
Analyse des Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (DN 22): Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit
Die Kernaussage und Bedeutung der Lehrrede
Inhaltsverzeichnis
In der unermesslichen Weite menschlicher Erfahrung taucht immer wieder eine fundamentale Frage auf: Wie können wir ein Ende von Kummer, Schmerz und existenzieller Unruhe finden? Wie können wir einen Zustand dauerhaften Friedens und tiefgreifender Klarheit kultivieren, der nicht von den unbeständigen Wechselfällen des Lebens erschüttert wird? In der Sammlung der Lehrreden des Buddha gibt es eine Antwort, die an Direktheit und praktischer Anwendbarkeit unübertroffen ist: das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta, die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit. Dieses Sutta ist weit mehr als ein historisches Dokument; es ist ein lebendiger, zeitloser Leitfaden, ein detaillierter Bauplan für die Befreiung des Geistes.
Die Lehrrede beginnt mit einer der kühnsten und ermutigendsten Aussagen im gesamten Pāli-Kanon. Der Buddha erklärt, dass der darin beschriebene Weg der ekāyano maggo ist – der „einzige Weg“ oder „direkte Pfad“. Dieser Pfad dient, so sagt er, „zur Läuterung der Wesen, zur Überwindung von Kummer und Wehklagen, zur Beendigung von Schmerz und Traurigkeit, zum Beschreiten des richtigen Weges und zur Verwirklichung von Nibbāna“. Diese einleitende Proklamation ist kein bloßes Versprechen, sondern eine tiefgreifende Zusicherung. Sie legt nahe, dass die in diesem Sutta enthaltenen Methoden in sich geschlossen und vollständig sind. Für den Praktizierenden bedeutet dies, dass er sich mit vollem Vertrauen auf diesen Weg begeben kann, in dem Wissen, dass er keine wesentliche Zutat für die Befreiung vermissen wird. Alles Notwendige ist in der Kultivierung der Achtsamkeit enthalten.
Die Berühmtheit und zentrale Stellung dieses Suttas im Buddhismus – es gilt als der Leitfaden der Achtsamkeitsmeditation, insbesondere in der Theravāda-Tradition, und wird von allen buddhistischen Schulen hochgeachtet – beruht auf seiner systematischen und umfassenden Natur. Es ist kein vager Appell, „achtsam zu sein“, sondern eine präzise, strukturierte Anleitung, die den Praktizierenden an die Hand nimmt. Es liefert ein komplettes Instrumentarium, um die Gesamtheit der menschlichen Erfahrung zu erforschen: den Körper in seiner Greifbarkeit, die Gefühle in ihrer Unmittelbarkeit, den Geist in seiner Flüchtigkeit und die grundlegenden Prinzipien der Wirklichkeit selbst. Es ist die definitive Anleitung des Buddha zur Selbsterforschung und inneren Transformation.
Steckbrief der Lehrrede
Um einen schnellen Überblick zu ermöglichen, sind die wichtigsten Eckdaten der Lehrrede hier in tabellarischer Form zusammengefasst. Diese Tabelle dient als eine Art „digitaler Abstract“, der die Identität und den Umfang des Suttas auf einen Blick erfasst.
Merkmal | Beschreibung |
---|---|
Pāli-Titel | Mahāsatipaṭṭhāna Sutta |
Sutta-Nummer | DN 22 (Dīgha Nikāya 22) |
Sammlung | Dīgha Nikāya (Sammlung der langen Lehrreden des Buddha) |
Deutscher Titel | Die Große Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit |
Kernthema(s) | Achtsamkeit (sati), die Vier Grundlagen der Achtsamkeit (cattāro satipaṭṭhānā), Einsicht (vipassanā), Nicht-Anhaften (anupādāya), Befreiung von Leid (dukkha) |
Kontext: Warum wurde diese Lehrrede gehalten?
Jede Lehrrede des Buddha entstand in einem spezifischen Kontext, der oft entscheidende Hinweise auf ihre Absicht und Tiefe gibt. Das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta wurde an einem Ort namens Kammāsadamma im Land der Kurus gehalten, einem Volk, das in der damaligen Zeit für seine Weisheit, Gesundheit und sein tiefes Verständnis bekannt war. Die Wahl dieses Ortes und dieser Zuhörerschaft ist von großer Bedeutung. Der Buddha trug diese tiefgründige und systematische Lehre nicht einer Gruppe von Menschen vor, die von grundlegenden Problemen geplagt war, sondern einem Publikum, das als fähig galt, die subtilsten Aspekte des Dhamma zu erfassen. Dies deutet darauf hin, dass die Praxis des Satipaṭṭhāna nicht nur eine heilsame Methode für Leidende ist, sondern den Gipfel der menschlichen Weisheit und des Entwicklungspotenzials darstellt. Es ist ein Training für den reifen Geist, der nach der höchsten Befreiung strebt, und widerspricht damit der oft vereinfachten modernen Vorstellung von Achtsamkeit als reiner Stressbewältigungstechnik.
Im doktrinären Gefüge der Lehre des Buddha nimmt das Satipaṭṭhāna eine zentrale Position ein. Es ist die praktische Ausformulierung der „Rechten Achtsamkeit“ (Sammā Sati), des siebten Glieds des Edlen Achtfachen Pfades. Es fungiert als entscheidende Brücke zwischen der „Rechten Anstrengung“ (Sammā Vāyāma) und der „Rechten Sammlung“ (Sammā Samādhi). Die Rechte Anstrengung liefert die Energie, unheilsame Geisteszustände zu überwinden und heilsame zu kultivieren; die Rechte Achtsamkeit lenkt diese Energie präzise auf die Beobachtungsobjekte; und die daraus resultierende Stabilität führt zur tiefen meditativen Sammlung der Jhānas. Ohne Sati wäre die Anstrengung ziellos und die Sammlung unerreichbar.
Wichtig ist auch die Beziehung dieses Suttas zu seiner kürzeren Version, dem Satipaṭṭhāna Sutta in der Mittleren Sammlung (MN 10). Die beiden Texte sind inhaltlich weitgehend identisch. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die „große“ Version in der Langen Sammlung (DN 22) eine ausführliche Analyse der Vier Edlen Wahrheiten im vierten Abschnitt enthält, die wahrscheinlich aus einer anderen Lehrrede, dem Saccavibhaṅga Sutta (MN 141), übernommen wurde. Diese kompositorische Natur schmälert nicht die Autorität des Textes. Im Gegenteil, sie offenbart ihn als eine meisterhaft kuratierte und absichtlich zusammengestellte „große Lehrschrift“ der Meditationspraxis. Es scheint, als hätten der Buddha oder die frühe Sangha die wichtigsten Anleitungen zur Körperbetrachtung (aus MN 119), zur Analyse der Wahrheiten (aus MN 141) und andere Kernpraktiken in einem einzigen, umfassenden Handbuch zusammengefasst, um dem Praktizierenden einen vollständigen und in sich geschlossenen Weg zur Verfügung zu stellen.
Die Kerninhalte: Eine strukturierte Zusammenfassung
Das Herzstück der Lehrrede ist die detaillierte Darlegung der vier Grundlagen der Achtsamkeit (cattāro satipaṭṭhānā). Diese bilden ein vollständiges Curriculum für die Erforschung des Geistes, das sich schrittweise vom Greifbaren zum Subtilen und schließlich zum Strukturellen vorarbeitet.
Die erste Grundlage: Betrachtung des Körpers (Kāyānupassanā)
Die Praxis beginnt mit dem unmittelbarsten und greifbarsten Aspekt unserer Erfahrung: dem Körper. Die zentrale Anweisung lautet, dass ein Praktizierender „beim Körper den Körper betrachtend verweilt“ (kāye kāyānupassī viharati). Diese auf den ersten Blick redundante Formulierung ist eine präzise Anweisung: Es geht darum, den Körper direkt als eine Ansammlung physischer Prozesse zu beobachten, ohne die überlagerten Konzepte und Geschichten von „ich“, „mein“ oder „mir“. Man betrachtet den Körper so, wie er ist, nicht, wie man ihn gerne hätte oder wie man über ihn denkt. Diese Beobachtung wird von drei wesentlichen Qualitäten begleitet: Tatkraft (ātāpī), klares Verstehen (sampajāno) und Achtsamkeit (satimā). Die Achtsamkeit hält die Aufmerksamkeit auf dem Objekt, das klare Verstehen erkennt die Natur des Objekts, und die Tatkraft liefert die nötige Energie, um dabei zu bleiben und Ablenkungen zu überwinden.
Die Lehrrede gliedert diese Körperbetrachtung in sechs spezifische Übungen:
- Achtsamkeit auf den Atem (Ānāpānasati): Dies ist die grundlegendste Meditationsform. Der Praktizierende setzt sich an einen ruhigen Ort und richtet seine Aufmerksamkeit auf den Atem. Er weiß: „Wenn ich lang einatme, weiß ich: ‚Ich atme lang ein.‘ Wenn ich kurz ausatme, weiß ich: ‚Ich atme kurz aus‘“. Der Buddha verwendet hier das Gleichnis eines geschickten Drechslers, der genau weiß, ob er eine lange oder eine kurze Drehung macht. Es geht nicht darum, den Atem zu kontrollieren oder zu bewerten, sondern ihn einfach mit präziser, nicht-urteilender Bewusstheit zu kennen. Die Übung wird verfeinert, indem man den „gesamten Atemkörper“ von Anfang bis Ende wahrnimmt und die „Körperformationen“ (den Atem selbst) beruhigt.
- Die vier Körperhaltungen (Iriyāpatha): Die Achtsamkeit wird von der formellen Sitzmeditation auf die alltäglichen Körperhaltungen ausgedehnt. „Wenn er geht, weiß er: ‚Ich gehe.‘ Wenn er steht, weiß er: ‚Ich stehe.‘ Wenn er sitzt, weiß er: ‚Ich sitze.‘ Wenn er liegt, weiß er: ‚Ich liege‘“. Jede Haltung wird zu einem Meditationsobjekt. Dies schlägt eine Brücke zwischen der formalen Praxis und dem Rest des Lebens und verwandelt jede Bewegung in eine Gelegenheit zur Bewusstheit.
- Klare Vergegenwärtigung (Sampajañña): Diese Übung erweitert die Achtsamkeit auf alle Aktivitäten des täglichen Lebens. Der Praktizierende ist sich klar bewusst, wenn er vorwärts- oder zurückgeht, wenn er isst, trinkt und kaut, wenn er seine Roben trägt, wenn er zur Toilette geht, wenn er spricht oder schweigt. Das Ziel ist eine ununterbrochene Kontinuität der Achtsamkeit, die den Geist daran hindert, in unheilsame Gedanken abzuschweifen.
- Betrachtung der 32 Körperteile (Paṭikkūlamanasikāra): Hierbei wird der Körper systematisch in seine 32 als unrein oder abstoßend geltenden Bestandteile zerlegt: Haare des Kopfes, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen usw.. Der Zweck dieser Übung ist es, der Identifikation mit dem Körper als schön und begehrenswert entgegenzuwirken. Indem man die wahre Natur seiner Bestandteile betrachtet, werden Anhaftung, Lust und Eitelkeit untergraben und durch Nüchternheit und Loslösung ersetzt. Der Buddha vergleicht dies mit einem Sack, der mit verschiedenen Getreidesorten gefüllt ist, und einer Person mit gutem Sehvermögen, die beim Ausschütten genau erkennt: „Dies ist Reis, dies sind Bohnen, dies sind Sesamsamen“.
- Betrachtung der vier Elemente (Dhātumanasikāra): Der Körper wird hier nicht als feste Einheit, sondern als ein Zusammenspiel der vier primären Elemente oder Qualitäten analysiert: das Erdelement (Festigkeit, Ausdehnung), das Wasserelement (Zusammenhalt, Flüssigkeit), das Feuerelement (Temperatur, Hitze) und das Luftelement (Bewegung, Druck). Diese Dekonstruktion löst die Vorstellung eines soliden, beständigen „Selbst“ weiter auf und zeigt den Körper als einen unpersönlichen, dynamischen Prozess, was die Einsicht in Nicht-Selbst (anattā) fördert.
- Die neun Leichenfeld-Betrachtungen (Navasīvathikā): Dies ist die eindringlichste und herausforderndste Körperbetrachtung. Der Praktizierende stellt sich einen Leichnam in neun fortschreitenden Stadien des Verfalls vor – von einem aufgedunsenen, bläulichen Körper ein paar Tage nach dem Tod über einen von Tieren zerfressenen Kadaver bis hin zu einem Haufen gebleichter, zu Staub zerfallener Knochen. Bei jeder Stufe wendet er die Erkenntnis auf den eigenen Körper an: „Auch dieser mein Körper ist von derselben Natur, er wird so werden und kann diesem Schicksal nicht entgehen.“ Diese Übung ist ein kraftvolles Mittel, um die Anhaftung an das Leben und den Körper zu durchtrennen, indem sie die unausweichliche Realität der eigenen Sterblichkeit (anicca) direkt ins Bewusstsein rückt.
Die zweite Grundlage: Betrachtung der Gefühle (Vedanānupassanā)
Nachdem der Geist durch die Körperbetrachtung stabilisiert wurde, wendet sich die Praxis den Gefühlen zu, einem subtileren Bereich der Erfahrung. Es ist entscheidend zu verstehen, dass vedanā hier nicht komplexe Emotionen wie Liebe oder Wut meint, sondern den rohen, grundlegenden „Ton“ jeder Erfahrung. Jedes Mal, wenn unsere Sinne auf ein Objekt treffen, entsteht ein Gefühl, das entweder angenehm (sukhā), schmerzhaft (dukkhā) oder neutral (adukkhamasukhā) ist. Die Anweisung ist, diese Gefühle einfach zu registrieren, sobald sie entstehen: „Wenn er ein angenehmes Gefühl fühlt, weiß er: ‚Ich fühle ein angenehmes Gefühl.‘“ Er beobachtet sie ohne Identifikation und ohne Reaktion. Der Buddha entdeckte, dass vedanā das kritische Bindeglied in der Kette ist, die zu Leid führt. Zwischen dem Sinneskontakt und der Reaktion des Verlangens (taṇhā) oder der Abneigung liegt dieser kurze Moment des reinen Fühlens. Normalerweise reagieren wir automatisch: Wir greifen nach dem Angenehmen und stoßen das Unangenehme von uns. Indem wir Achtsamkeit genau auf diesen Punkt richten, können wir diese automatische Reaktionskette durchbrechen. Wir lernen, ein schmerzhaftes Gefühl zu erfahren, ohne daraus Leiden zu machen, und ein angenehmes Gefühl zu erleben, ohne daran anzuhaften. Das Sutta unterscheidet zudem zwischen weltlichen (fleischlichen) und spirituellen (nicht-fleischlichen) Gefühlen, was auf die unterschiedliche Qualität von Sinnesfreuden und den Freuden der Meditation hinweist.
Die dritte Grundlage: Betrachtung des Geistes (Cittānupassanā)
Auf dieser Stufe wird die Achtsamkeit auf den Geist selbst gerichtet, um seinen Zustand oder seine Qualität im gegenwärtigen Moment zu erkennen. Die Praxis gleicht einem Spiegel, der wertfrei reflektiert, wie der Geist gerade beschaffen ist. Es geht nicht darum, Gedankeninhalte zu analysieren, sondern die allgemeine „Färbung“ oder den Zustand des Bewusstseins zu erkennen. Der Buddha liefert hierfür einen praktischen Katalog von Geisteszuständen, die in polaren Paaren angeordnet sind. Der Praktizierende fragt sich: „Ist der Geist gerade von Gier erfasst (sarāgaṃ) oder frei von Gier (vītarāgaṃ)? Ist er von Hass erfüllt (sadosaṃ) oder frei von Hass (vītadosaṃ)? Ist er verblendet (samohaṃ) oder frei von Verblendung (vītamohaṃ)?“. Weitere Paare sind: eingeengt oder zerstreut, gehoben oder unentwickelt, gesammelt oder ungesammelt, befreit oder unbefreit. Diese Übung kultiviert eine scharfe und ehrliche Selbsterkenntnis. Man lernt, die unheilsamen Wurzeln zu erkennen, wenn sie aktiv sind, und die heilsamen Qualitäten zu würdigen, wenn sie präsent sind. Dies ist ein entscheidender Schritt, um zu verstehen, welche mentalen Zustände zu Leid und welche zu Frieden führen.
Die vierte Grundlage: Betrachtung der Geistesobjekte (Dhammānupassanā)
Diese vierte und letzte Grundlage ist die komplexeste und analytischste. Der Begriff dhammā bezieht sich hier nicht einfach auf „Dinge“ im Allgemeinen, sondern auf die spezifischen Kategorien und Prinzipien, durch die die Lehre des Buddha die Realität analysiert. Es ist, als würde man die Erfahrung durch verschiedene doktrinäre „Linsen“ betrachten, um tiefere Einsicht (vipassanā) in ihre wahre Natur zu gewinnen.
- Die Fünf Hindernisse (Pañca Nīvaraṇā): Der Praktizierende beobachtet das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der fünf Haupthindernisse für die meditative Sammlung: Sinnenlust, Übelwollen, Trägheit und Mattheit, Unruhe und Sorge sowie skeptischer Zweifel. Er erkennt nicht nur ihre Anwesenheit, sondern versteht auch, wie sie entstehen, wie sie überwunden werden können und wie ihr zukünftiges Auftreten verhindert werden kann.
- Die Fünf Aggregate (Pañca Khandhā): Hier wird die Erfahrung durch die Linse der fünf Aggregate des Anhaftens betrachtet: Form (Körper), Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewusstsein. Durch diese Betrachtung erkennt der Praktizierende, dass das, was er für ein solides, beständiges „Selbst“ hält, in Wirklichkeit ein flüchtiger, unpersönlicher Prozess ist, ein Zusammenspiel dieser fünf sich ständig verändernden Komponenten.
- Die Sechs Sinnesgrundlagen (Saḷāyatana): Die Achtsamkeit wird auf die sechs inneren und sechs äußeren Sinnesgrundlagen gerichtet (Auge und Form, Ohr und Ton, Nase und Geruch usw.). Der Praktizierende beobachtet, wie bei ihrem Zusammentreffen Kontakt entsteht und wie aus diesem Kontakt Gefühle und schließlich Fesseln (wie Gier oder Abneigung) entstehen.
- Die Sieben Erleuchtungsfaktoren (Satta Bojjhaṅgā): Diese Übung hat einen aktiv kultivierenden Charakter. Der Praktizierende beobachtet nicht nur, sondern fördert bewusst die sieben Faktoren, die zur Erleuchtung führen: Achtsamkeit, Ergründung der Daseinserscheinungen, Tatkraft, Freude, Stille, Sammlung und Gleichmut. Er weiß, wann ein Faktor vorhanden ist und wie er zur vollen Entfaltung gebracht werden kann. Dies zeigt deutlich, dass die Praxis des Satipaṭṭhāna nicht rein passiv ist, sondern ein zielgerichtetes Training zur Kultivierung heilsamer Geisteszustände.
- Die Vier Edlen Wahrheiten (Cattāri Ariyasaccāni): Dies ist der Höhepunkt der Praxis und die bedeutende Erweiterung in DN 22. Der Praktizierende wendet das ultimative diagnostische Werkzeug des Buddha auf seine eigene unmittelbare Erfahrung an. Er erkennt direkt: „Dies ist das Leiden (dukkha).“ Er versteht: „Dies ist die Ursache des Leidens (das Verlangen).“ Er verwirklicht: „Dies ist die Aufhebung des Leidens (das Erlöschen des Verlangens).“ Und er praktiziert: „Dies ist der Pfad, der zur Aufhebung des Leidens führt (der Edle Achtfache Pfad)“. Das Sutta liefert hier eine detaillierte Aufschlüsselung jeder einzelnen Wahrheit und verankert so die gesamte Achtsamkeitspraxis im befreienden Rahmen der Kernlehre des Buddha.
Analyse und Bedeutung für die heutige Praxis
In einer Welt, die von Ablenkung, Stress und einer Flut von Informationen geprägt ist, erweist sich das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta als ein bemerkenswert relevantes und kraftvolles Werkzeug. Es ist die ultimative „Anleitung“ für den menschlichen Geist, ein Handbuch, das uns befähigt, vom passiven Opfer unserer Stimmungen, Gedanken und Impulse zum aktiven, einsichtsvollen Beobachter und schließlich zum Meister unserer inneren Welt zu werden. Die vielleicht wichtigste Korrektur, die das Sutta an der modernen, oft verwässerten Vorstellung von Achtsamkeit vornimmt, ist die Betonung des investigativen Charakters der Praxis. Während die Kultivierung von Achtsamkeit zweifellos zu Ruhe und Stressreduktion führen kann, ist dies ein nützlicher Nebeneffekt, nicht das primäre Ziel. Der Kern der Praxis ist die Untersuchung (dhamma-vicaya) und die Entwicklung von Einsicht (vipassanā) – das Sehen der Dinge, „wie sie wirklich sind“ (yathābhūtaṁ). Für den modernen Menschen bedeutet dies, dass die Praxis weit über einfaches Entspannen hinausgeht. Sie ist ein Weg zu tiefgreifender Selbsterkenntnis, verbesserter emotionaler Regulierung und einer unerschütterlichen inneren Widerstandsfähigkeit.
Das zentrale Werkzeug, das ein heutiger Leser aus diesem Text mitnehmen kann, ist die Praxis der Dis-Identifikation. Durch die Anweisung, „den Körper im Körper“ oder „Gefühle in den Gefühlen“ zu betrachten, lernen wir, diese Phänomene als unpersönliche, vergängliche Prozesse zu sehen, anstatt sie als „meinen Körper“ oder „meine Wut“ zu vereinnahmen. Dieser subtile Wechsel der Perspektive schafft einen entscheidenden Raum der Freiheit zwischen einem Reiz und unserer Reaktion darauf. Wir sind nicht mehr gezwungen, auf jeden Impuls zu reagieren.
Um dies zu veranschaulichen, kann eine moderne Analogie hilfreich sein. Stellen Sie sich vor, Ihr Geist-Körper-System ist ein komplexes und faszinierendes wissenschaftliches Labor, das Sie geerbt, aber nie wirklich verstanden haben. Sie leben darin, werden von seinen chemischen Reaktionen (Emotionen) und seltsamen Geräuschen (Gedanken) herumgestoßen, aber Sie wissen nicht, wie es funktioniert. Das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta ist das Laborhandbuch. Sie beginnen damit, die physische Ausrüstung zu untersuchen und zu katalogisieren (die Betrachtung des Körpers, kāyānupassanā). Dann lernen Sie, die Anzeigen und Messgeräte abzulesen, die die Energiezustände des Systems anzeigen – angenehm, schmerzhaft, neutral (die Betrachtung der Gefühle, vedanānupassanā). Als Nächstes überprüfen Sie den Betriebsstatus des Zentralcomputers: Läuft gerade das Programm „Gier“ oder das Programm „Klarheit“? (die Betrachtung des Geistes, cittānupassanā). Schließlich beginnen Sie, die fundamentalen physikalischen Gesetze zu verstehen, die das gesamte Labor steuern – die Prinzipien von Ursache und Wirkung, von Entstehen und Vergehen (die Betrachtung der Geistesobjekte, dhammānupassanā). Ihr Ziel ist es nicht, das Labor zu zerstören, sondern es so gründlich zu verstehen, dass Sie nicht länger ein Sklave seiner automatischen Prozesse sind. Sie werden vom bloßen Testsubjekt zum leitenden Wissenschaftler, der mit Klarheit und Weisheit agiert.
Fazit: Die zeitlose Weisheit des Mahāsatipaṭṭhāna Sutta
Das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta ist keine Lehre, an die man glauben muss, sondern ein Weg, den man gehen kann. Es ist die zeitlose und zutiefst praktische Einladung des Buddha, mit Mut, Präzision und unerschütterlicher Geduld nach innen zu blicken und die Landschaft unserer eigenen Erfahrung zu erforschen. Es legt dar, dass in dieser direkten, unvoreingenommenen Beobachtung der Schlüssel zur Freiheit liegt. Es ist der direkte Pfad, der aus der Verwirrung zur Klarheit, aus der Knechtschaft zur Befreiung und aus dem Leiden zum Frieden führt – ein Pfad, der jedem offensteht, der bereit ist, die Reise der wachen Bewusstheit anzutreten.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Um die Tiefe und die meisterhafte Struktur dieser bemerkenswerten Lehrrede vollständig zu würdigen, ermutigen wir Sie, den Text in seiner Gänze zu lesen.
Lese die vollständige Lehrrede auf SuttaCentral
- The Mahāsatipaṭṭhāna Sutta: A Comprehensive Analysis – ijrpr
- The Way of Mindfulness: The Satipaṭṭhāna Sutta and Its Commentary – Access to Insight
- Mahāsatipaṭṭhāna Sutta – The Minding Centre
- Mahāsatipaṭṭhāna Sutta – The Great Discourse on the Establishing of… – Tipitaka.org
- Satipaṭṭhāna Sutta – Wikipedia
- Mahāsatipatthāna Sutta – Palikanon
- Mahāsatipaṭṭhāna Sutta: The Great Discourse on the Establishing… – Buddha Weekly