta) in Verbindung gebracht, Wesen, die von unstillbarem Verlangen geplagt sind.
Die Analyse von Lobha als unheilsame Wurzel zeigt also eine klare Kausalität auf: Der mentale Zustand der Gier (Lobha), genährt durch Verblendung (Moha), führt zu unheilsamen Handlungen (Akusala Kamma), die wiederum unweigerlich zu Leiden (Dukkha) für sich selbst und andere führen und den leidvollen Zyklus der Wiedergeburten aufrechterhalten. Es ist nicht nur ein psychologisches Phänomen, sondern ein zentraler Mechanismus im buddhistischen Verständnis der Realität.
Das Gegenteil: Alobha – Nicht-Gier, Großzügigkeit und Loslassen
Dem unheilsamen Prinzip der Gier (Lobha) steht im Buddhismus ein heilsames Gegenprinzip gegenüber: Alobha.
Definition von Alobha
Alobha bedeutet wörtlich „Nicht-Gier“ und bezeichnet die Abwesenheit von Gier, Verlangen und Anhaftung an weltliche Objekte oder Daseinszustände. Es ist jedoch mehr als nur die bloße Negation von Lobha. Alobha repräsentiert eine aktive positive Geisteshaltung, die sich in konkreten Tugenden manifestiert:
- Großzügigkeit (Dāna): Die Bereitschaft zu geben, zu teilen und materiellen Besitz loszulassen.
- Zufriedenheit (Santuṭṭhi): Das Gefühl der Genügsamkeit mit dem, was man hat.
- Entsagung (Nekkhamma): Die Abkehr von sinnlichen Begierden und weltlichen Bindungen.
- Loslassen: Die Fähigkeit, Anhaftungen an Personen, Dingen, Meinungen oder dem eigenen Selbstbild aufzugeben.
Alobha wird beschrieben als ein Geisteszustand, der nicht an Objekten klebt, ähnlich wie ein Wassertropfen auf einem Lotusblatt abperlt. Es ist die Grundlage dafür, sich nicht in unheilsame Handlungen zu verstricken.
Die drei heilsamen Wurzeln (Kusala-Mūla)
Analog zu den drei unheilsamen Wurzeln gibt es drei heilsame Wurzeln (Kusala-Mūla), die die Basis für alle heilsamen Geisteszustände und Handlungen (Kusala Kamma) bilden:
- Alobha: Nicht-Gier, Großzügigkeit, Loslassen
- Adosa: Nicht-Hass, Liebende Güte (Mettā), Mitgefühl (Karuṇā)
- Amoha: Nicht-Verblendung, Weisheit (Paññā), Einsicht
Diese heilsamen Wurzeln führen zu Glück, innerem Frieden, Wohlbefinden und spirituellem Fortschritt. Handlungen, die aus Alobha, Adosa und Amoha entstehen, erzeugen positives Karma und unterstützen den Weg zur Befreiung (Nibbāna).
Die buddhistische Praxis zielt daher nicht nur darauf ab, Lobha zu erkennen und zu vermeiden, sondern aktiv Alobha zu kultivieren. Praktiken wie Meditation über die Vergänglichkeit, Achtsamkeit auf aufkommende Gier und insbesondere die Übung der Großzügigkeit (Dāna) sind direkte Gegenmittel. Sie schwächen die Wurzel der Gier und stärken gleichzeitig ihre heilsame Entsprechung. Das Verständnis von Lobha als Problem weist somit direkt auf die Lösung hin: die bewusste Entwicklung von Nicht-Anhaftung, Großzügigkeit und Zufriedenheit als essenzielle Bestandteile des buddhistischen Weges.
Lobha in den Lehrreden des Palikanon
Lobha und die damit verbundenen unheilsamen Wurzeln werden in zahlreichen Lehrreden (Suttas) des Palikanon erwähnt. Einige Suttas sind jedoch besonders zentral für das Verständnis dieses Konzepts, da sie Lobha definieren, seine Auswirkungen detailliert beschreiben oder es in den größeren Kontext der Lehre einordnen. Die folgende Auswahl konzentriert sich auf die vom Benutzer angefragten Sammlungen (DN, MN, SN, AN) und verweist auf SuttaCentral als Hauptquelle.
Majjhima Nikāya (MN): Sammlung der mittleren Lehrreden
MN 9: Sammādiṭṭhi Sutta (Lehrrede über Rechte Ansicht)
- Kontext: In dieser wichtigen Lehrrede erklärt der Ehrwürdige Sāriputta, einer der Hauptschüler des Buddha, auf Bitten der Mönche ausführlich den Begriff der Rechten Ansicht (Sammā Diṭṭhi). Rechte Ansicht ist der erste Faktor des Edlen Achtfachen Pfades und bildet die Grundlage für den gesamten Weg.
- Relevanz für Lobha: Sāriputta beginnt seine Erklärung, indem er das Unheilsame (Akusala) und das Heilsame (Kusala) definiert. Er identifiziert die zehn unheilsamen Handlungen (Töten, Stehlen, Lügen etc.) als Manifestationen des Unheilsamen. Entscheidend ist seine anschließende Frage nach der Wurzel des Unheilsamen (Akusala-Mūla). Hier nennt er explizit Lobha (Gier), Dosa (Hass) und Moha (Verblendung) als diese Wurzeln. Analog dazu definiert er das Heilsame durch die zehn heilsamen Handlungen (Unterlassen der unheilsamen Taten, Großzügigkeit, Wohlwollen etc.) und benennt Alobha (Nicht-Gier), Adosa (Nicht-Hass) und Amoha (Nicht-Verblendung) als dessen Wurzeln (Kusala-Mūla).
- Bedeutung: Dieses Sutta macht unmissverständlich klar, dass das Erkennen und Verstehen der unheilsamen Wurzeln, einschließlich Lobha, ein fundamentaler Bestandteil der Rechten Ansicht ist. Ohne dieses Verständnis ist ein Fortschreiten auf dem Pfad nicht möglich. Das Erkennen von Lobha im eigenen Geist ist somit der erste Schritt zu seiner Überwindung.
- Quellenangabe: MN 9, Sammādiṭṭhi Sutta (Lehrrede über Rechte Ansicht), https://suttacentral.net/mn9
Dīgha Nikāya (DN): Sammlung der langen Lehrreden
DN 33: Saṅgīti Sutta (Lehrrede über das gemeinsame Rezitieren) & DN 34: Dasuttara Sutta (Lehrrede über die Zehnergruppen)
- Kontext: Diese beiden umfangreichen Suttas, ebenfalls von Sāriputta vorgetragen, präsentieren eine systematische Zusammenfassung der buddhistischen Lehre, geordnet nach numerischen Gruppen (Einergruppen, Zweiergruppen, Dreiergruppen usw.). Sie dienten wahrscheinlich als Gedächtnisstütze und zur Sicherung der einheitlichen Überlieferung.
- Relevanz für Lobha: In beiden Suttas werden in den Abschnitten über die Dreiergruppen (Tika) konsequent die drei unheilsamen Wurzeln (Lobha, Dosa, Moha) und die drei heilsamen Wurzeln (Alobha, Adosa, Amoha) als grundlegende Lehrpunkte aufgeführt.
- Bedeutung: Die Aufnahme in diese umfassenden Kompendien unterstreicht die zentrale Stellung der Akusala-Mūla und Kusala-Mūla im Gesamtgefüge der buddhistischen Lehre. Sie werden als fundamentale Kategorien für das Verständnis von Geist und Handlung etabliert. Die listenartige, systematische Darstellung in diesen Suttas weist bereits auf die analytische Methode hin, die später im Abhidhamma weiterentwickelt wurde.
- Quellenangabe: DN 33, Saṅgīti Sutta (Lehrrede über das gemeinsame Rezitieren), https://suttacentral.net/dn33; DN 34, Dasuttara Sutta (Lehrrede über die Zehnergruppen), https://suttacentral.net/dn34
Samyutta Nikāya (SN): Sammlung der gruppierten Lehrreden
- Kein spezifisches Lobha Saṃyutta: Eine Durchsicht der Kapitelüberschriften des Samyutta Nikāya zeigt, dass es kein eigenes Kapitel (Saṃyutta) gibt, das explizit und ausschließlich dem Thema Lobha gewidmet ist.
- Relevanz von Rāga: Jedoch ist der eng verwandte Begriff Rāga (Leidenschaft, Begierde) in mehreren Kapiteln von großer Bedeutung:
- Im Nidāna Saṃyutta (SN 12), das sich mit dem Bedingten Entstehen (Paṭiccasamuppāda) befasst, spielt Taṇhā (Craving), das eng mit Rāga und Lobha verbunden ist, eine Schlüsselrolle als Ursache für Anhaften (Upādāna) und damit für den gesamten Leidensprozess.
- Im Saḷāyatana Saṃyutta (SN 35), das die sechs Sinnesgrundlagen behandelt, wird immer wieder analysiert, wie Rāga in Bezug auf Sinnesobjekte entsteht und zur Bindung an die Welt und zu Leiden führt.
SN 35.28: Ādittapariyāya Sutta (Die Feuerpredigt)
- Kontext: Dies ist eine der berühmtesten und eindringlichsten Reden des Buddha, gehalten für eine Gruppe von ehemaligen Feuerverehrern.
- Relevanz für Lobha/Rāga: Der Buddha beschreibt hier mit der kraftvollen Metapher des Feuers, wie die sechs Sinne (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist), ihre Objekte und die daraus entstehenden Bewusstseinsarten, Kontakte und Gefühle „brennen“. Sie brennen, so erklärt er, mit dem Feuer der Gier (Rāga), dem Feuer des Hasses (Dosa) und dem Feuer der Verblendung (Moha). Obwohl hier Rāga genannt wird, ist die enge Verbindung zu Lobha offensichtlich, da beide die anziehende, begehrende Kraft repräsentieren.
- Bedeutung: Die Feuerpredigt illustriert auf dramatische Weise die schmerzhafte, verzehrende und gefährliche Natur der unheilsamen Wurzeln, insbesondere der Begierde. Sie macht deutlich, dass die Welt der Sinne, solange sie von Gier, Hass und Verblendung ergriffen wird, eine Quelle des Leidens ist.
- Quellenangabe: SN 35.28, Ādittapariyāya Sutta (Die Feuerpredigt), https://suttacentral.net/sn35.28 (Hinweis: Nennt Rāga, nicht Lobha direkt). SN 12, Nidāna Saṃyutta (Buch über Bedingtes Entstehen), https://suttacentral.net/sn12.
Aṅguttara Nikāya (AN): Sammlung der nummerisch geordneten Lehrreden
AN 3.69: Akusalamūla Sutta (Lehrrede über die unheilsamen Wurzeln) (manchmal auch nur Mūla Sutta genannt)
- Kontext: Dieses Sutta bietet eine sehr direkte und detaillierte Erklärung der Funktionsweise und der Konsequenzen der drei unheilsamen Wurzeln.
- Relevanz für Lobha: Es wird explizit dargelegt, dass Lobha selbst unheilsam ist (akusala). Weiterhin wird beschrieben, wie eine von Lobha beherrschte Person unheilsame Taten durch Körper, Rede und Geist begeht. Das Sutta schildert anschaulich, wie Gier dazu führt, anderen Wesen Leid zuzufügen – durch Schlagen, Fesseln, Beraubung, Tadel oder Verbannung – oft motiviert durch Machtstreben oder Besitzgier („Ich habe Macht, ich will Macht“). Diese negativen Auswirkungen werden dann den positiven Folgen gegenübergestellt, die aus Alobha (Nicht-Gier) resultieren: Eine Person ohne Gier fügt anderen kein solches Leid zu.
- Bedeutung: Dieses Sutta gilt als eine der wichtigsten und am häufigsten zitierten Lehrreden zum Thema der unheilsamen Wurzeln. Es liefert eine klare und eindringliche Darstellung der zerstörerischen Kraft von Lobha und seiner direkten Verbindung zu schädlichem Handeln und Leiden, sowohl für den Handelnden selbst (der im Hier und Jetzt leidvoll lebt) als auch für andere. Die detaillierte Analyse der Motivation und der daraus folgenden Taten bildet eine wichtige Brücke zwischen der psychologischen Einsicht und der ethischen Dimension der Lehre.
- Quellenangabe: AN 3.69, Akusalamūla Sutta (Lehrrede über die unheilsamen Wurzeln), https://suttacentral.net/an3.69
(Optional/Ergänzend) AN 3.68: Aññatitthiya Sutta (Lehrrede an Andersgläubige)
- Kontext: Der Buddha beantwortet Fragen von Anhängern anderer Lehren über die Natur der drei Wurzeln.
- Relevanz für Lobha: In dieser Rede charakterisiert der Buddha Lobha als „wenig tadelnswert, aber langsam schwindend“ (appasāvajjaṁ dandhavirāgiṁ). Dies steht im Kontrast zu Dosa (Hass), das als „sehr tadelnswert, aber schnell schwindend“ (mahāsāvajjaṁ khippavirāgiṁ) beschrieben wird, und Moha (Verblendung), das als „sehr tadelnswert und langsam schwindend“ (mahāsāvajjaṁ dandhavirāgiṁ) gilt. Das Sutta nennt auch spezifische Gegenmittel, wie die Betrachtung des Unschönen (asubha) als Mittel gegen Lobha (bzw. Rāga).
- Bedeutung: Bietet eine interessante psychologische Perspektive auf die relative Hartnäckigkeit und die subjektiv wahrgenommene Schwere der drei Geistesgifte. Es deutet an, dass Gier zwar weniger offensichtlich zerstörerisch erscheinen mag als Hass, aber oft tiefer sitzt und schwerer zu überwinden ist.
- Quellenangabe: AN 3.68, Aññatitthiya Sutta (Lehrrede an Andersgläubige), https://suttacentral.net/an3.68
Tabelle: Ausgewählte Lehrreden zu Lobha und verwandten Konzepten
Nikāya | Sutta Nr. | Pali Name | Deutscher Titel (gebräuchlich) | Fokus Bezug Lobha/Rāga | Quelle (SuttaCentral) |
---|---|---|---|---|---|
MN | 9 | Sammādiṭṭhi Sutta | Lehrrede über Rechte Ansicht | Definiert Lobha, Dosa, Moha als Akusala-Mūla (Wurzeln des Unheilsamen) und Alobha, Adosa, Amoha als Kusala-Mūla. | https://suttacentral.net/mn9 |
DN | 33 | Saṅgīti Sutta | Lehrrede über das gemeinsame Rezitieren | Listet Lobha, Dosa, Moha und Alobha, Adosa, Amoha in den Dreiergruppen als fundamentale Lehrpunkte. | https://suttacentral.net/dn33 |
DN | 34 | Dasuttara Sutta | Lehrrede über die Zehnergruppen | Listet Lobha, Dosa, Moha und Alobha, Adosa, Amoha in den Dreiergruppen als fundamentale Lehrpunkte. | https://suttacentral.net/dn34 |
SN | 35.28 | Ādittapariyāya Sutta | Die Feuerpredigt | Beschreibt, wie die Sinne mit dem Feuer von Rāga (Leidenschaft/Gier), Dosa und Moha brennen. | https://suttacentral.net/sn35.28 |
AN | 3.69 | Akusalamūla Sutta | Lehrrede über die unheilsamen Wurzeln | Erklärt detailliert, wie Lobha zu unheilsamen Taten und Leid führt; kontrastiert mit Alobha. | https://suttacentral.net/an3.69 |
AN | 3.68 | Aññatitthiya Sutta | Lehrrede an Andersgläubige | Charakterisiert Lobha als „wenig tadelnswert, aber langsam schwindend“; nennt Gegenmittel. | https://suttacentral.net/an3.68 |
Die Auswahl dieser spezifischen Suttas dient dazu, ein umfassendes Bild von Lobha zu vermitteln. MN 9 liefert die grundlegende Definition im Kontext des buddhistischen Pfades. DN 33 und DN 34 zeigen die systematische Einordnung von Lobha in das gesamte Lehrgebäude. SN 35.28 (für Rāga) bietet eine kraftvolle metaphorische Darstellung der Gefahr, die von Begierde ausgeht. AN 3.69 schließlich analysiert die konkreten ethischen und psychologischen Auswirkungen von Lobha im Detail. Zusammen ermöglichen diese Texte ein fundiertes Verständnis dieses zentralen unheilsamen Geisteszustandes.
Zusammenfassung und Ausblick
Lobha, übersetzt als Gier, Verlangen oder Anhaftung, ist ein zentraler Begriff im frühen Buddhismus. Es bezeichnet einen unheilsamen Geisteszustand, der weit über bloße materielle Begierde hinausgeht und jegliche Form des Greifens und Festhaltens an angenehmen Erfahrungen, Besitztümern oder der eigenen Existenz umfasst. Als eine der drei unheilsamen Wurzeln (Akusala-Mūla) – zusammen mit Hass (Dosa) und Verblendung (Moha) – bildet Lobha die Grundlage für unheilsames Handeln (Akusala Kamma). Dieses Handeln führt unweigerlich zu Leiden (Dukkha), sowohl für die handelnde Person als auch für andere, und hält die Wesen im leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten (Saṃsāra) gefangen.
Die Verblendung (Moha) über die wahre Natur der Realität (Vergänglichkeit, Leiden, Nicht-Selbst) wird als die tiefste Wurzel betrachtet, die das Entstehen von Lobha und Dosa ermöglicht. Das Erkennen und Verstehen von Lobha im eigenen Geist ist daher eine grundlegende Voraussetzung für die buddhistische Praxis. Lehrreden wie das Sammādiṭṭhi Sutta (MN 9) betonen, dass dieses Verständnis Teil der Rechten Ansicht ist. Das Akusalamūla Sutta (AN 3.69) wiederum schildert eindringlich die negativen Konsequenzen giergetriebenen Handelns.
Der Weg zur Überwindung von Lobha liegt nicht in bloßer Unterdrückung, sondern in der aktiven Kultivierung seines Gegenteils: Alobha (Nicht-Gier). Dies manifestiert sich in Tugenden wie Großzügigkeit (Dāna), Zufriedenheit (Santuṭṭhi) und der Fähigkeit loszulassen. Diese heilsamen Qualitäten bilden, zusammen mit Nicht-Hass (Adosa) und Nicht-Verblendung (Amoha), die heilsamen Wurzeln (Kusala-Mūla), die zu Glück und Befreiung führen.
Die in diesem Bericht vorgestellten Lehrreden bieten wertvolle Einblicke in die Natur und Wirkungsweise von Lobha. Insbesondere das Studium von MN 9 und AN 3.69 auf SuttaCentral wird allen Lesern empfohlen, die ihr Verständnis vertiefen möchten. Die Auseinandersetzung mit Lobha ist keine rein theoretische Übung, sondern ein wesentlicher Schritt auf dem Weg, sich von den Fesseln der Gier zu befreien und dauerhaften Frieden und Glück zu finden – das zentrale Ziel des buddhistischen Weges.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- en.wikipedia.org: Lobha; Taṇhā; Three poisons; Kleshas (Buddhism); Alobha; Sammādiṭṭhi Sutta
- wisdomlib.org: Lobha (definitions); Lobha (Significance); Factor 5 – Lobha; Lobha dosa moha; Alobha (Significance); Alobha (definitions)
- discourse.suttacentral.net: Lobha, Dosa, Moha; Does (rāga, dosa, moha) have a name in EBT as a group?
- fiveable.me: The origin of suffering; Akusala-mula
- dhammawheel.com: Lobha/greed vs tanha/craving; Lobha vs Raga; Lobha, Dosa mutually exclusive; Saṅgīti Sutta; Looking for Sutta (AN 3.69)
- puredhamma.net: Lōbha, Rāga And Kāmaccanda, Kāmarāga; Lōbha, Dōsa, Mōha Versus Rāga, Paṭigha, Avijjā; Ten Immoral Actions; Gati (Habits/Character) Determine Births; DN 34 Dasuttarasutta
- buddha-vacana.org: Glossary of Pali terms
- tibetanbuddhistencyclopedia.com: Sammaditthi Sutta
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Dosa repräsentiert das Spektrum von Hass, Abneigung, Ärger, Groll und Übelwollen. Es ist die geistige Tendenz des Ablehnens, Wegstoßens und Zerstörens, die oft aus Frustration oder als Reaktion auf Unangenehmes entsteht. Lerne hier die verschiedenen Facetten von Dosa kennen, von leichter Gereiztheit bis zu zerstörerischer Wut, und wie dieses „Gift“ dein Wohlbefinden untergräbt.