MN 115 – Bahudhātuka Sutta

MN Lehrreden Erklärungen
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Analyse des Bahudhātuka Sutta (MN 115): Die Lehrrede über die vielen Elemente

Einleitung: Die Kernaussage und Bedeutung der Lehrrede

Die Lehrrede über die vielen Elemente, das Bahudhātuka Sutta, beginnt mit einer der eindringlichsten und grundlegendsten Feststellungen des Buddha: „Ihr Bhikkhus, was immer da an Schrecken erscheint, es erscheint alles eines Toren wegen, nicht eines weisen Menschen wegen“. Diese kraftvolle Aussage bildet den Rahmen für die gesamte Lehrrede. Sie konfrontiert uns mit einer tiefen Wahrheit: Die Ursache für Angst, Gefahr und Unglück liegt nicht in der Welt selbst, sondern in der Art und Weise, wie wir sie wahrnehmen und verstehen. Der bāla, der Unwissende oder Tor, erzeugt durch seine verblendete Sichtweise Leid für sich und andere. Der paṇḍita, der Weise, ist hingegen eine Quelle der Sicherheit und des Friedens, eben weil er die Dinge so sieht, wie sie wirklich sind.

Diese tiefgreifende Gegenüberstellung veranlasst den ehrwürdigen Ānanda, die entscheidende Frage zu stellen, die den Kern des Suttas bildet: „Auf welche Weise, ehrwürdiger Herr, kann man einen Bhikkhu einen weisen Menschen und einen Nachforschenden nennen?“. Die Antwort des Buddha ist keine einfache Definition, sondern ein umfassendes und systematisches „Curriculum für Weisheit“. Das Bahudhātuka Sutta ist somit weit mehr als eine philosophische Abhandlung; es ist eine detaillierte Anleitung zur Schulung des Geistes, eine meisterhafte Landkarte zur Entwicklung von tiefem, befreiendem Einblick (vipassanā).

Die Lehrrede entfaltet sich als ein pädagogisches Meisterwerk. Sie beginnt mit dem fundamentalen Problem der menschlichen Existenz – Angst und Leid, die aus Unwissenheit entstehen. Daraufhin liefert sie eine präzise, vierteilige Antwort auf die Frage, wie man Weisheit kultiviert. Diese vier Bereiche – die Meisterschaft der Elemente (dhātu), der Sinnesgrundlagen (āyatana), des Bedingten Entstehens (paṭiccasamuppāda) und der Kausalgesetze von Möglichkeit und Unmöglichkeit (ṭhānāṭhāna) – bauen logisch aufeinander auf. Der Weg führt von einer statischen Analyse der Bestandteile unserer Erfahrung über die Untersuchung ihrer dynamischen Prozesse hin zum Verständnis der universalen Kausalgesetze, die alles bedingen. Schließlich mündet dieser Weg in der Erkenntnis der ethischen und befreienden Konsequenzen dieses Wissens. Das Sutta ist somit eine Grundlage für die freie und furchtlose Untersuchung der Realität und ein unverzichtbares Werkzeug für jeden, der den Pfad zur Befreiung ernsthaft beschreiten möchte.

Steckbrief der Lehrrede

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Eckdaten der Lehrrede übersichtlich zusammen.

Eckdaten Information
Pāli-Titel Bahudhātuka Sutta
Sutta-Nummer MN 115
Sammlung „Majjhima Nikāya (Mittlere Sammlung), Uparipaṇṇāsa (Die späteren Fünfzig)“
Deutscher Titel Die Lehrrede über die vielen Elemente / Die Lehrrede über die vielen Arten von Elementen
Kernthema(s) „Weisheit (paññā) vs. Torheit (bāla), Analyse der Realität, Elemente (dhātu), Sinnesgrundlagen (āyatana), Bedingtes Entstehen (paṭiccasamuppāda), Kamma und Kausalität (ṭhānāṭhāna)“

Kontext: Warum wurde diese Lehrrede gehalten?

Die Lehrrede wurde vom Buddha in Sāvatthī gehalten, im berühmten Jeta-Hain, einem Park, den der Kaufmann Anāthapiṇḍika der Ordensgemeinschaft gestiftet hatte. Der unmittelbare Anlass für die ausführliche Darlegung ist die Reaktion des ehrwürdigen Ānanda auf die einleitenden Worte des Buddha über den Toren und den Weisen. Ānandas Frage dient als Katalysator, der den Buddha dazu bewegt, die Kriterien für wahre Weisheit detailliert zu erläutern. Interessanterweise berichten Parallelversionen dieser Lehrrede, die in anderen buddhistischen Kanons wie dem chinesischen Madhyama-āgama (MA 181) erhalten sind, von einem leicht abweichenden narrativen Rahmen. Dort ist es Ānanda selbst, der während seiner einsamen Meditation zu der Einsicht gelangt, dass alle Furcht aus Torheit entsteht. Er teilt diese Erkenntnis anschließend dem Buddha mit, der sie bestätigt und dann weiter ausführt. Diese Variationen sind typisch für eine über lange Zeit mündlich überlieferte Tradition und mindern nicht die Kernbotschaft, sondern bereichern unser Verständnis ihrer Überlieferungsgeschichte.

Doktrinär betrachtet ist das Bahudhātuka Sutta ein Paradebeispiel für die analytische Methode des Buddha, die als vibhajjavāda – die Lehre der Analyse oder Unterscheidung – bekannt ist. Es bildet eine wichtige Brücke zwischen den oft erzählerisch geprägten Lehrreden des Sutta Piṭaka und den hochgradig systematischen und abstrakten Analysen des Abhidhamma Piṭaka. Viele der hier vorgestellten Listen, insbesondere die verschiedenen Klassifikationen der Elemente (dhātu), werden im Abhidhamma aufgegriffen und noch weiter ausdifferenziert. Das Sutta dient somit als eine Art Grundlagentext, der die analytischen Werkzeuge vorstellt, die für ein tiefes Verständnis der Natur der Wirklichkeit unerlässlich sind.

Die Kerninhalte: Eine strukturierte Zusammenfassung

Das Herzstück der Lehrrede ist das vom Buddha vorgestellte „Curriculum der Weisheit“. Es ist eine strukturierte Anleitung, die den Praktizierenden durch vier entscheidende Bereiche der Meisterschaft führt.

Teil 1: Die Definition des Weisen – Vier Felder der Meisterschaft

Auf Ānandas Frage, was einen Mönch zu einem Weisen und Forschenden (paṇḍita vīmaṃsaka) macht, gibt der Buddha eine klare und strukturierte Antwort. Weisheit ist demnach keine vage Eigenschaft, sondern eine erworbene Kompetenz, eine Form von Meisterschaft (kosalla) in vier spezifischen Wissensgebieten. Ein Praktizierender ist weise, wenn er bewandert ist in:

  • Den Elementen (dhātukusalo)
  • Den Sinnesgrundlagen (āyatanakusalo)
  • Dem Bedingten Entstehen (paṭiccasamuppādakusalo)
  • Dem Möglichen und Unmöglichen (ṭhānāṭhānakusalo)

Diese vier Felder bilden das Gerüst der gesamten Lehrrede. Jedes Feld wird nacheinander erklärt und enthüllt eine weitere, tiefere Schicht der Realität.

Teil 2: Meisterschaft der Elemente (Dhātu-kosalla) – Die vielfältigen Linsen zur Analyse der Realität

Der Begriff dhātu (Element, Prinzip, natürliche Gegebenheit) ist einer der vielschichtigsten im buddhistischen Vokabular. Der Buddha präsentiert hier nicht nur eine, sondern sechs verschiedene Listen von Elementen. Dies ist keine unnötige Wiederholung, sondern eine brillante pädagogische Strategie. Er stattet den Praktizierenden mit einem Set von „analytischen Linsen“ aus. Jede dieser Linsen ermöglicht es, die Realität aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und so verschiedene Aspekte der Anhaftung und Identifikation aufzulösen. Indem man lernt, flexibel zwischen diesen Analysemodellen zu wechseln, wird der Geist von starren, verdinglichten Vorstellungen von einem „Selbst“ und einer „Welt“ befreit.

  • Die 18 Elemente: Diese erste Liste zerlegt den Wahrnehmungsprozess in seine feinsten Bestandteile: die sechs Sinnesorgane (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist), die sechs entsprechenden Sinnesobjekte (Form, Ton, Geruch, Geschmack, Berührung, Gedanke) und die sechs Arten des Bewusstseins, die beim Kontakt zwischen Organ und Objekt entstehen (Augen-Bewusstsein, Ohr-Bewusstsein etc.). Der Zweck dieser Analyse ist es, die Illusion eines zentralen „Wahrnehmenden“ oder eines „Ich“, das sieht, hört oder denkt, zu demontieren. Stattdessen offenbart sich die Wahrnehmung als ein unpersönlicher, bedingter Prozess, der aus dem Zusammentreffen dieser 18 flüchtigen Faktoren entsteht.
  • Die 6 Elemente (physisch/mental): Diese Liste umfasst die vier großen physischen Elemente – Erde (Festigkeit), Wasser (Zusammenhalt), Feuer (Temperatur) und Luft (Bewegung) – sowie die Elemente Raum und Bewusstsein. Diese Analyse dient dazu, die Identifikation mit dem Körper aufzulösen. Statt eines soliden, beständigen „meines“ Körpers sehen wir nur das Zusammenspiel unpersönlicher Qualitäten und das Bewusstsein, das diese erfährt.
  • Die 6 Elemente (Gefühle): Hier werden die Elemente Lust, Schmerz, geistige Freude, geistiger Kummer, Gleichmut und Unwissenheit aufgeführt. Diese Linse fokussiert auf die affektive Tönung jeder Erfahrung (vedanā). Sie zeigt, wie unsere Reaktionen auf die Welt von diesen grundlegenden Gefühlen angetrieben werden und wie die Unwissenheit (avijjā) als das zugrundeliegende Element all diese reaktiven Muster aufrechterhält.
  • Die 6 Elemente (Ethik): Diese Analyse teilt die Erfahrungswelt nach ihrer ethischen Qualität. Sie besteht aus drei Paaren von Gegensätzen: das Element der Sinnlichkeit (kāma) gegenüber dem der Entsagung (nekkhamma), das Element des Übelwollens (byāpāda) gegenüber dem des Nicht-Übelwollens (abyāpāda) und das Element der Grausamkeit (vihiṃsā) gegenüber dem der Nicht-Grausamkeit (avihiṃsā). Dieses Schema ist ein direktes Werkzeug für die Geisteskultivierung, wie es auch in anderen Lehrreden, etwa dem Dvedhāvitakka Sutta (MN 19), gelehrt wird. Es schult den Geist darin, unheilsame Tendenzen zu erkennen und loszulassen und heilsame zu kultivieren.
  • Die 3 Elemente (Seinsbereiche): Diese Liste beschreibt die drei Ebenen der Existenz (bhava), an die der Geist durch Verlangen gebunden ist: das Element der Sinnenwelt (kāmadhātu), das Element der feinkörperlichen Formwelt (rūpadhātu) und das Element der formlosen Welt (arūpadhātu). Dies ist eine kosmologische Landkarte, die die Reichweite des Leidenskreislaufs (saṃsāra) aufzeigt und die verschiedenen Ziele des Anhaftens verdeutlicht.
  • Die 2 Elemente (soteriologisch): Dies ist die ultimative und wichtigste Unterscheidung: das bedingte Element (saṅkhata dhātu) und das unbedingte Element (asaṅkhata dhātu). Das bedingte Element umfasst ausnahmslos alles, was entsteht und vergeht – die gesamte Welt der Phänomene, alle Erfahrungen, Gedanken und Gefühle. Es ist inhärent unbeständig, unbefriedigend und ohne einen festen Kern. Das unbedingte Element ist das einzige, was jenseits dieses Kreislaufs liegt: Nibbāna, das Ziel des buddhistischen Pfades, das Ende des Leidens. Diese Analyse richtet den Geist auf das höchste Ziel aus.

Teil 3: Meisterschaft der Sinnesgrundlagen (Āyatana-kosalla) – Die sechs Tore zur Welt

Nach der Analyse der „Elemente“ wendet sich der Buddha den Sinnesgrundlagen (āyatana) zu. Diese umfassen die sechs inneren Grundlagen (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist) und die sechs äußeren Grundlagen (Formen, Töne, Gerüche, Geschmäcker, Berührungen, Ideen/Gedankenobjekte). Die Bedeutung dieser Analyse liegt darin, dass diese zwölf Faktoren die Gesamtheit unserer erfahrbaren Welt definieren. Es gibt absolut keine Erfahrung – weder physisch noch mental –, die außerhalb dieser sechs „Tore“ und ihrer jeweiligen Objekte stattfinden kann. Die Meisterschaft in diesem Bereich bedeutet zu verstehen, wie genau an diesen Schnittstellen zwischen „innen“ und „außen“ die Fesseln (saṃyojana) des Geistes entstehen. Wenn ein Sinneskontakt ohne Achtsamkeit stattfindet, entstehen Gier, Hass und Verblendung. Der weise Praktizierende hingegen bewacht diese Tore mit Achtsamkeit und verhindert so, dass die Fesseln entstehen, die ihn an den Kreislauf des Leidens binden.

Teil 4: Meisterschaft des Bedingten Entstehens (Paṭiccasamuppāda-kosalla) – Die Mechanik des Leidens und der Befreiung

Dies ist vielleicht der tiefgründigste Teil des Curriculums. Die Meisterschaft des Bedingten Entstehens (paṭiccasamuppāda) ist das Verständnis des universalen Gesetzes der Kausalität, das der Buddha entdeckt hat. Es wird durch die berühmte Formel zusammengefasst: „Wenn dieses ist, ist jenes; durch das Entstehen dieses entsteht jenes. Wenn dieses nicht ist, ist jenes nicht; durch das Aufhören dieses hört jenes auf.“ Dieses Prinzip ist keine metaphysische Spekulation, sondern ein beobachtbares Gesetz, das alle physischen und mentalen Prozesse steuert. Der Buddha wendet dieses Prinzip an, um sowohl die Entstehung des Leidens als auch den Weg zu seiner Beendigung zu erklären.

  • Die Kette des Leidens (Anuloma): In der Vorwärtssequenz erklärt der Buddha, wie die „ganze Masse des Leidens“ entsteht. Beginnend mit der fundamentalen Unwissenheit (avijjā) als Bedingung für Willensregungen (saṅkhārā), führt die Kette über zwölf Glieder – Bewusstsein, Name-und-Form, die sechs Sinnesgrundlagen, Kontakt, Gefühl, Verlangen, Anhaften, Werden, Geburt – bis hin zu Alter, Tod, Kummer, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung (jarāmaraṇa). Dies ist die Diagnose des Leidens.
  • Die Kette der Befreiung (Paṭiloma): Die Rückwärtssequenz ist die Anleitung zur Heilung. Sie zeigt, wie durch das restlose Aufhören der Unwissenheit die gesamte Kausalkette zusammenbricht. Wenn die Unwissenheit aufhört, hören die Willensregungen auf; wenn die Willensregungen aufhören, hört das Bewusstsein auf, und so weiter, bis die gesamte Masse des Leidens erlischt. Dies ist der exakte Bauplan für die Befreiung.

Teil 5: Meisterschaft des Möglichen und Unmöglichen (Ṭhānāṭhāna-kosalla) – Die Gesetze von Kamma und Erwachen

Der letzte Teil des Curriculums befasst sich mit dem Verständnis von dem, was kausal möglich (ṭhāna) und unmöglich (aṭṭhāna) ist. Dies ist keine Sammlung willkürlicher Dogmen, sondern eine tiefgründige Darlegung des Gesetzes von Kamma – dem Gesetz von Ursache und Wirkung im ethischen Bereich. Es besagt, dass bestimmte Ursachen unweigerlich zu bestimmten Wirkungen führen, während sie unmöglich zu widersprüchlichen Wirkungen führen können.

  • Karmische Gesetze: Der Buddha erklärt, es sei „unmöglich“, dass heilsame Handlungen von Körper, Rede und Geist zu einem unangenehmen, unerwünschten Ergebnis führen. Umgekehrt sei es „unmöglich“, dass unheilsame Handlungen zu einem angenehmen, erwünschten Ergebnis führen. Dies schafft eine rationale und verifizierbare Grundlage für ethisches Verhalten. Es ist kein göttliches Gebot, sondern ein Naturgesetz.
  • Die Unmöglichkeiten eines Edlen: Ein Mensch, der durch direkte Einsicht die Rechte Ansicht (sammādiṭṭhi) erlangt hat, wie zum Beispiel ein Stromeingetretener (sotāpanna), ist aus sich heraus „unfähig“, bestimmte schwere Vergehen zu begehen. Dazu gehören die fünf schweren Verbrechen (Muttermord, Vatermord, Mord an einem Arahant, Verletzung eines Buddha, Spaltung des Ordens) sowie die Zufluchtnahme zu einem anderen Lehrer. Dies ist keine äußere Beschränkung, sondern eine psychologische Unmöglichkeit, die aus der Tiefe seiner Verwirklichung entspringt. Sein Verständnis der Realität ist so tiefgreifend, dass solche Handlungen für ihn undenkbar geworden sind.
  • Die kontroverse Passage und ihre kritische Einordnung: In diesem Abschnitt findet sich eine Passage, die in der Pāli-Version besagt, es sei für eine Frau unmöglich, ein vollkommen erwachter Buddha (sammāsambuddha), ein universeller Monarch (cakkavattin), der Götterkönig Sakka, der Versucher Māra oder ein Hoch-Brahmā zu werden. Ein verantwortungsvoller Lehrer muss diesen Vers im Licht der gesamten Lehre und der modernen Textkritik betrachten. Die Forschung, insbesondere die vergleichenden Studien von Bhikkhu Anālayo, hat gezeigt, dass die Parallelversion dieser Lehrrede im chinesischen Madhyama-āgama (MA 181) diese spezifische Liste von Unmöglichkeiten für Frauen nicht enthält. Dies legt die starke Vermutung nahe, dass diese Passage eine spätere Hinzufügung zur Pāli-Überlieferung sein könnte, die die patriarchalischen sozialen Normen des alten Indien widerspiegelt, anstatt eine ursprüngliche Lehre des Buddha zu sein. Es ist entscheidend, hier zu differenzieren: Der Buddha hat an unzähligen anderen Stellen im Kanon klar bestätigt, dass Frauen das höchste Ziel der Befreiung, die Arahantschaft, in gleicher Weise wie Männer erreichen können. Die Erleuchtung eines Arahant und die eines Sammāsambuddha ist in ihrer befreienden Qualität identisch. Der Titel Sammāsambuddha bezeichnet jedoch die einzigartige Rolle des Entdeckers und Lehrers des Pfades in einem Weltzeitalter, eine Rolle, die in den Texten mit spezifischen narrativen und gesellschaftlichen Konventionen verbunden ist. Die Fähigkeit zur vollständigen Befreiung vom Leiden ist hingegen universell und von Geschlecht, Herkunft oder sozialem Status unabhängig.

Analyse und Bedeutung für die heutige Praxis

Was ist das zentrale Werkzeug, das ein moderner Praktizierender aus dem Bahudhātuka Sutta mitnehmen kann? Es ist die Ermächtigung, selbst zu einem „weisen Forscher“ (paṇḍita vīmaṃsaka) zu werden. Die Lehrrede ist kein Glaubensbekenntnis, sondern ein Werkzeugkasten für die eigene, direkte Untersuchung der Erfahrung. Man kann sich den Praktizierenden als einen Wissenschaftler des Geistes vorstellen. Die verschiedenen Element-Sets sind wie unterschiedliche Mikroskope oder Analyseinstrumente. Wenn der Geist von starken Emotionen wie Wut oder Verlangen überwältigt wird, kann man die Linse der „sechs ethischen Elemente“ anwenden, um die unheilsame Wurzel zu erkennen und das heilsame Gegenmittel zu kultivieren. Wenn man sich stark mit dem Körper und seinen Beschwerden identifiziert, kann man die Linse der „sechs physisch/mentalen Elemente“ nutzen, um den Körper als unpersönliches Zusammenspiel von Festigkeit, Flüssigkeit, Hitze und Bewegung zu sehen und so die Anhaftung zu lockern. Wenn man sich in einem endlosen Kreislauf von Reaktivität gefangen fühlt, hilft die Analyse der „sechs Gefühlselemente“, um die subtile Verbindung zwischen Gefühlston, Verlangen und Unwissenheit aufzudecken. Diese Praxis der analytischen Dekonstruktion schwächt systematisch den Griff der „Ich“- und „Mein“-Illusion. Sie transformiert schrittweise das, was zunächst nur intellektuelles Wissen aus dem Lesen der Texte ist (suta-mayā paññā), in eine durchdachte, kontemplative Weisheit (cintā-mayā paññā). Durch beständige Anwendung in der Meditation wird daraus schließlich direkte, erfahrungsbasierte Einsicht (bhāvanā-mayā paññā). Das Ergebnis ist genau das, was der Buddha am Anfang verspricht: das allmähliche Verblassen von Furcht, Gefahr und Unglück, weil ihre Wurzel – die Unwissenheit – durchtrennt wird.

Fazit: Die zeitlose Weisheit des Bahudhātuka Sutta

Das Bahudhātuka Sutta ist ein tiefgründiges und ermächtigendes Geschenk des Buddha an alle, die nach wahrer Sicherheit und Freiheit suchen. Es lehrt uns, dass Furchtlosigkeit nicht dadurch entsteht, dass wir unsere äußeren Lebensumstände kontrollieren, sondern dadurch, dass wir unsere innere Sichtweise fundamental transformieren. Die Lehrrede liefert eine detaillierte, systematische und nachvollziehbare Landkarte, um unsere eigene Erfahrung zu dekonstruieren, die subtile Mechanik des Leidens zu durchschauen und dadurch die Tür zur unbedingten Freiheit des Nibbāna zu öffnen. Sie ist eine zeitlose Einladung, die Rolle des Toren aufzugeben und stattdessen zu unserem eigenen weisen Forscher zu werden – eine Quelle der Sicherheit und des Friedens für uns selbst und für die Welt.

Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente

Vertiefen Sie Ihr Verständnis und erleben Sie die Klarheit dieser Lehre selbst. Wir ermutigen Sie, den vollständigen Text der Lehrrede zu lesen:

Lesen Sie die vollständige Lehrrede auf SuttaCentral: https://suttacentral.net/mn115/de/mettiko