
Analyse des Bālapaṇḍita Sutta (MN 129): Toren und Weise – Eine Landkarte von Ursache und Wirkung
Die Kernaussage und Bedeutung der Lehrrede
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Die Kernaussage und Bedeutung der Lehrrede
- Steckbrief der Lehrrede
- Kontext: Warum wurde diese Lehrrede gehalten?
- Die Kerninhalte: Eine strukturierte Zusammenfassung
- Analyse und Bedeutung für die heutige Praxis
- Fazit: Die zeitlose Weisheit des Bālapaṇḍita Sutta
- Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Einleitung: Die Kernaussage und Bedeutung der Lehrrede
Was unterscheidet ein Leben in Leid von einem Leben in Glück? Ist es Reichtum, Status oder intellektuelle Begabung? In der Lehrrede über Toren und Weise, dem Bālapaṇḍita Sutta, gibt der Buddha eine radikal andere Antwort. Er zeichnet ein unvergessliches und eindringliches Bild zweier Lebenswege, die ausschließlich durch die Qualität unserer Handlungen bestimmt werden.
Dieses Sutta ist eine der grundlegendsten Darlegungen des Gesetzes von kamma (Handlung und ihre Folge) im gesamten Pāli-Kanon. Es stellt die fundamentale Dichotomie zwischen Torheit (bāla) und Weisheit (paṇḍita) nicht als eine Frage des Wissens dar, sondern als eine direkte Konsequenz ethischen Verhaltens. Die besondere Bedeutung dieser Lehrrede liegt in ihrer tiefen psychologischen Einsicht. Die Folgen unheilsamer Taten sind keine abstrakten Bestrafungen in einer fernen Zukunft; sie manifestieren sich unmittelbar als „dreifaches Leid und Kummer schon in diesem Leben“ für den Toren. Ebenso ist das Glück des Weisen kein zufälliges Geschenk, sondern die natürliche Frucht heilsamer Handlungen.
Durch seine drastischen und bildgewaltigen Gleichnisse will der Buddha nicht Furcht erzeugen, sondern saṃvega wecken – eine Form spiritueller Dringlichkeit, die uns aus der Selbstzufriedenheit reißt und zur Praxis motiviert. Letztlich fungiert das Bālapaṇḍita Sutta als ein präzises diagnostisches Werkzeug. Es ist ein Spiegel, den der Buddha uns vorhält, damit wir unsere eigenen Gedanken, Worte und Taten untersuchen können. Indem es die inneren Landschaften von Schuld, Angst und Frieden detailliert beschreibt, gibt es uns klare Marker an die Hand, um zu erkennen, auf welchem Pfad – dem des Toren oder dem des Weisen – wir uns gerade befinden. Es ist somit keine Sammlung von Geboten, sondern eine tiefgründige Anleitung zur Selbsterkenntnis und eine Landkarte, die den Weg aus dem Leiden hin zu dauerhaftem Frieden und letztendlicher Befreiung aufzeigt.
Steckbrief der Lehrrede
Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Eckdaten der Lehrrede übersichtlich zusammen und dient als Orientierung für die tiefere Analyse.
Attribut | Information |
---|---|
Pāli-Titel | Bālapaṇḍita Sutta |
Sutta-Nummer | MN 129 (Majjhima Nikāya 129) |
Sammlung | Majjhima Nikāya (Die Mittlere Sammlung der Lehrreden des Buddha) |
Deutscher Titel | Die Lehrrede über Toren und Weise |
Kernthema(s) | „Das Gesetz von Kamma (Handlung und Folge), heilsame (kusala) und unheilsame (akusala) Handlungen, die psychologischen Ursachen von Leid und Glück, buddhistische Kosmologie (saṃsāra), ethische Selbstverantwortung.“ |
Kontext: Warum wurde diese Lehrrede gehalten?
Wie viele bedeutende Lehrreden wurde auch das Bālapaṇḍita Sutta vom Buddha in Sāvatthī, im Klosterhain des Anāthapiṇḍika im Jeta-Wald, gehalten. Er richtete seine Worte direkt an die Gemeinschaft der Mönche (bhikkhus), was die zentrale Bedeutung dieser Lehre für das Herz der buddhistischen Praxis unterstreicht. Doktrinär betrachtet, legt dieses Sutta das Fundament für die „Rechte Anschauung“ (sammā diṭṭhi), den ersten und wichtigsten Faktor des Edlen Achtfachen Pfades. Es beantwortet die fundamentale Frage, warum ethisches Verhalten notwendig ist. Die Lehre zeigt auf, dass Tugend (sīla) kein System willkürlicher Regeln ist, die von einer äußeren Autorität auferlegt werden, sondern auf dem unpersönlichen und universellen Gesetz von Ursache und Wirkung beruht.
In seiner Struktur und Thematik gilt das Sutta als prosaisches Gegenstück zu den berühmten Versen über den Toren (Bāla Vagga) und den Weisen (Paṇḍita Vagga) im Dhammapada. Die immense Kraft der Lehrrede speist sich auch aus ihrem historischen und kulturellen Kontext. Die vom Buddha verwendeten Bilder, insbesondere die drastischen Beschreibungen von Folter und staatlicher Bestrafung, waren keine abstrakten Fantasien, sondern spiegelten die „schmerzhaften Realitäten der indischen Gesellschaft“ seiner Zeit wider. Für die damaligen Zuhörer waren diese Vergleiche unmittelbar verständlich und von erschütternder Relevanz. Die zeitlose Wirksamkeit der Lehre zeigt sich auch in der Überlieferung, dass der Arahant Mahinda, der den Buddhismus nach Sri Lanka brachte, dieses Sutta im Nandapavana in Anurādhapura lehrte und damit eintausend Frauen zum Stromeintritt (sotāpatti), der ersten Stufe der Erleuchtung, führte.
Ein entscheidendes Verständnis, das sich aus diesem Kontext ergibt, ist die Natur des kamma. Das Sutta beschreibt kein System göttlicher Belohnung und Bestrafung. Es gibt keinen richtenden Gott, der über das Schicksal der Wesen entscheidet. Stattdessen wird kamma als ein unpersönliches Naturgesetz dargestellt, ähnlich der Schwerkraft oder den Gesetzen der Thermodynamik. Das Leid des Toren und das Glück des Weisen sind die natürlichen, unausweichlichen Früchte ihrer eigenen Handlungen – so wie ein bitterer Samen eine bittere Frucht hervorbringt und ein süßer Samen eine süße. Diese Erkenntnis verlagert den Fokus von einer kindlichen Furcht vor Bestrafung hin zu einer reifen und würdevollen Übernahme der vollen Verantwortung für das eigene Leben.
Die Kerninhalte: Eine strukturierte Zusammenfassung
Die Lehrrede ist meisterhaft in einer fast perfekten Symmetrie aufgebaut. Sie stellt das Leben, die Erfahrung und das Schicksal des Toren dem Leben, der Erfahrung und dem Schicksal des Weisen gegenüber und macht dadurch das Gesetz von Ursache und Wirkung unmissverständlich klar.
Teil 1: Die Anatomie der Torheit – Das Leben des Bāla
Der Buddha beginnt mit einer klaren Definition. Ein Tor (bāla) ist nicht jemand mit geringer Bildung, sondern jemand, der durch drei charakteristische Merkmale (lakkhaṇāni) erkennbar ist: Er denkt unheilsame Gedanken (duccintita), spricht unheilsame Worte (dubbhāsita) und vollführt unheilsame Taten (dukkaṭa). Konkret benennt der Buddha Handlungen, die den fünf grundlegenden ethischen Richtlinien (pañcasīla) widersprechen: das Töten von Lebewesen, das Nehmen, was nicht gegeben wurde, sexuelles Fehlverhalten, Lügen und der Konsum von berauschenden Mitteln, die zur Nachlässigkeit führen.
Die unmittelbare Konsequenz dieses Verhaltens ist ein dreifaches, tiefes mentales Leiden (dukkha-domanassa), das der Tor bereits im gegenwärtigen Leben erfährt:
- Schuld und Scham in der Gemeinschaft: Befindet sich der Tor in einer Versammlung, auf der Straße oder an einem anderen öffentlichen Ort, an dem über ethisches und angemessenes Verhalten gesprochen wird, fühlt er sich sofort entlarvt und gequält. Er denkt bei sich: „Diese Dinge, über die hier gesprochen wird, finden sich auch bei mir, und ich werde dabei gesehen, wie ich sie tue!“ Dieses Gefühl der inneren Anklage und der Furcht vor Bloßstellung ist die erste Form von Leid, die er hier und jetzt erfährt.
- Furcht und Angst vor Konsequenzen: Der Tor sieht, wie die Staatsgewalt Verbrecher ergreift und sie grausamen Strafen unterzieht – Auspeitschungen, Verstümmelungen, Pfählung und Enthauptung. Bei diesem Anblick wird er von Angst gepackt, denn er erkennt: „Die Taten, für die diese Menschen so bestraft werden, habe auch ich begangen. Wenn die Mächtigen mich nur entdecken würden, würden sie mir dasselbe antun!“ Diese ständige Furcht vor den weltlichen Konsequenzen seiner Taten ist die zweite Form des Leidens.
- Reue und Verzweiflung in der Einsamkeit: Wenn der Tor allein ist, sei es auf einem Stuhl, im Bett oder auf dem Boden liegend, finden die Erinnerungen an seine vergangenen Missetaten keinen Halt mehr und brechen über ihn herein. Der Buddha verwendet hier ein eindringliches Gleichnis: So wie am Abend die Schatten der großen Berggipfel über das Land fallen, es bedecken und einhüllen, so legen sich die dunklen Schatten seiner unheilsamen Taten auf seinen Geist. Er wird von Reue übermannt und denkt: „Ich habe nichts Gutes getan, nichts Heilsames, nichts, was mir Schutz bieten könnte. Ich habe Böses, Grausames und Schändliches getan. Nach meinem Tod werde ich dorthin gehen, wohin solche Täter gehen.“ Er trauert, klagt, schlägt sich an die Brust und verfällt der Verwirrung. Dies ist die dritte und tiefste Form des Leidens im Hier und Jetzt.
Diese dreifache Analyse des Leidens macht deutlich, dass die Konsequenzen unheilsamer Handlungen nicht von einer äußeren Entdeckung abhängen. Der Geist selbst wird zum Ankläger, Richter und Henker. Es gibt kein Entkommen vor dem inneren Zeugen. Das Leid ist kein späteres Ereignis, sondern ein untrennbarer Bestandteil der Tat selbst.
Teil 2: Die Reise des Toren durch den Saṃsāra
Nachdem der Buddha das unmittelbare Leid beschrieben hat, wendet er sich den langfristigen Konsequenzen zu. Nach dem Zerfall des Körpers führt die Wucht des negativen kamma den Toren unweigerlich zu einer Wiedergeburt an einem leidvollen Ort, einer schlechten Bestimmung, in die Unterwelt, in eine Hölle (apāyaṁ duggatiṁ vinipātaṁ nirayaṁ).
Um das Ausmaß dieses Leidens, das jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegt, zu verdeutlichen, verwendet der Buddha zwei seiner berühmtesten und wirkungsvollsten Gleichnisse:
- Die 300 Speere und der Himalaya: Der Buddha fragt die Mönche, ob ein Mann, der an einem einzigen Tag mit 300 Speeren durchbohrt wird, wohl großes Leid erfahren würde. Die Mönche bejahen entsetzt und meinen, schon ein einziger Speer würde unerträgliche Schmerzen verursachen. Daraufhin nimmt der Buddha einen kleinen Stein in die Hand und fragt, was größer sei: dieser Stein oder der Himalaya, der König der Berge. Die Mönche antworten, der Stein sei im Vergleich zum Himalaya unbedeutend, nicht einmal ein Bruchteil. Der Buddha schließt: „Ebenso, ihr Mönche, ist das Leid des Mannes, der mit 300 Speeren durchbohrt wird, im Vergleich zum Leid in der Hölle unbedeutend, nicht einmal ein Bruchteil, nicht wert, verglichen zu werden“. Dieses Gleichnis dient als „karmischer Verstärker“, der die Grenzen der Vorstellungskraft sprengt, um die Schwere der Konsequenzen zu vermitteln.
- Die blinde Schildkröte und das Joch: Um die extreme Schwierigkeit zu illustrieren, aus diesen leidvollen Zuständen wieder in eine menschliche Existenz zurückzukehren, erzählt der Buddha die Geschichte einer blinden Meeresschildkröte, die in einem riesigen Ozean lebt und nur alle hundert Jahre einmal an die Oberfläche kommt. In diesem Ozean treibt ein hölzernes Joch mit einem einzigen Loch. Der Buddha fragt: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Schildkröte bei ihrem einmaligen Auftauchen pro Jahrhundert genau mit ihrem Kopf durch dieses eine Loch im Joch stößt? Er erklärt, dieses höchst unwahrscheinliche Ereignis sei wahrscheinlicher als die Wiedererlangung einer menschlichen Geburt für einen Toren, der einmal in die unteren Welten gefallen ist. Der Grund dafür ist, dass es in diesen Existenzformen keine Möglichkeit gibt, heilsame Handlungen zu vollbringen. Es ist eine Welt des reinen Überlebenskampfes, des „Sich-gegenseitig-Fressens“.
Das Sutta fährt fort mit grafischen Beschreibungen verschiedener Höllenzustände, wie der „fünffachen Pfählung“ (pañcavidhabandhana), dem Kochen in einem glühenden Kupferkessel, der „Hölle des Kots“ (gūthaniraya) und der „Hölle der glühenden Asche“ (kukkuḷaniraya). Es beschreibt auch verschiedene Wiedergeburten im Tierreich, die poetisch mit den früheren Verfehlungen des Toren verknüpft sind – so wird der Gefräßige als Tier wiedergeboren, das sich von Gras oder Unrat ernähren muss.
Diese Darstellungen werfen eine wichtige interpretatorische Frage auf, die bereits in den alten Kommentaren diskutiert wurde: Sind die Höllenwächter (nirayapāla) reale Wesen? Die Lehrrede selbst beschreibt sie als solche. Spätere philosophische Schulen, wie die Mahāsaṅghikas und der große Gelehrte Vasubandhu, argumentierten jedoch, dass diese Schreckensgestalten keine eigenständigen Wesen seien, sondern furchterregende Projektionen des eigenen, von Schuld geplagten Geistes. Das kamma selbst erzeuge diese Erscheinungen und funktioniere „wie eine Maschine“ (yantarūpaṁ viya). Diese mehrschichtige Betrachtungsweise erlaubt es dem modernen Praktizierenden, sowohl die eindringliche, zur Achtsamkeit mahnende Kraft der wörtlichen Erzählung zu nutzen als auch ihre tiefere psychologische Dimension zu verstehen.
Teil 3: Die Anatomie der Weisheit – Das Leben des Paṇḍita
Nach der ausführlichen Beschreibung der Torheit wendet sich der Buddha nun ihrem exakten Gegenteil zu. Der Aufbau dieses Teils spiegelt den ersten Teil perfekt wider und verstärkt so die Lehre durch Kontrast. Ein Weiser (paṇḍita) ist jemand, der durch drei Merkmale gekennzeichnet ist: Er denkt heilsame Gedanken (sucintita), spricht heilsame Worte (subhāsita) und vollführt heilsame Taten (sukata). Er hält sich an die fünf ethischen Grundregeln und meidet das Töten, Stehlen, sexuelles Fehlverhalten, Lügen und den Konsum von Rauschmitteln.
Die unmittelbare Konsequenz dieses Verhaltens ist ein dreifaches, tiefes mentales Glück (sukha-somanassa), das der Weise bereits im gegenwärtigen Leben erfährt:
- Freude und Integrität in der Gemeinschaft: Wenn der Weise in der Öffentlichkeit von ethischen Prinzipien hört, erfüllt ihn dies mit Freude und Bestätigung. Er denkt: „Diese heilsamen Dinge, über die hier gesprochen wird, finden sich auch bei mir. Ich lebe danach.“ Dieses Gefühl der Integrität ist die erste Form von Glück, die er hier und jetzt erfährt.
- Furchtlosigkeit und Sicherheit: Er sieht, wie Verbrecher bestraft werden, doch er empfindet keine Angst, sondern Sicherheit. Er weiß: „Die Taten, für die diese Menschen bestraft werden, habe ich nicht begangen. Mich kann das nicht betreffen.“ Diese innere Freiheit von Furcht ist die zweite Form des Glücks.
- Frieden und Zuversicht in der Einsamkeit: Wenn der Weise allein ist, kommen die Erinnerungen an seine guten Taten über ihn und erfüllen ihn mit Frieden und Trost. Er reflektiert: „Ich habe Gutes und Heilsames getan, ich habe mir eine Zuflucht geschaffen. Nach meinem Tod werde ich dorthin gehen, wohin solche Taten führen.“ Er ist frei von Sorge, Kummer und Verzweiflung. Dies ist die dritte und tiefste Form des Glücks im Hier und Jetzt.
Die perfekte Symmetrie zwischen dem Leid des Toren und dem Glück des Weisen offenbart eine zentrale Wahrheit des Dhamma: Glück ist nicht etwas, das von außen hinzugefügt werden muss. Es ist der natürliche Zustand eines Geistes, der nicht durch das Gift unheilsamer Handlungen belastet ist. Frieden ist das Ergebnis der Beseitigung seiner Hindernisse.
Teil 4: Die Reise des Weisen und die endgültige Befreiung
Die heilsamen Handlungen des Weisen führen ihn nach dem Tod zu einer Wiedergeburt an einem glücklichen Ort, in einer himmlischen Welt (sugatiṁ saggaṁ lokaṁ). Um dieses Glück zu illustrieren, beschreibt der Buddha die Freuden eines universellen Weltenherrschers (Cakkavatti), der mit sieben kostbaren Juwelen und vier wunderbaren Eigenschaften gesegnet ist. Doch selbst dieser Gipfel weltlichen Glücks, so erklärt er mit dem gleichen Gleichnis vom Stein und dem Himalaya, ist unbedeutend im Vergleich zu den Freuden einer himmlischen Existenz.
Hier jedoch führt der Buddha die Lehre zu ihrem entscheidenden Höhepunkt, der über bloße glückliche Wiedergeburten hinausgeht. Um das vollständige Bild zu erhalten, ist es hilfreich, parallele Lehrreden wie das gleichnamige Sutta im Saṃyutta Nikāya (SN 12.19) heranzuziehen. Dort wird erklärt, dass sowohl der Tor als auch der Weise zu Beginn ihres Weges von Unwissenheit (avijjā) umhüllt und von Verlangen (taṇhā) gefesselt sind. Der entscheidende Unterschied ist, dass der Weise „den heiligen Wandel für die vollständige Beendigung des Leidens praktiziert hat“.
Das ultimative Ergebnis ist daher nicht nur eine bessere Wiedergeburt. Der Buddha erklärt: „Wenn sein Körper zerbricht, wird der Weise nicht in einem neuen Körper wiedergeboren. Da er nicht in einem neuen Körper wiedergeboren wird, ist er befreit von Geburt, Alter und Tod, von Kummer, Klagen, Schmerz, Traurigkeit und Verzweiflung. Er ist, so sage ich, vollständig vom Leiden befreit“. Dies ist die Verwirklichung von Nibbāna, dem endgültigen Erlöschen. Der Tor hingegen, der nicht praktiziert hat, ist nach dem Tod einfach „auf dem Weg zu einem [neuen] Körper“ und der Kreislauf des Leidens (saṃsāra) setzt sich fort.
Diese letzte Unterscheidung ist die tiefste Botschaft des Suttas. Es geht nicht um zwei unabänderliche Menschentypen, die für immer als „Tor“ oder „Weise“ festgelegt sind. Es geht um zwei verfügbare Pfade, die jeder Mensch beschreiten kann. Die Lehrrede ist ein eindringlicher und mitfühlender Aufruf, die Praxis aufzunehmen, die einen Menschen vom Zustand des Toren in den des Weisen verwandelt und ihn schließlich über den gesamten Kreislauf von Leid und Glück hinaus zur endgültigen Freiheit führt. Es ist eine Botschaft tiefgreifender Hoffnung und radikaler Selbstermächtigung.
Analyse und Bedeutung für die heutige Praxis
Wie können wir die Lehren dieses alten Textes in unserem modernen Leben anwenden? Das Bālapaṇḍita Sutta bietet uns ein zeitloses und äußerst praktisches Werkzeug: die Kultivierung dessen, was man als „geistige Hygiene“ bezeichnen könnte. Es lehrt uns, mit unseren geistigen Inhalten – unseren Gedanken, Worten und Handlungen – ebenso sorgfältig und bewusst umzugehen wie mit der Nahrung, die wir unserem Körper zuführen. Es geht darum, aktiv zu wählen, was wir in unseren Geist hineinlassen und was wir aus ihm hervorbringen.
Eine hilfreiche moderne Analogie ist die Vorstellung des Geistes als Garten. Jede unheilsame Handlung – jedes Wort aus Zorn, jede Tat aus Gier, jeder Gedanke aus Hass – ist wie das Säen von Unkraut. Dieses Unkraut wuchert und schafft eine toxische, schmerzhafte innere Landschaft, die von den Dornen der Schuld, der Angst und der Reue geprägt ist. Jede heilsame Handlung hingegen – jeder Akt der Großzügigkeit, jedes Wort des Mitgefühls, jeder Gedanke der Güte – ist wie das Pflanzen von Blumen und nahrhaften Früchten. Sie schaffen eine wunderschöne, friedliche und nährende innere Welt. Das Bālapaṇḍita Sutta ist das ultimative Handbuch für diesen inneren Gärtner. Es lehrt uns, Unkraut von Blumen zu unterscheiden und zeigt uns, wie wir einen Geisteszustand kultivieren können, der von Natur aus friedlich und glücklich ist.
Darüber hinaus lädt uns das Sutta ein, die buddhistische Kosmologie nicht nur als Beschreibung zukünftiger Welten, sondern als Landkarte gegenwärtiger psychologischer Zustände zu verstehen. Ein Moment überwältigenden Zorns, in dem wir die Kontrolle verlieren und verletzen wollen, ist die Erfahrung einer „Höllenwelt“ im Hier und Jetzt. Ein Zustand quälender Sucht oder unstillbaren Verlangens ist die Erfahrung der „Hungergeister-Welt“. Ein Augenblick selbstloser Liebe und reiner Freude ist die Erfahrung einer „Himmelswelt“. Indem wir lernen, diese Zustände in unserem täglichen Erleben zu erkennen, wird die Lehre des Buddha unmittelbar relevant und erfahrbar.
Letztlich liegt die größte praktische Bedeutung des Suttas in der tiefen Ermächtigung, die es vermittelt. Es nimmt uns die Rolle des passiven Opfers von Schicksal, Göttern oder äußeren Umständen und gibt uns die Würde und Verantwortung des Schöpfers unseres eigenen Erlebens zurück. Unser Glück und unser Leid liegen nicht in den Händen anderer. Sie sind das direkte, gesetzmäßige Ergebnis unserer eigenen Entscheidungen. Dies ist die Essenz der Zufluchtnahme zum Dhamma: das Vertrauen in das Gesetz von kamma und die bewusste Entscheidung, der Architekt eines Lebens in Integrität, Frieden und Freiheit zu werden.
Fazit: Die zeitlose Weisheit des Bālapaṇḍita Sutta
Das Bālapaṇḍita Sutta ist die ungeschminkte und tiefgründige Landkarte des menschlichen Herzens, die der Buddha uns hinterlassen hat. Es kartiert das gesamte Spektrum menschlicher Möglichkeiten, von abgründigem, selbstgeschaffenem Leid bis hin zu erhabenem, selbstverwirklichtem Glück. Durch seine scharfen Kontraste, seine psychologische Präzision und seine unvergesslichen Bilder richtet es einen zeitlosen und mitfühlenden Appell an uns: aus der Achtlosigkeit des Toren zu erwachen, die Klarheit und Integrität des Weisen zu umarmen und zu erkennen, dass jeder Augenblick eine Wahl darstellt. Es ist eine Wahl, die nicht nur unsere ferne Zukunft, sondern die unmittelbare Qualität unseres gegenwärtigen Erlebens formt. Diese Lehrrede ist eine tiefgreifende Einladung, der bewusste Architekt eines Lebens zu werden, das von Frieden, Weisheit und der Möglichkeit endgültiger Befreiung geprägt ist.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
Um die volle Tiefe und Kraft der Worte des Buddha direkt zu erfahren, laden wir Sie ein, die vollständige Lehrrede zu lesen.
- Lesen Sie die vollständige Lehrrede auf SuttaCentral
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- The Concept of Kamma in Theravada Buddhism – drarisworld – WordPress.com
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- MN 129 Bālapaṇḍita Sutta – Fools and Wise Men – Dhamma Wheel Buddhist Forum