
Iddhipādā: Grundlagen der Geistesmacht
Ein Leitfaden zu zentralen Pali-Begriffen und Lehrreden
Inhaltsverzeichnis
Der Buddhismus bietet einen tiefgründigen Pfad zur Befreiung von Leid, der auf der Kultivierung des Geistes basiert. Ein zentraler Begriff in diesem Kontext sind die Cattāro Iddhipādā, die „Vier Grundlagen der Geistesmacht“. Für viele interessierte Laien mag der Begriff „Geistesmacht“ zunächst Assoziationen mit übernatürlichen Fähigkeiten wecken. Es ist jedoch von grundlegender Bedeutung zu verstehen, dass die spirituellen Kräfte, auf die sich iddhi bezieht, im buddhistischen Kontext als sekundär gegenüber den mentalen Qualitäten betrachtet werden, die solche Kräfte hervorbringen. Die wahre Essenz der Iddhipādā liegt in der Entwicklung innerer Tugenden und geistiger Zustände, die den Weg zur Befreiung ebnen.
Die potenziellen übernatürlichen Fähigkeiten sind lediglich eine Folgeerscheinung der tiefgreifenden geistigen Kultivierung, nicht ihr primäres Ziel. Dies betont, dass der Kern des buddhistischen Pfades in der inneren Transformation liegt und nicht in der Erlangung äußerer Phänomene. Dieser Bericht dient als strukturierter Leitfaden, um die Pali-Begriffe rund um die Cattāro Iddhipādā mit Bedeutung zu füllen und interessierten Lesern, die bereits über Grundkenntnisse der Pali-Terminologie und der Struktur der Nikāyas verfügen, gezielte Verweise auf die Originaltexte zugänglich zu machen. Gleichzeitig soll der Text auch Menschen ohne Vorkenntnisse einen Zugang zum Thema ermöglichen.
Was sind die Cattāro Iddhipādā?
Definition und Komponenten
Der Pali-Begriff Iddhipāda (Sanskrit: ṛddhipāda) ist eine Zusammensetzung aus zwei Wörtern: iddhi und pāda. Iddhi kann als „Kraft“, „Potenz“, „Erfolg“, „Errungenschaft“ oder „Tüchtigkeit“ übersetzt werden, während pāda „Basis“, „Grundlage“ oder „Bestandteil“ bedeutet. Gängige Übersetzungen des Gesamtbegriffs sind daher „Grundlage der Kraft“ oder „Grundlage spiritueller Kraft“. Die „Kraft“ in diesem Zusammenhang bezieht sich auf übernormale Kräfte, die durch Konzentration entwickelt werden können, wie beispielsweise Levitation, das Gehen auf Wasser, Hellhören, Hellsehen, die Erinnerung an vergangene Leben und das Beenden mentaler Verunreinigungen. Doch wie bereits erwähnt, sind diese Kräfte ein Nebenprodukt der eigentlichen mentalen Qualitäten, die die Iddhipādā ausmachen.
Die Cattāro Iddhipādā umfassen vier grundlegende mentale Qualitäten, die bewusst kultiviert werden, um heilsame Geisteszustände zu entwickeln und unheilsame zu beseitigen. Jede dieser Grundlagen wird in Verbindung mit „willentlichen Anstrengungsformationen“ (padhāna-saṅkhāra) und Konzentration (samādhi) entwickelt.
Chanda (Absicht, Wunsch, Eifer)
Chanda bezeichnet hier eine Absicht oder einen Wunsch, der auf das Erwachen (bodhi) gerichtet ist. Es handelt sich dabei um einen heilsamen Wunsch, der sich grundlegend von taṇhā (Verlangen oder Gier, das die Wurzel des Leidens ist) unterscheidet. Während taṇhā anhaftendes Begehren nach Sinnesfreuden oder weiteren Daseinszuständen darstellt, ist chanda eine zielgerichtete Motivation, die Praxis voranzutreiben und das Leid zu überwinden. Dieser heilsame Wunsch ist ein entscheidender Motor auf dem Pfad zur Befreiung. Ohne ihn würde die Praxis an Richtung und Motivation verlieren. Die Kultivierung von chanda erfordert ein feines Gleichgewicht: Es darf „weder zu träge noch zu aktiv, weder innerlich eingeschränkt noch äußerlich zerstreut“ sein. Eine zu träge Absicht geht mit Faulheit einher, während eine zu aktive Absicht mit Ruhelosigkeit verbunden ist. Eine innerlich eingeschränkte Absicht ist mit Trägheit und Schläfrigkeit verknüpft, und eine äußerlich zerstreute Absicht wird durch die fünf Stränge der Sinnlichkeit zerstreut. Wenn chanda richtig abgestimmt ist, wird es zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Meisterschaft in der Meditation. Sobald das Ziel des Erwachens erreicht ist, wird dieser heilsame Wunsch, ähnlich wie der Wunsch, einen Park zu erreichen, sobald man dort angekommen ist, auf natürliche Weise losgelassen.
Viriya (Anstrengung, Energie, Willenskraft)
Viriya ist die Konzentration, die auf Anstrengung, Energie oder Willen basiert. Dieser Faktor wird oft mit den „Vier Rechten Anstrengungen“ (sammappadhānā) gleichgesetzt, die ebenfalls zu den 37 zum Erwachen führenden Qualitäten (Bodhipakkhiyādhammā) gehören. Viriya ist die aktive, zielgerichtete Bemühung, den Geist zu transformieren. Es geht darum, bewusst Anstrengungen zu unternehmen, um:
- Das Entstehen von noch nicht entstandenen unheilsamen Zuständen zu verhindern.
- Bereits entstandene unheilsame Zustände aufzugeben.
- Noch nicht entstandene heilsame Zustände entstehen zu lassen.
- Bereits entstandene heilsame Zustände aufrechtzuerhalten, zu mehren, zu entwickeln und zur Vollendung zu bringen.
Diese aktive Kultivierung heilsamer Zustände ist die praktische Umsetzung des heilsamen Wunsches (chanda). Ohne viriya würde die Praxis stagnieren und der Weg zur Befreiung wäre nicht begehbar. Wie chanda muss auch viriya ausgewogen sein, um weder zu träge noch zu überaktiv zu werden. Auch dieser Faktor, als Teil des fabrizierten Pfades, wird transzendiert, wenn das unfabrizierte Ziel des Nibbāna erreicht ist.
Citta (Bewusstsein, Geist, Gedanke)
Citta bezieht sich auf die Konzentration, die auf Bewusstsein, Geist oder Gedanken basiert. In diesem Zusammenhang meint citta nicht nur das Bewusstsein an sich, sondern die Fähigkeit des Geistes, sich zu sammeln und auf ein Meditationsobjekt auszurichten. Es ist die Qualität des Geistes, die es ihm ermöglicht, fokussiert und ungestört zu sein. Citta ist in allen Jhāna-Zuständen (meditativen Vertiefungen) präsent und ist die dominante Qualität in der „Konzentration, die auf Absicht basiert“. Die Entwicklung von citta ist entscheidend für die Stabilität und Klarheit des Geistes in der Meditation. Ähnlich wie die anderen Iddhipādā muss auch citta ausgewogen kultiviert werden, um den Geist auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren und ihn nicht in Trägheit oder Zerstreutheit verfallen zu lassen. Es ist die Manifestation der geistigen Kontrolle und Sammlung, die durch die anderen Faktoren unterstützt wird.
Vīmaṃsā (Untersuchung, Diskriminierung, Analyse)
Vīmaṃsā ist die Konzentration, die auf Untersuchung oder Diskriminierung basiert. Dieser Aspekt der Iddhipādā ist entscheidend für die gründliche Beherrschung der Konzentration und führt zu einer achtsamen Unterscheidung der kausalen Muster des Geistes und letztendlich zum Erwachen. Vīmaṃsā ist im ersten Jhāna als „Evaluation“ (vitakka und vicāra) vorhanden und spielt eine wichtige Rolle im fünften Faktor der edlen rechten Konzentration, die zum Erwachen führt. Es handelt sich hierbei nicht um bloße intellektuelle Analyse, sondern um eine tiefgreifende, weisheitsbasierte Untersuchung der Realität. Diese analytische Kraft ermöglicht es dem Praktizierenden, die wahre Natur der Dinge zu erkennen und die Ursachen von Leid zu durchdringen. Auch vīmaṃsā muss ausgewogen sein, um den Geisteszustand zu führen und zu verstehen, ohne dabei zu verkrampft oder zu zerstreut zu werden. Es ist der Aspekt, der die Konzentration (samādhi) mit der Weisheit (paññā) verbindet und somit über bloße Geistesruhe hinausgeht. Wie die anderen Faktoren des Pfades wird auch vīmaṃsā, sobald das unfabrizierte Ziel der Befreiung erreicht ist, losgelassen, da seine Funktion erfüllt ist.
Pali-Begriff | Deutsche Übersetzung | Kurze Erklärung |
---|---|---|
Chanda | Absicht, Wunsch, Eifer | Der heilsame, auf das Erwachen gerichtete Wunsch, der als Motivation dient. |
Viriya | Anstrengung, Energie | Die unermüdliche, zielgerichtete Bemühung, Unheilsames zu überwinden und Heilsames zu entwickeln. |
Citta | Bewusstsein, Geist | Die Fähigkeit des Geistes, sich auf ein Meditationsobjekt zu konzentrieren und zu sammeln. |
Vīmaṃsā | Untersuchung, Analyse | Die weisheitsvolle Fähigkeit, die mentalen Zustände und kausalen Muster zu erforschen und zu unterscheiden. |
Die Cattāro Iddhipādā im Kontext: Wichtige zugehörige Konzepte
Die Cattāro Iddhipādā sind keine isolierten Konzepte, sondern tief in das umfassende Lehrgebäude des Buddha eingebettet. Sie sind Teil eines größeren Systems von Qualitäten, die zur Befreiung führen und die Kohärenz und Systematik der buddhistischen Lehre verdeutlichen.
Bodhipakkhiyādhammā (Die 37 zum Erwachen führenden Qualitäten)
Die Iddhipādā sind eine von sieben Gruppen von Qualitäten, die vom Buddha als förderlich für die Erleuchtung (bodhi) gelobt werden. Diese sieben Gruppen, die insgesamt 37 Qualitäten umfassen, werden als Bodhipakkhiyādhammā bezeichnet. Die Tatsache, dass die Iddhipādā wiederholt als integraler Bestandteil dieser umfassenden Liste erwähnt werden, unterstreicht ihre fundamentale Bedeutung auf dem Pfad zur Erleuchtung. Sie sind keine optionalen oder sekundären Praktiken, sondern ein notwendiger Pfeiler für die geistige Entwicklung. Die sieben Gruppen der Bodhipakkhiyādhammā sind:
- Die vier Grundlagen der Achtsamkeit (cattāro satipaṭṭhānā)
- Die vier rechten Anstrengungen (cattāro sammappadhānā)
- Die vier Grundlagen der Geistesmacht (cattāro iddhipādā)
- Die fünf spirituellen Fähigkeiten (pañca indriya)
- Die fünf Kräfte (pañca bala)
- Die sieben Faktoren des Erwachens (satta bojjhaṅgā)
- Der Edle Achtfache Pfad (ariya aṭṭhaṅgika magga)
Diese umfassende Klassifikation zeigt, dass die Iddhipādā in ein großes, miteinander verbundenes System von Praktiken und Qualitäten eingebettet sind, die alle auf das gleiche Ziel der Befreiung hinarbeiten.
Jhāna (Meditative Vertiefungen)
Die Entwicklung der Iddhipādā ist eng mit dem Erreichen der Jhānas verbunden, den meditativen Vertiefungen. Die Iddhipādā werden als die „Basis“ für die Konzentration (samādhi) verstanden, welche für das Eintreten in die Jhānas notwendig ist. Jhāna ist ein Zustand tiefer geistiger Sammlung und Absorption, der den Geist von störenden Faktoren reinigt und zu einem Zustand perfekter Gleichmut und Gewahrsein führt. Die Jhānas sind nicht nur angenehme Zustände der Ruhe, sondern auch die Grundlage für die Entwicklung höherer Erkenntnisse (abhiññā) und für die letztendliche Erkenntnis der Vier Edlen Wahrheiten, die zum Nibbāna (Befreiung) führt. Es wird zwischen weltlichen (lokiya) und überweltlichen (lokuttara) Jhānas unterschieden. Weltliche Jhānas allein sind nicht ausreichend für die Befreiung, da sie lediglich die Befleckungen unterdrücken. Sie müssen durch Weisheit (paññā) ergänzt werden, bilden aber eine wichtige Grundlage für deren Entwicklung. Die Iddhipādā sind die aktiven mentalen Prozesse, die den Geist auf die für die Befreiung notwendigen tiefen meditativen Zustände (Jhānas) vorbereiten. Sie sind somit die Anwendung der Bodhipakkhiyādhammā im Bereich der Konzentration, indem sie die erforderliche geistige Stärke und Ausrichtung bereitstellen. Dies verdeutlicht eine symbiotische Beziehung: Die Iddhipādā ermöglichen die Jhānas, und die Jhānas wiederum schärfen den Geist für die letztendliche Befreiung.
Die Vier Rechten Anstrengungen (sammappadhānā)
Die Iddhipādā werden oft in Verbindung mit den „willentlichen Anstrengungsformationen“ (padhāna-saṅkhāra) entwickelt, die den Vier Rechten Anstrengungen (sammappadhānā) entsprechen. Während die Vier Rechten Anstrengungen das Was der Bemühung definieren (was soll vermieden oder kultiviert werden), bieten die Iddhipādā das Wie dieser Bemühung. Sie sind die mentalen Werkzeuge – Absicht, Energie, Bewusstsein und Untersuchung – die die Umsetzung der Rechten Anstrengungen effektiv machen. Diese Verbindung zeigt, dass die buddhistische Praxis eine synergetische Anwendung verschiedener Faktoren ist, bei der die Iddhipādā die notwendige geistige Stärke und Ausrichtung für die kontinuierliche ethische und meditative Arbeit liefern.
Lehrreden aus dem Palikanon: Die Cattāro Iddhipādā in den Suttas
Um ein tieferes Verständnis der Cattāro Iddhipādā zu ermöglichen, ist es unerlässlich, die ursprünglichen Lehrreden des Buddha zu konsultieren. Der Palikanon bietet hierfür eine reiche Quelle, insbesondere die Sammlungen des Dīgha Nikāya (DN), Majjhima Nikāya (MN), Saṃyutta Nikāya (SN) und Aṅguttara Nikāya (AN). Die hier aufgeführten Suttas sind auf SuttaCentral.net verfügbar (Links in Tabelle weiter unten), einer verlässlichen und umfassenden Quelle für die frühen buddhistischen Texte.
Saṃyutta Nikāya (SN): Das Iddhipāda-saṃyutta (SN 51)
Das gesamte 51. Kapitel des Saṃyutta Nikāya ist den Cattāro Iddhipādā gewidmet und trägt den Titel Iddhipāda-saṃyutta, was „Die verbundenen Lehrreden über die Grundlagen der Geistesmacht“ bedeutet. Dieses Kapitel ist die primäre und umfassendste Quelle für die detaillierte Erläuterung dieses Begriffs im Palikanon. Es enthält zahlreiche Lehrreden, die sich mit der Entwicklung der Iddhipādā, den daraus resultierenden spirituellen Kräften und ihrer Rolle auf dem Pfad zur Befreiung befassen.
SN 51.11: Pubbasutta (Die frühere Rede)
In dieser tiefgründigen Rede schildert der Buddha seine eigene Erfahrung vor seinem Erwachen (sambodhi), als er noch ein Bodhisattva war. Er reflektierte über die Ursache und den Grund für die Entwicklung der Grundlagen der Geistesmacht. Er erkannte, dass diese Entwicklung durch die Konzentration, die aus Eifer (chanda), Energie (viriya), Bewusstsein (citta) und Untersuchung (vīmaṃsā) entsteht, in Verbindung mit aktiver Anstrengung, geschieht. Der Buddha hebt hervor, dass diese Qualitäten in einem ausgewogenen Zustand kultiviert werden müssen: Sie dürfen weder zu träge noch zu angespannt, weder innerlich eingeengt noch äußerlich zerstreut sein. Durch diese Kultivierung wird ein Geist mit Ausstrahlung entwickelt. Diese Rede ist von großer Bedeutung, da sie die Iddhipādā direkt mit dem Erwachen des Buddha selbst in Verbindung bringt und seine persönliche Erkenntnis dieses Pfades darlegt, was die universelle Relevanz dieser Grundlagen für die geistige Entwicklung unterstreicht.
SN 51.15: Uṇṇābhabrāhmaṇasutta (Rede an den Brahmanen Uṇṇābha)
Dieses Sutra behandelt ein häufiges Missverständnis bezüglich des Begriffs chanda (Absicht/Wunsch). Der Brahmane Uṇṇābha fragt den ehrwürdigen Ānanda, wie das spirituelle Leben unter dem Buddha dazu dienen kann, Verlangen aufzugeben, wenn doch Verlangen (chanda) selbst eine der vier Grundlagen der Geistesmacht ist. Ānanda klärt dieses scheinbare Paradoxon mit einer einleuchtenden Analogie: So wie die Energie oder der Wunsch, zu einem Park zu gehen, verblasst, sobald man den Park erreicht hat, so verblasst auch der Wunsch, die Vollkommenheit (Arahantschaft) zu erreichen, sobald diese erlangt ist. Dies verdeutlicht, dass der heilsame Wunsch auf dem Pfad notwendig ist, aber am Ziel selbst seine Funktion erfüllt und losgelassen wird. Das Sutra bietet eine tiefere Perspektive auf die dynamische Natur der buddhistischen Praxis, bei der selbst heilsame Qualitäten am Ende des Pfades transzendiert werden.
Dīgha Nikāya (DN): Ausgewählte Lehrreden
DN 16: Mahāparinibbānasutta (Die große Rede vom Verlöschen)
Dieses Sutra ist eine der längsten und bedeutendsten Lehrreden des Palikanons, die den letzten Lebensabschnitt und das Verlöschen des Buddha detailliert beschreibt. Obwohl es die Iddhipādā nicht im Detail erklärt, erwähnt es sie im Kontext der „zum Erwachen führenden Faktoren“ (Bodhipakkhiyādhammā). Der Buddha betont hier die Wichtigkeit der Kultivierung dieser Faktoren für das Wohlergehen und den Fortschritt der Mönchsgemeinschaft. Die Erwähnung der Iddhipādā in einem so zentralen und umfassenden Sutra unterstreicht ihre fundamentale Bedeutung innerhalb der buddhistischen Lehre und ihre Rolle als integraler Bestandteil des Pfades zur Befreiung und zur Aufrechterhaltung des Dhamma.
Majjhima Nikāya (MN): Ausgewählte Lehrreden
MN 77: Mahāsakuludāyisutta (Die große Rede an Sakuludāyin)
In dieser Rede listet der Buddha die „Vier Wege zur Kraft“ (Cattāro Iddhipādā) als eine der Qualitäten auf, die er seinen Schülern lehrt und die dazu führen, dass diese ihn verehren und in Abhängigkeit von ihm leben. Die Iddhipādā sind hier Teil einer umfassenderen Liste von Lehrinhalten, die der Buddha seinen Anhängern vermittelt. Dieses Sutra bestätigt die Iddhipādā als einen Kernbestandteil der vom Buddha gelehrten Praxis und ihre Anerkennung als wichtige Qualitäten für die spirituelle Entwicklung seiner Schüler. Es zeigt, dass die Iddhipādā direkt mit der Fähigkeit der Schüler verbunden sind, den Pfad zu meistern und zu verwirklichen.
Aṅguttara Nikāya (AN): Eine berühmte Rede
AN 4.35: Vassakārasutta (Rede an Vassakāra)
In diesem Sutra diskutiert der Buddha mit dem Brahmanen Vassakāra über die Definition eines „großen Mannes mit großer Weisheit“. Während Vassakāra weltliche Qualitäten aufzählt, beschreibt der Buddha einen großen Mann als jemanden, der sich für das Wohlergehen vieler einsetzt, geistige Kontrolle über seine Gedanken erlangt hat, die vier Jhānas mühelos erreicht und durch die Zerstörung der Befleckungen die Befreiung des Geistes und der Weisheit erlangt hat. Die Fähigkeit, die vier Jhānas nach Belieben zu erlangen, ist hier ein zentrales Kriterium, das eng mit der Entwicklung der Iddhipādā verbunden ist. Obwohl die Iddhipādā nicht explizit namentlich genannt werden, verweist dieses Sutra auf die Jhānas als Ergebnis einer tiefen mentalen Entwicklung, die durch die Iddhipādā ermöglicht wird. Es ist eine berühmte Rede, die die praktischen Ergebnisse der Kultivierung geistiger Qualitäten in den Vordergrund stellt und die Verbindung zwischen mentaler Beherrschung und Weisheit aufzeigt.
Nikāya | Sutta-Nummer | Pali-Name | Gebräuchlicher Deutscher Name | Relevanz für Iddhipādā | Quelle (SuttaCentral.net) |
---|---|---|---|---|---|
SN | SN 51 | Iddhipāda-saṃyutta | Die verbundenen Lehrreden über die Grundlagen der Geistesmacht | Das gesamte Kapitel ist den Iddhipādā gewidmet und bietet die umfassendste Darstellung. | suttacentral.net/sn51 |
SN | SN 51.11 | Pubbasutta | Die frühere Rede | Beschreibt Buddhas eigene Erkenntnis und Entwicklung der Iddhipādā auf seinem Weg zum Erwachen. | suttacentral.net/sn51.11 |
SN | SN 51.15 | Uṇṇābhabrāhmaṇasutta | Rede an den Brahmanen Uṇṇābha | Klärt das Paradoxon auf, wie Verlangen (chanda) als Grundlage zum Erlöschen von Verlangen führen kann. | suttacentral.net/sn51.15 |
DN | DN 16 | Mahāparinibbānasutta | Die große Rede vom Verlöschen | Erwähnt die Iddhipādā als Teil der 37 zum Erwachen führenden Faktoren (Bodhipakkhiyādhammā). | suttacentral.net/dn16 |
MN | MN 77 | Mahāsakuludāyisutta | Die große Rede an Sakuludāyin | Listet die vier Grundlagen der Geistesmacht als eine der vom Buddha gelehrten Qualitäten auf, die seine Schüler verehren. | suttacentral.net/mn77 |
AN | AN 4.35 | Vassakārasutta | Rede an Vassakāra | Zeigt die Verbindung zu den vier Jhānas als Qualitäten eines großen Menschen, die durch die Kultivierung der Iddhipādā ermöglicht werden. | suttacentral.net/an4.35 |
Praktische Relevanz und Schlussfolgerung
Die Cattāro Iddhipādā sind weit mehr als nur die Basis für übernatürliche Kräfte. Sie stellen vielmehr die fundamentalen mentalen Qualitäten dar – zielgerichteter Wunsch (chanda), unermüdliche Anstrengung (viriya), fokussiertes Bewusstsein (citta) und scharfe Analyse (vīmaṃsā) –, die, wenn sie ausgewogen und mit Konzentration kultiviert werden, den Geist reinigen, sammeln und schärfen. Sie sind der Motor für die Entwicklung von samādhi (Konzentration) und paññā (Weisheit), die wiederum zum Erreichen der Jhānas und letztendlich zur Befreiung von Leid führen. Ihre Einbettung in die Bodhipakkhiyādhammā unterstreicht ihre zentrale Rolle im gesamten buddhistischen Pfad.
Die Anweisungen, dass jede dieser Qualitäten „weder zu träge noch zu aktiv“ sein sollte, offenbaren einen wichtigen Aspekt der buddhistischen Praxis: Der Buddha lehrte kein starres System, sondern einen dynamischen Prozess der Selbstkultivierung. Dies bedeutet, dass der Praktizierende eine kontinuierliche Anpassung und Balancierung seiner mentalen Bemühungen vornehmen muss. Es erfordert ständige Achtsamkeit und Feinabstimmung, um den optimalen geistigen Zustand für das Erwachen zu erreichen. Dieser dynamische Ansatz ermutigt dazu, die Praxis als einen lebendigen, anpassungsfähigen Weg zu verstehen, der eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Geisteszuständen erfordert.
Die bereitgestellten Sutta-Referenzen dienen als Ausgangspunkt für eine persönliche Vertiefung in die Originallehren des Buddha. Es wird ermutigt, diese Konzepte nicht nur intellektuell zu verstehen, sondern sie in der eigenen Praxis zu erkunden, um die praktische Relevanz der Cattāro Iddhipādā im eigenen Leben zu erfahren und so das Verständnis für den buddhistischen Pfad zu vertiefen.
Referenzen & weiterführende Webseiten/Dokumente
- SuttaCentral: Eine umfassende Quelle für frühe buddhistische Texte mit Übersetzungen in vielen Sprachen. Die primäre Quelle für die in diesem Dokument referenzierten Lehrreden.
- Dhammatalks.org: Bietet eine große Sammlung von Sutta-Übersetzungen und Dhamma-Vorträgen von Thanissaro Bhikkhu.
- Iddhipada – Wikipedia: Ein guter Ausgangspunkt für eine allgemeine Übersicht über das Thema.
- BuddhaNet: Eine der ältesten und umfangreichsten buddhistischen Informationswebseiten.
- Wisdomlib: Eine umfangreiche Online-Bibliothek mit Texten zu verschiedenen östlichen Philosophien, einschließlich des Buddhismus.
- Lion’s Roar: Bietet Lehren, Nachrichten und Kommentare aus der buddhistischen Welt.
- Bodhipakkhiyādhammā – Wikipedia: Erklärt die 37 zum Erwachen führenden Qualitäten, in die die Iddhipādā eingebettet sind.
- Noble Eightfold Blog: Ein Blog, der sich detailliert mit verschiedenen Aspekten des buddhistischen Pfades auseinandersetzt.
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Fünf Fähigkeiten (Pañca Indriyāni) und Fünf Kräfte (Pañca Balāni)
Diese fünf Qualitäten – Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit – bilden ein dynamisches Paar. Als Fähigkeiten (Indriyāni) sind sie die „leitenden Prinzipien“ in unserer Praxis, die uns zu einem bestimmten Ziel führen. Sobald diese Fähigkeiten gestärkt und gefestigt sind, werden sie zu Kräften (Balāni), die unerschütterlich sind und den Geist von allen Hindernissen befreien. Ihre Kultivierung und ihr Gleichgewicht sind entscheidend für das Erwachen.